Mit dem FORBES-NEWSLETTER bekommen Sie regelmässig die spannendsten Artikel sowie Eventankündigungen direkt in Ihr E-mail-Postfach geliefert.
Wie Vidal Schertenleib, CEO der Davos Klosters Bergbahnen AG, das Schweizer Familienunternehmen mit Weitsicht, Zahlenbewusstsein und einem Gespür für Timing zur vertikal integrierten Tourismusmaschine gemacht hat – und warum ihn der Klimawandel weniger beunruhigt als schlechte Planung.
Als wir in Davos ankommen, neigt sich die Wintersaison schon langsam dem Ende zu –
die Strassen sind ruhig, keine schwarzen SUVs mit Diplomatenschild, keine nervösen Männer mit Funkgeräten am Jackett. Da, wo im Januar für vier Tage anlässlich des Weltwirtschaftsforums Ausnahmezustand herrscht, ist den Rest des Jahres Bergtourismus angesagt.
Vidal Schertenleib stört das nicht, denn für ihn ist nicht nur im Januar, sondern ganzjährig viel zu tun. Sein unternehmerisches Reich ist quasi auf Schnee gebaut, denn Schertenleib ist CEO der Davos Klosters Bergbahnen AG, eines der grössten integrierten Tourismusunternehmen der Schweiz. Das bedeutet: Bergbahnen, Hotels, Restaurants, Immobilien – alles aus einer Hand. 750 Mitarbeiter hat das Unternehmen in der Wintersaison, 250 im Sommer; der Umsatz liegt bei etwa 90 Mio. CHF. Das Unternehmen gehört zu 100 % der Familie Schertenleib, Vidal Schertenleib übernahm die Führung des Betriebs 2016 von seinem Vater Carlo.
Davos gilt für viele als Inbegriff von Wintersport – oder dem Weltwirtschaftsforum (WEF), das 1971 von Klaus Schwab gegründet wurde. Für Vidal Schertenleib ist es beides – der 38-Jährige hat den Familienbetrieb modernisiert, diversifiziert, professionalisiert. Aus einem reinen Bergbahnunternehmen ist ein vertikal integrierter Tourismusbetrieb geworden, der vom Gruppenhaus bis zum Vier-Sterne-Hotel reicht, inklusive eigener Stromproduktion durch Turbinierung der Speicherbecken – ein Modell, das eher an
US-amerikanische als an europäische Skigebietsbetreiber erinnert, nur eben schweizerischer, also diskreter und bodenständiger. Und durchaus auch kostspielig: «Das Produkt hat seinen Preis», sagt Schertenleib. Und das meint er genau so.
Doch hinter der Erfolgsgeschichte liegt auch Druck: Klimawandel, Personalmangel, hohe Lohn- und Betriebskosten und günstigere Konkurrenz aus Nachbarländern wie Österreich sowie auch die Komplexität, die ein Unternehmen dieser Grösse mit sich bringt. Denn wer 750 Leute beschäftigt und gleichzeitig investieren, konsolidieren und innovieren will, braucht mehr als klare Sicht. Er braucht die richtige Haltung. Vielleicht hilft es da, wenn man seine Freizeit meist auf Skiern in den Bergen verbringt?

Dass die Davos Klosters Bergbahnen AG, zu der etwa die Bahnen Jakobshorn und Parsenn in Davos und die Gotschnabahn in Klosters gehören, heute insgesamt 3.500 Hotelbetten haben würde, war nicht unbedingt abzusehen: Eigentlich wollte Vidal Schertenleibs Vater Carlo in den 90er-Jahren lediglich ein paar Snowboarder unterbringen. 2003 sollte er auf dieser Basis zum Architekten eines der grössten Bergbahnunternehmen der Schweiz werden. Doch die Geschichte des Unternehmens beginnt noch früher. Nach einer Karriere in der Finanzwelt und einem Abstecher in die Modebranche übernahm Schertenleib senior in den 1980er-Jahren die damals marode Brämabüel-und-Jakobshorn-Bahn (BBBJ) in Davos. Unter seiner Führung entwickelte sich das Transportunternehmen zu einer integrierten Freizeitgesellschaft mit Hotels, Restaurants und 1.500 Betten. Es folgten weitere Beteiligungen an regionalen Bergbahnen wie der Davos-Parsenn-Bahn (DPB), deren finanzielle Schieflage Schertenleib stabilisierte. Der 2003 folgende Zusammenschluss von DPB, BBBJ und der Luftseilbahn Klosters-Gotschnagrat-Parsenn (LKP) zur heutigen DKB geht massgeblich auf sein Wirken zurück; Schertenleib wurde mit 40 % der Anteile grösster Aktionär der Davos Klosters Bergbahnen AG.
