Das Geschäft mit der Lust

Rund 12,6 Mio. € Umsatz werden mit Pornografie im Internet gemacht – pro Tag. Die Industrie verdient mehr Geld als Hollywood und Netflix. Die Schwedin Erika Lust gilt als Pionierin einer Sexfilmsparte, die gleich­berechtigte und sexpositive Erfahrungen feiert. Wie hat sie die Branche verändert?

Sex sells – vor allem im Internet. Jedes Jahr werden rund eine Million Stunden Videomaterial alleine auf der Internetseite Pornhub hochgeladen und täglich wird so mit Pornografie laut einer Statistik von Netzsieger.de ein Umsatz von 12,6 Mio. € erzielt. Das Publikum ist in der Mehrzahl männlich (abgesehen von den Philippinen, dort schauen mit 52 Prozent mehr Frauen Pornos). Und es sind vor allem Männer, die Pornografie produzieren und daran verdienen. Eine Ausnahme ist die Erotikfilmproduzentin Erika Lust, die eigentlich Hallqvist heißt. Die 45-jährige Schwedin gilt als Pionierin der feministischen bzw. ethischen Pornografie: Sie produziert Filme, die sich „realistisch anfühlen“ und Männer und Frauen gleichermaßen ansprechen sollen. Lust lebt seit 20 Jahren in Barcelona, dort betreibt sie ein kleines Firmenimperium: X Confessions, das erste Erotikportal, das Inhalte per Crowdsourcing finanziert, dazu die Film­studios Lust Cinema, Else Cinema und The Store by Erika Lust, auf dem ihre Filme verkauft werden. Doch was genau ist ethische Pornografie und welchen Einfluss hat Lust auf die Branche insgesamt?

Sie haben Gender Studies und Politik­wissenschaft mit dem Fokus Menschenrechte studiert, heute sind Sie eine bekannte Pornoproduzentin. Wie kam es dazu?
Als ich noch in Schweden studierte, hatte ich ein Erweckungserlebnis: Ich las das Buch „Hard Core: Macht, Vergnügen und der Rausch des Sichtbaren“ von Linda Williams. Sie sagt, dass Pornos bestimmte Vorstellungen von Geschlecht und Sex vermitteln, aber nicht wirklich eine Wahrheit über Sex widerspiegeln. All das hat mich wahnsinnig interessiert; auch, wie weib­liche Sexualität in erotischen Medien dargestellt wird. Später arbeitete ich als Assistentin für Filmproduktionsfirmen und drehte mit „The Good Girl“ meinen ersten eigenen Film.

Mit diesem Kurzfilm aus dem Jahr 2004 gewannen Sie viele Preise, etwa bei den Feminist Porn Awards und bei der Erotik­messe Venus in Berlin …
Der Film verbreitete sich wie eine Art Virus. Je mehr Menschen ihn sahen, desto mehr Nachrichten bekam ich. Leute aus der ganzen Welt waren begeistert und fragten, wann ich weitere Filme produzieren würde. Da wurde mir klar, dass es da draußen noch mehr Leute wie mich gibt – Menschen, die nach einer anderen Art von Porno suchen. So wurde Erika Lust geboren.

Sie gelten als Pionierin des feministischen Pornos. Wofür steht Ihre Arbeit?
Feminismus ist ein weit gefasster Begriff. Für mich geht es beim Feminismus darum, für echte Geschlechtergerechtigkeit zu kämpfen – und dafür, dass Menschen aller Geschlechter genießen können, was ihnen Freude bereitet, ohne Scham. Feministischer Porno war ursprünglich ein Versuch, ein Genre zurückzuerobern, das traditionell eine reine Männerdomäne ist. Und es ging um eine andere Perspektive auf die Darstellung von Sex.

Inzwischen haben Sie 250 Kurzfilme produziert, Ihre Portale haben 60.000 Abonnenten. Richten sich Ihre Inhalte explizit an Frauen?
Feministische Pornos sind keine Pornos für Frauen. Unsere Filme sind für Menschen jeg­lichen Geschlechts. In feministischen Pornos sind Darsteller und Darstellerinnen für ihr sexuelles Handeln verantwortlich – sie sind Eigentümer ihres Vergnügens und werden als gleichberechtigte Menschen behandelt, nicht etwa als Objekte oder Sexmaschinen. Bei Pornos mit feminis­tischen Werten geht es im Wesentlichen darum, eine authentische und gleichberechtigte Dar­stellung der menschlichen Sexualität zu zeigen; ohne Geschlechterstereotypen, die letztlich sowohl für Männer als auch für Frauen schädlich sind. Um das zu erreichen, dürfen wir nicht nur Männer hinter der Kamera haben – Frauen gehören nicht nur vor die Kamera, sondern auch dahinter. Wir brauchen mehr Geschlechter­vielfalt, von der Regie über die Produktion bis zu Kamera und Drehbuch. Das ist unerlässlich, um den Status quo des Pornos infrage zu stellen und Alternativen zur männlichen Dominanz in dieser Branche anzubieten.

Wir wollen Pornos machen, die für jeden zugänglich sind. Wir wollen das Stigma rund um den weiblichen Körper zerschlagen – und zeigen: Das Vergnügen, der eigene Sexualtrieb und die Wünsche eines jeden Menschen sind wichtig. Wir wollen, dass Menschen aller Geschlechter Darsteller sehen, die sich ihrer Macht und ihrer Grenzen bewusst sind, die intelligent und sexpositiv sind – ohne Scham, mit ihrem ­erotischen Selbst in Kontakt zu stehen.

