Center Stage

Katherine Dunham ließ sich von afrikanischen und karibischen Traditionen inspirieren, revolutionierte den modernen Tanz – und schuf neue Möglichkeiten der Entfaltung für schwarze Tänzer.

Im Jahr 1950 wandelte die Choreografin ­Katherine Dunham nicht zum ersten Mal auf dem schmalen Grat zwischen Künstlerin und Unternehmerin. Die Uraufführung ihres Balletts „Southland“ in Santiago, Chile, hatte die Beamten des US-Außenministeriums verärgert. Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges war ein Tanz, der einen brutalen Lynchmord im Süden der Vorkriegszeit darstellte, nicht unbedingt die Art von imageförderndem Kunsterlebnis, das die US-­Regierung sehen wollte.

Dunham hatte die Qual der Wahl: „South­land“ auf ihrer Südamerika-Tournee nicht mehr aufzuführen – oder zu riskieren, dass sie ihr Geschäft verliert. Für die Gründerin einer äußerst populären schwarzen Tanztruppe, die einen Großteil ihrer Zeit auf Welttourneen verbrachte, waren die Konsequenzen klar: Dun­ham hatte ein Dutzend Tänzer, fünf Sänger, drei Schlagzeuger und mindestens ein halbes Dutzend anderer Mitarbeiter mit auf der Reise. Die Kritik des Außenministeriums – das oft Sponsor für Tourneen, jedoch ebenso in der Lage war, Visa zu entziehen und die lokale Berichterstattung zu beeinflussen – konnte nicht ignoriert werden. Dunham strich das Ballett in zwei Akten aus dem Repertoire der Tournee, um es zwei Jahre später in Paris (erfolglos) wiederaufleben zu lassen. „Southland“ kostete sie zwar spätere staatliche Zuschüsse und wurde nie aufgezeichnet oder im eigenen Land aufgeführt, es festigte aber ihr Vermächtnis als Pionierin, die Erfahrungen und Tanzformen der Schwarzen einem weltweiten Publikum nahebrachte.

Heute gibt es in den USA mehr als 100 Tanzbetriebe in afroamerikanischem Besitz; 1940 stand die Katherine Dunham Dance Company weitgehend allein da. Als Tänzerin und ausgebildete Anthropologin transportierte Dunham mit ihrer Truppe und Schule die Tänze der afrikanischen Diaspora in die Populärkultur. Sie bot schwarzen Künstlern die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln, und bildete zukünftige Tanzgrößen wie Alvin Ailey, Jerome Robbins und Arthur Mitchell aus. Marlon Brando und Eartha Kitt waren unter den vielen, die Dunhams einzigartige Mischung aus afrikanischen und karibischen Tanztechniken studierten. „Sie hat das Verständnis für die Bedeutung des Tanzes, insbesondere für Schwarze, wirklich in Gang gebracht“, sagt Thomas DeFrantz, Professor für Tanz und afroamerikanische Studien an der Duke University. „Und das hat Möglichkeiten geschaffen, von denen wir bis heute im 21. Jahrhundert profitieren“, so der Experte.

Dunham wurde 1909 in Joliet, Illinois, geboren, kurz bevor rassistische Politik einerseits und Jobchancen andererseits eine Migration von mehr als 500.000 Schwarzen aus dem Süden aus­lösten. Ihr Vater war ein Schneider aus Tennessee, der von Sklaven aus Westafrika und Madagaskar abstammte, ihre französisch-kanadische Mutter war Schuldirektorin, die trotz indianisch-afrikanisch-englischem Hintergrund oft als Weiße durchging. Dunhams unternehmerischer Instinkt wurde schon früh geweckt. Mit 15 produzierte die junge Tänzerin ein abendliches Kabarett und trat darin auf, um Geld für die finanziell angeschlagene Kirchengemeinde ihrer Familie zu sammeln. Sie studierte Anthropologie an der University of Chicago, wo sie sich entschloss, die im modernen Tanz weitverbreiteten negativen Stereotype bezüglich Schwarzen zu bekämpfen, indem sie die Tanztraditionen der Diaspora hochhielt. Mit 21 Jahren war sie Mitbegründerin des Ballet Nègre in Chicago, des ersten schwarzen Ballettensembles des Bundesstaates (und erst zweiten in den gesamten USA).

1935 nahm die junge Tänzerin eine Auszeit, um sich auf eine Forschungsreise zu begeben und verschiedene Tanzformen in der Karibik zu studieren. Sie blieb mehrere Monate in Haiti und konzentrierte sich in ihrer Abschlussarbeit auf den dortigen Tanz. Sie besuchte das Land im Laufe ihres Lebens noch oft und kaufte sogar ein riesiges Anwesen, die Habitation Leclerc, das später zu einer Touristenattraktion wurde.

