BRANCHEN IM UMSCHWUNG: ÖSTERREICH

Die Coronakrise hat sich maßgeblich auf die inländischen Wirtschaftszweigen ausgewirkt. Wie erging es den Branchen Handel, Bauindustrie, Produktion und Tourismus sowie Gastronomie?

HANDEL

Laut dem Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) ist der Handel, und hierbei speziell der Einzelhandel, einer der am stärksten von Covid-19 betroffenen Wirtschaftsbereiche. Zurückzuführen ist dies in erster Linie auf die Verordnung vom 15. März 2020, laut der ein Betreten der Verkaufsfläche bzw. des Kundenbereichs zum Zweck des Erwerbs von Waren untersagt wurde. Die Ausnahmeregelungen für den Lebensmittelhandel, Apotheken und Drogeriemärkte schützten zwar bestimmte Sparten im Handel vor dem Einbrechen, führten gar zu einer Umsatzsteigerung in den letzten Monaten; der Einfluss von Covid-19 auf den Einzelhandel ist jedoch prekär: So meldeten etwa 1.026 Betriebe im ersten Halbjahr Insolvenz an, jedes zehnte Unternehmen musste schon Arbeitnehmer kündigen. Zudem besagt eine Studie des österreichischen Handelsverbands, dass nicht weniger als 85 % der Einzel- und Großhändler dieses Jahr mit Umsatzeinbußen von durchschnittlich 32 % rechnen.

Auch der von den Regierungsmaßnahmen ausgenommene „systemrelevante“ Lebensmittelhandel kann nicht pauschal zum Krisengewinner erklärt werden. So seien laut Rainer Trefelik, Obmann der Bundessparte Handel der Wirtschaftskammer Österreich (WKO), hohe Kosten durch die umfangreichen Schutzmaßnahmen entstanden. Weiters sieht Marcel Haraszti, Vorstand der Rewe International AG, den Handel in einem massiven Umbruch: Die Wichtigkeit von Digitalisierung und stark zugenommen, die Zahl der Onlinebestellungen beim österreichischen Lebensmittelhändler Billa habe sich etwa vervierfacht. Investitionsvorhaben wie neue Abholstationen für die Onlinebestellungen, neue Filialen und ein Zuwachs an Mitarbeitern sind weiterhin geplant – das Budget für 2020 liegt dafür bei insgesamt 315 Millionen €.

BAUINDUSTRIE

Obwohl die österreichische Bauwirtschaft in den Monaten seit dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie nur vergleichsweise schwach von behördlichen Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 betroffen war, hinterlässt die globale Gesundheitsbedrohung auch hier ihre Spuren. Der Schock durch das Virus ist dabei primär angebotsseitig.

Laut Statistik Austria sind die nicht nachholbaren Umsatzeinbrüche, ausgelöst durch die Ausgangsbeschränkungen, besonders hoch: Diese belaufen sich allein für den Zeitraum Anfang März bis Anfang April auf 1,8 Milliarden €. Kurz gefasst steht die Bauindustrie vor folgendem Problem: Bereits laufende Bauprojekte können abgeschlossen, ja sogar vorangetrieben werden – nach deren Fertigstellung droht das Auftragsvolumen jedoch drastisch zurückzugehen. Prognosen des Forschungs- und Beratungsnetzwerks Euroconstruct zufolge wird Österreich jedoch besser abschneiden als andere europäische Länder wie etwa die Schweiz.

Die verschiedenen Segmente in der Baubranche sind dabei unterschiedlich stark betroffen: Während der Tiefbau 2020 um 7,2 % zurückgehen wird und sich in den Folgejahren 2021 und 2022 mit einem Wachstumsplus von 7,4 % und anschließend 3,5 % erholen wird, sind die Einbußen im Bereich Wohnbau deutlich drastischer: 2020 werden diese ungefähr 12 % betragen, in den Folgejahren kann nur von einer jährlichen Verbesserung von drei bis sechs Prozent ausgegangen werden.

Wien ist besonders betroffen, da die Prognosen für Bürobau – dieser ist in Wien überproportional vorhanden–weiter schwach ausfallen und die internationale Nachfrage, etwa durch deutsche Investorengruppen, laut dem Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) abnimmt. Dies wird den Markt deutlich nach unten drücken.

