Autos statt Kutschen

Eva Dichand, die Herausgeberin von Heute im Interview – über die Presseförderung und die Suche nach dem Heiligen Gral im digitalen Verlagsgeschäft.

„Das ist, als würde man Kutschen fördern, während alle bereits am Auto arbeiten.“ Eva Dichand macht keinen Hehl daraus, was sie von der aktuellen Form der Presseförderung in Österreich hält. Statt Printzeitungen sollten viel eher neue, digitale Technologien in der Medienlandschaft gefördert werden, so Dichand. Als Heraus­geberin der Gratiszeitung Heute plagt die Medienmanagerin aktuell die gleiche Frage wie viele ihrer Branchenkollegen: Wie lässt sich eigens produzierter, tagesaktueller Inhalt in einer digitalen Welt nachhaltig finanzieren?

Seit 2005 leitet Dichand, die an der Wirtschaftsuniversität Wien studierte und promovierte und anschließend einige Jahre in der Privatwirtschaft verbrachte, die Gratiszeitung Heute sowie den Digitalauftritt heute.at. Seit 2006 ist sie auch Herausgeberin des Mediums, das mit einer Auflage von 592.000 Stück, 938.000 Lesern sowie rund drei Millionen Unique Clients pro Monat (Dachangebot) eine fixe Größe am österreichischen Markt ist.

Doch aktuell interessiert sich Dichand nicht nur für Österreich. Denn seit 2016 der Schweizer Medien­konzern Tamedia bei Heute eingestiegen ist, beschäftigt sich die Managerin vor allem auch mit der grenzüberschreitenden Kooperation. Tamedia schnappte sich 25,5 Prozent der An­teile am Printverlag sowie 51 Prozent der Anteile an der Digitalgesellschaft hinter Heute, um Synergien zu nutzen und sein Portfolio, das auch Gratis­zeitungen in Dänemark umfasst, auszubauen.

Denn von Gratiszeitungen verstehen CEO Christoph Tonini und sein Team etwas: Die hauseigene Zeitung 20 Minuten ist im Printbereich ähnlich stark vertreten wie Heute, in Sachen Digitalauftritt jedoch die führende Gratiszeitung ­Europas. Auf dem Deutschschweizer Markt, der ein Drittel ­kleiner als Österreich ist, verzeichnet 20 Minuten rund eine Milliarde Page Impressions und 2,5 Millionen Unique User.

Nachdem die Zusammenarbeit in den ersten zwei Jahren nicht ganz reibungslos verlief, will Dichand nun gemeinsam mit Tamedia die Strategie etwas verfeinern. Ziel ist weiterhin ein intensiver Austausch von Content, der vor allem bei nicht ­ortsrelevanten ­Themen, etwa internationalen Fußballspielen, Synergien bringen soll. Doch auch die Aufteilung gewisser Channels soll vereinbart werden.

Denn Dichand will Heute stärker in Richtung „Active Lifestyle“ positionieren, um diesen „Longtail-Content“, wie sie sagt, digital voll zu nutzen. Zudem kann sie sich eine digitale Allianz mit anderen Zeitungen, etwa der Krone (Dichands Mann Christoph ist Herausgeber der Krone, Anm.) oder dem Kurier, durchaus vorstellen. In jedem Fall erwartet Dichand eine Konsolidierung am Medienmarkt, weiß nach einem Jahr in den USA, dass auch die US-Medien den Heiligen Gral noch nicht gefunden haben, und findet, dass öffentlich-rechtliche Medien sehr wohl gefördert werden sollten – aber auch effizienter arbeiten müssen.

Aufgrund von Eva Dichands Reiseplanung hätten wir das Interview fast in Zürich geführt. Letztendlich änderten sich jedoch die Termine, weshalb die Managerin uns schließlich in ihrem Büro in Wien empfing. Grund genug, nachzufragen, wie oft sie aktuell denn in Zürich ist.

Eva Dichand

studierte an der Wirtschaftsuniversität Wien und promovierte am Feld der Immobilien-Offshore-­Modelle in Osteuropa. Nach ihrem Studium war sie eine Zeit lang in der Strategie­beratung tätig und kam über ihren Mann Christoph zum Zeitungsgeschäft. Seit 2005 ist Dichand Herausgeberin der Gratiszeitung "Heute".

