Daten sind Macht

Die Non-Profit-Organisation Opendata.ch fordert freien Zugang zu Daten aller Art – für jeden, überall, zu jeder Zeit und zu jedem Zweck. Offene Daten könnten vielfältige Möglichkeiten für Gesellschaft und Wirtschaft bringen, allerdings fehlt es an Bewusstsein und Verständnis. Opendata.ch hat einen Plan, wie man das ändern kann.

Nikki Böhler hat eine Leidenschaft für Daten. Ende 2018 stieß sie über einen Hackathon auf die Opendata-Konferenz für Programmierer. Zuerst war sie dort als Organisatorin aktiv, heute leitet sie den Verein als Geschäftsführerin. „Digitalisierung klingt so abstrakt, aber eigentlich prägt sie alle gesellschaftlichen Fragen wie Gleichberechtigung, Nachhaltigkeit, Partizipation und Transparenz“, sagt Böhler. Für diese Werte möchte sie mithilfe von Daten eine Grundlage schaffen. „Es ist ein Bereich, der noch nicht so klar definiert ist, hier kann man viel selbst mitbewegen“, so die Schweizerin.

Von Business-Analystin bei ­verschiedenen Banken über Managing-Partnerin beim Schmuck­hersteller Les Millionnaires hat Böhler schon einige Karriere­stationen hinter sich. Ihre Erfahrung nutzt sie, um eigene Unter­nehmen und Vereine zu gründen: So unterstützt das Digitale Lern­labor Schulen bei der Zukunftsgestaltung, Versus Virus organisierte Hackathons, um Strategien gegen Covid zu ent­wickeln. Erst, als ihr die Relevanz von Daten bewusst geworden war, entschied Böhler, sich Opendata.ch ­anzuschließen, und verfolgt seither eine klare Vision: „In einer perfekten Open-Data-Welt wissen alle, was offene Daten sind, können leicht darauf zugreifen und die Daten sind nachvollziehbar und transparent.“

Opendata.ch fordert, dass ­Daten, die die Regierung ­erhoben hat, „open by default“ sind, also standard­mäßig für die Bevölkerung offengelegt werden. Die Haltung dahinter: Der Steuerzahler hat für die Daten bezahlt, also soll er sie auch einsehen und nutzen können.

Jeden Tag entstehen ­überall auf dieser Welt Unmengen von ­Daten. Die Bundes­zentrale für ­Po­litische Bildung mit Sitz in Bonn beschreibt Open Data als Wetter-, Geo- und Umweltdaten, aber auch als Daten, wie sie zum Beispiel in der Forschung anfallen. Dazu ge­hören Genome, medizinische Daten, mathematische und wissenschaftliche Formeln etc. Offen sind Daten dann, wenn sie von jedem und zu jedem Zweck benutzt werden können. Durch die freie Zugänglichkeit der Informationen entsteht ein enormes Potenzial: Behörden müssen nicht extra gefragt werden, um Einsicht in Protokolle oder Haushalte zu erhalten, weil jeder die Antworten im Internet nachlesen kann; Start-ups können Proto­typen ihrer ­Produkte entwickeln, ohne selbst dafür ganze Studien durchführen zu müssen; Forschung und Wirtschaft werden belebt; die Bürger bekommen besser mit, was in ihrer eigenen Stadt passiert. Dass aber nicht jede Art von Daten einfach so veröffentlicht werden sollte – dazu später mehr.

Das Problem sei nur, so Böhler, dass Daten nicht in dem Umfang und auch nicht in der Qualität verfügbar sind, wie es wünschenswert wäre: „Es gibt noch viel Handlungsbedarf, was das Verständnis für den Wert, die Zugänglichkeit und Qualität offener Daten angeht”, sagt sie. Und selbst wenn diese Bedingungen erfüllt wären, wüssten wir alle als potenzielle Nutzer nicht, wo wir die für uns interessanten und relevanten Daten suchen und finden könnten.“

Im ersten Schritt will Opendata.ch also Daten verfügbar machen. Dafür treten die Mitglieder mit Politikern und Unternehmern in Kontakt. Im zweiten Schritt sollen die Daten nutzbar gemacht werden. Auch hier muss Aufklärungsarbeit geleistet werden, denn „mit einem PDF und ein paar Zahlen können wir wenig anfangen“, sagt Böhler. Gebraucht werden Metadaten: Wer steht hinter dem Forschungsprojekt? Wer wurde befragt? Ohne diese Informationen ist schwer einschätzbar, wie brauchbar die Daten tatsächlich sind.

Wenn die Daten dann in an­gemessenem Umfang veröffentlicht werden, tritt das nächste Pro­blem auf: Wie findet man in der Flut von Daten das, was man braucht? Böhler: „Derzeit erarbeiten wir eine An­leitung, wo und wie User Daten ­finden können; ein ‚Daten-Finden für Dummies‘.“

Daneben verfolgt Open­data.ch weitere Projekte. Böhler will Bewusstsein schaffen, nicht nur für die Relevanz von Daten, sondern auch für deren Sensibilität. „Bei persönlichen Daten und solchen, die die nationale Sicherheit gefährden, muss die Grenze gezogen werden“, sagt sie. Allerdings ist diese Grenze schwammig: Wer entscheidet, was besser geheim gehalten werden sollte? Grundsätzlich gilt: Je ­konkreter die Daten, umso höher ist ihre Quali­tät – jedoch kann man „häufig überraschenderweise auf Personen schließen, obwohl das nicht so angedacht war“. Wenn Wohnort, Geschlecht, Alter und Haarfarbe bekannt sind, liegt der Schluss auf eine bestimmte Person nicht mehr fern.

Die breite Gesellschaft profitiert von der Transparenz, die mit offenen Daten entsteht, politische Prozesse werden für jeden nachvollziehbar – davon ist Böhler überzeugt. Gleichzeitig wird Partizipa­tion ermöglicht, weil jeder die Daten nutzen kann. Freier Zugang zu Regierungs- und Verwaltungsdaten fördert die öffentliche Meinungs­bildung und die Partizipation der Bürger. Der Zugang zu Daten ist eine Grundvoraussetzung für die ­stetige Fortentwicklung wissenschaftlicher Arbeiten und Ergebnisse. Offene Daten bedeuten deshalb auch ein riesiges wirtschaftliches Potenzial: Data Europa, ein Portal, das Daten aus den verschiedensten Bereichen in Europa zur Verfügung stellt, schätzt den durch Open Data entstandenen Mehrwert 2020 auf 184 Mrd. €; 2025 soll er auf 199,51 bis 334,21 Mrd. € steigen. „Daten sind die ­zentrale Ressource des 21. Jahrhunderts“, sagt Nikki Böhler. Sie seien aber kein Gut, das durch Nutzung oder Teilen schrumpft. So sollen möglichst viele, idealerweise alle von Daten profitieren können – ganz nach der Mission von Opendata.ch.

Nikki Böhler beschäftigte sich schon während ihres Ökonomie­studiums an der Universität St. Gallen mit sozialem Unternehmertum sowie verantwortungsvollem Wirtschaften und gründete in diesem Bereich mehrere Initiativen. Heute setzt sich die Schweizer „Under 30“-Listmakerin bei Opendata.ch für die Schnitt­stelle zwischen Gesellschaft und Digitalisierung ein.

Text: Juli Sixel
Foto: Roger Eberhard

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 1–22 zum Thema „Ressourcen“.

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