Autonomie kommt zum Zug

Das Münchner Start-up Futurail will mit seiner KI-gesteuerten Technologie den Schienenverkehr automatisieren. Die Gründer Alex Haag, Maximilian Schöffer und Patrick Dendorfer erklären, warum ihr System schon in wenigen Jahren in Betrieb sein könnte – und wie es das Zugfahren nachhaltiger und billiger macht.

Nach einem Hype 2021 fiel das Investment in selbstfahrende Autos in den Folgejahren stark ab. Doch in den vergangenen zwölf Monaten ­erfreuten sich autonome Fahrzeuge eines Comebacks: Laut Pitchbook flossen rund neun Mrd. US-$ in den Sektor – mehr als doppelt so viel wie die 3,7 Mrd. US-$, die 2023 investiert wurden.

Dabei würde es mehr Sinn ­ergeben, das Geld in selbstfahrende Züge zu stecken – das sagt zumindest Alex Haag, Gründer und CEO des Münchner Start-ups Futurail. Der Ingenieur leitete beim Elektro­auto-Pionier Tesla das erste Release des Autopiloten und war später CTO und Managing Director (MD) der Tochtergesellschaft von Audi, die am selbstfahrenden Angebot des deutschen Autobauers arbeitete. Als diese von Argo AI, einem US-amerikanischen Unternehmen, dessen Technologie für autonomes Fahren in die Fahrzeuge von Volkswagen und Ford floss übernommen wurde, war Haag dort zwei Jahre lang als Head of Technology und MD ­tätig. Gemeinsam mit Patrick Dendorfer (33), der als CTO die technische Entwicklung verantwortet, und Maximilian Schöffer (32), der als Chief Commercial Officer für das Geschäftliche zuständig ist, gründete Haag (50) 2023 Futurail.

Das zwölf Mitarbeiter starke Start-up entwickelt autonome Systeme für Züge, die mit Kameras, Radar und Lidar-Sensoren ausgestattet sind. Während es bereits vollautomatische U-Bahnen gibt, die in abgeschlossenen Umgebungen eingesetzt werden, will Futurail einen Schritt weiter gehen: „Wir wollen nicht auf einige Dutzend ­Kilometer im Metro­bereich beschränkt sein, sondern die Technologie auf Tausenden Kilo­metern im offenen Bereich einsetzen“, erklärt Schöffer. Schon in naher Zukunft sollen erste Pilot­projekte starten: 2028, so der Plan, werden die ersten Passagiere in teilweise autonomen Zügen sitzen.

Angesichts der langsamen Entwicklung bei selbstfahrenden ­Autos, die trotz jahrelanger Forschung und Milliardeninvestitionen noch immer nicht flächendeckend eingesetzt werden können, erscheint diese Zeitplanung ambitioniert. ­Warum sind Haag und seine Mitgründer trotzdem so optimistisch?

Wir wollen nicht auf einige Dutzend Kilometer im Metrobereich beschränkt sein, sondern die Technologie auf Tausenden Kilometern im offenen Bereich einsetzen

Maximilian Schöffer

Die Idee für Futurail entstand, als Haag sich nach einem neuen Job umschaute, sagt er. „Ich wollte an etwas arbeiten, das einen größeren Einfluss auf den Klimawandel hat“, so der Gründer. Robotaxis erfüllten dieses Kriterium nicht: „Züge sind einfach eine viel effizientere Art, Menschen zu transportieren“, so Haag. Er erkannte, dass man Technologien für autonomes Fahren auch auf Schienen­fahrzeuge anwenden könnte, was das Zugfahren billiger machen würde – und somit zu ­einer attraktiveren Alternative zum Auto­fahren. Dass Züge in vielen ­Ländern wie Deutschland unzuverlässig sind, liegt laut Haag auch am Personalmangel – ein Problem, das Auto­nomie lösen könnte. 2022 schloss er sich mit seinen beiden Mitgründern zusammen, um Futurail zu gründen; Dendorfer kannte er aus seinem ­früheren Job bei Tesla, einige ­Monate nach dem Start holten sie Schöffer ins Team.

In einer Pre-Seed-Finanzierungsrunde sammelte Futurail eine Mio. € ein und generierte zusätzliche Einnahmen durch erste Projekte. In der Zeit rund um unser Gespräch stand bzw. steht Futurail kurz davor, eine Seed-Finanzierungsrunde zu starten, bei der das Unternehmen fünf Mio. € einsammeln möchte, verrät Schöffer. Die Runde soll bis Ende des Sommers abgeschlossen sein.

Futurail ist nicht das ­einzige Unternehmen, das an selbst­fahrenden Zügen forscht. Die ­Riesen der Branche sind auch dran; es gibt ­bereits selbst­fahrende ­Systeme ­einiger etablierter Schienen­fahr­zeughersteller wie der China Railway Rolling Stock Corporation oder der französischen Alstom. Diese Systeme werden aber fast ­ausschließlich im Metrobereich eingesetzt; selbstfahrende Züge, die weit über Stadtgrenzen hinaus und übers offene Land fahren, sind ­komplizierter. Eine selbstfahrende U-Bahn muss nur wissen, wann sie in der Station angekommen ist und wann alle Passagiere eingestiegen sind, so Haag; auf ihren Schienen gibt es normalerweise keine Hindernisse. Das sei bei autonomen Zügen anders – das Wahrnehmungssystem sei daher enorm wichtig, so Haag.

