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Wolf Prix gilt als einer der einflussreichsten österreichischen Architekten der Nachkriegszeit und Vorreiter des Dekonstruktivismus. Sein Büro „Coop Himmelb(l)au“ ist weltweit bekannt. Ein Rückblick auf die Karriere eines Rockstars der Architektur.
Mit Zigarre in der Hand und Sonnenbrille im Gesicht betritt Wolf Prix das Büro von „Coop Himmelb(l)au“, seinem heute legendären Architekturbüro in der Wiener Spengergasse. „Wir wollten so reich und so berühmt werden wie die Rolling Stones oder die Beatles“, sagt er über die Gründung von „Coop Himmelb(l)au“. Und, lachend: „Leider eine Fehleinschätzung der Entwicklung der Gesellschaft!“ Und doch hat der 82-Jährige etwas Rockiges an sich, wenn er mit seinem dicken „Keith-Richards-Ring“, wie er ihn nennt, vor der Kamera posiert.
Prix gilt als einer der bekanntesten und einflussreichsten österreichischen Architekten. „Coop Himmelb(l)au“, das er 1968 gemeinsam mit Michael Holzer und dem kürzlich verstorbenen Helmut Swiczinsky gründete, hat etwa die „BMW Welt“ in München (2007 vollendet), die Zentrale der Europäischen Zentralbank in Frankfurt (2014), das Musée des Confluences in Lyon (2014), oder das Shenzhen Museum of Contemporary Art and Urban Planning (2016) gebaut. In Wien stehen etwa der Wohnkomplex Gasometer B (2001), die Büro- und Wohnanlage Schlachthausgasse (2005) oder der Belview Tower (2021) auf Prix’ Liste. Heute ist er CEO, Mehrheitseigentümer und Design Principal von „Coop Himmelb(l)au“ – er hielt bereits Gastprofessuren in den USA (etwa am MIT, in Harvard oder an der Columbia University) und in London (Architectural Association School of Architecture) und leitete von 2003 bis 2012 das Institut für Architektur an der Universität für angewandte Kunst in Wien, wo er auch Vizerektor war.
Vor allem aber ist der Architekt ein Künstler. Er spricht – zumindest vor Journalisten – nicht gerne über Zahlen. Für konkrete Informationen verweist er etwa auf seinen CFO Harald Krieger; auf Nachfrage nach Unternehmenskennzahlen sagt „Coop Himmelb(l)au“ nur, dass der Umsatz des Büros im zweistelligen Millionenbereich liege. Stattdessen zieht Prix es vor, darüber zu philosophieren, wie Architektur und Gesellschaft einander gegenseitig beeinflussen.

Wir haben nie im Leben an Rebellion gedacht! Wir wollten immer nur das Denken der Architektur erweitern.
Wolf Prix
Die drei Gründer von „Coop Himmelb(l)au“ studierten noch an der TU Wien, als sie sich zusammenschlossen und die Architektengruppe gründeten. Prix, Swiczinsky und Holzer gelten als Vorreiter des Dekonstruktivismus, jener Architekturströmung, die Strukturen – architektonische und gesellschaftliche – aufbrechen und Instabilitäten sichtbar machen möchte. „Architektur muss brennen!“ steht in dem Manifest, das Prix und Swiczinsky 1980 veröffentlichten (Holzer stieg 1971 aus der Gruppe aus).
In den ersten Jahren waren sie eher Theoretiker als Baumeister: Modelle wie „Die Wolke“ (1968) – ein Modell davon steht heute prominent im „Coop Himmel-
b(l)au“-Büro – oder „Villa Rosa“ (1968) stellten eher Ideen als Bauwerke dar; gebaut wurden sie nie. „Wir haben an Architektur gedacht, aber das war nicht erkennbar. Wir wollten, dass sich die Leute nicht nach der Architektur richten, die Architektur muss sich nach den Leuten richten“, so Prix, dessen Vater ebenfalls Architekt war. Architektur sollte offen sein, müsse Platz für Begegnungen schaffen. Die Architektur von „Coop Himmelb(l)au“ wurde als „durchlässig“, „beweglich“ und „unscharf“ beschrieben – das Trio experimentierte etwa mit dem „Baustoff“ Luft, die in Form von aufblasbaren Gegenständen zum Einsatz kam. Zu den Ideen kamen Kunstperformances: Im Rahmen von „Soft Space“ (1970) etwa flutete das Trio die Wiener Universitätsstraße mit Schaumwolken; für „Hard Space“ (1970) löste die Gruppe auf einem Acker 60 Explosionen aus, als Trigger verwendeten sie ihre Herzschläge. „20 Herzschläge lang wird ein ‚Raum‘ gebaut“, beschrieb die Gruppe das Projekt damals.


