DER GEHEIME GELDSPEICHER

Fast 15 Milliarden Deutsche Mark lagerten einst im Bundesbank-Bunker im deutschen Cochem. Jahrzehntelang das geheime Versteck für eine Notstandswährung, wurde der Bunker 2014 neu übernommen und wird mittlerweile als Museum geführt. Neo-Besitzerin Petra Reuter bezeichnet den Bunker als „großes Abenteuer“.

Es scheint, als würde jemand in diesem ­seltsamen Jahr die Zeit anhalten. Für einige ist dies eine Premiere: das Gefühl, stillzustehen. Wer ­einen Platz fürs Atemholen sucht, wird im Örtchen ­Cochem an der Mosel fündig; genauer ­gesagt im Stadtteil Cond, Am Wald 35. Dort verbarg sich ein von 1964 bis 1989 genutzter massiver ­Bunker der Deutschen Bundesbank. In Hochzeiten lagerten hier fast 15 Milliarden Deutsche Mark (DM) der Notstandswährung „BBk II“. Klandestin – und nur für den Ernstfall nach einer Hyperinflation oder um einen Atomkrieg zu überstehen bestimmt. Als man das Stahlbetonkonstrukt aufgab, weil sich die Welt, die Geldmenge der Bundesrepublik und die Drucktechnologie verändert hatten, ging der Koloss im Erdreich durch wechselnde Hände – und fiel dann an ein Ehepaar, Petra und Manfred Reuter. Sie kauften das 9.000 Qua­dratmeter ­große ­Areal 2014 und öffneten zwei Jahre später die Tore für geschichtsbegeisterte Bürger. Fragt man ­Petra Reuter nach den Vorzügen ihrer ungewöhnlichen ­Akquise, denkt sie kurz nach: „So ein Bunker ist ein großes Abenteuer.“ Die 59-Jährige herrscht nun über ein Juwel, von dem in der alten Bundesrepu­blik kaum jemand etwas ahnte. Reuter ist energie­geladen, modisch-leger gekleidet und lebt den Typ der Macherin – eine Frau, die sich, wenn es um ­Herausforderungen geht, mit ihrem Mann jenen gerne stellt und die auch Unbill, wie sie bei einem alten Gemäuer auftritt, nicht aufhält.

Wer das unbekannte Reich betreten will, kann dies über eine breite Treppe tun. So erreichen offizielle Besuchergruppen den Untertagebau. Oder man verlässt sich auf die Erfahrung der Gastgeberin und folgt ihr durch einen geheimen Verbindungsgang. Der versteckt sich hinter einer schlichten Tür und endet nach wenigen Metern vor einer schweren Metalltür. Ist die aufgedrückt, scheint einem Neonlicht ins Gesicht und man steht auf einem weiteren, diesmal langen Gang. ­Glaubte man eben noch, bereits den Geruch des Geldes im ehemaligen Milliardenreich zu erschnuppern, mischt sich jetzt leicht die Duftnote „Eau de Diesel“ unter. Die stammt von den alten Original­maschinen. Die gewölbten Wände strahlen frisch in Gelb – und der Boden ist grau angepinselt. Nicht nur die neue Farbe war nötig, weil der Bunker von 2008 bis zum Kauf 2014 immer mehr verkam. „Das Wasser stand hier einen Zentimeter hoch“, erinnert sich Reuter. „Alles war verschimmelt und die Elektronik arg verrostet.“ Kummer bereitet ­heute nur noch die Feuchtigkeit, die sich seit zwei Jahren an ein paar Stellen, stets im März, ihren Weg durch feine Risse bahnt. Im Frühjahr 2020 versiegelte eine Spezialfirma alles – „in fünf Monaten wissen wir, ob es funktioniert hat“, so Reuter. An den Wänden ziehen sich Versorgungsleitungen durch den Untertagebau. Sie dienen der Lüftung und dem Transport von Trinkwasser. Dann gibt es da noch Resopal­tische, die als Büromöbel herhalten – und strahlen­sichere Schutzanzüge an Kleider­stangen.