Wie intensiv ist der Austausch mit Tamedia momentan?
Ziemlich intensiv. Die Zusammenarbeit hat nicht ganz so funktioniert, wie wir uns das erhofft hatten, denn nicht jeder Markt ist gleich. In der Schweiz sind Social Media weniger wichtig, dort leben die Medien eher von einer starken Marke und Direkteinstiegen der Nutzer. 20 Minuten verzeichnet rund eine Milliarde Page Impressions pro Monat. Das ist ein Wert, den in Österreich niemand erreicht. Die Idee war, die 20 Minuten-App zu übernehmen sowie gewisse globale Inhalte, etwa Champions-League-Spiele oder die Golden-Globe-Verleihung. Das hat sich schwieriger gestaltet als gedacht, denn wir haben bei Heute sehr viel Social-Media-Traffic und sind dann in den Google-Suchergebnissen abgerutscht. Wir verändern also aktuell das Konzept ein wenig.

Die Übernahme von Inhalten ist kein Thema mehr?
Doch, das ist noch immer die Idee, etwa einen gemeinsamen Bildeinkauf zu gestalten bei all jenen Themen, die nicht ortsrelevant sind. Das kann wahnsinnig viel sein. Der Austausch zwischen den Redaktionen funktioniert, was wiederum zu deutlich mehr Inhalt führt. Für tagesaktuelle News sind die Schweiz und Österreich aber eher klein, so können wir die Userzahlen aber locker auch verdoppeln.

Im Print liegen Sie mit 20 Minuten in etwa gleichauf, online ist die Schweizer Pendlerzeitung Ihnen jedoch deutlich voraus. Was macht 20 Minuten besser als Heute?
20 Minuten liegt digital ja nicht nur vor uns, sondern ist in Europa führend. Die Marke wurde sehr früh stark ausgebaut, User holen sich dort mehrmals täglich Informationen über das Wetter, Sport oder Kochrezepte. Der österreichische Markt lebt weniger von Direkt­einstiegen, wir bekommen auf diese Art nur 30 Prozent unserer Besucher. Der Rest findet uns über ­Facebook, Google et cetera. Dadurch müssen wir mehr Geld ausgeben, etwa für SEO (Search Engine ­Optimization, Anm.). Wenn wir nicht gefunden werden, ist das ein Problem. Auch die Konkurrenz ist in Österreich stärker, in der Schweiz gibt es neben 20 Minuten als „Mass Paper“ eigentlich nur noch Blick. In Österreich gibt es hingegen die Krone, den Kurier, die Kleine Zeitung und Österreich, die sich alle recht ähnlich sind – zumindest digital.

Welches konkrete Ziel steht hinter der Partnerschaft?
Mit einer Redaktion lassen sich im Schnitt rund 300 Onlineartikel produzieren. Mit einer gemeinsamen großen Redaktion lassen sich täglich 500 Artikel publizieren. Wir koordinieren gerade die verschiedenen Channels, etwa Food oder Fitness, und überlegen, wer welchen Kanal redaktionell macht. Letztendlich wollen wir mit mehr Inhalt auf den Markt kommen. Das nächste Ziel ist eine Abgrenzung gegenüber ähnlichen Medien in Österreich.

Bedeutet das einen Fokus auf gewisse Themen?
Ja. RTL bezeichnet sich mittlerweile als Unterhaltungsunternehmen, wir werden ein ähnliches Ziel verfolgen. Wir wollen zum Beispiel ein Portal für den aktiven Menschen werden. Das ist Longtail-Content: etwa Infoseiten mit Theater-, Kleinbühnen- und Museumsveranstaltungen, aber auch Wanderwege, Sportveranstaltungen oder ein Schwerpunkt auf gesunde Ernährung. Ein weiterer Fokus könnte ein weit gefasster Unterhaltungsbereich sein: Horoskope, Konzerte, Spiele. Wir wollen Teams aufbauen und maschinell unterstützen, Content machen, den andere Tageszeitungen nicht haben. Wir werden natürlich weiterhin eine Sparte mit News haben, das bringt den täglichen Traffic. Aber das wird nicht mehr der Hauptteil sein. Auch Aktivitäten in Richtung E-Commerce, etwa ein „Angebot der Woche“, sind eine Möglichkeit.

Wanderwege sind aber wiederum extrem lokaler Content. Dann bräuchte es ja keine Partnerschaft mit Tamedia.
Das stimmt so nicht ganz. Wander­karten sind natürlich lokal, aber es geht um andere Dinge. Heute in Form hat zum Beispiel gut funktioniert, da ging es um Fitness, Diäten, Ernährung. Das erscheint immer wieder in Google-Suchen. Ob das ein User aus Zürich oder Wien liest, ist egal.

Was schauen Sie sich sonst noch von den Schweizer Kollegen ab?
20 Minuten ist unglaublich stark im Bereich Communitys. Die Menschen sind dort weniger auf Facebook, sondern haben viele Plattformen in ihre App eingebaut. Da gibt es ein Hunde-, ein Auto-, ein Fitnessforum. Und bei einem Foto von einem süßen Hund ist es irrelevant, ob der User aus Luzern oder Grafenegg stammt.

