Corona und Datenschutz – zwei Krisen auf einen Streich?

Ein Gastbeitrag von Professor Michael Huth, CTO und Mitgründer der XAIN AG sowie Professor am Imperial College London.

Corona zieht uns als Individuen und Gesellschaft den Boden unter den Füßen weg. Solange es noch keine Impfung gibt, wird digitale Technologie zum Hoffnungsträger. Tracing-Apps sollen helfen, unser normales Leben wiederzuerlangen. Damit pocht aber schon die nächste potenzielle Krise an die Tür: der Verlust der Privatsphäre.

Auch wenn diese Krise abstrakter ist als die Bilder von überfüllten Krankenhäusern, dürfen wir sie nicht außer Acht lassen. Denn Gesundheitsdaten gehören zu den intimsten Daten überhaupt – und Macht wird auch missbraucht. Das grundlegende Menschenrecht auf Privatsphäre steht somit auf dem Spiel. Nicht umsonst warnt der Historiker Yuval Harari auch mit eindringlichen Worten: “Many short-term emergency measures will become a fixture of life. That is the nature of emergencies. They fast-forward historical processes”. Unsere heutigen Entscheidungen beeinflussen, in was für einer Welt wir morgen und übermorgen leben. Vier Leitprinzipien können hier helfen:

1. Gesundheit und Datenschutz nicht gegeneinander ausspielen

Oberstes Gebot der Stunde ist es, Menschenleben zu retten. Es geht nicht um Datenschutz oder Gesundheit, sondern um Datenschutz und Gesundheit!

2. Technisches Potenzial und Beschränkungen realistisch einschätzen

“Der meiste Schaden, den der Computer potenziell zur Folge haben könnte, hängt weniger davon ab, was der Computer tatsächlich kann oder nicht kann, als vielmehr von den Eigenschaften, die das Publikum dem Computer zuschreibt.” Dieser Leitspruch des Computerwissenschaftlers Joseph Weizenbaum gilt heutzutage auch noch für Smartphones. Technologie kann vieles kann, aber nicht alles. Wir müssen realistisch einschätzen, was überhaupt machbar und sinnvoll ist. Eine Tracing-App kann Hygienemaßnahmen unterstützen – aber nicht ersetzen! Außerdem müssen sie bis zu 60-70 Prozent der Bevölkerung aktiv nutzen, damit sie überhaupt wirkt. Hat so ein großer Teil der Bevölkerung die notwendige Hardware, das Technologieverständnis und auch den Willen dazu?

3. Wissenschaft, Politik, Gesellschaft und Wirtschaft müssen zusammenarbeiten

Insellösungen sind in unserer eng miteinander verbundenen Welt nicht mehr tragfähig. Experten aus Wissenschaft, Politik, Gesellschaft und Wirtschaft müssen deshalb eng zusammenarbeiten – beispielsweise um transparent zu überwachen, dass Daten, die für die Coronabekämpfung gesammelt werden, auch darauf beschränkt bleiben. Ein Staat kann auch kaum einen zentralen Ansatz der Datensammlung mit Tracing-Apps verfolgen, wenn die Betriebssysteme markführender Smartphones nur einen dezentralen Ansatz unterstützen. Das mag manchen Politikern nicht schmecken, auch weil amerikanische Großunternehmen hier anscheinend helfen, die Privatsphäre in Europa zu wahren.

4. Technische Lösungen kultivieren und nutzen

Die gute Nachricht ist: Es gibt bereits bewährte Methoden, Datenschutz technologisch umzusetzen. Europa hat hier ein großes Potenzial: Zum einen wird hier darauf gepocht, dass “even in emergency situations the data privacy rules should be respected” (Věra Jourová, EU-Kommissarin für Werte und Transparenz). Zum anderen findet sich hier ein reges und dichtes Forschungsnetzwerk zu Privatsphäretechnologien. Dezentrale Ansätze wie Edge Computing, Privatsphäre wahrendes Proximity Tracing und das sogenannte Federated Learning bieten zum Beispiel vielversprechende Ansätze. Insgesamt wäre die Förderung digitaler Technologien, in der grundlegende europäische Werte abgebildet werden, ein Weg das Europa seiner Gründer im digitalen Zeitalter neu zu erfinden.

Professor Michael Huth (Ph.D.)
... ist Mitgründer sowie CTO der XAIN AG und lehrt seit 2001 Computer Science am Imperial College London. Seine Spezialgebiete sind u.a. Cybersecurity sowie Sicherheit und Datenschutz beim Machine Learning. Er agierte als Technischer Leiter des Projekts „Harnessing Economic Value“ beim britischen PETRAS IoT Cybersecurity Research Hub. Gemeinsam mit Leif-Nissen Lundbæk und Felix Hahmann gründete er 2017 XAIN. Das Berliner Unternehmen entwickelt eine eigene Plattform und Anwendungen für datenschutzkonforme KI-Lösungen. XAIN gewann den ersten Porsche Innovation Contest und arbeitete bereits erfolgreich mit der Porsche AG, Daimler AG, Deutsche Bahn und Siemens zusammen.

Professor Huth studierte Mathematik an der TU Darmstadt und erhielt seinen Ph.D. an der Tulane University, New Orleans. Anschließend forschte und lehrte er u.a. an der TU Darmstadt, der Kansas State University und verbrachte einen Forschungsaufenthalt an der University of Oxford. Huth verfasste zahlreiche wissenschaftliche Publikationen und tritt international als Redner auf.

 

Gastkommentar: Michael Huth

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