DER BESSERE TESLA

Falls Elon Musk Tony Stark ist, dann ist Rivian-Gründer R. J. Scaringe Clark Kent. Mit seinen batteriebetriebenen SUV- und Pick-up-Modellen elektrifiziert der Unternehmer gerade die Automobilbranche.

Das Highlight der Los Angeles Auto Show im November 2018 war nicht etwa Mercedes-Benz, Porsche oder BMW. Vielmehr war ein unbekannter Hersteller von Elektroautos, Rivian Automotive, der spannend­ste Gesprächsstoff. Nach fast zehn Jahren Entwicklungszeit stellte das Unternehmen seine ersten beiden gänzlich batteriebetriebenen Autos vor: den R1S – einen Geländewagen mit sieben Sitzen – und den R1T Pick-up. Die als „Abenteuerfahr­zeuge“ angepriesenen Autos wurden für Menschen mit einem aktiven Lebensstil entwickelt und sind eine Art robuster, leistungsfähiger und luxuriöser Range Rover, der mit dem neuesten Schnickschnack wie Inter­netanschluss und autonomen Sicherheitsfunktionen ausgestattet ist. „Das Leben ist voller Abenteuer“, schwärmt R. J. Scaringe, Rivians 36-jähriger Gründer und CEO. „Bei uns ist es egal, ob man angeln oder golfen geht oder mit seiner Familie ein Picknick plant.“

Früh übt sich

Scaringe hatte schon früh ein Faible für „Dinge, die sich bewegen“. Als er alt genug war, um mit Werkzeug zu hantieren, half er seinem Nachbarn, einen Porsche 356 zu restaurieren. „Mein Lieblings­auto war damals ein Porsche Speedster aus den 1950ern“, sagt Scaringe. Schon während der Highschool war er besessen von der Idee, seine eigene Automarke zu gründen. Er machte seinen Doktortitel in Maschinenbau an der renommierten MIT-Abteilung Sloan Automotive Lab. Doch der angehende Autobauer geriet in einen Zwiespalt. „Es war frustrierend, dass jene Fahrzeuge, die ich so sehr liebte, gleichzeitig auch die Luft verschmutzten. Sie verursachen alle möglichen Probleme, vom Klimawandel bis hin zu geopolitischen Konflikten.“ Also änderte er seine Richtung und beschloss, sich auf umweltfreundliche Elektrofahrzeuge zu fokussieren.

Rivian, ein langsam wachsendes Start-up, wurde 2009 gegründet. Scaringe begann mit der Entwicklung eines elektrischen Sportcoupés, ähnlich dem Roadster von Tesla. Doch innerhalb weniger Jahre wurde der Plan auf Eis gelegt. „Wir haben an etwas gearbeitet, das die Welt nicht wirklich braucht. Es war nicht anders als alles, was bereits am Markt war“, sagt Scaringe.

Der richtige Weg

Der junge Unternehmer änderte erneut seinen Kurs und definierte die Vision des Unternehmens neu – und konzentrierte sich auf luxuriöse Nutzfahrzeuge. Doch warum dauerte es dennoch fast ein Jahrzehnt, bis erste Fahrzeuge produziert wurden? „Wir mussten erst die ganzen Puzzleteile ordnen“, sagt Scaringe. Diese Teile waren etwa die Entwicklung der Technologie, die Umsetzung des Businessplans, das Schaffen einer funktionierenden Organisation sowie der Aufbau einer Wertschöpfungskette und eines Fertigungssystems. Scaringe verbrachte zudem Jahre damit, ein „Dream-Team“ der besten Ingenieure und Designer zusammenzustellen. Darunter finden sich etwa Mark Vinnels, Executive Director of Engineering, der von McLaren kam. Auch Jeff Hammoud, Vice President of Design, hat Erfahrung: Bei Jeep verantwortete er den Grand Cherokee und den Wrangler. Um seinen elek­trischen Traum zu finanzieren, sammelte Scaringe 450 Millionen US-$ Finanzierung ein. Das Geld kam von drei Großinvestoren: der saudi-arabischen Investmentgruppe Abdul Latif Jameel, die enge Verbindungen zum MIT unterhält, der japanischen Sumitomo Corporation sowie der britischen Bank Standard Chartered. Rivian beschäftigt rund 700 Mitarbeiter, die Hälfte davon in seinem Entwicklungszentrum in den USA und in Großbritannien.