Marie-Christine Dunham Pratt, Dunhams Tochter, beschreibt Haiti als „eine Offenbarung“ für ihre Mutter: „Es war die erste schwarze Republik der Welt, und der Vodun war da“, sagt sie und bezieht sich dabei auf die „Vodun-Zeremonie“, eine religiöse Tanzpraxis. Dunham kehrte von dem, was sie in Haiti gelernt hatte, voller Tatendrang zurück und war entschlossen, im Mainstream Fuß zu fassen. Sie erhielt eine dringend benötigte Finanzierung vom Federal Theatre Project, einem Teil der Works Progress Administration, die es ihr ermöglichte, ihr erstes abendfüllendes Ballett, „L’Ag’Ya“, zu kreieren, das von einem traditio­nellen Kampftanz auf Martinique inspiriert war. Am Federal Theatre lernte sie den Kostüm- und Bühnenbildner John Pratt kennen, den sie 1941 heiratete und dem sie die beeindruckende visuelle Gestaltung ihrer Shows verdankte. Der Truppe wurde 1940 an sonst ruhigen Sonntagabenden ein Platz am Broadway angeboten; ihre Tanzrevuen „Tropics“ und „Le Jazz Hot“ wurden zu Überraschungshits.

Allein die Tatsache, dass ihr Tanzbetrieb existierte und Erfolg hatte, war bahnbrechend. Die Amerikaner waren es zwar gewöhnt, schwarze Tänzerinnen und Tänzer auf der Bühne zu sehen, aber für Karten einer schwarzen Tanztruppe zu bezahlen, das war etwas Neues. „Weiße Leute produzierten unsere Werke. Wir waren Dar­steller, nicht Besitzer von Unterhaltung“, sagt Denise Saunders Thompson, CEO der Interna­tional Association of Blacks in Dance. „Dass ­Katherine Dunham in dieser Zeit ihren eigenen Betrieb hatte, war außerhalb der Norm.“ Dunham trat in Filmen auf, darunter „Pardon My Sarong“ und „Stormy Weather“. Sie begann, persönlichen Reichtum aufzubauen, und wollte unter dem Deckmantel ihrer weißen Sekretärin eine Villa an der Upper East Side für 200.000 US-$ kaufen (die Verkäufer lehnten ab, als sie entdeckten, dass sie die Käuferin war).

Bewun­derer schenkten ihr Schmuck, den sie später verpfändete, um die Kosten für ihr Unternehmen zu decken. Doch trotz ihres glamourösen Lebensstils musste sie sich neben der Choreografie auch um die Finanzen und die Logistik kümmern. Während Martha Graham einen Rothschild-Geldgeber und einen Buchhalter hatte, die sich um die tägliche Arbeit kümmerten, war Dunham mit der Führung der Bücher selbst betraut. „Sie unterstützte finanziell Dutzende von Tänzern, die aufgrund von Rassismus und Rassentrennung in der Tanz- und Theaterwelt nicht viele andere Arbeitsmöglichkeiten hatten“, sagt Joanna Dee Das, Professorin für Tanz an der Washington University in St. Louis und Autorin von „Katherine Dunham: Dance and the African Diaspora“. „Das ist schon eine zutiefst politische Handlung“, so die Wissenschaftlerin.

Im Jahr 1945 eröffnete Dunham eine Tanzschule im Herzen des New Yorker Theaterviertels. An dieser Schule entwickelte sie die Dunham-Technik, einen aus afrikanischen und karibischen Tänzen abgeleiteten Bewegungsstil, der noch heute als Grundlage für den modernen Tanz gilt. Von den Studenten wurde erwartet, dass sie Sprachkurse sowie Kurse in Geschichte und Anthropologie belegten. Dunham bestand darauf, dass Tänzer gut ausgebildete Denker sein müssten, um sich richtig bewegen zu können. Die von bekannten Schauspielern und anderen Studenten bezahlten Studiengebühren ermöglichten es Dunham, Stipendien für farbige Tänzer zu finanzieren, die sich eine Teilnahme sonst nicht leisten hätten können.

Iher künstlerische und humanitäre ­Groß­zügigkeit schlug sich aber auf die geschäft­liche Entwicklung nieder: Die Schule befand sich in ständiger finanzieller Bedrängnis, die zum Teil wieder durch den zunehmenden Erfolg von Dun­hams Tourneen gemildert wurde. Wenn es an Orten wie Los Angeles und Portland auftrat, war das Ensemble ein Knüller, doch immer wie­der zwischendurch löste Dunham die Gruppe auf. Dieses Auf und Ab beschleunigte sich, als sie das Unternehmen international ausrichtete, was die Kosten erhöhte.

Im Jahr 1954 wurde ihre Schule geschlossen. Ihr Ensemble tourte weiter durch Mexiko, Ostasien und Australien, bevor es 1959 wieder nach Europa ging. Nachdem Dunham von einem schlechten Impresario über den Tisch gezogen worden war, saßen sie und ihre Tänzer in Wien fest, die Mittel reichten nicht aus, um nach Hause zu kommen. Sie organisierte schnell Shows und Fernsehauftritte, um die Kasse aufzubessern. Im Jahr 1960 löste sich die Truppe auf.

Wenn Dunhams Geschichte auch nicht von beständigem Erfolg geprägt war, so ist sie doch eine Geschichte der Beharrlichkeit. „Interessant an ihrer Lebensgeschichte als Unternehmerin ist, wie sie einfach immer weitermachte. Wenn etwas gescheitert ist, hat sie einfach weitergekämpft“, sagt Professor DeFrantz. „Sie investierte einfach weiter und dachte unternehmerisch. Ich denke, das ist bemerkenswert.“

Text: Ariel Shapiro
Foto: Missouri Historical Society, St. Louis

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 8–21 zum Thema „Women“.

Up to Date

Mit dem FORBES-NEWSLETTER bekommen sie regelmässig die spannendsten Artikel sowie Eventankündigungen direkt in Ihr E-mail-Postfach geliefert.