Doch bereits Anfang der 1990er verstand Schertenleib, dass Bergbahnen alleine in Zukunft nicht reichen würden. Die Schweizer Hotellerie befand sich damals in einem goldenen Zeitalter: Gäste kamen für zwei Wochen, fuhren Ski, konsumierten, blieben. Nur mit Snowboardern wollte man in Davos nichts zu tun haben: «Die wollte niemand», sagt Vidal Schertenleib heute. «Sie waren jung, laut, hatten wenig Geld – aber sie waren für uns wichtig.» Also kaufte sein Vater ein einfaches Haus, um sie unterzubringen. Bald kamen Gruppen von der ETH Zürich für Forschungsaufenthalte hinzu, später Fortbildungsveranstaltungen. Die Mountain Hotels, heute mit Dutzenden Häusern fester Teil der Unternehmung, entstanden aus einer Notlösung – und wurden zum Startpunkt einer strategischen Evolution.

Die Berge sind das ganze Jahr schön. Aber der Winter ist unser Kerngeschäft.
Vidal Schertenleib
Die zweite Phase begann, als viele Zwei- und Drei-Sterne-Hotels in Davos zum Verkauf standen: Familien gaben auf, Investitionen wurden aufgeschoben, Gebäude verfielen. Die Krise, die die Coronavirus-Pandemie mit sich brachte, beschleunigte diese Entwicklung weiter. Für die Davos Klosters Bergbahnen AG war das Risiko klar: Wenn Hotels verschwinden, fehlen Betten – und ohne Betten gibt es keine Gäste. Also kaufte man zu; nicht zwingendermassen aus Lust an der Expansion, sondern eher aus Systemschutz. So entstand ein Kontingent an stets «warmen Betten», wie Schertenleib sie nennt.
Die dritte Phase sei dann die heikelste gewesen: Neue Vier- und Fünf-Sterne-Hotels entstanden in Davos, vorrangig angetrieben vom Bedarf während des WEF. Doch was in den zwei Wochen Mitte Januar boomt, steht den Rest des Jahres leer – und bringt ältere Häuser in Bedrängnis. So kam es, dass auch gestandene Betriebe wie das Sunstar Hotel oder das Club Hotel auf den Markt kamen. Schertenleib griff
zu – nicht geplant, aber konsequent.
Nur schon der Zukauf dieser zwei Hotels brachte der Gruppe über 700 zusätzliche Betten – allein das Sunstar, das heute als Mountain Plaza bekannt ist, hat 200 Zimmer, das Club Hotel rund 150 Zimmer. Die Integration, sagt Schertenleib, sei nun abgeschlossen. «So ein Hotel braucht ein, zwei Winter, bis es funktioniert», sagt der CEO. Doch kaufen allein reicht nicht: «Wenn ein Haus verkauft wird, dann meist aus gutem Grund. Unsere Aufgabe ist es, diese Hotels wieder zum Laufen zu bringen.»

Weit weg von der Idee, ins Unternehmen einzusteigen, war Vidal Schertenleib nie. Sein Studium und frühe Berufsjahre absolvierte er extern und sammelte Erfahrung in der Finanzbranche, er kam aber zurück, übernahm Verantwortung, wurde 2012 in den Verwaltungsrat gewählt und 2016 CEO. Sein Vater ist bis heute als Verwaltungsratspräsident aktiv und involviert.
Immobilien und Gastronomie hätten ihn immer fasziniert, sagt Vidal Schertenleib. Nun kann er beides kombinieren – mit den Bergen. Was ihn antreibt, ist das Zusammenspiel der unterschiedlichen Standbeine: «Ein Lift ist nur ein Transportmittel», sagt er, «aber wenn du gleichzeitig die Hotels, Restaurants und die Energie lieferst – dann gestaltest du das Erlebnis.»