Neue Exzellenz?

In den nächsten zwei Jahren sollen weitere hinzukommen, wenn das Unternehmen die Produktion in seinem Werk in Illinois (einem ehemaligen Mitsubishi-Werk, das Rivian 2017 für 16 Millionen US-$ kaufte) aufnimmt. Technisch gesehen sind die Rivian-Modelle R1T und R1S einander sehr ähnlich. Sie basieren auf dem gleichen Fahrwerk im „Skateboard“-Stil (das heißt, dass alle mechanischen Komponenten – Batterie, Antriebsstrang, Aufhängung – darin enthalten sind). Das Unternehmen verspricht zudem hervorragende Performance, einschließlich einer Reichweite von fast 650 Kilometern – 120 Kilometer mehr als jedes andere aktuell verfügbare oder geplante Elektroauto. Und die Autos haben angeblich ein exzellentes Handling und erreichen die Beschleunigung von Sportwagen. Beide schaffen es in drei Sekunden von null auf 100 km/h. Doch vor allem verspricht Rivian Offroad-Fähigkeiten. Wer auf den Dünen eines Strandes oder auf einem felsigen Hügel fahren will, wird dazu nämlich wohl kaum einen Tesla wollen.

Foto: Der SUV R1S von Rivian

Direkt am Kunden

Der Basispreis des ­Pick-ups beträgt rund 68.000 US-$, jener des SUVs 72.500 US-$. Obwohl Rivian keine Informationen zur Höhe der Vorbestellungen preisgibt, erwartet das Unternehmen, 2021 ambitionierte 20.000 Fahrzeuge (Lkw und SUV) verkaufen zu können. Im Jahr 2022 sollen es 40.000 sein, was einem Umsatz von 1,4 Milliarden US-$ (2021) bzw. 2,8 Milliarden US-$ (2024) entspricht. Zum Vergleich: Tesla verkaufte in seinem ersten vollen Jahr 22.000 Einheiten des Modells S und – bei dessen Premiere – rund 25.000 Einheiten des Model X.

Sobald die Herstellung nächstes Jahr beginnt, plant das Unternehmen, wie Tesla direkt an Kunden zu verkaufen. Dazu sollen strategische „Showrooms“ in den USA platziert werden, um den Namen Rivian zu den passenden Kunden zu bringen. Um mehr Optionen zu bieten, ist auch ein Fünfsitzer in Arbeit, sowie weitere „Abenteuermodelle“, die laut Scaringe bald folgen sollen. Doch er will nicht zu viel versprechen: „Ich neige dazu, gegenüber externen Personen zurückhaltend zu sein. Ich möchte die Ergebnisse für sich selbst sprechen lassen.“

Potenziell lukrativer könnte der Verkauf der Rivian-Technologie an andere Automobilhersteller und Technologieunternehmen werden. „Wir können unsere ‚Skateboard‘-­Technologie vollumfänglich ein­setzen oder Teile davon weiterverkaufen, wie etwa das Battery Pack“, sagt Scaringe. Obwohl bisher keine Partnerschaften angekündigt wurden, befindet sich Rivian in Gesprächen mit einem bekannten Unternehmen, das jedoch kein Automobilhersteller ist. Doch auch solche Kooperationen könnten in Zukunft eingegangen werden. Zudem erwartet Rivian, im ersten Quartal 2019 weitere Finanzie­rungsinvestitionen zu erhalten.

Just getting started

„R. J. hat ein Unternehmen aufgebaut, das sich extrem günstig und schnell neu positionieren kann“, sagt John Shook, Vorstandsmitglied von Rivian und ehemaliger Produktionsleiter von Toyota in den USA und Japan. Jetzt, da seine lebenslange Mission – einen Automobilhersteller zu gründen – Realität geworden ist, will Scaringe dem Unternehmen als CEO die richtige Strategie und Kultur verpassen: Arbeit ohne Silos und Bürokratie. Doch am Ende des Tages tüftelt Scaringe noch immer am liebsten im Labor: „Ich genieße es wirklich, an unserer Architektur zu arbeiten und unsere ‚Skateboard‘-Plattform zu verfeinern.“ R. J. Scaringes Fahrt hat offensichtlich gerade erst begonnen.

Text: Chuck Tannert / Forbes US
Fotos: Ethan Pines / Forbes US

Dieser Artikel ist in unserer März-Ausgabe 2019 „KI“ erschienen.

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