AGAINST ALL ODDS

Frauen müssen sich zigmal mehr beweisen als Männer, meint Kristina Lunz, Mitglied der Forbes DACH 30 Under 30-Liste 2019. Den Grund sieht sie in der Verwechslung von Selbstvertrauen mit Kompetenz.

Die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern, die Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg, die US-Fußballerin Megan Rapinoe oder die amerikanische Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez (AOC): Sie alle bedeuten Hoffnung. Hoffnung in einer Welt politischer Konstella­tionen, in der die Putins, Orbans, Bolsonaros, Erdogans und Trumps anführen. In der US-Präsident Trump auf jeden Terroranschlag weißer Nationalisten wie in El Paso mit „mehr Aufrüstung“ antwortet. Aber eben auch eine Welt, in der Ardern mit Empathie und dem Verbot halb automatischer Waffen auf den Terroranschlag von Christchurch reagiert. Schnell kommt die Frage auf: Ist der eine Führungsstil typisch männlich – und der andere typisch weiblich?

Sind Frauen von Geburt an anders als Männer? Ich glaube nicht. Was jedoch anders ist, sind die Welten, in denen die unterschiedlichen Geschlechter aufwachsen. Frauen fürchten von klein an männliche Gewalt – Männer kennen diese Realität kaum. Es ist eine Welt, in der Harvard Business Review (HBR) schon vor Jahren fragte: „Why do so many incompetent men become leaders?“ Der Grund? Weil wir als Gesellschaft ‚Confidence‘ mit ‚Competence‘ verwechseln. Jungs werden in eine Welt geboren, in der sie sich in TV, Zeitungen, Schulbüchern, Ministerien, Ahnen­galerien bedeutender Staatslenker und allen Führungspositionen stark überrepräsentiert sehen.

Kristina Lunz
... studierte das Masterstudium Global Governance and Diplomacy an der University of Oxford. Sie war Gender und Coordination Officer des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen und ist Mitgründerin der Organisation Centre for Feminist Foreign Policy mit Sitz in London und Berlin sowie auf der Liste „Forbes Under 30 Europe“.

2017 zeigte eine amerikanische Studie, dass Jungs und Mädchen bereits im Alter von sechs Jahren glauben, ‚Brillanz‘ sei eine männliche Eigenschaft. Patriarchales Denken und Misogynie leisten ihre Arbeit. Während Jungs mit dem Selbstverständnis aufwachsen, ihre Ansichten und Ideen würden Ansehen und Aufmerksamkeit verdienen, bekommen Mädchen und Frauen mit aller Härte zu spüren, was passiert, wenn sie ihre Stimme erheben. So untersuchte The Guardian vor drei Jahren 70 Millionen Leser*innen-Kom­mentare. Dabei waren acht der zehn am meistbedrohten Journalist*innen Frauen, beide Männer unter den Top Ten waren „People of Colour“. Weiße Männer, die in Führungspositionen über­repräsentiert sind, kennen diese Gewalt nicht. Wenn also AOC Leadership als „Doing things ­before anybody else does them. Leadership is about taking risks“ beschreibt, dann ist das ein gänzlich anderes Risiko als jene, dem sich Männer aussetzen. Thunberg, Ocasio-Cortez und Co. sind diese viel beachteten Leader, in die so viele Hoffnung setzen. Zu Recht.

Wer als Frau so einflussreich werden will wie sie, muss sich von klein an allen Normen und Stereotypen sowie allen Versuchen, zum Schweigen gebracht zu werden, widersetzen. Wenn Frauen Leader werden, dann haben sie auf dem Weg Unsagbares überstanden. Einmal erkannt, wie frauenfeindliche Strukturen in unserer Gesellschaft sie klein halten wollen, und sich diesen widersetzend, sind sie kaum zu stoppen. Und an ihrer Kompetenz gibt es keinen Zweifel: Denn sie mussten sich zigmal mehr beweisen als Männer, die seit Jahrzehnten nicht aufgrund ihrer Kompetenz, sondern aufgrund ihres Geschlechts in Führungspositionen kommen.

Gastkommentar: Kristina Lunz

Kristina Lunz ist Mitglied der Forbes DACH 30 Under 30-Liste 2019.

Der Gastkommentar ist in unserer September-Ausgabe 2019 „Women“ erschienen.

Opinions expressed by Forbes Contributors are their own.

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