Der internationale Durchbruch gelang Prix und Swiczinsky mit dem Dachausbau Falkestraße in Wien (1988). Es war eines der ersten dekonstruktivistischen Projekte, die den Sprung von der Skizze zur Wirklichkeit schafften, und wurde laut ORF zum meistpublizierten Projekt der österreichischen Nachkriegsarchitektur. Prix sagte über das Projekt gegenüber dem öffentlichen Sender nur, er würde nichts bauen, was er mit Worten beschreiben könne. Und: „Sie sehen, dass es nicht einfach war, hier auf diesem Gebäude dieses Volumen zu bauen, weder von der Baubehörde her noch von der Konstruktion her; heute wäre dieses Projekt nicht mehr möglich.“ Auch im Gespräch mit Forbes bedauert Prix, dass Architektur heute – überall auf der Welt – verschlossener sei und mehr regulatorischen und ökonomischen Vorgaben unterliege. 1990 änderte die Gruppe ihren Namen von „Coop Himmelblau“ auf „Coop Himmelb(l)au“ – ab jetzt sollte gebaut werden.

Swiczinsky zog sich 2001 aus dem operativen Geschäft zurück und war laut Prix nur noch sporadisch in Projekten involviert. 2006 verließ er das Unternehmen. Es war auch ungefähr zu dieser Zeit, als „Coop Himmelb(l)au“ begann, große Bauaufträge anzunehmen; Prix entwarf neben den vorhin bereits erwähnten Projekten wie der „BMW Welt“ in München oder der EZB-Zentrale in Frankfurt etwa auch das Busan Cinema Center (2012).
Mit der Zeit kamen mehr Projekte im Osten dazu: 2008 begann die Planung für die Zentralbank in Baku (der Bau begann erst 2021 und ist noch im Gang) und für das Dalian International Conference Center in Dalian (2012 fertiggestellt). 2018 begann Prix die Planung für die Oper und das Ballett in Sewastopol, der größten Stadt auf der Halbinsel Krim, die vier Jahre zuvor von Russland annektiert wurde. Weitere Projekte in Russland – die „SCA Arena“, ein Sport- und Konzertkomplex in St. Petersburg, und ein Museums- und Theaterkomplex in Kemerovo – startete das Büro im Jahr 2020. Als Russland 2022 in die Ukraine einmarschierte und zahlreiche Unternehmen (und auch einige Architektengruppen) sich aus Russland zurückzogen, weigerte sich Prix, die Projekte einzustellen. In einem Interview mit dem Spiegel, das 2022 erschien – auf A4-Zetteln ausgedruckt hängt es an der Wand neben der „Coop-Himmelb(l)au“-Rezeption –, sagte er: „Ich verherrliche niemanden, der autoritär handelt, und ein für alle Mal: Architektur ist Kunst, und Kunst kennt weder Sanktionen noch Grenzen. Im Gegenteil, sie lässt sich nicht verbieten, sie öffnet vielmehr. Das mag schwer zu verstehen sein für jemanden, der mir aus dem Elfenbeinturm zuruft, was ich zu tun und zu lassen habe.“ Aufgrund von EU-Sanktionen gegen Russland musste „Coop Himmelb(l)au“ sich von allen Projekten in diesem Staat zurückziehen, doch Prix sagt gegenüber Forbes: „In Russland wird das, was wir entworfen haben, ohne uns fertig gebaut.“ Die „SCA Arena“ eröffnete im Jahr 2023.

