AN SCHULDEN WACHSEN

Schulden und Armut werden oft vererbt. Clemens Mitterlehner zeigt deshalb mit der ASB Schuldnerberatungen GmbH Schuldnern nicht nur neue Perspektiven auf, sondern setzt sich auch für Finanzbildung im Kindesalter ein.

Wie seine Klienten auch hat Clemens Mitterlehner, Geschäftsführer der staatlich anerkannten ASB Schuldnerberatungen GmbH, Schulden – und sieht ­darin eine wichtige gesellschaftliche und wirtschaftliche Funktion: „Ohne ­Schulden würde vieles nicht funktionieren. Ich ­hätte mir beispielsweise kein Haus kaufen können oder die meisten Unternehmensgründungen wären unmöglich.“ Eine Tatsache, die den Unterschied macht: Denn während Mitterlehner einen Kredit für ein eigenes Heim aufgenommen hat, sind die Schulden seiner Klienten ganz anderer Natur. Verschuldungsgrund Nummer eins ist in Österreich Arbeitslosigkeit bzw. Einkommensverschlechterung, gefolgt von gescheiterten Unternehmen und einem schlechten Umgang mit Geld. Vor allem Konsumkredite sieht Mitterlehner kritisch: „Kontoüberziehungen und Konsumkredite sind die Einstiegsdrogen in die Überschuldung. Denn die Angebote richten sich in der Regel nicht an gut Verdienende, sondern an jene, die nicht viel Einkommen haben und daher ohne Kredit oder Kontoüberziehung nur wenig konsumieren könnten.“

Clemens Mitterlehner
... ist ­studierter Sozialwissenschaftler und Sozialarbeiter. Er leitet die ASB Schuldnerberatungen GmbH, die Dachorganisation der staatlich anerkannten Schuldenberatungen, die österreichweit kostenlos Beratung anbieten – siehe www.schuldenberatung.at.

In Österreich erhielten 2018 62.862 Personen Unterstützung von einer der zehn staatlich anerkannten Schuldenberatungen. Die Durchschnittsverschuldung (bei Personen, welche sich zur Erstberatung begeben) beträgt dabei bei den Klienten gesamt 67.654 € – wobei Männer im Schnitt um knapp 27 % höhere Schulden aufweisen als Frauen. „Ein sehr großer Anteil der Schulden besteht aus Kosten, Zinsen und Zinseszinsen. Schulden verdreifachen sich im Durchschnitt innerhalb von acht Jahren, wenn keine Rückzahlung erfolgt. Es gab bei uns einen Fall, bei dem aus anfänglichen 6.900 € Schulden innerhalb von 13 Jahren 273.000 € Schulden wurden“, so Mitterlehner. Die Klienten würden oftmals erst viel zu spät zur Schuldnerberatung gehen, eben dann, wenn der einzig mögliche Ausweg in ­einem Privatkonkurs besteht. „Im letzten Jahr gab es so viele Privatkonkurse wie nie zuvor. Und das ist gut, weil jede Zahl in der Statistik für einen Menschen eine Chance ist, schuldenfrei zu werden und wieder an der Gesellschaft angemessen teilnehmen zu können. Mitbetroffen sind ja oft auch Kinder, die unverschuldet in so eine Notlage geraten“, so Mitterlehner.

Als Grund der gestiegenen Zahl nennt er die Schuldenreform 2017, welche anders als beim alten Schuldrecht keine Mindestquote (mindestens 10 % der Schulden müssen zurückgezahlt werden) mehr vorsieht und das Abschöpfungsverfahren von sieben auf fünf Jahre verkürzt. Bei diesem Prozess werden gewisse Summen des Vermögens auf ein Extrakonto gelegt, das Treuhandkonto. Das Gericht bestimmt eine Person, die dieses ­Konto verwaltet (Treuhänder) und mit dem Geld die Gläubiger sowie die Verfahrenskosten bezahlt. Die zweite Möglichkeit, sich aus den Schulden zu befreien, besteht in einem Zahlungsplan, bei dem der Schuldner mit den Gläubigern aushandelt, wie viel Geld in den nächsten sieben Jahren maximal zurückgezahlt werden kann. Der Zahlungsplan benötigt die Zustimmung von mindestens der Hälfte der Gläubiger.

„Geld zum Thema machen“, rät Clemens Mitterlehner im Kampf gegen ­Schulden. „Taschengeld hat eine wichtige Funktion. Kinder müssen lernen, mit Geld umzugehen“, so der Chef der Schuldnerberatungen.

Die Quote spricht für sich: Knapp 90 % der Abschöpfungsverfahren verlaufen erfolgreich. Neben den ­mehrere Jahre dauernden Prozessen gibt es auch einfache Sofortmaßnahmen: „Beispielsweise kann sich jeder Stromkunde auf die sogenannte Grundsicherung berufen, wonach jeder mit Strom versorgt werden muss. Viele setzen auch aus Angst vor der Bank ihre Prioritäten falsch: Dann wird eher der Kredit zurückbezahlt, anstatt sich notwendige Medikamente zu kaufen oder die Miete zu zahlen, weil sie – fälschlicherweise – denken, dass sie wegen Bankschulden eingesperrt werden könnten. Da die Angst zu nehmen und Perspektiven zu geben ist ein wichtiger Schritt in der Beratung“, so Mitterlehner. Denn Schulden führen vielfach zu chronischem Stress, welcher zu Depressionen oder Magen-Darm-Problemen führen kann. Laut dem Österreichischen Schulden­report 2019 ist bei jeder siebten Person, die die Schuldenberatung aufsucht, aufgrund von Krankheit und Sucht eine Schuldenregulierung nicht möglich.

Um Verschuldung in der Bevölkerung vorzubeugen, setzt Mitterlehner auf Bildung und Aufklärung: „Je fundierter die Ausbildung eines Menschen, desto geringer ist das Risiko, sich zu überschulden. Zweiter Punkt und mein Appell an das Elternhaus und die Schule: Geld zum Thema machen. Taschengeld hat eine wichtige Funktion. Kinder müssen ­lernen, mit Geld umzugehen, und da ­eignet sich Taschengeld sehr gut zum Ausprobieren.“

 

Durchschnittsverschuldungen der Klienten und Klientinnen 2019

Deshalb setzt sich Mitterlehners Schuldenberatung mit eigens dafür erschaffenen Ansätzen und Modellen wie dem Finanzführerschein für das ­Thema ein. Beim Finanzführerschein gehen Schuldenberater in die Schulen und versuchen, Kinder in ihren „teachable moments“ – wie Mitterlehner sagt – zu er­reichen: „Mit 15 Jahren ist zum Beispiel die Finanzierung eines Mopeds ein großes Thema. Und so gibt es dann genau dazu Angebote wie E-Learning oder Unterrichtsblöcke mit einem Trainer oder dem Klassenlehrer. Am Ende gibt es einen Wissens-Check in Quizform, und die Jugendlichen erhalten dann den Finanzführerschein.“ Er sieht diese Arbeit als Basisfinanzbildung an, welche Kindern das Rüstzeug mitgeben soll, verantwortungsbewusst mit Geld umzugehen – damit etwaige Schulden nicht zum Problem werden, sondern im besten Fall, wie bei Mitterlehner, mit dem Schaffen eines Eigenheims ­enden.

Text: Andrea Gläsemann
Fotos: David Višnjić

Der Artikel ist in unserer Forbes Daily erschienen.

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