MIT VOLLGAS IN DIE ZUKUNFT

Vom gehänselten Sonderling zu Europas Antwort auf Elon Musk: Mate Rimac baut die aufregendsten elektrischen Hypercars der Welt. Nun schafft sich der Kroate einen Inno­vationscampus, wo er an der Mobilität von morgen tüfteln lässt. Vorher muss er aber noch die Traditionsmarke Bugatti retten.

An Kroatiens Küste ist die Nevera gefürchtet. Nevera, so nennen die Einheimischen diese schlagartig auftretenden Gewitterstürme, die meist in den heißen Sommermonaten August und September gerne aus dem Westen aus der nördlichen Adria aufziehen. Und immer wie aus dem Nichts. Heimtückisch, unerwartet, überraschend, meist hinterlassen sie in wenigen Minuten eine Schneise der Verwüstung.

Gegen den neuen Nevera von Mate Rimac ist das Wetterphänomen freilich ein laues Lüftchen. Von null auf hundert in 1,97 Sekunden, auf dreihundert in 9,3. Höchstgeschwindigkeit: 412 km/h. Leistung: 1914 PS, Preis: ab zwei Millionen Euro. Wer die Nevera-Karte hat, ist ab sofort in jedem Autoquartett unschlagbar. Mate Rimac hat im Sommer 2022 also mal wieder einen rausgehauen. Der Elon Musk vom Balkan, wie sie ihn gerne nennen. Der kroatische Wirbelwind, der auch aus dem Nichts kam.

Mit dem Produktionsstart seines neuen elektrischen Supersportwagens hat der 34-jährige Unternehmer nun also das nächste Kapitel seiner Erfolgsgeschichte aufgeschlagen, auf seinem fast schon surreal kitschig anmutenden Weg von der elterlichen Garage zum globalen Automobilimperium.

Am Anfang wollte ich einfach nur coole Autos bauen.

Mate Rimac

Eine Geschichte, die man noch einmal schildern muss, um den Menschen Mate Rimac zu verstehen, seine Vision und seine Motivation. Eine Geschichte, die in den letzten Zuckungen des kollabierenden Jugoslawiens begann, 1988, als Mate Rimac in Livno auf die Welt kam, im Westen des heutigen Staates Bosnien und Herzegowina. Mit Beginn des Bürgerkriegs flohen seine Eltern 1991 mit ihm nach Frankfurt, nach neun Jahren am Main zogen sie zurück auf den Balkan. Ins nordkroatische Samobor, kurz vor der Grenze zu Slowenien. Die Schuljahre dort wurden eine schwierige Zeit für den jungen Mate, in der Klasse mobbten sie ihn wegen seines bosnischen Akzents. Freunde hatte er kaum, Rimac wurde zum Einzelgänger und zog sich am liebsten zurück in die elterliche Garage. „Am Anfang wollte ich einfach nur coole Autos bauen“, sagt Rimac. Doch er tüftelte auch an technologischen und elektronischen Innovationen, mit 17 entwarf er den iGlove, einen Handschuh als Ersatz für PC-Tastatur und Maus. Wenig später entwickelte er das automatisierte und schließlich auf der Nürnberger Erfinder-Fachmesser Iena ausgezeichnete Active Mirror System (Patentnummer: US2010/0046104A1) gegen die Blind Spots beim Abbiegen. Mit Rückspiegeln, die beim Blinken oder beim Einschlagen des Lenkrads automatisch in Richtung toter Winkel drehen. Gerne erzählt wird immer auch die Episode von jenem BMW E30 323i, Baujahr 1984, den sich Rimac 2006 gekauft hatte, gedacht als erster Einstieg in den von ihm so geliebten Motorsport. Als ihm ein Jahr später bei einem Rennen der Motor explodierte, baute er den Wagen kurzerhand zum Elektroauto um – und legte damit den Grundstein zu seiner Unternehmerkarriere. Auf einem Militärflughafen nahe Zagreb stellte er mit seinem E-Oldtimer im Frühjahr 2011 gleich fünf Weltrekorde für die schnellste Beschleunigung von Elektrofahrzeugen auf, darunter 23,26 Sekunden für den ersten Kilometer aus dem Stand.

Fusion vor malerischer Kulisse: 2021 beschlossen Rimac, Porsche und Bugatti ein gemeinsames Joint Venture – und präsentierten ihre Boliden vor der Altstadt von Dubrovnik.
Tüfteln an der Zukunft: Im neuen Innovationscampus vor den Toren Zagrebs baut Mate Rimac ein High-Tech- Forschungszentrum.
Echte Handarbeit: Mit einem kleinen Team begann Mate Rimac seine Erfolgsstory. In der neuen Konzernzentrale will er bald 2.500 Mitarbeiter beschäftigen.

