DAS GELD VOM NETZ NEHMEN

In einer Zeit des geopolitischen Chaos und hoher Inflation erscheinen Simon Mikhailovichs extreme Strategien zur Vermögenserhaltung gar nicht so paranoid. Der 63-Jährige hält Banken für zu fragil, um seine Anlagen dort zu parken. Er kauft und lagert stattdessen Goldbarren für seine Kunden – mit Erfolg.

Cyberangriffe, Inflation, Pandemie – ist mein Geld sicher angelegt? Diese Frage beantwortet der russische Emigrant und Unternehmer Simon Mikhailovich kreativ: Er hat es sich zum Beruf gemacht, durch Goldbarren eine gewisse Art von Sicherheit zu verkaufen. Sein in New York City ansässiges Unternehmen Bullion Reserve zählt hauptsächlich wohlhabende Familien zu seinen Kunden. In ihrem Auftrag kauft Mikhailovich Goldbarren von Raffinerien, lässt sie von ge­panzerten Lastwagen abholen und liefert sie in bewachte Lagerhäuser.

Für seine Kunden reicht es nicht aus, Anteile an Edel­metallfonds zu kaufen und diese dann in der Obhut einer Bank zu lassen – denn die Bank ist Teil eines fragilen Netzes, in dem Reichtum durch elektronische Schnipsel ­dargestellt wird; so beschreibt es Mikhailovich. Dieses zerbrech­liche Netz könne jederzeit durch verschiedenste Faktoren zerstört wer­den: Hacker, Vertrauensverlust in den Staat als Beschützer des Vermögens, eine Liquiditätskrise oder auch durch einen elektromagnetischen Impuls. „Was wir erleben, sind außergewöhnliche Ereignisse, von denen wir dachten, dass sie nie eintreten würden: Der Reiseverkehr wird ein­gestellt, Guthaben werden eingefroren, in Europa bricht ein Krieg aus“, erzählt Mikhailovich und betont, dass er eigentlich ein Optimist sei, der froh sei, in einer friedlichen Demokratie zu leben, nachdem er seine Kindheit an einem konträren Ort verbracht habe. Das Goldprojekt, so betont er, „hat nichts mit Untergang und Pessimismus zu tun. Es geht um eine Neube­wertung des Risikos.“

Der 63-jährige Mikhailovich hat sich die meiste Zeit seiner Karriere mit Risiken beschäftigt. Zuerst war er bei einer Versicherungsgesellschaft tätig, dann bei einem Hedgefonds, der mit Schuldderivaten spekulierte und von der Leh­man-Pleite betroffen war. Nun beschäftigt er sich durch sein Goldgeschäft erneut mit Risiken. „Sind die meisten unserer Finanzanlagen nicht abgesichert? Haben wir nicht eine Federal Deposit Insurance Corporation fürs Bankkonto und die Securities Investor Protection Corpora­tion für Maklerkosten?“, spottet Mikhailovich. Die Reserven der Banken würden zwar aus­reichen, um einzelne Institute zu schützen – bei einem systemweiten Ausfall wären sie laut dem Unternehmer jedoch überfordert. „Wenn man seine Ersparnisse im Finanzsystem speichert, ist das so, als würde man sein Notstromaggregat an eine Steckdose anschließen“, sagt Mikhailovich. „Es funktioniert wunderbar, bis das Netz ausfällt.“

Offline gelagertes Gold funktioniere anders: „Es ist cyberimmun. Es ist unzerstörbar. Niemand ist dafür verantwortlich.“ In Anbetracht seiner Erfahrungen mit Lehman Brothers fügt er außerdem hinzu: „Es gibt kein Gegenpartei­risiko.“ Die Kunden von Bullion Reserve haben stets die Möglichkeit, ihr Geld in Form von Goldbarren abzuheben, wann immer sie wollen – und in letzter Zeit haben einige genau das getan. Mikhailovich vermutet, dass im Falle einer größeren Krise noch mehr Kunden ihr Gold abziehen und es zum Kauf von Finanzanlagen verwenden könnten.

