Das Neue Breitling

Breitling war verstaubt, klobig und außer Mode, als Georges Kern 2017 als CEO und Miteigentümer an Bord kam. Doch der ehemalige IWC-CEO erkannte schnell, welches Potenzial in der Marke steckt. Fünf Jahre später gehört Breitling zu den am schnellsten wachsenden Uhrenmarken der Welt und ist drauf und dran, die Umsatzmilliarde zu knacken. Und: Kern will mehr.

Nur wenige Wochen nachdem er bei Breitling angeheuert hatte, reiste Georges Kern nach Wien. Kern hatte den Luxuskonzern Richemont damals gerade verlassen, bei dem er unter anderem 15 Jahre lang CEO von IWC gewesen war, um Breitling als CEO und Miteigentümer zu übernehmen. Der Schritt kam für viele Beobachter überraschend, war Breitling als Marke und Unternehmen doch etwas in die Jahre gekommen. Doch Kern hatte schon länger auf eine solche Chance gewartet, denn er bekam – im Zuge der Übernahme der Mehrheits­anteile durch den Luxemburger Private-Equity-Fonds CVC – nicht nur die Chance, 5 % der Anteile zu kaufen. Er wusste auch, dass in der Marke Potenzial steckt.

Wie viel Potenzial genau, das war selbst Kern bei seinem Amts­antritt aber nicht bewusst. Der Uhrenmanager kannte lediglich das Breitling der letzten 20 Jahre, das nahezu ausschließlich für große, laute Pilotenuhren bekannt war. Um die Geschichte der Marke besser zu verstehen, besuchte er in Wien Fred Mandelbaum, einen der bedeutendsten Breitling-Sammler der Welt. Mandelbaum öffnete Kern die Augen. Kern: „Da wusste ich, dass wir erfolgreich sein würden.“

Doch trotz des Potenzials waren die Herausforderungen, die
es rund um das Unternehmen gab, offensichtlich: Breitling war im großen Wachstumsmarkt China quasi nicht präsent, unter Frauen und jungen Kunden entweder unbekannt oder nicht begehrt, im Preissegment über 10.000 US-$ schwach aufgestellt und die Marke hatte den Nimbus als Generalist, der mehr kann als große, protzige Uhren herzustellen, weitestgehend verloren. „Zu Beginn mussten wir unsere Teams und eine neue Kultur aufbauen. Nun geht es darum zu skalieren, noch exzellenter in der Umsetzung zu werden und das Ansehen der Marke weiter zu erhöhen.“

Mandelbaum zeigte dem neuen CEO historische Breitling-­Modelle, darunter auch solche aus den 1920er- und 1930er-Jahren. „Breitling hatte alles, was wir brauchten: Heritage, Geschichte, einen klaren Stil. Und den wollten wir modern interpretieren“, sagt Kern. Über die nächsten fünf Jahre formulierte er die Marke neu, fokussierte sich auf das ursprüng­liche Breitling-Logo, führte neue Modelle ein und optimierte gleichzeitig die Produktpalette, um Breitling für eine breitere Kundenschicht attraktiv zu machen. Zudem adaptierte er das Marketing; die Boutiquen wurden und werden unter seiner Führung neu gestaltet. Der chinesische Markt wurde schritt­weise in Angriff genommen, wobei bis heute der Großteil des Umsatzes aus den Kernmärkten Europa und USA kommt.

Heute ist Breitling mit weltweit rund 1.600 Mitarbeitern eine der am schnellsten wachsenden Uhrenmarken überhaupt. Die US-Investmentbank Morgan Stanley schätzt, dass Breitling 2021 rund 680 Mio. CHF Umsatz erzielte. Das würde ein Umsatzwachstum von 50 % in den letzten beiden Jahren und nahezu eine Verdoppelung gegenüber dem Umsatz von 2018 bedeuten, der bei 360 Mio. CHF lag (Breitling wollte auf Nachfrage keinen Kommentar zu den Zahlen abgeben). Für Kern geht die Reise aber gerade erst los: „Statt im ersten Gang fahren wir jetzt vielleicht im zweiten oder dritten. Doch wir haben gemerkt, dass der Motor noch viel mehr Power hat; dass es auch einen sechsten Gang gibt.“

