Run auf die FemTechs

Femtechs wollen mehr und mehr geschlechtsspezifische Gesundheitsprobleme lösen, doch bisher zierten sich die Geldgeber, auf dieses Segment zu setzen. Nun kommt Bewegung in den Markt. Ein Überblick.

Man wundert sich, dass es für den Bereich der Frauengesundheit bisher kaum Gelder von Risikokapitalgebern gab. Hatten diese den Markt einfach übersehen? Einer der Gründe für die Vorsicht liegt in einer US-Entscheidung: „Im Jahr 1977 schloss die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA Frauen im gebärfähigen Alter von der Teilnahme an Arzneimittelversuchen aus“, schrieb die New York Times dazu. Erst 1993 änderten sich die Regeln – und bis 1972 war TV-Werbung für Menstruationsprodukte in den USA verboten. Wenn man dann noch weiß, dass „von Männern geführte Firmen 82 % der Risikokapitalfinanzierung erhalten“, wie es The Economist schrieb, zeigt sich das große Manko der Femtechs bezüglich deren bisheriger Finanzierung.

Nun machen sich Firmen wie Kandy Therapeutics, Oviavo, Daye und das von der Deutschen Nathalie Wilk gegründete Start-up Culotte auf den Weg, diesen sträflich vernachlässigten Bereich mit neuen Produkten zu fluten. Was die Firmen vereint: Sie kümmern sich um frauenspezifische Probleme, bieten Lösungen an und wollen damit Geld verdienen.

Ida Tin fiel der Begriff „Femtech“, eine Mischung aus „Feminine“ und „Technology“ 2016 ein. Damals startete sie auch ihre Menstruations-App Clue, über das Mitgründerin Tin bei Linkedin sagt: „Damit können Frauen gute Entscheidungen treffen und ein erfülltes Leben führen – nicht trotz ihrer Biologie, sondern im Einklang mit ihr.“ Die App wird heute von mehr als zwölf Millionen Menschen in 190 Ländern genutzt. Dass es hier um einen erfolgversprechenden Markt der Zukunft geht, zeigen die Zahlen: Im Jahr 2019 erwirtschaftete das Segment über 820 Mio. US-$, die Finanzdatenfirma Pitchbook geht davon aus, dass diese Summe bis Ende 2030 auf drei Mrd. US-$ steigt. Beim Forschungsunternehmen Global Market Insights Inc.ist man deutlich optimistischer und geht bis 2027 von über 65 Mrd. US-$ aus. Ein anderes Beispiel ist Kandy Therapeutics Ltd.: Im Spätsommer 2020 kaufte die Bayer AG den innovativen nicht hormonellen oralen Wirkstoff der Firma; er trägt den Namen Elinzanetant. Dafür bezahlten die Leverkusener 425 Mio. US-$ und vereinbarten laut Pressemitteilung „potenzielle Meilensteinzahlungen in Höhe von bis zu 450 Mio. US-$ bis zur Markteinführung sowie an den Umsatz gekoppelte Zahlungen im dreistelligen Millionenbereich“. Kommt das Präparat wie geplant auf den Markt, kann sich Kandy-Mitgründerin Mary Kerr über Hunderte Millionen US-$ freuen, die ihr die Bayer AG dann auf ihr Konto überweist.

„Wir haben Kandy Therapeutics Ltd. erworben, um damit unser Portfolio zu erweitern. Dort, wo der Bedarf für Frauen sehr hoch ist – wie bei der Behandlung von Wechseljahrbeschwerden – und es noch nicht genügend medikamentöse Unterstützung gibt, sind wir damit gut aufgestellt“, sagt Katja Wiggers von der Bayer AG im Gespräch mit Forbes DA dazu; sie arbeitet als Senior Communication Manager Women’s Healthcare bei Bayer Pharmaceuticals. Wiggers weiter: „Wir fokussieren uns auf innovative Optionen und wollen den Bereich Frauengesundheit weiter vorantreiben.“

