ALTES GELD

Während Fintech-Start-ups das Geld der Millennials jagen, richtet die ehemalige JP Morgan-Chefin Rhian Horgan ihre Augen auf das Geld von deren Eltern.

Ken Henderson, ­reisender Pickleball-Profi (Sportart, bei der Elemente von Tennis, Badminton und Tischtennis verbunden ­werden, Anm.), hat zwei 22 mal 40 Fuß große Tennisplätze auf ­einem Turnhallenboden in Ost-Harlem abgesteckt. Heute unterrichtet er eine Gruppe von jungen Ingenieu­ren, Webdesignern und ­Finanzplanern. Eine der älteren Spielerinnen ist heute die 41-jährige Rhian ­Horgan, Gründerin und CEO von ­Kindur. Sie hat das Spiel für ihre Mit­arbeiter ­organisiert, um mit den ­Babyboomern innerhalb des Un­ternehmens – und ihren Kunden – in Kontakt zu treten.

Im Jahr 2016, nach 17 ­Jahren bei JP Morgan, tauschte ­Horgan ihre Geschäftsanzüge gegen Jeans und erfand sich als Fintech-­Unternehmerin neu. Sie pitchte Kindur als digitalen Finanzberater für Menschen, die sich im Ruhestand befinden oder sich ihm nähern. Dieser würde die Anlageportfolios der Kunden mithilfe einer Auswahl an preiswerten Index-ETFs (Exchange Traded Funds) – von ­Vanguard, Black­Rock und Schwab – verwalten, ihnen Ratschläge geben, wann sie die Sozialversicherung in Anspruch nehmen sollten, bestimmen, welches ihrer Rentenkonten sie als Erstes verwenden sollen, und ihnen in vielen Fällen eine festgelegte Rente verkaufen – dies alles mit dem Ziel, das Vermögen im Ruhestand sicherzustellen oder sie vor mehr Steuern als nötig zu bewahren. Der Einfachheit halber würde Kindur sogar die Einkommensquellen der Kunden in einem monatlichen „Rentenscheck“ zusammenfassen.

Rhian Horgan
... absolvierte ihren Bachelor in Finance & Public Policy am College of William & Mary in Virginia, USA. Bevor sie 2016 Kindur gründete, war sie 17 Jahre bei JP Morgan tätig.

Aber ­Risikokapitalgeber, die Hunderte von Millionen US-$ in eine Reihe von Robo-Advisors (Firmen, die Dienstleistungen eines Finanzberaters digitalisieren und automatisieren, Anm.) und Finanz-Apps für Millennials investiert haben, waren von Horgan oder ihrem Pitchbook nicht begeistert. „Es war die Demografie, die sie nicht verstanden.“ Ein Problem, glaubt Horgan, war dabei auch ihre eigene Identität. „Niemand wollte in mich investieren. Ich war alt für die Industrie, fast 40, hatte keinen Mitgründer und hatte früher für eine Bank gearbeitet.“ Darüber hinaus ist die Vorstellung, Renten online ohne Verkäufer zu verkaufen, auf große Skepsis gestoßen – bei Risikokapitalgebern und insbesondere in der Versicherungsbranche selbst.

Nachdem sie über Monate erfolglos an „US-Türen geklopft“ hatte, fand Horgan einen Unterstützer. Anthemis, ein in London ­ansässiges Risikokapitalunternehmen, das 2010 an der ersten Finanzierungsrunde von Betterment (dem größten der unabhängigen Robo-Advisors) beteiligt war, stimmte zu, im September 2017 eine Seed-Finanzierung in Höhe von 1,25 Millionen US-$ zu leisten. Der Milliardär Steve Cohen beteiligte sich mit seinem Unter­nehmen Point 72.

Im April startete dann die Website von Kindur. Nachdem ein Kunde ein kostenloses Konto eingerichtet hat, beantwortet er eine Handvoll spezieller Fragen (­Alter, aktuelles Gehalt, geplantes Renteneintrittsdatum) und schätzt sein Vermögen sowie seine aktuellen Ausgaben. Er erhält einen vorläufigen kostenlosen Plan, der Ausgaben, Sozialversicherung und andere Ratschläge auf der Grundlage dieser Schätzungen oder mithilfe einer Verknüpfung mit seinen tatsächlichen Konten bereitstellt. ­Potenzielle Kunden können mit ­Annahmen spielen (Später in Rente gehen? ­Weniger ausgeben?) und Fragen an Kindur-„Coaches“ per Telefon oder Onlinechat stellen. Es stellte sich heraus, dass Boomer es lieben, online zu chatten, und dass die Hälfte der Nutzer die Smartphone-App von Kindur anstatt der Website nutzt, berichtet Horgan. Bisher haben mehr als 1.000 potenzielle Kunden kostenlose Pläne erhalten. Es ist ein langsamer Verkaufsprozess, sodass noch niemand weiß, wie viele von ihnen die Dienstleistungen von Kindur kaufen werden. Aber diejenigen, die dies tun, werden ihre IRAs (Indivual Retirement Accounts) und Investmentkonten auf Kindurs Plattform (verwahrt von Apex Clearing) übertragen und eine jährliche Verwaltungsgebühr von 0,5 % des Anlagevermögens bezahlen.