Wenn Kern heute über Breitling spricht, fallen drei Worte immer wieder: „das neue Breitling“. Der CEO wiederholt die Worte fast wie ein Mantra, um zu signalisieren, dass die heutige Marke sehr wohl in der Historie verankert ist, aber eine neue Ära begonnen hat. Dabei setzt der Uhrenmanager konsequent auf ein Dreieck, das aus einem klaren Designcode unter dem Stichwort „modern-retro“ besteht, aus der Rolle als Generalist unter dem Motto „Air, Land and Sea“, wodurch mehrere Arten von Uhren abgedeckt werden, sowie einem Wertegefüge unter dem Motto „Neo-Luxury“.

Kern will Breitlings Stellung als hochwertiger Anbieter keineswegs infrage stellen, doch der Uhrenmanager betont, dass die Marke nahbar sein muss. Unerreichbare Exklusivität, wie sie manche Marken in Zeiten von explodierender Nachfrage und rasant steigenden Preisen auf dem Uhrenmarkt verfolgen, sei überhaupt nicht die Strategie des Hauses – Breitling soll jüngere Kunden ansprechen, mehr Frauen für sich gewinnen und inklusiv wahrgenommen werden. Dass dieses Versprechen bei Durch­schnittspreisen von 6.100 US-$ nur bedingt gilt, ist Kern klar: „Wir wollen von unserem Image her nahbar sein und die coole und relaxte Alternative zu den konser­vativen Marken bieten.“ Rund 11 % der Breitling-Kunden sind heute weiblich – vor fünf Jahren lag der Anteil nahe null. Die Strategie zeigt sich auch im Sponsoring: Statt bei Tennis und Formel 1 agiert Breitling in Sportarten wie Triathlon, Rugby oder Surfen. Der jüngste Coup der Marke: Fußball-Superstar Erling Haaland, der aktuell vielleicht spannendste Spieler der Welt, wurde Breitling-Botschafter.

Und obwohl der Wunsch, im Preissegment über 10.000 US-$ noch stärker zu wachsen, da ist, fühlt sich Kern mit dem aktuellen Preisbild von Breitling wohl. „Breitling ist heute breiter aufgestellt und vergleichbar mit einem Automobilhersteller: Wir haben einen SUV, wir haben ein Cabrio, wir haben eine Limousine. Wir wollen und können in unserem Segment ein Generalist der Uhrenindustrie sein“, so Kern.

Der Erfolg wirkt sich auch positiv auf den Unternehmenswert – und damit Kerns Vermögen – aus. CVC hatte 2017 80 % der Anteile von der ehemaligen Besitzerfamilie rund um Théodore Schneider gekauft,
der Kaufpreis wurde mit rund 800 Mio. € kolportiert. Kern hatte dabei 5 % der Anteile übernommen, das restliche Managementteam weitere 5 %. 2018 übernahm CVC die verbleibenden Anteile.

2021 stieg dann wiederum der Schweizer Private-Equity-Fonds Partners Group mit einem Anteil von 25 % bei Breitling ein – wovon ein kleiner Teil der Anteile von Kern und dem Führungsteam kam und der Großteil von CVC. Die Bewertung wurde damals von Bloomberg auf drei Mrd. US-$ geschätzt – Kerns Stake dürfte also zwischen 120 und 150 Mio. US-$ wert sein.

Laut Kern soll es jedenfalls ­weiter aufwärtsgehen: „Ich habe mir persönlich mindestens noch mal fünf Jahre gegeben. Wir kommen jetzt in eine sehr spannende Phase, die ich unbedingt mitgestalten möchte.“ Das hängt nicht nur damit zusammen, dass Kern nun ernten will, was er gesät hat – sondern auch damit, dass Breitling „in den nächsten Jahren“ an die Börse gehen soll, wie das Unternehmen im Zuge des Einstiegs der Partners Group 2021 verkündete. Und das wäre für Kern – sofern der Erfolg anhält – natürlich auch privat ein durchaus lukrativer Exit.