Von der Zukunftshoffnung Kandy Therapeutics verspricht sich der Konzern weltweite Umsätze von mehr als einer Milliarde €. Im Moment durchläuft Elinzanetant Phase III der klinischen Studien. Wenn alles gelingt, steht danach die Markteinführung an. Die Substanz setzt im Gehirn bei östrogensensitiven Neuronen an. Diese können bei Wechseljahrbeschwerden, bedingt durch das Fehlen des weiblichen Hormons, sehr aktiv werden und so den Wärmeregulierungsmechanismus des Körpers stören, was zu Hitzewallungen führt. Der mögliche große Vorteil der neuen Substanz: Die bisher angewendete und nicht ganz risikoarme Hormonersatztherapie könnte damit eines Tages entfallen, was nach einer guten Nachricht für Millionen von Frauen klingt, die täglich Hormone nehmen, um ihre Beschwerden in den Wechseljahren ein Stück weit zu lindern.

Culotte heißt die Menstruationsunterwäsche der deutschen Wahlchilenin Nathalie Wilk – sie ist umweltschonend, wiederverwendbar und sinnvoll.

Mit einer anderen frauenspezifischen Herausforderung beschäftigt sich Nathalie Wilk. Die Gründerin von Culotte ist heute 32 Jahre alt und kam vor sieben Jahren nach Chile, verliebte sich in das Land und blieb. Wilk hatte Wirtschaft, Innovation und Unternehmertum in München studiert; ihre „Culottes“, was auf Französisch „Höschen“ bedeutet, verkaufen sich sehr gut. Die Menstruationsunterwäsche besteht aus drei Schichten: Baumwolle, Mikrofaser und PUL-Gewebe sorgen dafür, dass bis zu zwölf Stunden lang nichts ausläuft. Großer Vorteil: Die Slips sind wasch- und somit wiederverwendbar. Im Jahr 2020 lag der Umsatz noch bei 40.000 US-$, 2021 stieg er bereits auf 650.000 US-$.

„Eine harte Trennung und die Coronapandemie ließen mich das Start-up gründen“, sagt Wilk. Für sie ist Culotte „ein Herzensprojekt, aber auch eine Art von Selbsthilfe“. Die junge Frau ersann die Firma im Juli 2020 und kündigte vier Monate später bei ihrem Arbeitgeber Pricewaterhouse Coopers. Rückblickend sagt sie: „Das war die beste Entscheidung meines Lebens.“ Wilks Ziel: „Unsere Vision ist es, die nachhaltige Alternative für die Menstruationshygiene in ganz Südamerika zu werden“, sagt sie. Unlängst stellte sie ihre Produkte bei der lokalen Apothekenkette Cruz Verde ins Regal: „Wir haben die Plastikbinden zur Seite geschoben und unsere Ware hingestellt. Die Menschen sollen wissen, dass es so etwas gibt.“ Vielleicht erschien „einigen Culotte zunächst wie ein typischer David-gegen-Goliath-Kampf“, wie sie bei Instagram schrieb. Doch „aufrichtige Innovationen können selbst die größten Akteure auf dem Markt ersetzen, wie wir in der Vergangenheit gesehen haben“. Wilk kämpft auch gegen das Schambehaftete im Zusammenhang mit dem weiblichen Zyklus – heute folgen dem Start-up 160.000 Menschen bei Tiktok und Instagram und im Moment spricht sie mit „Geldgebern im E-Commerce-Bereich“. Was ihr Freude bereitet: „Ich mag das Entrepreneurship und wir helfen vielen Frauen.“ Besonders wichtig ist ihr, dass „wir nicht nur Unterhosen verkaufen, sondern Aktivisten sind: Wir wollen die bis zu 15.000 Körperpflegeprodukte unnötig machen, die im Laufe eines Menstruationslebens weggeworfen werden.“ Produziert wird in China, das Design kommt aus Chile. Das Produkt „sei schwierig herzustellen“, sagt Wilk – „meine Firma ist klein und ich lagere vieles aus.“ Wilk hat vier Mitarbeitende und sucht gerade Nummer fünf.