Einer der ­meistbeobachteten Aspekte von Horgans Ansatz ist die Verwendung von fixen ­Renten, um sicherzustellen, dass Kunden nicht mehr ausgeben, als sie haben. Im Gegensatz zu den komplizierten (und provisionslastigen) varia­blen Annuitäten, die Versicherungs­verkäufer anpreisen, sind dies ­relativ einfache Produkte: Die Kunden übergeben eine große Summe Geld, z. B. 100.000 US-$, und erhalten ein fixes Monatseinkommen, dessen Auszahlung entweder gleich oder zu irgendeinem Zeitpunkt in der Zukunft beginnt. Einige Finanzplaner und ­Politiker argumentieren, dass fixe Renten eine gute Idee sind – besonders für die Bürger der Mittelschicht, die Ersparnisse, aber keine regulären Renten (außerhalb der Sozialversicherung) haben, auf die sie zählen können. Es überrascht nicht, dass Rentenverkäufer dem Geschäft mit den Boomern offensiv nachgehen.

Ron Grensteiner, Präsident der American Equity Investment Life Insurance Co.:

Wir arbeiten mit Kindur zusammen, weil das Unternehmen einen Vertriebskanal der Zukunft anbietet.

Die Versicherungswirtschaft ist jedoch immer noch resistent gegenüber dem Onlineverkauf von Renten. Erschwerend war für Horgan außerdem, dass sie ein maßgeschneidertes Produkt wollte, das ihrer Vision einer guten Rente entspricht. Sie interviewte über 40 Versicherer, um einen zu finden, der bereit war, mit ihr zusammenzuarbeiten. Schließlich schloss sie sich mit American Equity in West Des Moines, Iowa, zusammen – einem Unternehmen, das vor nur 24 Jahren gegründet wurde und 51 Milliarden US-$ an Vermögenswerten besitzt. „Wir arbeiten mit Kindur zusammen, weil das Unternehmen einen Vertriebskanal der Zukunft anbietet“, sagt Ron Grensteiner, Präsident der American Equity Investment Life Insurance Co. „Es gibt sowohl jetzt als auch in der Zukunft einen Teil der Bevölkerung, der bis zu einem gewissen Grad digital und anonym planen will.“

Horgan hat jedoch auch Konkurrenz. United Income, ein ähnlicher Onlineservice, der im September 2017 startete und sich an die Zielgruppe der 50- bis 70-Jährigen richtet, verwaltet bereits ein Vermögen von 780 Millionen US-$ bei einer durchschnittlichen ­Kontogröße von 833.000 US-$. Im Gegensatz zu Horgan musste Gründer Matt Fellowes nicht gegen die ­Vorurteile der Risikokapitalgeber gegen Baby­boomer ankämpfen. Er ­benutzte sein eigenes und das Geld seiner ­Familie plus Mittel von Morning­star (US-amerikanisches Finanzinformations- und Analyseunternehmen), das sein erstes Fintech-Start-up Hello Wallet – ein automatisiertes Budgetierungs- und Finanz­bildungstool für Millennials – unterstützte. United Income ist ­etwas teurer. Es berechnet 0,5 % des Vermögens pro Jahr für das reine Robo-Management und 0,8 % für einen „Concierge-Service“ mit Zugang zu einem persönlichen Finanzberater. Und es empfiehlt keine Renten. Warum nicht? Fellowes sagt, dass weniger als 10 % seiner Kunden mit einer „essenziellen Kluft“ konfrontiert sind – was bedeutet, dass ihre grundlegenden Lebenshaltungs­kosten nicht durch die Sozialversicherung und Renten abgedeckt sind.

Welche Rolle die ­Renten letztlich bei der Pensionierung von Babyboomern spielen ­werden, ist noch unklar. Es steht aber fest, dass digitales Geldmanagement nicht mehr nur etwas für Millennials ist. Die größere Herausforderung könnte aber sein, dass Boomer sich dazu entscheiden, die Robo-­Ratschläge von etablierten Finanzunternehmen, die sie bereits kennen, zu erhalten. Die Personal Advisor Services von Vanguard, die 2015 eingeführt wurden berechnen nur 0,3 % des Vermögens (etwas weniger für diejenigen, die fünf Millionen US-$ oder mehr verwalten lassen). Der Service verteilt nicht nur die Investitionen der Kunden, sondern bietet auch Beratung bei der Inanspruchnahme der Sozialversicherung und der Summe dessen (und von welchen Konten), was die Kunden im Ruhestand ausgeben ­sollten. Bisher sind 85 % der ­Nutzer 50 Jahre oder älter, und das verwaltete Vermögen ist auf 130 Milliarden US-$ angewachsen – mehr als bei allen anderen Robo-Start-ups zusammen, unabhängig davon, welche Kunden mit welchem Alter sie bedienen.

Text: Ashlea Ebeling / Forbes US
Foto: Jamel Toppin / Forbes US

Der Artikel ist in unserer September-Ausgabe 2019 „Women“ erschienen.

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