Von den rund 90 Mio. CHF Umsatz machen Hotels und Gastronomie inzwischen etwa die Hälfte aus – ein enormer Sprung im Vergleich zu früher, als zwei Drittel des Umsatzes von den Bergbahnen kamen. Dabei ist das Unternehmen finanziell sehr gesund: Die EBITDA-Marge betrug zuletzt 44 %, früher sogar 47 %. Für Schertenleib ist diese Kennzahl aber nicht so wichtig, denn Abschreibungen und Investitionen seien in seinem Geschäft extrem relevant, weshalb das EBITDA für ihn nicht viel Aussagekraft hat. «Unser wichtigster Gradmesser ist der betriebliche Cashflow», sagt er. Der lag zuletzt bei 35 Mio. CHF – ein deutliches Plus gegenüber den früher angestrebten 25 bis 30 Mio. CHF.
Nach rasantem Wachstum ist im nächsten Schritt Konsolidierung angesagt. Die jüngsten Hotelkäufe sollen integriert werden, Synergien gehoben, Prozesse verschlankt werden. Der Ersatzneubau einer bestehenden Seilbahn steht an – mit einer Investition von rund 35 Mio. CHF kein kleines Projekt. «Es geht darum, das Gebiet zu erschliessen, besser anzubinden – und langfristig zukunftssicher zu machen», so Schertenleib.
Was den Unternehmer stolz macht, ist die vertikale Integration: Energie wird selbst produziert, etwa durch Turbinierung von Wasser aus Speicherseen im Sommer; die Beschneiung wird effizienter geplant – auch, weil sich die Kältefenster im November verändert haben. «Früher wurde es kalt und blieb so. Heute ist es vier Tage kalt und dann wieder warm» – eine neue Realität, auf die Schertenleib entsprechend antworten will.
Doch trotz des unternehmerischen Erfolgs bleiben auch Herausforderungen: Personalmangel im Winter, volatile Buchungen sowie das Peak-Management zwischen Weihnachten, Neujahr und Skifirma-Events im März. Schertenleib: «An einem schönen Samstag ist alles voll – und am Sonntag, wenn’s schneit, ist alles leer. Damit musst du umgehen können.» Dazu kommt die externe Lage: Inflation, starker Franken, geopolitische Unsicherheit. «Ich freue mich nicht besonders, wenn der Franken noch stärker wird», sagt der CEO – denn sein Modell lebt von den internationalen Gästen; und von der Ausgeglichenheit.

Doch könnte Wintersport bald ein Elitenvergnügen werden? «Skifahren war nie billig», sagt Schertenleib, «und Qualität hat ihren Preis.» Dynamische Preise, wie sie etwa in manchen Regionen in Österreich eingeführt wurden, lehnt er ab. «Unsere Kosten sind jeden Tag da, auch das Produkt bleibt gleich. Warum also an unterschiedlichen Tagen einen unterschiedlichen Preis verlangen?» Auch der Sommertourismus sei kein Allheilmittel: «Wir machen rund 10 % unseres Umsatzes im Sommer. Die Berge sind das ganze Jahr schön, ja. Aber der Winter ist unser Kerngeschäft.»
Wenn es die Zeit erlaubt, sitzt Schertenleib auf seinen Liften: 70 bis 80 Skitage gönnt er sich pro Saison – oft aber nur für wenige Schwünge über Mittag. «Dann sieht man, was läuft», so der CEO, «und was nicht.» Denn sein Büro liegt praktischerweise an der Talstation, mit Skikeller und Aussicht. Mit ein bisschen Glück scheint auch die Sonne – und Vidal Schertenleib darf zuversichtlich sein, dass sie auch in unternehmerischer Hinsicht weiterhin scheinen wird.
Vidal Schertenleib ist Eigentümer und CEO der Davos Klosters Bergbahnen AG (DKB), die er von seinem Vater übernommen hat. Die DKB ist das grösste vertikal integrierte Tourismusunternehmen der Schweiz – es umfasst 750 Mitarbeiter (zur Hochsaison im Winter), Hotels, Restaurants, Bergbahnen sowie Energieprojekte.