Das Futurail-Trio sieht die großen Player aber ohnehin nicht als Konkurrenten, sondern als Kunden. „Wir sind mit allen großen Herstellern im Gespräch“, so der CEO. „Es gibt nur zwei Handvoll Zughersteller auf der Welt. Ich denke, wir sind mit allen – abgesehen von den chinesischen – in Kontakt.“ Das Ziel ist es, die Software eines Tages an diese Hersteller zu verkaufen. Konkret sei man vor allem mit dem Schweizer Hersteller Stadler in fortgeschrit­tenen Gesprächen, für den man an einer Ausschreibung teilnehme.

Der Fokus von Futurail liege zunächst auf kleineren Neben­strecken und mittelgroßen Herstellern. „Wenn man sich Zugstrecken anschaut, gibt es Hauptstrecken, etwa Salzburg–München, und dann Nebenstrecken, die von der Hauptlinie in ländliche Gebiete führen“, erklärt Schöffer. „Hier setzen wir zunächst an, weil die Geschwindigkeiten niedriger, die Strecken kürzer, die Züge kleiner und die regulatorischen Anforderungen geringer sind.“ Es sei ein Bereich, der unter dem Radar der großen Hersteller liege und in dem Futurail schneller vorankommen könne.

Alex Haag war rund zehn Jahre lang in der Automobilindustrie beschäftigt, wo er an selbstfahrenden Autos arbeitete, unter anderem für Tesla und Audi.

„Der Zug fährt auf ­Schienen, das macht alles einfacher“, beantwortet Haag die Frage, ­warum selbstfahrende Züge schon so bald im Einsatz sein sollen, wo doch die Entwicklung von selbstfahren­den Autos Jahrzehnte ­gedauert hat. Im Vergleich zum ­komplexen Straßenverkehr mit ­unzähligen Verkehrsteilnehmern sei die Auto­­matisierung von Zügen technologisch leichter. Zwar müsse das System Hindernisse wie umgestürzte Bäume, Tiere oder Menschen erkennen, doch die Bewegung sei vorhersehbarer. Haag nennt aber auch Herausforderungen: „Die Züge müssen viel weiter ‚sehen‘ können, da sie einen längeren Bremsweg haben. Es kann auch sein, dass Dinge sehr nah an die ­Schienen kommen: Eine Bahnsteigkante ist nur rund 20 Zentimeter von den Schienen entfernt.“ Der Zug dürfe dann nicht „erschrecken“ und abrupt bremsen.

Bei selbstfahrenden Autos sei zudem der Einsatz derzeit durch mangelnde und auch fragmentierte Regulierung gebremst. In den USA haben 38 Bundesstaaten spezifische Regeln, die EU möchte 2026 nationale Gesetze vereinheitlichen und ein unionsweites Regelwerk erstellen. Bei autonomen Zügen müsse keine neue Regulierung her, so Haag: ­Systeme wie die von Futurail müssten lediglich beweisen, dass selbst­fahrende Züge zumindest so sicher sind wie personengesteuerte. „Es gibt Standards, die definieren, wie man einen Sicherheitsnachweis für ein neues System erbringt“, erklärt der Gründer. Dazu gehört eine Ri­sikoanalyse, die alle möglichen Gefahren identifiziert – vom Zusammenstoß mit Personen oder Kühen bis hin zu umgestürzten Bäumen.

Auch wirtschaftlich ist das Konzept vielversprechend: Für den Betrieb eines Zugs werden laut Dendorfer aktuell fünf bis sieben Fahrer benötigt, was jährlich Kosten von etwa 500.000 € pro Zug verursacht. Futurail bietet seine Technologie für 100.000 € pro Jahr und Zug an – eine Ersparnis von 80 %. Den­dorfer fügt hinzu: „Zugführer verbringen 50 % ihrer Zeit nicht mit dem Transport von Gütern oder Menschen. Es ist viel Zeit, die damit ­verbracht wird, Züge zu rangieren“ Das ist gleichzeitig Zeit, in der ­natürlich kein Geld durch ­Tickets verdient werden kann.

Die Futurail-Gründer ­setzen auf Europa als Startmarkt, da hier das größte Schienennetz und die meisten Zughersteller ­angesiedelt sind. „Wir glauben, dass ­Europa, wenn es um Züge geht, der beste Markt zum Starten ist“, sagt Schöffer. „Europa hat das größte Schienen­netz. Weil viele der ­großen Hersteller in Europa ansässig sind, gibt es viele Betreiber, die nach neuer Technologie streben.“

Im Rahmen des französischen Projekts Draisy arbeitet Futurail bereits an einem selbstfahrenden Zug mit bis zu 80 Passagieren für unterversorgte ländliche Gebiete. „Der Demonstrator geht 2026 in die Testphase, 2027 in die Zertifizierung. Dann sollten 2028 die ersten Fahrzeuge ausgeliefert werden“, so Dendorfer. Der Partner plant, mehrere Hundert dieser Fahrzeuge zu entwickeln. Ebenfalls 2028 soll das kommerzielle Roll-out des autonomen Fahrsystems beginnen, so Dendorfer.

Alex Haag studierte Mechanical Engineering und Computer Science am Ecole Polytechnique in Frankreich und am MIT in den USA, bevor er über 15 Jahre in der industriellen Robotik arbeitete. Danach verbrachte der Franzose zehn Jahre in der Automobilindustrie, unter anderem bei Tesla und Audi. 2023 gründete er gemeinsam mit Patrick Dendorfer und Maximilian Schöffer das Start-up Futurail.

Fotos: Futurail

Erik Fleischmann,
Redakteur

Up to Date

Mit dem FORBES-NEWSLETTER bekommen Sie regelmässig die spannendsten Artikel sowie Eventankündigungen direkt in Ihr E-mail-Postfach geliefert.