Doch danach wurde Rimac massiv ausgebremst. Der schon unterschriftsreife Vertrag mit einer Investorengruppe aus den Arabischen Emiraten für die Entwicklung eines einzigartigen Sportwagens platzte, weil sich Rimac dem als Gegenleistung geforderten Umzug nach Abu Dhabi verweigerte. „Wir standen damals mehrmals am Abgrund“, erzählte Rimac 2019 einmal im Rückblick in einem Interview. Aber Rimac stürzte nicht ab, im Gegenteil. Ohne Geld, aber mit viel Talent und Vision baute sich Rimac zusammen mit einer Handvoll gleichgesinnter Idealisten ohne externen Zulieferer ein komplettes Auto selbst, jedes einzelne Teil konzipiert und gefertigt in eigener Herstellung.

Das Ergebnis präsentierte Rimac 2011 auf der Frankfurter Automobilausstellung. Mit der Präsentation seines Concept One, dem ersten vollelektrischen Supersportwagen mit 1088 PS und einer Beschleunigung von 2,8 Sekunden von null auf hundert. Ab da startete Rimac nun richtig durch.

Er war angekommen im Big Business, als neuer Popstar der E-Mobilität, als europäisches Pendant zu Elon Musk. Die Serienproduktion eigener Autos war dabei quantitativ überschaubar, gerade mal acht Stück des Concept One wurden im eigenen Werk im kroatischen Sveta Nedelja nahe Zagreb produziert, und als der britische TV-Moderator Richard Hammond bei Dreharbeiten zur Serie „The Grand Tour“ in den Schweizer Bergen eine Kurve zu sportlich nahm und einen Wagen schrottete, da waren es nur noch sieben.

Im Hauptgeschäft spezialisierte sich das Team Rimac auf die Herstellung von Einzelteilen – als Zulieferer für andere Autokonzerne. So ließ sich Jaguar beispielsweise von Rimac helfen, ein blaues Cabrio aus dem Jahr 1968 vom Verbrenner auf E-Batterie umzurüsten. Ein Fahrzeug, das schließlich im Mai 2018 in Klatschspalten von Zeitungen und Magazinen weltweit zu sehen war. Als Hochzeitsauto nach der Royal Wedding von Prince Harry und seiner Meghan auf Schloss Windsor.

Nicht wegen der Connection ins Königshaus wurde 2018 ein wegweisendes Jahr für das Unternehmen, vielmehr wegen einer Verbindung ins Schwäbische – als nämlich Porsche bei Mate Rimac einstieg und zehn Prozent der Anteile erwarb. Als man nur ein Jahr später schon auf 15,5 Prozent aufstockte, frohlockte Vize-Vorstandschef Lutz Meschke: „Uns war schnell klar, dass Porsche und Rimac viel voneinander lernen können. Wir sind von Mate Rimac und seiner Firma überzeugt.“ Und das so sehr, dass Porsche 2021 für die Erhöhung auf 24 Prozent der Anteile gleich noch mal 70 Millionen investierte.

Den nächsten Coup landete Rimac im November des vergangenen Jahres, beim Joint Venture mit Bugatti, als Rimac 55 Prozent des traditionsreichen französischen Konzerns für Luxussportwagen übernahm, Porsche sicherte sich als strategischer Gesellschafter die restlichen 45 Prozent. Rimac, Porsche, Bugatti, ein neues illustres Dreigestirn am automobilen Firmament, das Porsche-Manager Oliver Blume als „high performance automotive company“ bezeichnete – was nichts anderes heißt, als dass das Trio natürlich möglichst schnell die Marktführerschaft im Bereich der E-Mobilität anstrebt. Am Geld soll’s dabei nicht scheitern, erst im Juni 2022 erhielt Rimac aus einer neuen Finanzierungsrunde frische 500 Millionen Euro. Bereitgestellt wurden die Mittel dabei vom japanischen Technologieinvestor Softbank und der US-Investmentbank Goldman Sachs. Damit erhöhte das Unternehmen seinen Wert auf mehr als zwei Milliarden Euro, einen Börsengang schloss Mate Rimac aber auch nach dem neuen Geldsegen kategorisch aus. Dafür, sagte er, müsse seine Firma noch stabiler werden und einen Jahresumsatz von bisher 500 Millionen Euro auf eine Milliarde verdoppeln. Und das vor allem mit dem weiteren Ausbau des Zuliefergeschäfts. Denn auch wenn seine Hypercar-Boliden, wie zuletzt der Rimac Nevera, gerne einen Superlativ nach dem anderen aufstellen, auch bei der Konstruktion mit dem nach eigenen Angaben größten Karbon-Monocoque der gesamten Automobil-Industrie, mit einem Gewicht von gerade einmal 200 Kilogramm: Als serienkompatibles Fahrzeug für die breite Masse taugen seine elektronischen Boliden freilich nicht, auch nicht nach 18 Prototypen, 45 Crashtests und insgesamt 1,6 Millionen Stunden an Forschung und Entwicklung. Vom zwei Millionen Euro teuren Nevera will das Unternehmen maximal 50 Stück pro Jahr produzieren, handgefertigt nach Auftragseingang innerhalb von fünf Wochen. Einer der prominentesten Erstkunden war dabei Ex-Formel-1-Weltmeister Nico Rosberg. Mögen Zweifler die Modelle wie den Concept One und den Nevera als sündteure Spinnerei klassifizieren: An seinen Visionen für die Zukunft der E-Mobilität hält Mate Rimac natürlich fest. Gerade eben entsteht vor den Toren Zagrebs auf mehr als 200.000 Quadratmetern eine neue gigantische Konzernzentrale, als Thinktank, Entwicklungszentrum und Produktionsstätte für mehr als 2.500 Beschäftigte. Ein gewaltiger Campus, ähnlich den Stammsitzen von Google, Apple und Facebook. Kroatiens Antwort auf das Silicon Valley.

