Der JetSetter

Steve Varsano verkauft Privatflugzeuge und betreibt dafür die weltweit erste Jet-Boutique in der noblen Park Lane in London. Jetzt will der Sohn einer Wienerin weitere Geschäfte in Miami und Dubai eröffnen. Die Branche des Flugzeugmaklers zeigt sich überraschend krisensicher – und seine schwerreichen Kunden sieht der Amerikaner als die wahren Klimaschützer.

Mitten im Herzen von Mayfair, dem Londoner Nobelviertel, ist gerade ein Privatjet gelandet. Er steht direkt auf dem Gehsteig der Park Lane, gegenüber dem Hyde Park und gleich neben dem Steakhaus „Cut“ des österreichischen Starkochs Wolfgang Puck. Zumindest ist es der Nachbau der Kabine eines Privatflugzeugs, inklusive aller luxuriösen Details: cremefarbene Ledersessel, edle Sofas, eine Minibar mit Champagner.

Willkommen im ersten und bislang einzigen Showroom für Privatjets, willkommen in der Welt von Steve Varsano. Der Amerikaner ist Privatflugzeugmakler und empfängt seit 2012 in der Boutique seiner Firma „The Jet Business“ seine finanziell potente Kundschaft. Der 66-Jährige ist eine schillernde Persönlichkeit, auch weil er stets aussieht, als bewerbe er sich um eine Hauptrolle in einer Neuauflage von „Der Pate“ oder „Wall Street“: Edler Anzug, funkelndes Lächeln, stechende Augen, eine säuselnde Bassstimme – Varsano könnte der Bruder von Al Pacino sein. Vor allem kann man sich aber keinen besseren Botschafter für die Extravaganz der privaten Fliegerei vorstellen.

Varsano begeistert seine ­Kund­schaft nicht nur mit einer Jet-­Attrappe – er kann seinen Kunden auf einem raumfüllenden Bildschirm mittels selbst ent­wickelter App auch zeigen, welcher Privatjet am besten zu ihnen passt und was man für ein durchschnitt­liches Budget von drei Mio. US-$ bekommt. Er erklärt dann, warum eine Cessna Citation und eine Pilatus PC-12 im Unterhalt als günstig gelten oder warum die Dassault Falcon 900EX (der Lieblingsjet von Formel-1-Welt­meister Max Verstappen) dank ihrer hohen Reichweite vielleicht doch besser zum Lifestyle passt, gerade wenn man zwischen London und Mumbai pendelt und am Wochen­ende in der Karibik entspannt. Oder er erläutert, warum Elon Musk, Oprah Winfrey und Warren Buffett eher auf eine Gulf­stream G650 schwören – vielleicht ja vor allem deshalb, weil sie sich 80 Mio. US-$ für ein Flugzeug locker leisten können.

„Unsere Industrie hat in den vergangenen Jahren einen unglaub­lichen Anstieg erlebt“, sagt Varsano. Er selbst stieg kurz nach der Finanzkrise 2008 in das Geschäft ein, 2012 eröffnete er seinen Showroom. Es war ein riskanter Zeitpunkt, ein Luxusprodukt zu ver­kaufen, das eigentlich niemand wirklich braucht – und das auch als Anlage nicht taugt, weil sein Wert, wie bei Fahrzeugen, rasch sinkt. „Auch damals war dauernd vom Ende der Welt die Rede, ein wenig wie heute“, sagt Varsano und zeigt ein leicht spöttisches, porzellan­weißes Grinsen. Damals gab es weltweit 13.000 Privatjets, heute sind es 22.000. Seine Branche sei um rund 70 % gewachsen – die Krise war also eher ein Anfang.

In den kommenden sechs Jahren soll der Markt für Geschäftsflugzeuge von 26 Mrd. US-$ im Jahr auf rund 39 Mrd. US-$ wachsen. Die nordameri­kanischen Jet-Hersteller Gulfstream (USA) und Bombardier (Kanada) dominieren, aber auch europäische Tradi­tionsunternehmen wie Dassault (Frankreich), Piaggio (Italien) und Pilatus (Schweiz) mischen mit.

Während der Covid-Pandemie gönnten sich viele erstmals das Reisen im Privatjet; das brachte Varsano neue Kunden, auch weil kommerzielle Airlines ihr Angebot stark reduzierten. Nach der Öffnung flachte die Nachfrage zeitweise ab, steigt nun aber wieder, da sich China von seiner Zero-Covid-Strate­gie verabschiedet und auch reiche Chinesen wieder unterwegs sind.