Wie verändert sich die Branche insgesamt?
Heutzutage haben Darstellerinnen und Darsteller und andere Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter sicherlich mehr Möglichkeiten und mehr Autonomie, wenn es darum geht, wie sie ihre Arbeit bewältigen. Wir erleben eine neue Welle von Abonnementdiensten für Inhalte wie etwa Onlyfans. Kreative können audiovisuelle Inhalte über ihre eigenen Kanäle erstellen und verkaufen. Dabei haben sie die Sicherheit ihres Zuhauses, sind zusammen mit Menschen, mit denen sie auch arbeiten wollen, und schaffen so ihre eigene Marke. Dank dieser Plattformen sind viele Darsteller, insbesondere Frauen, weniger abhängig von Pornostudios. Sie fühlen sich daher auch eher in der Lage, rücksichtsloses Verhalten von Unternehmen, Regisseuren oder Agenten anzuprangern. Generell haben diese Plattformen den Konsum von ethisch produzierten Pornos normalisiert.

Werden die Filme im Porno-Mainstream auch zunehmend ethischer und feministischer?
Auf jeden Fall! Ich habe vor 20 Jahren angefangen und die Dinge haben sich seither gewaltig verändert. Auch wenn ein Großteil der Industrie immer noch von Männern für Männer gemacht wird, sehe ich in unserer Branche generell ein zunehmendes Bestreben, die Dinge besser zu machen, indem Menschen, die früher gesellschaftlich an den Rand gedrängt waren, in den Mittelpunkt rücken und ihre eigenen Geschichten aus ihrer eigenen Perspektive erzählen. Obwohl wir noch einen weiten Weg vor uns haben, da es noch viel zu tun gibt, sehen wir allmählich eine positive Veränderung.

Erika Lust betreibt ein kleines Filmimperium: X Confessions, das erste Erotikportal, das Inhalte per Crowdsourcing finanziert, dazu die Filmstudios Lust Cinema, Else Cinema und The Store by Erika Lust, auf dem ihre Filme verkauft werden.
„Feministische Pornos sind keine Pornos für Frauen. Unsere Filme sind für Menschen jeglichen Geschlechts.“

Welche Rolle spielt denn die Frau in Ihren Pornos?
In unseren Filmen bei X Confessions, Lust Cinema und Else Cinema zeigen wir Frauen, die ihre Sexualität und ihre Körper als Individuen mit eigenem Sexualtrieb und eigenen Wünschen selbst in die Hand nehmen. Sie sind nicht nur passive Objekte, die ausschließlich darauf ausgerichtet sind, Männer zu befriedigen. Es spielt keine Rolle, ob der Film pervers, romantisch oder irgendetwas dazwischen ist – wir ermächtigen Frauen in der Sexualität, indem wir ihnen eine relevante Stimme in der Geschichte geben. Wir sind an kostenlose Online-Pornos mit ermüdenden Machtbildern gewöhnt. Da dreht sich alles um Genitalien, vor allem weibliche Genitalien respektive andere Körperteile, aber nicht um die Lust der Frauen. Es gibt kein Vorspiel, kein Streicheln, sondern der Fokus liegt auf Anatomie, Genitalien und Körperteilen, die gegeneinander schlagen. Wir glauben, dass es möglich ist, Pornos zu machen, die nicht auf Frauenfeindlichkeit beruhen. Das Medium Pornografie bietet Raum für viele Perspektiven der Sexualität. Warum sollte Pornografie nicht auch das weibliche Begehren berücksichtigen? Wir zeigen endlich Frauen, die sich vergnügen, während sie Lust empfangen und geben.

Wie ist das Verhältnis von Männern und Frauen bei Ihren Filmen?
Unser Publikum besteht zu etwa 60 % aus Männern und zu 40 % aus Frauen. Nicht nur Frauen, sondern auch Männer sind auf der Suche nach Pornos, die die Gleichberechtigung der Geschlechter, Intimität, Einverständnis und ­sexuelle Freiheit und Erkundung fördern.

Die meisten Mainstream-Pornos können kostenlos angesehen werden. Sind Sie der Meinung, dass die Leute für Ihre Pornos bezahlen sollten?
Ja. Zurzeit wird Pornografie oft mit einem sehr geringen Budget produziert, mit dem Ziel, so viele Filme wie möglich herauszubringen, um konkurrenzfähig und profitabel zu sein. Das führt zu einer sehr schlechten Darstellung von Sex und Sexualität auf der Leinwand. Erst wenn die Menschen anfangen, für Pornografie zu bezahlen, wird sich dies ändern, da mehr Geld in die Branche fließt und gleichmäßig verteilt wird. Dies ist wichtig, um Raum für innovative Regisseure zu schaffen und es den Produktionsfirmen zu ermöglichen, sich auf die Qualität zu konzentrieren, anstatt einfach nur Größenvorteile zu haben. Indem man für Pornos bezahlt, unterstützt man damit die Menschen dahinter und sendet gleichzeitig die Botschaft, dass sichere, qualitativ hochwertige und vielfältige Pornos wichtig sind, da man die Sexarbeit wertschätzt. Wie in vielen anderen Bereichen sind die Verbraucher letztlich Teil der Branche – die Zukunft des Pornos hängt von den Zusehern ab. Wenn wir jetzt aktiv werden, können wir entscheiden, wie es weitergeht.

Erika Lust ist eine Erotikfilmproduzentin aus Schweden, die sich in ihrer Arbeit vor allem auf feministische und ethische Pornografie spezialisiert. Seit 20 Jahren lebt Lust in Barcelona und betreibt dort mit einem eigenen Erotikportal, zwei Filmstudios und einer Verkaufs­plattform für ihre Filme ein kleines Erotik-Imperium.

Fotos: Monica Figueras, Adriana Eskenazi

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