Der 20-3-4-4-Code

München, Wien und Lyon rücken im Rahmen des Programms „Smarter Together“ zusammen um intelligente Lösungen für die Städte zu finden – anhand einer scheinbar einfachen Zahlenkombination.

Die magische Zahlenkombination lautet 20-3-4-4. Diese soll gewissermaßen den Weg in eine intelligentere Zukunft ebnen. Konkret steht die Kombination für die verschiedenen Akteure und Wirkungsbereiche des Projekts „Smarter Together“, das im Jahr 2016 ins Leben gerufen wurde: im Rahmen des Forschungsprogramms Horizon 2020 der Europäischen Union (20) schlossen sich die Städte Wien, Lyon und München (3) für das Projekt zusammen. In den Städten selbst arbeiten Stadt, Unternehmen, Forschung und Stadtbevölkerung (4) gemeinsam an innovativen Ideen in den Bereichen Mobilität, Technologie, Energie und Ko-Gestaltung (4). Was zunächst relativ einfach beschrieben ist, ist in der Realität jedoch viel komplexer. Denn am Projekt sind viele Akteure beteiligt und es gibt noch viel mehr Schrauben, an denen gedreht werden muss.

Kombination 20-3: Zurück zum Anfang
Smarter Together entspringt dem EU-Programm Horizon 2020, dem weltweit größten transnationalen Programm für wissenschaftliche Exzellenz, Marktführerschaft und große, gesellschaftliche Herausforderungen. Das Programm wurde auf 80 Milliarden € dotiert, welche unter anderem für verschiedene EU-Förderprojekte mit unterschiedlichen Anforderungen ausgeschüttet werden – so auch für Smarter Together. Um den Projektauftrag und die Fördergelder von 24,7 Millionen € zu erhalten, mussten jedoch integrierte Lösungen im Bereich Energie, Mobilität und Technologie vorgewiesen werden; und zwar mithilfe von Partnerschaften zwischen europäischen Städten, Industrien, Forschungseinrichtungen und Bürgern. Die Städte Lyon, Wien und München werden Smarter Together im Zeitraum zwischen 2016 und 2021 umsetzen. Dem Förderantrag der Stadt München nach eignen sich diese drei Städte deshalb so gut, da sie eine vergleichbare Größe und Dynamik aufweisen sowie thematisch gut vergleichbar sind.

Die Ziele sind klar definiert – und gleichzeitig ambitioniert: Gemeinsam wollen die Städte bis 2021 1.500 neue Arbeitsplätze schaffen, den CO2-Ausstoß um 50 Prozent verringern, 17 Megawatt Wärme und Strom über erneuerbare Energien in die Projektgebiete einspeisen und 95 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr einsparen. Klappen soll dies über eine effiziente Energienutzung, einer besser vernetzten Infrastruktur mithilfe von nachhaltigen Mobilitätsformen und neuen Technologien sowie einer Datenplattform, auf welcher sämtliche Daten des Projekts gesammelt und für die Bevölkerung zugänglich gemacht werden. „Jeder Bürger kann die Angebote nutzen“, sagt Bernhard Klassen, Projektkoordinator der Stadt München. Die Lebensqualität der Bürger soll so verbessert werden.

Im Mittelpunkt stehen bereits bestehende Stadtteile. Die Stadt München hat hierfür den Stadtteil Neuaubing-Westkreuz mit 350 Hektar und 23.000 Einwohnern ausgewählt. Ebenso wie in den Partnerstädten Lyon und Wien weist der Stadtteil im Westen von München einen Querschnitt durch die Bevölkerung auf, ist also kein (reines) Akademiker- oder Studentenviertel. Neuaubing-Westkreuz verfügt über Gebäude aus verschiedenen Baujahren (1960er bis 1980er-Jahre), weshalb das Areal einen guten Ansatz bietet, die Maßnahmen erfolgreich auch in anderen Stadtgebieten oder Städten umzusetzen. Das angrenzende Neubaugebiet Freiham kann zudem direkt erfolgreiche Projektansätze übernehmen. Aus dem Fördertopf der EU stehen der Stadt 6,85 Millionen € zur Verfügung, zusammen mit Eigenmitteln sowie mithilfe von Geldern aus der Wirtschaft hat München dafür ein Budget von 20 Millionen €.

Kombination 4-4: Akteure und ihre Schrauben
Für ein derart großes Projekt braucht es eine gute Struktur: Smarter Together ist in insgesamt zehn Arbeitspakete unterteilt, unter anderem in Pakete für den methodischen Rahmen und die gesamte Evaluierung des Projekts sowie in Pakete für die jeweiligen Städte. In Paket 4 sind die Aufgaben und Zuständigkeitsbereiche für München aufgeteilt. Unterstützt wird die Stadt von insgesamt elf Partnern aus Forschung und Wirtschaft sowie den Bürgern. „Für die Akteure ist das eine gute Möglichkeit, ihre Ideen unter realen Bedingungen in einem offenen Austausch zu testen“, sagt Klassen. Gemeinsam wird in den Bereichen Mobilität, Energie, Technologie und Ko-Gestaltung zusammengearbeitet.