Eine sehr persönliche Entscheidung führte im Fall von Jenny Saft zur Firmengründung von Oviavo: 2019 ließ die Jungunternehmerin ihre Eizellen einfrieren. „Ich war Anfang 30, hatte keinen Partner und habe mich auch noch nicht mit Kindern gesehen – und gleichzeitig tickte die biologische Uhr. Es war einfach der logische nächste Schritt für mich“, sagt Saft. Dieser Schritt warf bei ihr aber eine entscheidende Frage auf: Weshalb nicht gleich europaweit Unternehmen und deren Mitarbeitende beraten und gleichsam einen Conciergeservice für moderne Familienplanung anbieten?

„Wir glauben, dass langfristig ein Großteil der Bevölkerung Unterstützung mit reproduktionsmedizinischen Behandlungen benötigt“, sagt Saft, und: „Dass das Einfrieren von Eizellen mit so einem Stigma besetzt ist, war mir nicht bewusst. Für mich war das alles sehr unbefriedigend und erstaunlich. Ein Beispiel: Die Kliniken sind noch nicht auf Singlefrauen ausgelegt.“ Selbst die am Ende der Behandlung zu bezahlende Summe sei ihr nicht klar gewesen – „Ärzte haben nie gelernt, ein Verkaufsgespräch zu führen.“ Schließlich „ging es um 7.500 €, und da erwarte ich mir auch eine Serviceleistung“. Was Saft heute freut: „Selbst wenn ich den Moment der Eizellenentnahme nicht feierte: Es ist sehr befreiend, so ein Back-up zu haben.“ Bis jetzt hat Saft zwei Großkunden aus dem Tech-Bereich gewonnen. Deren Namen darf sie nicht nennen, nur so viel: „Mit einem der beiden gehen wir in mehreren europäischen Ländern live.“ Das Startgeld für Oviavo kam vom Berliner VC-Investor Atlantic Labs sowie einigen Angel-Investoren, die Hälfte davon Frauen.

Einen ungewöhnlichen Ansatz wählte man beim britischen Start-up Daye. Dort kümmerten sich die Wissenschaftler um das „prämenstruelle Syndrom“, kurz PMS. Es kann zu Kopfschmerzen, Heißhungerattacken oder Unterleibsschmerzen führen, wie es die „Techniker Krankenkasse“ beschreibt. So entwickelte man einen Tampon, der mit CBD (Cannabidiol) behandelt wurde. Hintergrund: In der Vagina finden sich sehr viele Cannabisrezeptoren, und somit kann der spezielle Tampon Frauen vor ihren Tagen an Ort und Stelle die Schmerzen lindern. Gerne hätte man mehr über die Innovation erfahren, doch Daye reagierte auf unsere Anfragen nicht.

Was auffällt: Es gibt neue Produkte, Innovationen und Ansätze – und immer öfter lassen sich Geldgeber davon überzeugen, in diesen aufstrebenden Markt zu investieren. Doch bis dieser Milliarden US-$ schwer ist und die ersten Einhörner hervorbringt, dürften noch Jahre vergehen. Vielleicht trifft es die Aussage von Jenny Saft am besten – sie sagt über die Suche nach frischem Geld: „Es sind grauhaarige Männer, die vor uns sitzen und fragen, ob es dafür einen Markt gibt.“ Vertraut man den Frauen und den Prognosen, ist dem ganz sicher so.

Nathalie Wilk ist Wahlchilenin aus Deutschland, und wenn sie nicht gerade an ihrem Menstruationsunterwäsche-imperium arbeitet, dreht sie Tiktoks, besteigt Santiagos Hausberge oder geht an Chiles rauer Pazifikküste kitesurfen.

Text: Matthias Lauerer
Fotos: Felipe Andrés Barrientos, Jaclyn Locke

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 2–22 zum Thema „Innovation & Forschung“.

Forbes Editors

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