Cannabis-Kapitalisten

Zwei Schweizer Jungunternehmer und der Handel mit (legalen) Pflanzen.

Keine andere Branche wächst in der Schweiz so rasant wie das Geschäft mit CBD-Hanf: Zwei junge Männer wollen am Cannabisfieber mitverdienen.
Die Anschrift der neuen Wirkungsstätte von Mischa Gribi und Afrim Saliu darf nicht genannt werden – zu groß ist die Sorge, dass sich jemand illegal an ihrem wertvollen Gut bedienen könnte. Denn in einer dünn besiedelten, hügeligen Siedlung im Kanton ­Solothurn – rund eine Stunde ­Autofahrt von ­Zürich entfernt – entsteht gerade eine der modernsten CBD-Plantagen des Landes. Von außen sieht das Haus aus wie viele andere auf diesem Industriegelände: grau, funktional, schlicht. Das Schild an der Türsprechanlage der Firma ist dezent, es liegen auch keine besonderen ­Gerüche in der Luft.

Spätestens als der 27-jährige Basler Saliu und der 25-jährige Zürcher Gribi innen eine schwere Tür öffnen, wird klar: Die Männer sind professionelle Cannabis-Händler – vor ihnen erstreckt sich ein Meer aus Hanf. Das Gras hier enthält weniger als ein Prozent THC, weshalb es keine berauschende Wirkung hat und deswegen legal ist. Beeinflusst wird dies durch eine gezielte Zucht. „Kiffer haben kein Interesse an unseren Produkten, sie machen nicht high“, sagt Gribi. Dabei sieht es aus wie normales Gras, es riecht auch wie solches. Genutzt wird es wegen seines Cannabidiols (CBD), eines Wirkstoffs aus der Hanfpflanze, dem beruhigende und heilende Wirkung nachgesagt wird. Ein süßer Geruch durchdringt die „Box“, wie die Räume im Fachjargon genannt werden. Es ist warm, Natriumlampen hängen hier in einem regelmäßigen Abstand und bestrahlen die rund 1.000 Pflanzen. Diese stehen in silbern leuchtenden Edelstahlbehältern, die Pflanzen tragen dicke Blüten und leuchten kräftig grün in dem klinischen Raum mit Aluminiumwänden, der nur mit Schutzkleidung betreten werden darf. Es herrschen strenge Hygienevorschriften, alles soll möglichst keimfrei bleiben.

Die Pflanzen brauchen täglich rund zwölf Stunden Licht, um gesund heranwachsen zu können. Die Tageszeit ist in diesem hermetisch abgesperrten Ort nicht messbar. Es wird mit Klimatechnik gearbeitet, Frisch­luft gelangt nicht in die Boxen, alle Klimabedingungen werden automatisch geregelt. An mehreren Stellen sind zusätzliche Anzeigen angebracht, die Temperatur und Luftfeuchtigkeit anzeigen. Auf dem Dach befinden sich Photovoltaik-Anlagen; an sonnigen Tagen wird die Plantage fast ausschließlich durch Solarstrom betrieben. Denn der Stromverbrauch einer solchen Anlage ist enorm – durch die Sonnenenergie kann Geld gespart werden.

