AN VIELEN FRONTEN

Zwar geht die Coronakrise an Huawei fast spurlos vorbei, doch Radoslaw Kedzia, Vice President CEE und Nordic Region beim chinesischen Tech-Unternehmen, hat genug zu tun. Denn der Konzern wird wegen politischer Konflikte zunehmend vom Ausbau des 5G-Netzes in Europa ausgeschlossen. Mit massiven Investitionen in Forschung sowie einem Drang, sich neu zu erfinden, will Huawei aber auch in Zukunft erfolgreich sein.

In seinem Warschauer Büro sitzend, lehnt sich Radoslaw Kedzia locker zurück. Unser Interview läuft wegen der Pandemie über Video, doch trotz der aktuellen Krise wirkt der Pole entspannt. Als Vice President CEE & Nordic Region beim chinesischen Technologieriesen Huawei verantwortet Kedzia Märkte von Island bis zur Türkei mit insgesamt 40.000 Mitarbeitern. Die aktuelle Krise hat Huawei weitgehend verschont: „Wir sind ein Digitalunternehmen“, so Kedzia. „Daher hatte die Coronavirus-Krise für uns keinen so starken Einfluss auf das globale Geschäft.“

Das zeigen auch die Zahlen: Im zweiten Quartal 2020 überholte Huawei Samsung erstmals als weltgrößter Hersteller von Smartphones (gemessen an der Zahl ausgelieferter Geräte). Während Huawei einen Rückgang von 5 % hinnehmen musste, reduzierten sich die Aus­lieferungen von Samsung gegenüber dem Vor­jahreszeitraum um satte 30 %. In Europa fiel Huaweis Marktanteil zwar deutlich von 22 auf 16 %, der Erfolg in China konnte das jedoch ausgleichen. Nach den ersten neun Monaten 2020 verzeich­nete Huawei einen Umsatzanstieg um fast 10 % auf 100 Milliarden US-$.

Viel intensiver als das Smartphone-Wett­rennen wird aktuell jedoch ein ganz anderes Thema diskutiert, wenn es um Huawei geht:
der Ausbau des 5G-Netzwerks. Der neue Mobilfunkstandard soll, wie seine Vorgänger, deutlich schnellere Datenübertragungen ermöglichen und dadurch zahlreiche Branchen beeinflussen. Der globale Markt für 5G-Technologie wird aktuell auf fünf Milliarden US-$ geschätzt, bis 2026 soll er auf 667 Milliarden US-$ anwachsen. „Wer sich die Audits ansieht, erkennt, dass wir das Unternehmen mit dem besten Produkt am Markt sind“, gibt sich Kedzia selbstbewusst. Doch der schwelende politische Konflikt zwischen China und den USA schlägt sich auch auf sein Geschäft nieder. Der Vorwurf: Huawei würde als der chinesischen Regierung nahestehendes Unternehmen Mobilfunkdaten aus seinen 5G-Netzwerken weiter­geben. Huawei hat sich stets zurückgehalten. Kedzia: „Wir sind kein politisches Unternehmen.“ Doch aus Angst, der Vorwurf könnte stimmen, oder wegen Bedenken, den mächtigen Verbündeten USA zu vergraulen, haben zahlreiche euro­päische Staaten Huawei aus dem Wettbewerb um den Ausbau des nationalen 5G-Netzes aus­geschlossen. Von Großbritannien über Belgien, Schweden und Frankreich bis hin zur Slowakei haben viele Länder Huawei eine Abfuhr erteilt. In Österreich und der Schweiz ist Huawei aktiv; Deutschland will die Aktivitäten des Unternehmens genau über­wachen, ein Ausschluss ist bislang nicht erfolgt.

„Diese Diskussionen belasten unser Geschäft stärker als Corona“, sagt Kedzia; die Vorwürfe hätten keinerlei Basis: „Wir befolgen alle Regeln und Gesetze in Europa, betreiben keine Steuervermeidung und handeln als Unternehmen verantwortungsvoll.“

Radoslaw Kedzia
...startete seine Karriere bei Huawei im Jahr 2008. Seit August 2019 ist der Pole als Vice President CEE & Nordic Region tätig.

Huawei wurde 1987 von Ren Zhengfei in Shenzhen gegründet. Ursprünglich war das Unternehmen ein Wiederverkäufer von Telefon­anlagen, das Ziel von Zhengfei – und der chine­sischen Regierung – war aber, ein Telekommuni­kationsunternehmen aufzubauen, das auf dem globalen Markt reüssieren konnte. Ab 1997 expandierte Huawei aus Hongkong heraus, ab 2000 wurde mit einem Entwicklungszentrum in Schweden auch in Europa Fuß gefasst. Kedzia: „Wir sind seit 20 Jahren hier aktiv, unsere Kunden arbeiten großteils schon sehr lange mit uns.“ Huawei baute seine Operationen im Ausland weiter auf, diversifizierte sich sowohl im B2B- als auch im B2C-Bereich und wurde auf mehreren Ebenen zu einem ernst zu nehmenden Konkurrenten der arrivierten Player. Heute teilt sich Huaweis Geschäft auf drei Säulen auf: Im Bereich Carrier Network Business Group sind die Telekommunikations- und Netzwerkaktivitäten ge­bündelt, darunter auch 5G; Enterprise Business Groups fokussiert sich auf Datencenter und Datenlagerung – die Consumer Business Group schließlich umfasst Endgeräte, darunter Smartphones, aber auch Tablets, PCs, Smart Devices sowie Internet-of-Things-Anwendungen.