In Neuaubing-Westkreuz gibt es beispielsweise aktuell vier Mobilitätsstationen, geplant sind acht. An jeder Station stellt die Stadt München Pfeiler mit einer interaktiven Karte bereit. Dort sind Informationen bezüglich Verkehrsverbindungen, Restaurants, Ärzten und mehr zu finden. Eine mobile Version der Karte gibt es auf der SmartCity-App von München. Zusätzlich werden Fahrräder, E-Bikes, Lastenfahrräder (E-Trikes) und E-Autos inklusive Ladestationen in Kooperation mit dem Carsharing-Dienst Stattauto München und der Münchner Verkehrsgesellschaft angeboten. Mit der Fertigstellung aller Stationen werden insgesamt über 100 nachhaltige Verkehrsmittel an den Stationen verteilt sein. Flexibilität bieten den Bürgern zwei Quartiersboxen: neben ihrer Funktion als Schließ- und Tauschfächer können Bürger ihre Einkäufe von teilnehmenden Shops wie getnow.de in die Kühl-, Eis- und normalen Fächern der Box liefern lassen.

Im Bereich Energie konnte im Projektgebiet eine Wohnfläche von 32.000 Quadratmetern zur Gebäudesanierung gewonnen werden. „Eine Herausforderung stellen hier private Wohnungseigentümer dar, die es von den Vorteilen der Sanierungsmaßnahmen zu überzeugen gilt“, sagt Klassen. Nach einer umfassenden Gebäudeanalyse sollen ihnen Maßnahmen für eine effiziente Energienutzung vorgeschlagen werden. Dies soll auch über Photovoltaikanlagen und ein Geothermie-Heizwerk erreicht werden. Ein sogenanntes „virtuelles Kraftwerk“ mit integriertem Batteriespeicher speichert die überschüssig produzierte Energie der Anlagen und vernetzt sie. Diese Vernetzung von Daten ermöglicht Siemens über eine Datenmanagement-Plattform. Daten werden zum Beispiel anhand von Smart Home Boxen via Sensoren für Temperatur und Luftfeuchtigkeit in Wohnungen gewonnen sowie von smarten Lichtmasten: diese sind mit WLAN, einer adaptiven Beleuchtung und Sensoren ausgestattet.

Für die smarten Lichtmasten wandte sich die Stadt München in einem Innovationswettbewerb an die Öffentlichkeit. Gewonnen hat das finnische Unternehmen Vaisala sowie jenes aus München, Hawa-Dawa. Einer der Entwickler von Hawa-Dawa, Matthew Fullerton, erklärt die Funktionsweise: „Zusätzliche Boxen an den Masten saugen Luft ein und Sensoren im Innern der Box messen diese. Anschließend senden die Sensoren die Daten über eine Cloud zum internen Auswertungssystem. Die Auswertungen werden dann weitergeleitet an die Datenmanagement-Plattform.“

Ein zentraler Punkt bei der Datensammlung ist Transparenz. Diese erscheint auf den ersten Blick gegeben zu sein. Alle Bürger können die gesammelten Daten über eine App einsehen, personenbezogene Daten werden dabei nicht erhoben. Eine Sache, die naturgemäß besonders den Bürgern am Herzen liegt. Denn diese reden bei der Stadtgestaltung auch mit. Dabei kann es manchmal durchaus bunt zugehen: bei Workshops werden Stifte gezückt und den Ideen anhand von Zeichnungen und Skizzen freien Lauf gelassen. Transparenz war dabei auch ein Thema. „Als Stadt wurden wir von den Bürgern für die Bürger gewählt, sie wollen wissen was wir machen und was mit den Daten geschieht“, sagt Klassen. Die erste Anlaufstelle für die Anliegen der Bürger ist das Stadtteillabor. Es ist ein Kreativlabor, Ausstellungsraum und Bürgerzentrum in einem. Bereits 2.500 Menschen haben an diversen Workshops und Veranstaltungen teilgenommen. „Gemeinsam entwickelt man die besten Ideen“, so Klassen.

Kombination 20-3-4-4: Die Tür öffnen
Fragt man den Projektkoordinator nach den großen Herausforderungen des Projektes, überlegt er eine Weile. Es sei klar, dass das Projekt viel Struktur, Koordination und Kommunikation erfordere und hier und da etwas im Laufe des Prozesses verändert werden müsse. So hätte sich etwa herausgestellt, dass nicht jeder Lichtmasten WLAN benötige, sondern jeder dritte ausreiche. Manchmal treffe eine Idee auch auf Hindernisse. Wenn die Energiepreise niedrig sind, würde es die Bürger nicht so sehr interessieren, ob es auch nachhaltigere Energiequellen gebe. „Das ist ein Thema, welches sehr wohl einen Einfluss auf uns und unser Projekt hat.“

Ob die konkreten Ziele des Projekts bis 2021 wirklich erreicht werden können, wird sich in der Evaluationsphase von 2019 bis 2021 herausstellen. Erste Erfolge sind durch die umgesetzten Projekte jedenfalls vorhanden. Die E-Autos wurden zum Beispiel nach zwei bis drei Monaten bereits für Fahrten von 3.000 Kilometern genutzt – eine gute Kennzahl laut Klassen. Erfolgreiche Ansätze sollen auch auf weitere Stadtteile Münchens übertragen werden und bereits andere Städte wie Venedig oder Yokohama interessieren sich für die smarten Lösungen. Dennoch: Wie smart die Zukunft in Neuaubing-Westkreuz/Freiham wirklich sein wird, werden wir erst im Jahr 2021 wissen.

Text: Andrea Gläsemann

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