Auch den potenziell hohen Wasserkonsum halten die Schweizer durch ein nachhaltiges System gering. Das verdunstete Wasser wird in riesigen Kanistern aufgefangen und dann nochmals verwendet. Gezüchtet wird hier ohne Pestizide. Noch wird hier in Solothurn überall umgebaut und gebuddelt, lose Kabel liegen herum, im Keller lässt sich nur vermuten, was hier gerade entsteht. Doch bald schon sollen die fünf Produktionsstätten, die landesweit noch betrieben werden, allesamt hier an die hügeligen Ausläufer des Jura übersiedeln. Dann sollen die Pflanzen auf zwei Etagen und in zehn Boxen ­heranwachsen, die Unternehmer rechnen mit einer Ernte von 350 Kilogramm alle zwei Monate. Ein Gramm hat einen Marktwert von rund zehn Franken – in dieser abgelegenen Gegend wachsen also rund 3,5 Millionen Franken heran. Alle acht bis zehn Wochen kann geerntet werden, sechs Mitarbeiter hat das Unternehmen. Auch die beiden Jungunternehmer selbst zupfen Marihuanablüten. „Es ist doch selbstverständlich, dass wir auch mitarbeiten“, sagt Gribi, ein ausgebildeter Informatiker. Sein Geschäftspartner ist Gebäude­technikplaner, passenderweise ­spezialisiert auf Klimatisierung und Heizung. Vom Büro zum Gras – so sieht eine Hanfkarriere 2017 aus.

Seit rund zwei Jahren handeln und produzieren Gribi und Saliu CBD-Hanf. Vor rund einem Jahr beschlossen sie, sich zusammenzutun. Rund eine Million Franken haben sie nun in die neue Plantage hier investiert – alles eine Reinvestition, sagen sie, keine Schulden bei Banken, Verwandten oder Freunden. Und: Das Zeug ist nicht billig. Alleine eine Natriumlampe kostet 800 Franken – pro Box hängen 32 davon an der Decke. Über 25.000 Franken Investitionen alleine in die Beleuchtung; der Versicherungswert insgesamt liege bei 1,8 Millionen Franken – versichert bei der Zürich Versicherung. Gribi und Saliu sagen, sie hätten alles alleine gestemmt, die Finanzierung, die Businesspläne; sie waren es auch, die alles Notwendige für einen Anbau kauften, angefangen bei den Lampen über elektrische Pumpen, das Belüftungssystem, die Feuchtigkeitsmessgeräte und den Humus bis hin zum Saatgut. Finanziert werde das neue Projekt durch ihre acht physischen Läden und den Onlinehandel. Neben Hanf-Lebensmitteln ohne Wirkstoff finden sich unter den Produkten auch diverse Tropfen, Öle, Salben oder getrocknete Hanfblüten. Die Kunden sind vor allem Großhändler.

Seit Ende 2016 ist der Verkauf von Cannabisprodukten mit einem THC-Gehalt von unter einem Prozent in der Schweiz legal, sie sind zudem nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterstellt und werden deshalb zunehmend kommerziell verwertet. So finden sich überall in der Schweiz Geschäfte, die Cannabis mit dem Wirkstoff CBD verkaufen. Auch Gribi und Saliu wollen teilhaben an einem Markt, der so schnell wächst wie kaum ein anderer in der Schweiz. Die Branche fährt Millionenumsätze ein. Gab es im Januar in der Schweiz erst fünf registrierte Firmen, die das legale CBD-Gras herstellen oder damit handeln, sind es heute über 400 Unternehmen, wie der Schweizer Tagesanzeiger berichtet. Rund 130 Schweizer Firmen haben rund 300 CBD-Produkte angemeldet. Laut Schätzung der Zollverwaltung wird der Bund mit der grünen Welle 2017 einen Umsatz von 60 Millionen Franken machen, 15 Millionen davon gehen als Tabaksteuer direkt in die Bundeskasse. Doch Saliu und Gribi wollen sich nicht in eine Schmuddelecke stellen lassen. Sie haben zu ihrem Produkt durchaus emotionale Gefühle: Selber konsumieren würden sie das Zeug zwar nicht, auch in Versuchung würden sie nicht geraten. Was sie jedoch antreibe, sei vielmehr das große Gefühl, der Menschheit einen Gefallen zu tun und Kranken zu helfen. Da fallen große Worte wie „Faszination“, „Leidenschaft“ und „Heilung“. „Die Pflanze ist wie ein Kind für mich, ich kann ihr beim Wachsen zuschauen“, erzählt Saliu.