Hinter der Vorliebe dieses Mannes für das gelbe Metall steckt ein atavistischer Drang. Vor einem Jahrhundert flohen seine Vorfahren vor Pogromen in der Ukraine und ließen sich in Leningrad (dem heutigen Sankt Petersburg) nieder. Dort hatte die Familie die Möglichkeit, durch ihre mitgebrachten Goldmünzen Lebensmittel zu kaufen. Ihre Flucht vor der Katastrophe war allerdings noch nicht zu Ende: Die deutsche Belagerung ab 1941 kostete eine Million Einwohner der Stadt das Leben. Alle vier Großeltern von Mikhailovich überlebten jedoch. Ein Großvater war Chirurg im Sanitätskorps der russischen Armee, ein anderer Ingenieur, der half, eine Versorgungslinie über den zugefrorenen Ladogasee offen zu halten. Später beschloss die Familie, der kommunistischen Herrschaft zu entfliehen. In den 1970er-Jahren öffnete sich die Tür einen Spalt weit: „Wir erkannten, dass das sowjetische System unhaltbar war. Es gab einen Vertrauensverlust in die Regierung, offizielle Korruption und einen Verlust an Integrität. Die russische Bevölkerung fragte sich zu der Zeit: ‚Wenn sie stehlen, warum sollte ich nicht auch stehlen?‘

Es ist jedoch sehr knifflig für einen ehrlichen Menschen, aus einem korrupten System Nutzen zu ziehen“, so der Unternehmer. Schon die Beantragung eines Ausreisevisums war eine riskante Angelegenheit – die Antragsteller mussten dafür nämlich zunächst ihre Arbeit aufgeben; wem das Visum anschließend ver­weigert wurde, der blieb mittellos zurück. Mikhailovich, damals ein Teenager, wartete in den Visabüros und sah zu, wie einige Familien mit Papieren herauskamen, andere weinten. Beschimpfungen durch die Beamten waren Teil des Prozesses. „Verräter!“, schrien sie auch Mikhailovich hinterher. In welcher Hinsicht war er ein Verräter, fragte er sich. Auf Mikhailovichs Geburtsurkunde stand immerhin, er sei kein Russe, sondern Jude.

Schließlich durfte die Familie ausreisen. Im Jahr 1979 landete sie in Baltimore. Seine zwei Jahre an einer Leningrader Ingenieurschule wurden in ein Jahr Credits für seinen Bachelor-Abschluss in Politikwissenschaften an der Johns Hopkins University umgewandelt. Schon damals war Mikhailovich klar, er wollte Unternehmer werden. Warum also nicht ein Restaurant er­öffnen? Seine zukünftige Frau hielt ihn jedoch davon ab, diesen Plan in die Tat umzusetzen – ein guter Rat, wie sich herausstellte, denn schon bald hatte er einen Job in einem privaten Klub, in dem eines der Mitglieder, der Geschäftsführer der amerikanischen Versicherungsgesellschaft U.S. Fidelity & Guaranty (USF&G), ihn zum Vorstellungsgespräch lud.

Während seiner Zeit bei dem Versicherer beschäftigte sich Mikhailovich hauptsächlich mit den Schattenseiten der Finanzbranche. Er wickelte die missratenen Diversifizierungen seines Arbeitgebers, zu denen auch ein Computervermieter und ein Reisebüro gehörten, ab. Ein Jahrzehnt später, im Jahr 1997, überredete er USF&G, besicherte Schuldverschreibungen auszugeben. Als die Versicherungsgesellschaft den Besitzer wechselte (heute ist sie Teil des Reiseveranstalters Travelers), wollte der neue Eigentümer diesen nicht in sein Portfolio passenden Teil loswerden. Mikhailovich und ein Partner schnappten ihn sich daraufhin.

Die beiden bauten das CDO-Geschäft (CDO = Collateralized Debt Obligation) zu einem Vermögensverwalter mit 19 Mitarbeitern und einem Vermögen von zwei Mrd. US-$ aus. Mit­hilfe einiger Leerverkäufe begann das Unter­nehmen in der Finanzkrise von 2008, zu florieren. Das Geld, das Lehman den beiden für ein bereits abgeschlossenes erfolgreiches Geschäft schuldete, verwandelte sich jedoch in eine Konkursforderung, die sie für einen Bruchteil
des Wertes verkauften.