Die Idee, sich einen ehemaligen Bargeldbunker zu kaufen, kommt der Familie früh. Manfred Reuter hat die Vision, aus dieser einmaligen Tresoranlage eine Dokumentationsstätte zu erschaffen. So spricht man bereits 2009 mit dem Landrat, Bürgermeistern und Vertretern der Genehmigungsbehörden. Doch der Kauf scheitert, man kann sich nicht mit dem Verkäufer einigen. 2014 meldet der sich dann überraschend erneut – mit der nun dringlichen Frage: „Haben Sie noch Interesse?“ Petra Reuter überlegt, ob sie spontan absagt – denn inzwischen hat das Bauwerk sehr unter dem eindringenden Wasser gelitten. Doch ein „Njet“ gäbe wohl Ärger mit dem Ehemann. Der Zuschlag gelingt. Zur Anlage gehören neben dem Tresorbereich zwei ehemalige Tarnhäuser und ein kleines Schwimmbecken, die heute als „Hotel Vintage“ Gäste begrüßen. Alles in allem ist es ein Terrain von 9.000 Quadratmetern, zum Teil mit alten Bäumen bewachsen.

Der Bau unter der Erde ist 1.500 Quadrat­meter groß und hätte im Fall des Falles bis zu 100 Anwohnern Platz geboten. Weshalb das? Den Nachbarn der Baustelle wurde das Projekt 1962 als Luftschutzbunker für den Fall eines Atomschlags verkauft. Würden sie den Lärm und den Lkw-Verkehr dulden, so wäre ihnen ein Plätzchen in den gut gesicherten Schutzräumen sicher. Gesammelt wurden diese Fakten von der Kunst­historikerin Antonia Mentel in ihrem Buch „Bundesbank Bunker Cochem. Deutschlands geheimes Milliardenreich im Kalten Krieg“. Beispiel: Gebaut wurde das Monstrum „von sechs Uhr morgens bis 22 Uhr abends“. In einem 1962 erschienenen Artikel aus der Rhein-Zeitung heißt es über den zweiten Zweck der Anlage: „Die Zuständigen der Bundesbank wollen hier in Cochem Schulungen ­anbieten.“ Und „gerne könnten sich die Angestellten auch im Erholungsheim für Bundesbankbedienstete erholen“.