Wir standen mehrmals am Abgrund

Mate Rimac

Natürlich wird Rimac am neuen Standort auch seine Greyp-Fahrräder produzieren, seine mit High-End-Features ausgestatteten E-Bikes, mit eingebauter Sattelkamera, integrierter Internetverbindung oder der Dashboard-Funktion als Tablet am Lenker. Luxusräder für den zahlungskräftigen Jetset, gern benutzte Spielzeuge etwa auch von früheren FC-Barcelona-Profis wie Lionel Messi, Gerard Pique oder Cesc Fabregas, die damit auch gerne ganz umweltbewusst mal zum Training radelten.

Im neuen Werk wird Rimac so wie einst in der Garage seiner Eltern dann weiter an Visionen für die Zukunft tüfteln. So wie vor zwei Jahren, als er einen Wettbewerb für die Gestaltung des Autos im Jahre 2080 ausrief. Mehrere tausend Designer reichten ihre Ideen ein, am Ende gewann der Entwurf des Grafikers Max Schneider mit dem Namen „Scalatan“. Mit einem in einem 3D-Drucker geformten Titan-Chassis und mit Lithium-Sauerstoff-Batterien. Für das Aufladen sorgt dabei der Unterboden, der per Induktion die Energie von Solarmodulen auf der Straßenoberfläche in die Akkus weiterleitet. Einziger Nachteil in der Prototyp-Simulation des natürlich autonom gesteuerten Fahrzeugs: Der Wagen hat keine Fenster, taugt also nicht für den Sonntagsausflug mit Blick ins Grüne.

Noch über 2080 hinaus, in jedem Fall noch 100 Jahre, wie er einmal sagte, will Rimac hier am kroatischen Innovationscampus seine Visionen umsetzen. Ganz im Sinne der Nachhaltigkeit sollen hier auch Wiesen entstehen, ein kleiner grüner Rooftop-Garten, kleine Sümpfe und Biotope, Lebensräume für Fauna und Flora. Eigene Bio-Lebensmittel will er anpflanzen und ernten, selbst freilaufende Schafe, Pferde und Ziegen sollen dann ab 2023 in Rimac Green umherstreunen – in der Hoffnung, dass sie sich auf der Teststrecke des Geländes rechtzeitig aus dem Staub machen, wenn der nächste Nevera mit Tempo 412 heranrauscht. Mates kleine Farm.

Mate Rimac (*1988) ist Erfinder, Unternehmer und Gründer von Rimac Automobili, dem Hersteller von Elektrosupersportwagen und von Greyp Bikes, dem Produzenten von Hightech-E-Bikes. Mit Porsche als Partner übernahm er 2021 die Traditionsmarke Bugatti. 2023 will er am Stadtrand von Zagreb auf einem Gesamtgrundstück von 200.000 Quadratmetern seinen futuristischen Innovationscampus eröffnen.

Auch ein Spielsalon und ein Fitnesscenter entstehen, Konferenzräume und Meeting-Locations, ein Restaurant, eine Bar und ein Kindergarten. Und natürlich, so kündigte es Mate Rimac bereits an, wird es auch ein Museum geben. Das erste Exponat steht bereits fest. Sein grüner BMW, dem es einst den Motor zerriss. Der Wagen, mit dem alles begann.

Text: Florian Kinast
Fotos: Rimac

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