Mikhailovich baute das Portfolio ab, sein Partner zog sich zurück. Mikhailovich hätte zwar bequem in dem ihm bekannten Terrain weiter­machen können, hatte aber bereits eine neue Businessidee. Diese entstand unter den immer strenger werdenden Vorschriften zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung, die die ameri­kanische Regierung ausländischen Banken mit US-Kunden auferlegte. Obwohl er alle Vorschriften penibel eingehalten hatte, wollte die Schweizer Bank, an die sich Mikhailovich wandte, nichts von dem Papierkram wissen und wies ihn ab. Kurz darauf fand er sich mit Handgepäck voller Goldbarren auf dem Bürgersteig in Zürich wieder. Wie viel? Dazu sagt er nur: „Ich habe mir den Rücken verletzt.“

So wurde 2011 Mikhailovichs Goldbarrendienst geboren. Der Zeitpunkt war jedoch nicht gut gewählt: Der Goldpreis erreichte seinen Höhepunkt und es begann eine lange Talfahrt, von der er sich erst kürzlich wieder erholt hat. Nachdem die Familie Mikhailovich, zu der mittlerweile zwei erwachsene Töchter gehören, vor drei Jahren einige externe Investoren auf­gekauft hat, besitzt sie nun alles. Heute verwaltet die Familie Edelmetall im Wert von 340 Mio. US-$ – angesichts der Weltlage ist nun ein An­ziehen der Nachfrage in Sicht.

Das Verkaufsargument von Bullion Reserve? Einen Teil seines Vermögens solle man nicht „im Netz“ lagern, sagt Mikhailovich. Finanznetze, die sich auf Stromnetze stützen, seien instabil, der Ausfall eines beliebigen Knotens könne sich auf das gesamte Netz ausbreiten. Das erklärt auch, warum in New York 2003 der Strom ausfiel: In einer ländlichen Gegend zwei Stunden nördlich von Mikhailovichs Büro befindet sich eine Stelle, an der eine auf rostigen Masten sitzende Hochspannungsleitung, die sich über eine verlassene Straße und ein Brombeerfeld erstreckt, Strom in die Stadt leitet. Ein Terrorist bräuchte nicht einmal eine Stange Dynamit, um für großes Chaos zu sorgen – selbst eine Motorsäge würde genügen.

Mikhailovich hält es für möglich, dass der nächste regionale Stromausfall das Finanzsystem ernsthaft schädigen wird. Das ist zwar nur eine Vermutung, aber durchaus möglich. Die Finanzkrise von 2008 ist weltweit noch gut in Erinnerung geblieben – die wenigsten wissen allerdings, dass es auch 2019 eine Krise gab. Tagesgeld­kredite, die vollständig durch Schatzwechsel besichert waren, stiegen auf einen jährlichen Zinssatz von 10 %. Falls Ihnen dieser Zusammenbruch entgangen ist, liegt das daran, dass die Federal Reserve das Problem überspielt hat, indem sie durch ein paar Klicks Geld herbei­zauberte. „Wie lange kann noch so agiert werden, ohne dass großer Schaden angerichtet wird?“, fragt sich der Unternehmer. „Die Regierung bläst die größte Blase auf, die je aufgeblasen wurde“, sagt Mikhailovich. „Das ist nicht mehr tragbar.“ Laut ihm steht das Land kurz vor einem tief­greifenden Vertrauensverlust in die Regierung und damit auch in ihr Geld. Auch das ist natürlich eine Vermutung, aber ebenfalls nicht an den Haaren herbeigezogen.

Mikhailovich weist in diesem Kontext auch auf die Proteste gegen die Coronapolitik in Kanada hin, bei denen Lastwagen tagelang die Straßen versperrten. „Dort kam es zu zivilem Ungehorsam. Anstatt die Lastwagen zu entfernen, reagierte die Regierung mit dem Einfrieren der Bankkonten der Bürger. Keine drei Wochen später ergriff die US-Regierung ähnliche Maßnahmen gegen eine rivalisierende nukleare Supermacht.“ Mikhailovich spielt auf einen Landsmann aus Leningrad an, der Rücklagen gebildet hat: Wladimir Putin musste zwangs­läufig feststellen, dass Geld in Form von Devisenkonten plötzlich unerreichbar ist. Doch der Goldschatz des Landes ist durchaus brauchbar: „Er könnte es einfach nach Shanghai bringen“, so Michailovich.

Simon Mikhailovich
floh in den 1980ern mit seiner Familie aus Russland in die USA. Nach einer Stelle bei USF&G und der Gründung eines eigenen Vermögensverwalters folgte schließlich die Gründung seines heutigen Unternehmens: Bei Bullion Reserve können Kunden ihr Vermögen in Form von Goldbarren anlegen.

Foto: Guerin Blask for Forbes

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