Niemandem erscheint es damals seltsam, dass die anderen drei Erholungsheime an der ­Nordsee, im Schwarzwald und in ­Alpennähe ­stehen. Nun also Cochem an der Mosel – mitten im Wohn­gebiet. Und so erholen sich hier über die ­Jahre Hunderte Banker, und keiner von ihnen ahnt, neben welchem Staatsgeheimnis er das tut. Drei Angestellte passen auf und sehen in all den Jahren nach dem Rechten. Keiner von ihnen besitzt den Schlüssel zum Tresor – der liegt bei den so titulierten Schlüsselführern der Bundesbank, die ab und zu Stippvisiten machen. So kann kein ­Unbefugter an das Geld, auch wenn dieses gar nicht für den Umlauf geplant ist. Selbst an den ­Einsatz massiver Gewalt während eines möglichen Einbruchs denken die Architekten. Deshalb werden an den Wänden Sensoren verbaut, die jede Erschütterung ­sofort der lokalen Polizei melden. Doch so einen Versuch hat nie jemand unternommen – auch, weil das Geheimnis sehr gut gewahrt blieb. Der Bunker ist weltweit wohl ein Unikat. Die tatsächlichen Kosten für den Bau sind unbekannt, Schätzungen gehen von bis zu zehn Millionen DM aus. Die Summe wurde geschickt in Sonderhaushalten versteckt. „Ich glaube, dies ist neben der Reichsburg das teuerste Museum, das in der Geschichte Cochems je gebaut wurde“, scherzt Reuter. Und die Existenz des Areals blieb bis weit in die Nullerjahre hinein fast unbekannt. Nur ein paar Bürger wussten von der streng geheimen unterirdischen Festung. Selbst der emsigen Staats­sicherheit der DDR blieb der Bunkertrick mit den beiden Tarnhäusern als offizielles Schulungs- und Erholungsheim der Deutschen Bundesbank und den im Berg verwahrten Tonnen von „BBk II“ bis zum Ende des Regimes unbekannt. So gab es für die Anlage zwei Optionen: alles dem Verfall preiszugeben oder ein Museum mit einer Gedenkstätte daraus zu machen und dabei die Atmosphäre möglichst exakt zu bewahren. Doch weshalb kamen Bundesbanker auf die Idee mit „BBk II“? ­Sicher hatten die damals Verantwortlichen noch die „Operation Bernhard“ im Kopf. Dahinter verbarg sich während des Zweiten Weltkriegs ein geheimer deutscher Plan, um die britische Wirtschaft zu ­destabilisieren. Dazu überschwemmten die Nazis das Geldsystem der Insel mit sehr gut gefälschten Banknoten der Bank of England. Hergestellt wurden diese in einem deutschen Konzentrationslager von Häftlingen. Was also tun, wenn sich ­Invasoren in Zeiten des Kalten Kriegs derselben ­Methode in Westdeutschland bedienen würden? Hier sollte die Ersatzwährung ins Spiel kommen.

Das Wasser stand hier einen Zentimeter hoch. Alles war verschimmelt, die Elektronik arg verrostet.

Zurück in den Bunker. Wer endlich ins ­Allerheiligste vordringt, steht staunend vor ­deckenhohen, beigen Gittern, während der Blick auf einige Kartons dahinter fällt. Ehemals 1.000 übereinandergestapelte Kartons standen hier über Jahrzehnte. Doch heute sind es nur noch Kopien, die dort ruhen. Denn die legendäre Notstandswährung, die Bankiers und Bundeskanzler ruhig schlafen ließ, existiert schon lange nicht mehr. Alle Scheine wurden von Dezember 1988 bis Jänner 1989 unter höchster Geheimhaltung abgeholt und geschreddert. Alle Scheine? Fast, denn ein paar der seltenen Stücke gelangten auf Umwegen in die Freiheit und werden heute im Darknet für Unsummen gehandelt, wie Petra Reuter sagt. Weiters sagt sie: „Der Bunker ist eine Lebensaufgabe, der wir uns gerne stellen, weil es so viele Gestaltungs­möglichkeiten gibt.“ Eine erstaunliche Aussage, denn hauptberuflich führt das Ehepaar ein Omnibus­unternehmen nebst Kfz-Meisterwerkstatt. Doch der Traum der Eltern scheint ansteckend zu sein und begeistert mittlerweile auch die beiden Söhne, die heute am Projekt mitarbeiten. Zum Abschluss des Rundgangs zeigt Petra Reuter dem Besucher noch das alte Schwimmbad und nimmt dafür behände die Treppenstufen bis hinauf zu einem Plateau. In Nierenform liegt dort der leere Pool in der Herbstsonne. „Den wollten wir eigentlich sanieren, doch das hätte uns einen sechsstelligen Betrag gekostet“, sagt sie. Was nun damit passiert? Unklar. Dann geht Reuter zu einem ­alten Pavillon, der direkt danebensteht. „Der ist völlig marode und muss leider weichen“, sagt die 59-Jährige. Vielleicht steht dieses Bauwerk als Sinnbild dafür, was der Anlage geblüht hätte, ­wären da nicht zwei Wagemutige auf dem Tapet erschienen, die das enorme Potenzial des alten Bunkers erkannten …

Text: Matthias Lauerer
Fotos: SchreiberPötter

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 11/12–20 zum Thema „Security“.

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