Varsano hat nur neun Mitar­beiter, sie sitzen an Schreibtischen, die einem Cockpit nachempfunden sind. Wie viele Jets er im Jahr ver­kauft, will er nicht sagen; in seiner bisherigen Karriere waren es eigenen Angaben zufolge mehr als 500. Die Transaktionen hatten einen Wert von insgesamt fünf Mrd. US-$.

Es gibt viele Jet-Makler, manche versuchen, mit Dumping­angeboten Deals zu torpedieren – die Konkurrenz ist hart. Varsano ist lange im Business, er kann seine Preise durchsetzen. Etwa 500.000 Menschen weltweit haben ein Vermögen von mehr als 30 Mio. US-$ und können sich einen Jet für sechs Mio. US-$ leisten, dazu die Unter­haltungskosten von mindestens einer Mio. US-$ pro Jahr. Allerdings, sagt Varsano, gehören die Flugzeuge meistens der Firma, sie sind Teil der Wertschöpfung und kein Spielzeug.

Selten ist die Kommission für einen Makler höher als eine Mio. US-$ – selbst wenn der Jet 70 Mio. US-$ kostet. Varsanos Team sucht nach Maschinen, die aufgerüstet oder renoviert werden und neue Besitzer suchen. Manchmal arbeitet das Team monatelang an einem Deal, und manchmal kann es passieren, dass dieser im letzten Moment platzt.

Rund 20 andere Händler sieht Varsano als ernsthafte Konkurrenz, alle handeln vor allem digital. Nur Varsano begrüßt die Kundschaft in der eigenen Boutique – einerseits, weil er Kunden die Hand schütteln will, andererseits, weil er ein Büro will, in dem er gerne jeden Tag zehn Stunden verbringt und das angenehm und luxuriös ist; wie ein Privatjet eben. Ein Industrie-Insider sagte einmal: „Steve reist auf eine Hochzeit in Indien, und wenn er zu­rückkommt, hat er acht Jets verkauft.“ Auch deshalb soll kein Mensch mehr Milliardäre per­sönlich kennen als der Gründer von „The Private Jet“.

Zwar gilt Varsanos Geschäft als krisensicher, doch das gesellschaft­liche Klima ist zunehmend feindlich: Von Flugscham ist die Rede, für Klimaaktivisten sind Privatjets Hassobjekte, Symbole einer an­geblich ignoranten Elite, die sich metaphorisch und physisch über den globalen Klimanotstand hinwegsetzt. Im Februar blockierte die Klimaschutzbewegung Extinction Rebel­lion Privatjet­-Terminals, beschimpfte Reisende als „Klimakriminelle“.

Varsano bringt dieses Thema in Wallung. „Statt von Flugscham zu reden, sollten sich diese Leute selbst schämen“, schimpft er; sein Blick ist nun fast stechend. Auch vor seinem Showroom wurde schon protestiert. Dass Privatjets nur 0,04 % der globalen CO2-Emissionen verur­sachen, hält er nicht mal für sein bestes Argument: Gerade Privatjetreisende kaufen CO2-Gutschriften und sorgen mehr als alle anderen Reisenden für Klimakompensation, so Varsano.

Der Grund ist simpel: Gerade Konzerne und Unternehmen nutzen Corporate Jets – und diese achten zunehmend penibel auf eine klimafreundliche Geschäftspraxis und die Umsetzung von ESG-Richtlinien. Außerdem: „Warum CEOs, erfolg­reiche Unternehmer und andere Privatjetnutzer anfeinden?“, fragt Varsano rhetorisch. Gerade diese Menschen sorgten doch dafür, dass neue Geschäfte, Jobs und mehr Wohlstand entstehen. Das sagt er schon lange und immer wieder. Auf einer Messe verteilte er sogar einmal T-Shirts an potenzielle Kunden mit der Aufschrift: „Hör auf, dich für deinen Erfolg zu entschuldigen. Kauf dir einen Jet.“ Hört man Varsano zu, muss man glauben: Sollte es einen Heiland geben, der die Menschheit von allem Bösen erlöst – er würde dafür im Privatjet anreisen.

Jedenfalls sei seine Industrie „ganz vorne mit dabei“, wenn es um die Reduktion von Emissionen gehe, sagt der Jet-Makler. Dazu kommen neue Technologien. Varsano, der weitgehend vegetarisch isst, zählt auf: Hybridjets, elektrische Flug­taxis, autonome Helikopter, neue Jet­antriebe mit Wasserstoff und der schon jetzt eingesetzte schadstoff­arme Flugzeugtreibstoff – diese Innovationen sollen seine Branche komplett umkrempeln. Man solle nicht zu linear denken, der techno­logische Fortschritt komme sprunghaft. „Wir stehen am Beginn einer neuen Ära – auch in der privaten Luftfahrt“, so der Jet-Makler.

