KLEINE TEILCHEN, GROSSER SCHADEN

Mikroplastik ist ein großes Problem – doch wie groß es genau ist, weiß keiner so recht. Michael Stibi, Aurelia Liechtenstein, Valerie Hengl und Benedikt Hufnagl ermöglichen mit ihrem Unternehmen Purency eine Analyse der kleinen Plastikteilchen.

Es kann auch bei der Zersetzung von Makroplastik entstehen. Eines haben all diese Sorten Plastik gemeinsam: Wir haben keine Ahnung, wie viel und welches sich tatsächlich in unserer Umwelt befindet. „Denn immer, wenn es um das Thema Mikroplastik geht, treffen die Menschen Aussagen ohne wissenschaftlich fundierte Datengrundlage“, so Michael Stibi, Mitgründer und CEO von Purency. Der Grund: Es gibt keine etablierte Messmethode. „Erst wenn einheitliche Daten vorliegen, können wir analysieren, wie schädlich Mikroplastik wirklich ist. So schaffen wir eine solide Datenbasis und erfahren, welchen Hahn wir abdrehen müssen“, ergänzt Valerie Hengl, Mitgründerin und COO von Purency. Stibi erklärt weiter: „Es musste ja auch erst mal das Thermometer erfunden werden, sodass wir heute einen Klimawandel feststellen können.“ Purency ist das Thermometer der Mikroplastikanalyse.

Um einheitliche und somit vergleichbare Ergebnisse zu erhalten, hat Purency eine KI entwickelt. Die zu analysierende Probe, etwa Meerwasser oder Schlamm, wird in ein FTIR-Imaging-Spektrometer gegeben, eine Art spezielles Mikroskop. Dieses Gerät macht ein Bild, im Prinzip wie ein Foto, nur wesentlich komplexer. Dabei wird jedes Pixel des Bildes mit Infrarotlicht in verschiedenen Wellenlängen „bestrahlt“. Je nachdem, wie das vorliegende Material mit der Strahlung interagiert, entsteht ein charakteristisches Spektrum: Ein Fingerabdruck, der es ermöglicht, das vorliegende Material zu charakterisieren. Nach der Analyse mit Purency’s Software, dem Microplastics Finder, ist klar, wie viel Plastik in der Probe steckt, wie groß es ist und um welche Art von Plastik es sich handelt.

Begonnen hat alles mit einem Problem der Universität Bayreuth. Sie wollte 2016 als eine der ersten Unis Umweltproben auf Mikroplastik analysieren. An der Analyse einer einzigen Probe saßen die Laboranten oft mehrere Tage. Um diesen Prozess zu beschleunigen, baute CTO und Mitgründer Benedikt Hufnagl einen Algorithmus, der die Analyse übernahm. Gemeinsam mit Michael Stibi entwickelte die Idee weiter, denn auch Stibi wusste, „wie frustrierend es ist, wenn man Prozesse, die eigentlich leicht zu digitalisieren sind, manuell machen muss“. Den beiden war ziemlich schnell klar, dass die automatisierte Datenanalyse von Mikroplastik auch für andere Universitäten interessant sein könnte. Stibi studierte zu dieser Zeit Technische Chemie mit Fokus auf Umwelttechnik an der Technischen Universität Wien. Ende 2019 stand fest, dass aus dem Projekt ein Unternehmen entstehen sollte – Stibi holte Aurelia Liechtenstein, die er bei einem Auslandssemester in Argentinien kennengelernt hatte, an Bord. Als vierte stieß Valerie Hengl ins Gründungsteam; Hengl studierte genau wie Liechtenstein zuvor in Maastricht International Business, „nur leider vier Jahre vor ihr“, so die COO von Purency. In der Gründungszeit haben sich Hengl und Liechtenstein genau einmal gesehen – dann kam der Lockdown.

In den folgenden sechs Monaten wurde der Businessplan über Videokonferenzen erarbeitet. Das nächste Mal trafen sich Hengl und Liechtenstein beim Notar, um den Gesellschaftsvertrag notariell beglaubigen zu lassen. „In ein Unternehmen einzusteigen ist wie das Schließen einer Ehe. Normalerweise kennt man die andere Person ja, bevor man heiratet“, so Hengl. Dadurch, dass die Gründung genau auf den Beginn der Pandemie und damit auch der Lockdowns fiel, sahen sich die frischgebackenen Unternehmer einigen Herausforderungen gegenübergestellt. „Wir haben uns Unterstützung von Mentoren und Coaches geholt“, so Stibi, „und mit deren Hilfe Strukturen innerhalb unseres Remote-Working-Prozesses aufgebaut, die den echten Arbeitsalltag replizieren.“ So wie viele hatten auch die Purency-Akteure bemerkt, dass die kleinen Gespräche, die sonst am Kaffeeautomaten, vor einem Meeting oder bei der gemeinsamen Mittagspause stattfinden, im Homeoffice einfach fehlen. „Um all diesen kleinen, aber enorm wichtigen Gesprächen den notwendigen Raum zu geben, machen wir One-on-ones“, so Hengl. Jedes Teammitglied nimmt sich jede Woche eine Stunde für jedes andere Teammitglied Zeit, um einfach nur zu quatschen. „Diese Erfahrung hat uns das notwendige Wissen vermittelt, um nun eine gut funktionierende remote arbeitende Firma aufzubauen“, findet auch Liechtenstein.

Heute arbeitet Purency mit einem siebenköpfigen Team auf internationaler Ebene an der Harmonisierung und Standardisierung der Mikroplastikanalyse mit. Im letzten Jahr wurde der Vertrieb der Software gestartet. Bereits im ersten Quartal 2022 hat das Unternehmen genauso viele Kunden akquiriert wie 2021 insgesamt. Die Menge der zahlenden Kunden befindet sich aktuell im zweistelligen Bereich. Was den Umsatz betrifft, soll dieser gut im sechsstellige Bereich liegen.

Mit dem Unternehmen soll sich auch die Software entwickeln. Das aktuelle Modell sei für Umweltproben von Süßwasser und Salzwasser bis hin zu Sedimenten und Klärschlamm super trainiert, so Liechtenstein; nun soll die Analyse weiterer Proben ermöglicht werden. Liechtenstein: „Wir sind dabei, das Ganze auf Getränke und Lebensmittelproben zu erweitern, sodass Labore mit demselben Tool später auch Milch oder Bier auf Mikroplastik analysieren können.“

Die Motivation bleibt immer die gleiche: „Es gibt wahnsinnig intelligente Chemiker – das sind in der Regel aber nicht die besten Softwareingenieure“, so Stibi. „Im Umkehrschluss gibt es supergute Softwaredeveloper – die sind aber nicht die besten Forscher.“ Das Potential für Datenanalyselösungen, die Wissenschaftlern auf der gesamten Welt die Arbeit erleichtern können ist enorm. Um diese Lösungen zu bauen braucht es allerdings Expertenwissen in beiden Fachbereichen. Purency will hier die Brücke bilden, damit sich die Profis in den Laboren auf das Wichtige fokussieren können: “Die Interpretation der Daten und das Ableiten von Aussagen zu diversen Problemen.“

Purency
...entstand aus einer KI, die von Benedikt Hufnagl entwickelt wurde. 2020 gründete er gemeinsam mit Michael Stibi, Aurelia Liechtenstein und Valerie Hengl das Unternehmen, dessen Software heute auf der ganzen Welt für Mikroplastikanalyse verwendet wird.

Text: Juli Sixel
Foto: Franziska Seifner

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 2–22 zum Thema „Innovation & Forschung“.

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