20th Hand Fashion

Von Autos über Elektroscooter bis hin zu Nischengeräten: Immer öfter haben Verbraucher die Möglichkeit, auf Besitz zu verzichten und dennoch Waren mitzubenutzen. Mit Unown bringt Linda Ahrens dieses Konzept auf das nächste Level – bei ihr gibt es Kleidung zu mieten.

Mit Phrasen wie „The vibe I own, this shirt I unown!“ wirbt das Modeunternehmen Unown auf seiner 22.000 Abonnenten schweren Instagram-Seite. Wir treffen die Mitgründerin und Geschäftsführerin Linda Ahrens zu einem Onlineinterview, und sofort stellt sich die Frage, was man zu diesem Gespräch denn anziehen soll – die Wahl fällt auf einen nagelneuen Pullover (gekauft), und sogleich wird einem die Ironie der ganzen Situation be­wusst.

Unown steht für „nicht be­sitzen“. Bei diesem Unternehmen kann Mode demnach nur ausgeliehen werden – und wenn der Kunde oder die Kundin keine Lust mehr auf das jeweilige Stück hat, wird es wieder zurückgeschickt; alles „on demand“. Anstatt eine überquellende Garde­robe mit zahlreichen ungetragenen Stücken zu besitzen, bietet Unown die Möglichkeit, einen Kleiderschrank zu mieten. Mehr Abwechslung für Modefans sowie mehr Platz und weniger Ressourcenverschwendung für die Umwelt – so die Idee von Linda Ahrens und ihrer Mitgründerin Tina Spießmacher.

„Für einige ist das Gefühl, viel zu besitzen, ein belastendes. Diese Tatsache war ein ganz wichtiger Anhaltspunkt für uns“, so die Geschäftsführerin. Tatsächlich besitzen die Menschen in Deutschland laut einer Greenpeace-­Studie durchschnittlich 95 Kleidungsstücke (ohne Unterwäsche und Socken). Insgesamt sind das rund 5,2 Mil­liarden Kleidungsstücke; jedes fünfte davon, also etwa 19 %, wird nie oder nur sehr selten getragen. Insgesamt sind das also eine Milliarde Stücke, die im Kleiderschrank auf ihren Einsatz warten.

Die Modeindustrie lebt von der Kurzlebigkeit ihrer Produkte: Neue Trends, Materialien, Farben und Unternehmen sprießen permanent aus dem Boden. Den Körper mit Kleidung zu bedecken ist ein Thema, das so alt ist wie die Menschheit selbst. „Am Ende müssen wir uns alle etwas anziehen und dafür sorgen, dass Kleidung im Schrank ist“, sagt Ahrens. Bekleidung hat sich von ihrem ursprüng­lichen Nutzen – ­nämlich den Körper vor Nässe, Kälte, Verletzungen etc. zu schützen – entfernt und stetig weiter­entwickelt. Sie ist zum Aus­drucksmittel für Kultur, sozialen Stand und Zugehörigkeit, Persönlichkeit und Individualität geworden. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist sie für junge, experi­mentier­freudige Menschen wichtig. „Kleidung berührt unsere Leben jeden Tag und hat so großen Einfluss auf uns – ich finde, diese Bedeutung kann man nicht kleinreden“, erklärt Ah­rens.

Dass Kleidung heute Wegwerfware ist, ist jedoch nur ein Problem, das die Modeindustrie mit sich bringt. Hinzu kommen oft verheerende ­Ar­beitsverhältnisse für die in der Herstellung Beschäftigten, umweltschädliche Produktion und Ver­arbeitung der Materialien und viele Probleme mehr. „Das ganze Fast-­Fashion-System funktioniert nur, weil wir vor allem ökologische und soziale Kosten externalisiert haben, die eigentlich in der Produktions­kette stattfinden“, so Ahrens.

Deshalb überprüft Unown auch die Marken, mit denen das Unternehmen kooperiert. Ahrens: „Wir haben viele bekannte Fair Fashion-Partner und Marken aus dem Premiumbereich wie Marc O‘Polo, die schon nächstes Jahr 100% nachhaltig sein wollen.“ Gerade für kleinere Modeunternehmen ist Unown eine gute Möglichkeit, neue Kunden anzuwerben und die eigene Marke bekannter zu machen. Oft ist das auch eine Frage des Geldes: Wer Markenkleider tragen, diese aber nicht kaufen will, kann auf das Mietangebot zurückgreifen.

Auch in der Modebranche gilt: „Menschen wollen Convenience, also alles möglichst einfach und bequem haben“, so Ahrens. Aber ist das Konzept von Unown wirklich so bequem für seine Konsumenten? Mit einer erweiterten Mitgliedschaft um monatlich 69 € können vier Kleidungsstücke im Wert von 1.000 € gemietet werden. Wer keine allzu teure Mode will, kann auch die günstigere Version um 39 € im Monat wählen; inkludiert sind hier zwei Kleidungsstücke im Wert von 250 €. Die Kunden können aus 75 verschiedenen Marken wählen, und wenn ihnen ein Kleidungsstück so richtig ans Herz gewachsen ist, können sie es käuflich erwerben.
Je länger ein Kleidungsstück im Umlauf war, desto günstiger wird es später zu kaufen sein. Ungefähr 20 Mal kann auf diese Weise ein Stück den Besitzer wechseln, bevor es verkauft oder recycelt wird.

Ahrens’ Weg ins Unternehmertum war ein verschlungener und vor allem kein geplanter. Sie studierte Wirtschaft an der Zeppelin-Univer­sität Bodensee im Dreiländereck Deutschland-Österreich-Schweiz, bevor sie ihren Master in Soziologie an der Oxford University machte. Später hat es sie in die Tech-Branche verschlagen, wo sie ihre Mitgründerin Tina Spießmacher traf, die einen Hintergrund in Computer Science hat. Mit Mode hatten die beiden vor Unown nicht wirklich etwas am Hut. Nichtsdestotrotz merkten sie schnell, wie viel Potenzial ihre Idee, Kleidung zu mieten, anstatt sie zu kaufen eigentlich hat, und beschlossen Ende 2019, ihr eigenes Unternehmen zu gründen. Heute hat Unown seinen Sitz in Hamburg und zählt knapp 20 Mitarbeiter.

Was sich Linda Ahrens von der Zukunft wünscht? „Mehr Möglichkeiten für den oder die Verbraucher*in, Dinge wie Kleidungsstücke zu mieten und weniger auf den Besitz zu fokus­sieren“, sagt sie. Tatsächlich wird auf ihrer Website vorgerechnet, dass 25 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden könnten, wenn 20 % der europäischen Fashionindustrie auf ein Mietmodell umsteigen würden.

Aber nicht nur bei Kleidung sieht die Unown-Geschäftsführerin das Potenzial eines Mietprinzips: Sie ist davon überzeugt, dass sowohl der Kunde und die Kundin als auch Unternehmen und vor allem unsere Umwelt von mehr Mietprodukten massiv profitieren könnten.

Text: Lela Thun
Foto: Unown

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 1–22 zum Thema „Ressourcen“.

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