Varsano stammt aus ein­fachen Verhältnissen, er wuchs in New Jersey auf. Seine in Wien geborene Mutter war Jüdin und flüchtete im Alter von zehn Jahren vor dem Nazi-Terror ins heutige Israel und anschließend nach New York. Sie schlug sich als Alleinerziehende durch; Varsanos Vater hatte die Familie verlassen, als sein Sohn fünf Jahre alt war. Die Mutter
hatte immer mindestens zwei Jobs, kellnerte und schuftete in einem Friseursalon, wo der kleine Steve für eine Handvoll Pennys den Boden wischte. Als er 14 Jahre alt war, nahm ihn der Bruder eines Freundes in einer viersitzigen Cessna zu einem Rundflug mit – sofort war bei Varsano die Leidenschaft für das Fliegen geweckt. Er arbeitete einen Monat als Tellerwäscher, um sich eine Stunde Flugunterricht leisten zu können. Mit 17 machte er seinen Pilotenschein, später besuchte er die Embry-Riddle-Flugakademie, das „Harvard des Himmels“. Varsano kam erstmals mit Schwerreichen in Kontakt und begann, zu überlegen: Vielleicht macht es noch mehr Freude, hinten im Privatjet zu sitzen als im Cockpit? Er jobbte als Tür­steher in einem Nachtclub, lernte dabei einen Flugzeugbroker kennen und heuerte bei ihm auf Kom­mis­sions­basis an. Nach acht Monaten machte er seinen ersten Deal, mit einem Venezolaner, und überführte eine Westwind II nach Miami. Erstmals flog er privat, es war „wie eine Droge“, sagt er – allerdings zückte ein Geschäfts­partner des Käufers beim Lande­anflug eine Pistole und versuchte, den Jet und Varsano nach Caracas zu entführen – was glücklicherweise jedoch misslang. Doch das konnte den Flugzeug­liebhaber Varsano nicht ab­schrecken. Als er Jahre später The Jet Business gründete, wurde sein Traum war.

Zeitweise war er auch Top­manager in verschiedenen US-Unter­nehmen, darunter Yum Restaurants International, Eigen­tümerin der Fast-Food-Ketten Ken­tucky Fried Chicken, Pizza Hut und Taco Bell. Als sich der Eiserne Vorhang öffnete, witterte Varsano im Osten das große Geschäft und schloss Franchisedeals in ­Budapest, Kiew und Moskau ab.

Oft saß er damals jungen Oligarchen gegenüber – viele hatten das Modell ihres Privatjets auf dem Schreibtisch stehen wie eine Trophäe. Varsano kam ins Grübeln: Eigentlich brannte er doch für Flug­zeuge und Luftfahrt, nicht für Pizza und Burger. Im Herzen war er ein Aviator, kein Taco-Verkäufer. Die Superreichen staunten über Varsanos Fachwissen – und der Flugzeug­liebhaber witterte ein Geschäft: 85 % der Privatjets waren in den USA unterwegs, doch das würde sich mit der Öffnung des Ostens nun ändern; ideal, um ein Business aufzubauen.

Warum es Varsano eigentlich nach London verschlagen hat? „Ich traf eine Frau“, sagt er und grinst. Er geht mit seiner Lebensgefährtin an fünf Tagen in der Woche aus, am liebsten ins Annabel’s, den Privatclub am Berkeley Square, oder in den Nobel-Italiener Bacchanalia. Erstmals will Varsano sein Boutique­konzept nun exportieren und Showrooms in Miami und Dubai eröffnen. Auch dort wird er Kunden in einer nachgebauten Privatjet­kabine begrüßen. Er selbst hat übrigens kein Privatflugzeug, er chartert lieber.

Luxus ist für den Mann, der vom Tellerwäscher zum Flugzeugmakler der Milliardäre wurde, immer noch ein Geschenk, keine Notwendigkeit. Seine Wurzeln hat Varsano übrigens nie vergessen: Als er neu­lich einen Urlaub buchte, überlegte er lange, wie er reisen sollte – am Ende flog er mit Easyjet.

Fotos: Rama Knight

Up to Date

Mit dem FORBES-NEWSLETTER bekommen sie regelmässig die spannendsten Artikel sowie Eventankündigungen direkt in Ihr E-mail-Postfach geliefert.