Die Episode zeigt, wie gerne Prix in der Öffentlichkeit aneckt. In den Medien wird er oft als rebellisch dargestellt, als ein Mensch, der sich nicht in eine Schublade stecken lässt. Als wir ihn darauf ansprechen, winkt er ab und sagt: „Ja, ja, ‚provokativ‘ und ‚rebellisch‘ werden die Vordenker einer Richtung immer genannt. Wir haben nie im Leben an Rebellion gedacht! Wir wollten immer nur das Denken der Architektur erweitern. Aber wenn Sie sagen, dass man uns jetzt noch rebellisch nennt, dann nehme ich das in meinem Alter als Kompliment.“
Nach dem Rückzug aus Russland etablierte sich „Coop Himmelb(l)au“ schnell in anderen Märkten wie etwa in Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten oder China. 2024 wurde das Büro etwa mit dem Design des neuen Al Maktoum International Airports in Dubai beauftragt. Fünf Pisten sind geplant, in der finalen Ausbaustufe ist das Projekt auf 260 Millionen Passagiere pro Jahr ausgelegt. Im selben Jahr eröffnete „Coop Himmelb(l)au“ ein Büro in der Stadt. Im riesigen Stadtprojekt „The Line“ in Saudi-Arabien war Prix ebenfalls involviert; Medienberichten zufolge wurde dieses nun jedoch eingestellt. Solche Projekte dürften profitabler sein als jene in Europa – auf Nachfrage antwortet „Coop Himmelb(l)au“ in einem E-Mail: „Architektenhonorare sind in Europa durch die verschiedenen Honorarordnungen reglementiert. Diese sind nicht verbindlich, werden aber als Richtwerte verwendet. Außerhalb der EU werden die Honorare in der Regel frei verhandelt, gemäß dem zu erwartenden Aufwand bezüglich der jeweiligen Projekte.“

Mit „Deep Himmelblau“ hat Prix bereits 2017 begonnen, eine hauseigene KI zu entwickeln. „Ich bevorzuge den Ausdruck AI – Architectural Intelligence“, sagt Prix. „Wir verwenden KI als Werkzeug, um unser Spektrum der formalen und inhaltlichen Entwicklung zu erweitern. Wichtig ist: Neue Technologien bestimmen nicht unser Werk – wir bestimmen, wo wir KI und auch andere Technologien einsetzen.“ Sein Team hat Skizzen, Fotografien, herkömmliche Modelle, aber auch 3D-Zeichnungen und 3D-Modelle von „Coop Himmel-b(l)au“-Projekten aus den letzten 50 Jahren eingespeist. Um den Datenpool zu erweitern, wurde die KI auch mit Open-Source-Daten gefüttert.
Über den zugrunde liegenden Datensatz kann das Team von „Coop Himmelb(l)au“ steuern, wie nah ein Entwurf am Stil vergangener Bauwerke sein soll. Das Ziel sei es, der KI einen Auftrag zu geben und den Output nur auf Fehler überprüfen zu müssen. „Ich glaube nicht, dass ich das noch erleben werde“, sagt Prix aber in einem Interview mit dem Wohnmagazin „H.O.M.E.“ – die Technologie sei noch nicht fortgeschritten genug. Und Prix arbeitet immer noch mit physischen 3D-Modellen, die mit der Hand gebaut werden müssen. In einzelnen Schritten des Designprozesses komme KI aber schon zum Einsatz.

Auf die Frage, was den österreichischen Städten fehle, antwortet Prix: „Viel!“, und lacht trocken. Und auf Nachfrage: „Ein sozialer Konnex und zeitrichtige Architektur, die uns das Environment wieder lebenswert erscheinen lässt.“ Moderne Städte sind in seinen Augen verschlossen, sollten aber sozialen Austausch fördern. So müsse Architektur den Austausch zwischen Nachbarn „forcieren“ und genug Spielplätze für Kinder gewährleisten.
Wie lange Prix noch CEO von „Coop Himmelb(l)au“ bleiben möchte, will er nicht verraten – auch nicht, wer sein Nachfolger werden könnte. Aktuell führt er das Büro gemeinsam mit CFO Krieger, Head of Research Karolin Schmidbaur und Design Director Alexander Ott. Sie alle halten Anteile an der Firma, Prix gehören aber über 70 %. Und obwohl er nicht mehr so eng involviert ist wie früher, möchte Prix das Büro, das Standorte in Wien, Tirana und Dubai hat, in allen Bereichen ausbauen: „Mit Architektur habe ich begonnen. Und ich bin noch immer Architekt.“
Fotos: Gianmaria Gava