Georges Kern wurde als Sohn eines Juweliers in Düsseldorf geboren. Er kam somit schon sehr früh mit Schmuck und Uhren in Kontakt. Kern, der einen Bruder hat, studierte Politikwissenschaft und BWL in Straßburg und St. Gallen. Seine später sehr erfolgreiche be­rufliche Karriere war an seinen anfänglichen Studienleistungen jedoch nicht unbedingt abzulesen; Kern sagt, er sei ein „mittelmäßiger Student“ gewesen. Er schaffte den­noch den Abschluss und ging ins Marketing von Kraft Foods, bevor er zu Tag Heuer wechselte und damit den Schritt zur Uhrenbranche setzte. 2000 folgte der Wechsel zu Richemont, 2002 wurde Kern im Alter von nur 36 Jahren CEO von IWC. Er war damals der jüngste CEO der Richemont-Gruppe und überhaupt einer der jüngsten der gesamten Branche.

Der Erfolg von IWC in der jüngeren Vergangenheit gilt als Kerns Werk; als er 2017 (damals war er Head of Watchmaking, Marketing and Digital bei Richemont) zu Breitling wechselte, sorgte das für großes Aufsehen in der Branche. Doch Kern wollte sich die Chance, Unternehmer zu sein, nicht entgehen lassen, und das, obwohl das Risiko durchaus höher ist: „Als Miteigentümer habe ich mein eigenes Geld in das Unternehmen eingebracht. Alles, was wir machen, hat Konsequenzen für meine Investition.“ Doch Kern sagt, er hätte noch nie so viel Risiko genommen wie heute – und erklärt das sowie auch den Unterschied zum generellen Agieren in einem Konzern mit einer Fußball-Metapher: „In einer Gruppe spielt man mehr auf Verteidigung als auf Angriff. Ich habe in meiner ganzen Karriere noch nie so offensiv gespielt wie heute. Das macht natürlich sehr viel Spaß – insbesondere, wenn man sehr viele Tore schießt.“

Kern, der selbst eher direkt ist und sich nicht lang mit Small Talk auf­hält, schätzt den Ansatz seiner Private-Equity-Investoren: „Was wir umsetzen, setzen wir um; es muss einfach profitabel sein.“ Breitling will den Direktverkauf an Kunden weiter ausbauen, das Filial­netz in den USA und Asien erweitern und die „betriebliche Effizienz weiter steigern“, wie in einer Aus­sendung 2021 mit­geteilt wurde. Für Kern bedeutet das, die Früchte der harten Arbeit der letzten Jahre zu ernten. „Zu Beginn war ich quasi alleine, musste Teams und eine neue Kultur aufbauen. Nun wollen wir skalieren, noch exzellenter sein und noch mehr an der Wert­schätzung der Marke arbeiten.“

Als natürliches Ergebnis heißt das auch, dass der Umsatz weiter steigen soll. Das große Ziel lautet, den Umsatz über die magische Schwelle von einer Milliarde US-$ zu steigern. Das wäre ein Sprung von weiteren 40 % gegenüber 2021. Wann das erreicht wird? „Spätestens nächstes Jahr“, sagt Kern, und meint damit 2023. Danach werden dann wohl alle Augen auf den Börsengang gerichtet – einen genauen Zeitpunkt, wann und wo dieser stattfinden soll, wollte Breitling jedoch nicht nennen.

Für Kern ist das alles aber sowieso nur Makulatur, wenn das wichtigste Puzzlestück fehlt: die Zustimmung der Kunden. Kern: „Wir können sagen, was wir wollen – am Ende des Tages entscheidet sowieso der Konsument.“

Georges Kern studierte Politik­wissenschaft in Straßburg und St. Gallen. Er startete seine Karriere bei Kraft Foods, ging dann zu Tag Heuer und 2000 zu Richemont. Von 2002 bis 2016 war er CEO von IWC. Seit 2017 ist er CEO und Miteigentümer von Breitling.

Fotos: Dirk Bruniecki

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