PRODUKTION

Die durch die Krise hervorgerufenen ökonomischen Auswirkungen für das produzierende Gewerbe werden als beachtlich eingestuft, da die Branche von Nachfrageschocks (besonders bei Gütern wie Fahrzeugen und Maschinen) und Angebotsschocks (Produktionsaus- fälle durch fehlende Zulieferungen bzw. Arbeitskräfte, die in Kurzarbeit geschickt wurden) betroffen ist, so der aktuellste Konjunkturbericht des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo) aus dem Mai dieses Jahres. Der weltweit agierende österreichische Stahlkonzern Voestalpine etwa weist zum ersten Mal in seiner Geschichte einen Betriebsverlust aus. Dieser beläuft sich laut Eigenbericht für das bis Ende März laufende Geschäftsjahr 2019/2020 auf 89 Millionen € – auch für das laufende Jahr sieht der Konzern keine schnelle Veränderung zum Besseren. Gesamt gesehen war Österreich die letzten Wochen und Monate durch die coronabedingten Schwierigkeiten in Italien (ein wichtiger Handelspartner Österreichs) besonders betroffen, da vor allem Autos und Maschinen aus dem Süden nicht geliefert werden konnten, während der eigene Export von Holz nach Italien stockte, wie das Industriemagazin schreibt. Seit Österreichs EU-Beitritt 1995 haben sich die Auslieferungen laut Wirtschaftskammer verdreifacht, während sich die Importe aus dem Nachbarland verdoppelt haben. Zudem sehe sich der kleine Binnenstaat Österreich international betrachtet auch einer geringen Diversifizierung der Außenhandelsstruktur bei einer Dominanz von Deutschland gegenüber, was in der Krise besonders deutlich wurde, so das Wifo.

Die Umsatzeinbrüche für die inländische Herstellung von Waren beliefen sich allein im März 2020 auf insgesamt 6,6 Milliarden €, so Statistik Austria; davon sind rund 3,3 Milliarden € aufholbar, die andere Hälfte hingegen ist verloren. Für die Weltwirtschaft wird eine Erholung erst im Jahr 2021 angenommen – sollte diese jedoch in eine tiefere Krise geraten, wird das Minus für die heimische Industrie deutlich größer ausfallen als derzeit prognostiziert. Dennoch zeigen viele Hersteller unterschiedlichster Art Flexibilität in der Krisenzeit: An diversen Standorten in Österreich wurden Manufakturen kurzfristig zu Produktionsstätten für Schutzmasken oder Desinfektionsmittel, etwa beim Zuckerhersteller Agrana oder beim Feuerwehrgerätehersteller Rosenbauer.

TOURISMUS UND GASTRONOMIE

Die Tourismusbranche zählt national wie global zu den von der Covid-19-Krise am stärksten betroffenen Wirtschaftsbereichen, da der hervorgerufene Schock sowohl die Nachfrageseite (Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, Grenzschließungen, Angst der Gäste vor Ansteckungen) als auch die Angebotsseite (Schließung von Beherbergungs- und Gastronomiebetrieben sowie von Freizeiteinrichtungen, die auch touristisch genutzt werden) betrifft.

Besonders Österreichs Hauptstadt Wien hatte in den letzten Jahren vom Boom des internationalen Städtetourismus profitieren können: Seit 2010 war laut der Wiener Stadtregierung die Anzahl der Nächtigungen durchschnittlich um 5,5 % pro Jahr gestiegen. Zum Vergleich: Auf Österreich gesamt bezogen liegt der Zuwachs bei 2,2 %. Steigende Einkommen und die Vergrößerung der Mittelschichten in Schwellen- und Entwicklungsländern hatten die Nachfrage nach Urlaubsreisen überproportional steigen lassen, während die Globalisierung zudem auch für ein starkes Wachstum bei Geschäftsreisen und beim Kongresstourismus gesorgt hatte. Dieser Entwicklung hat Corona nun vorerst ein Ende gesetzt.

Erste Schätzungen, ausgehend von unterschiedlichen Szenarien zur Aufhebung aller derzeit verhängten Maßnahmen (Betriebsschließungen, Einschränkungen der Bewegungsfreiheit etc.), beziffern den Nächtigungsrückgang für Wien im Kalenderjahr 2020 auf 2021 auf circa 30 %. Die Städtedestination Wien ist zudem stärker von Fernreisenden abhängig als der Tourismus anderer Bundesländer.

Ähnlich wie beim Tourismus ist jedenfalls auch die Gastronomie sowohl angebots- als auch nachfrageseitig in eine schwere Krise gerutscht: Sogar nach Beendigung der gewerblichen Schließungen können viele Betriebe das Vorkrisenniveau nicht mehr erreichen, so Gastronews. Das österreichische Arbeitsmarktservice (AMS) verzeichnet 48.000 Angestellte im Gastronomiesektor, die derzeit in Kurzarbeit sind, und hat anspruchsberechtigten Gastronomiebetrieben insgesamt bereits 3,9 Milliarden € ausgezahlt.

Text: Chloé Lau
Illustration: Valentin Berger

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Redakteurin

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