Sein Onkel sei an Krebs erkrankt, CBD habe ihn schmerzlindernd unterstützt, erzählt er hastig und etwas verlegen. Für die Unternehmer ist ihr Hanf vor allem eine Heilpflanze. Gefragt nach wirtschaftlichen Interessen wiegeln beide ab – bloß nicht in den Verdacht geraten, mit Cannabis reich werden zu wollen. Ihre Jobs, so sagen sie, würden auch kein Naserümpfen provozieren. „Ich habe mich selbst manchmal über die wenigen Vorbehalte gewundert“, sagt Gribi. „Und eigentlich sind wir doch auch nur Gärtner“, sagt er schüchtern lächelnd. Tatsächlich ist das Thema längst in der Mitte der Schweizer Gesellschaft angekommen. Wer beispielsweise durch die Zürcher Altstadt spaziert, sieht etliche Geschäfte, die Hanfprodukte anbieten. Die grüne Pflanze gehört hier zum Straßenbild.

Doch der Markt wartet auch mit Herausforderungen auf. Mittlerweile kämpfen die Produzenten mit einem massiven Preisverfall, der Marktpreis schwankt. Kostete ein Gramm kürzlich noch vier bis fünf Schweizer Franken, ist die gleiche Qualität nun schon für zwei bis zweieinhalb Franken erhältlich. Der Grund ist einfach erklärt: Zu viele Anbieter – und die erste Welle der Neugierigen hat abgenommen. Die Jungunternehmer wollen trotzdem weitermachen. „Mit unserer Qualität werden wir überleben“, zeigt sich Gribi zuversichtlich und hofft, dass sich der medizinische Markt bald für sie öffnen wird.

Bereits 1940 wurde der Inhaltsstoff Cannabidiol (CBD) identifiziert, eine nicht psychotrope Sub­stanz, die keiner Suchtgiftregelung unterliegt. Ob Cannabis oder Marihuana für medizinische Zwecke erhältlich sein sollen, ist international umstritten. Dank Labormäusen aus Jerusalem weiß man, dass CBD gegen Entzündungen wirkt, das Wachstum von Tumoren hemmt und bei Arthritis helfen kann.

Beschrieben wurden für Cannabidiol auch krampflösende, angst­hemmende und Übelkeit dämpfende Effekte. Auch bei Asthma, Autoimmunerkrankungen, Bruchverletzungen, Diabetes, Epilepsie, Knochenmarktransplantationen, Krebs-Metastasen, Morbus Crohn, Multipler Sklerose, rheumatoider Arthritis und Schizophrenie wurden in Laboren die positiven Effekte von Cannabidiol nachgewiesen. Einzig: Der Beweis am Menschen ist kaum erbracht.

„Es macht deshalb keinen Sinn, Cannabis oder Marihuana für medizinische Zwecke einfach freizugeben. Der Nachweis der Überlegenheit gegenüber den in Studien getesteten Cannabinoiden fehlt. Wir sollten in unserem Gesundheitswesen, das ja sonst auch auf die Kosten achtet, nur Medikamente verwenden und bezahlen, für die eine Wirksamkeit gegeben ist“, erklärte dazu kürzlich Hans-­Georg Kress, Vorstandsmitglied der Österreichischen Schmerzgesellschaft und ehemaliger Präsident der Europäischen Schmerzföderation (EFIC).

Fehlende Studien, mögliche Übersättigung des Marktes, fallende Preise oder Gesetzesänderungen – Saliu und Gribi machen dennoch weiter. Sie wollen ins Ausland expandieren, Italien und Österreich seien interessante Märkte. Und wenn es schiefgehen sollte, dann könne man das Equipment ja wieder verkaufen. „Es lässt sich ja wieder in Einzelteile zerlegen und wiederverwenden“, sagt Saliu.

Dieser Artikel ist in unserer Dezemberausgabe 2017 "Kapitalismus " erschienen.

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