Die Tamedia-Gruppe hat sich zu 50 Prozent an der digitalen Plattform, nur zu 25 Prozent am Printverlag von Heute beteiligt. Wie viel Umsatz kommt denn überhaupt aus den digitalen Kanälen?
Wir sind im Printbereich weiterhin sehr stark, sind auch bei den Leserzahlen konstant. Das liegt natürlich auch an unserem Modell, wir liegen immer am gleichen Ort und kosten nichts. Bei uns liegt der Anteil digitaler Umsätze leider nur bei etwa zehn Prozent, Tamedia macht hingegen eine Milliarde Franken Umsatz (2017 betrug der Umsatz 974,2 Millionen Schweizer Franken, Anm.) und 170 Millionen Franken Gewinn. Davon kommen über 30 Prozent aus digitalen Kanälen (37,5 Prozent des Umsatzes kamen aus digitalen Angeboten, Anm.). Wenn man sich aber wirklich damit beschäftigt, machen alle Verlage ihr Geschäft nicht mit Newsinhalten, sondern mit Immobilienplattformen oder Plattformen wie karriere.at. Das sind Cashcows – die haben aber nichts mit dem Mediengeschäft zu tun.

Was bedeutet das in konkreten Zahlen?
Wir verdienen unter fünf Millionen € aus digitalen Kanälen.

Und im Printbereich?
Das geben wir nicht bekannt, aber es ist ein Vielfaches vom Digitalumsatz.

Auch Heute ist an Plattformen beteiligt, namentlich Netdoktor. Ist das eine ähnliche Strategie?
Nein, da geht es um etwas anderes. Ich glaube, dass der Gesundheitsmarkt extrem wachsen wird. Das ist ein regulierter Markt, der nun geöffnet wird. Die großen Kosteneinsparungen in der Medizin werden durch die Digitalisierung kommen. Netdoktor haben wir gekauft, weil das die größte Plattform im Gesundheitsbereich ist. Wir haben damit kürzlich auch in die Schweiz expandiert und verzeichnen sehr hohe Wachstumsraten.

Die grundlegende Frage ist dennoch: Welches Geschäftsmodell verfolgen Sie?
Das ist die große Frage. Ich war ein Jahr in den USA und habe mir dort so ziemlich jedes Medienhaus angesehen. Keiner hat ein wirklich funktionierendes Geschäftsmodell. Qualitätsmedien glauben, dass sie mit Paywalls durchkommen, also genug Menschen anziehen, die Geld bezahlen. In den USA kann das vielleicht funktionieren, da der Markt mit 325 Millionen Menschen groß ist, im deutschsprachigen Raum ist das sehr schwierig. Massenmedien gehen vor allem in den Unterhaltungsbereich. Der Trend geht in Richtung Micropayments, wo Medien ganz viele Services anbieten, für die die Leute bezahlen. Das Problem: Im deutschsprachigen Raum zahlen die Menschen einfach nicht für Inhalte.

Jeff Bezos fördert in den USA die Washington Post, in Österreich gibt es seit Kurzem Addendum (finanziert von Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz, Anm.). Sind Mäzene eine Zukunft für Medien?
Mäzenatentum ist ein schwieriges Thema, solange eine Person alleine fördert – denn dann ist es schwierig, zu beurteilen, wie unabhängig die Redaktion tatsächlich ist. Bei der NZZ ist das Modell, dass sich viele Industrielle eine Zeitung leisten und potenzielle Verluste übernehmen. Alles andere geht aber in Richtung Massenmarkt, da wird es pro Land wohl nur ein oder zwei geben, die überleben.

Sie rechnen also mit einer Konsolidierung am Markt?
Im Printbereich wird es in Zukunft sicher nicht so viele Zeitungen geben. Österreich wird nicht das einzige Land sein, in dem es keine Konkurse oder Einstellungen gibt.

Die Printumsätze sind 2017 in Österreich angestiegen, von 1,87 Milliarden € im Jahr 2016 auf 1,94 Milliarden € 2017.
2017 war ein Wahljahr. In Österreich gibt es viel öffentliches Geld und sehr viel Printwerbung – auch, weil die Reichweiten noch so hoch sind. Wir haben mit Heute in Wien einen Marktanteil von 32 Prozent, das erreicht keine Zeitung in Europa. Die Umsätze waren in Österreich hoch, in der Schweiz sind sie hingegen um 20 Prozent, in Deutschland um zehn Prozent eingebrochen. Die Ansicht, dass das so weitergehen kann, teile ich nicht. Wir werden digital niemals auch nur annähernd jene Umsätze generieren, die wir im Print erzielt haben.