Im Smartphone-Markt konkurriert das chinesische Unternehmen mit Apple und Samsung, beim Ausbau von Telekomnetzen heißen
die Konkurrenten Nokia, Ericsson und erneut Samsung. Kedzia beschreibt das eigene Unter­nehmen als kundenzentriert – und nutzt eine Metapher: „Wenn man Wasser in einen Krug gießt, passt sich das Wasser der Form des Kruges an.“ Kedzia selbst ist ein Veteran und seit über 20 Jahren in der Branche tätig – seit zwölf Jahren für Huawei, seit 2019 als Nord- und Osteuropa-Chef. Immer wieder kommt er auf die Unternehmenskultur zu sprechen: „Geld und Technologie kommen und gehen – die Kultur bleibt.“

Geld und Technologie kommen und gehen – die Kultur bleibt.

Seit 2010 behaupten die USA, dass Huawei mit der chinesischen Regierung kooperiert. Öl ins Feuer goss ein Gesetz, das 2017 in China verabschiedet wurde und alle einheimischen Unternehmen dazu verpflichtet, „mit der Arbeit des Geheimdienstes zu kooperieren und diese zu unterstützen“ – laut den USA Beweis genug, dass Huawei sensible Daten weitergibt. Huawei selbst hat das stets verneint: Man habe nie eine solche Anfrage erhalten und würde eine solche auch kategorisch ablehnen.

Dass die Strategie der USA auch in der wachsenden Dominanz Chinas im Telekommunikationsmarkt begründet sein könnte, scheint für viele Beobachter logisch. Dabei könnte 5G die Zukunft revolutionieren. Kedzia: „Die Vorteile der Technologie sind bekannt: schnelle Geschwindigkeiten mit niedrigen Latenzen. Das ist der größte Unterschied zu früheren Standards.“

5G-Befürworter sehen die Chance, endlich die notwendige Infrastruktur bereitstellen zu können, um die flächendeckende Bedienung von Maschinen und Robotern sowie smarte Häuser und Städte zu ermöglichen. Kritiker erwarten lediglich Evolution statt Revolution – wie auch bei den Vorgängern 3G und 4G. Laut Kedzia habe die Pandemie gezeigt, welche Relevanz ein schnelles Netzwerk hat. Inmitten von erhöhter Netflix-, Youtube- und Zoom-Aktivität ging die Auslastung nach oben. Kedzia: „In den ersten Monaten der Pandemie stieg der Traffic in unseren Netzwerken von 40 auf 70 % (der Gesamtkapazität von Huawei, Anm.). Dieser Anstieg fiel nach der ersten Welle nicht ab, wir sind noch immer auf einem ähnlichen Niveau.“ Der Ausbau eines Netzwerks passiere jedoch nicht über Nacht. Umso mehr stören ihn die Zwischengeräusche. Während Politiker den Anbieter kritisch sehen, stehen die Mobilfunker selbst Huawei eher positiv gegenüber. In Deutschland arbeiten die drei größten Anbieter – Deutsche Telekom, Vodafone und Telefonica Deutschland – eng mit dem Unter­nehmen zusammen. Das Argument sind meist die Kosten, denn Huaweis Technologie gilt als vergleichsweise günstig und sehr modern. Ob sich der Marktanteil in Europa, der aktuell 28 % beträgt, trotz der Herausforderungen ausbauen lässt, muss sich dennoch zeigen.

 

HUAWEI IN ZAHLEN
(Quelle: Unternehmensangaben)

Die Fähigkeit, auch in Zukunft wett­bewerbsfähig zu bleiben, lässt sich Huawei einiges kosten: 20 Milliarden US-$ gibt das Unternehmen pro Jahr für Forschung & Entwicklung (F&E) aus; rund die Hälfte der Mitarbeiter (96.000 Personen) arbeiten im F&E-Bereich. Kedzia: „60 % dieser Investitionen führen nie zu einem Gewinn.“ Das benötigt eine langfristige Perspektive. Ganz im Geiste von Peter Drucker – das Interview entstand im Rahmen des virtuellen Peter-Drucker-Forums 2020 – fordert Kedzia daher die Abkehr von kurzfristigen Zielen in Unternehmen.

„Das Unternehmen gehört den Mitarbeitern. Wir funktionieren als Kooperative“, so Kedzia. Das behauptet auch Huawei immer wieder. 1 % der Anteile hält der Gründer, wird der Rest von einem „Gewerkschaftskomitee“ gehalten. Inwiefern dieses tatsächlich von den Mitarbeitern kontrolliert wird und wie nahe es der Regierung steht, wird jedoch kontrovers diskutiert.

Ungewöhnlich ist auch die Managementstruktur: Huawei wird von einem 16-köpfigen Board of Directors gelenkt, die Rolle des Präsidenten wechselt halbjährlich. Einzig Gründer Ren Zhengfei hat ein Vetorecht bei den wichtigsten Entscheidungen. So ist es dem Konzern möglich, weit in die Zukunft zu blicken. Dort bietet der globale Markt – sei es für Smartphones, Datencenter oder 5G-Netzwerke – gleichermaßen Potenzial und Wettbewerb. Kedzia weiß, worauf es ankommt: „Für uns ist es überlebenswichtig, dass wir uns ständig neu erfinden.“

Text: Klaus Fiala
Fotos: Huawei

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 11/12–20 zum Thema „Security“.

,
Chefredakteur

Up to Date

Mit dem FORBES-NEWSLETTER bekommen sie regelmässig die spannendsten Artikel sowie Eventankündigungen direkt in Ihr E-mail-Postfach geliefert.