Ist der Wettbewerb in Österreich denn wirklich so viel härter als anderswo?
Der große Unterschied ist, dass der ORF in Österreich unglaublich dominant ist. Das Unternehmen macht im digitalen Bereich dreimal so viel Umsatz wie der Zweitplatzierte, Der Standard. Das macht den digitalen Markt kaputt. Nirgendwo in Europa vermarkten die öffentlich-rechtlichen Medienhäuser eine digitale Plattform. Die sind alle werbefrei, siehe ZDF, ARD oder SRF. Mit einem Unternehmen, das pro Jahr 650 Millionen € Steuergeld bekommt, kann man nicht mithalten – weder inhaltlich noch technisch.

Sie selbst haben immer wieder laut angedacht, dass sich die Digitalplattformen von Heute, Krone oder Kurier zusammenschließen sollten. Das ginge dann aber auch in Richtung Monopol, oder?
Na ja, da gäbe es schon noch fünf bis acht andere digitale Tageszeitungen. Aber es wäre natürlich ein Überlebens­weg für alle. So, wie es auch im Printbereich Kooperationen gibt, könnte man hier in Sachen SEO, Programmierung, Schnittstellen, Sportrechte und so weiter zusammenarbeiten. Es wird darüber gesprochen, aber ich glaube, wir werden ewig reden. Eine andere Überlegung war, ähnlich wie in der Schweiz eine gemeinsame Vermarktungsplattform (in der Schweiz ist das Admeira, Anm.) für private Medien aufzubauen. Auch hier ist die Vielzahl der Einzelinter essen der österreichischen Verleger kaum zu überwinden.

Sollte man die Presseförderung abschaffen?
Ich finde, die Presseförderung in ihrer heutigen Form gehört abgeschafft. Wenn, dann sollten junge, digitale Technologien gefördert werden. Viele Medienhäuser haben mit der Digitali­sierung große Schwierigkeiten. In unserer Zeit noch Printzeitungen zu fördern ist lächerlich. Das ist, als würde man Pferdekutschen fördern, während alle längst am Auto arbeiten.

Würden Sie die Förderung annehmen, falls Gratiszeitungen inkludiert werden sollten?
Von einer Presseförderung, die an Inhalte gebunden ist, halte ich nichts. Im Digitalbereich könnten wir das Geld aber dringend brauchen.

In der Schweiz gab es im Rahmen der „No-Billag-Initiative“ eine emotionale Debatte rund um öffentlich-rechtliche Medien und ihre Existenzberechtigung. Auch in Österreich ist das ein Thema. Sollten öffentlich-rechtliche Medien abgeschafft werden?
Nein, wir sollten den ORF weiter finanzieren. Es ist wichtig, dass ein Land eine wirklich unabhängige Redaktion hat. Die Schweiz ist Österreich aber insofern einen Schritt voraus, als die SRG von sich aus sagte, 100 Millionen Franken einsparen zu wollen. Das würde in Österreich nie passieren. Man könnte viele Bereiche effizienter gestalten, das sollte getan werden; ohne Polit-Einfluss natürlich. Der öffentlich-rechtliche Auftrag muss gewahrt werden, der kommt meiner Meinung nach derzeit zu kurz.

Verblöden wir medial?
Die Washington Post hatte ein ­Projekt, bei dem 16 Journalisten drei Monate lang die Routen von Terroris­ten erforschten und nachweisen konnten, dass diese Personen mit gefälschten Pässen über die Balkan­route nach Paris kamen. Dieser Artikel wurde ungefähr 280.000 Mal auf Social Media geteilt. Dann gibt es dort aber auch Studenten, die Artikel à la „Which broccoli makes your kid smarter?“ schreiben. Und eine dieser Geschichten hatte fünf Tage später gleich viel Traffic erzeugt. Man kann sich also vorstellen, wo gekürzt wird, falls es zu Einsparungen kommt. Das ist ein Problem. Nicht für die Washing­ton Post, die hat Jeff Bezos, aber all­gemein.

Gab es während Ihrer Zeit in den USA den einen Moment, in dem Ihnen ein Licht aufgegangen ist: „So könnte die Zukunft aussehen?“
Es gab viele Aha-Momente, aber auch dort hat keiner wirklich eine Lösung für digitale Nachrichten gefunden. Niemand weiß, wie täglich recherchierte Themen nachhaltig finanziert werden können. Wenn man wirklich ehrlich ist, gibt es im Digitalbereich vielversprechendere Projekte als Nachrichtenportale. Leider!

Dieser Artikel ist in unserer April-Ausgabe 2018 „Regulierung“ erschienen.

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