Der Leader aus den Lowlands

Nach 35 Jahren übergibt VTU-Mitgründer Friedrich Fröschl das Steuer an Liam O’Neil. Der Schotte soll das Engineering-Unternehmen mit 1.100 Mitarbeitern durch schwierige Zeiten navigieren.

Als Friedrich Fröschl die VTU-­Gruppe in den 90er-Jahren mitgründete, ­rechnete er wohl nicht damit, dass aus dem kleinen Unternehmen einmal ein internationaler Technologiekonzern mit über 1.100 Mitarbeitern werden würde. Damals war VTU –
die Abkürzung steht für Verfahren-­Technologie-Umwelt – nicht mehr als eine Idee, geboren aus der Expertise eines jungen Ingenieurs, erinnert sich Rudi Wierer, der 2001 als Mitarbeiter Nummer 38 dazustieß. „Wir waren im Grunde ein Familienunternehmen. Es war ein kleines Unternehmen mit ungefähr 30 Ingenieuren, die an unterschiedlichen Projektstandorten gearbeitet haben“, schildert er.

Heute, 35 Jahre nach der ­Gründung, plant und baut VTU Prozess­anlagen für Industrie-Riesen wie Novartis, Evonik und ­Boehringer Ingelheim. Mit 32 Standorten in ­sieben europäischen Ländern und einem Nettoumsatz von fast 180 Mio. € (2023) ist aus dem Grazer Unternehmen ein ernst zu­ nehmender Spieler im Engineering-Geschäft ­geworden. Fröschl möchte sich jetzt langsam zurückziehen; er wechselt in den Aufsichtsrat und übergibt nach 35 Jahren die Führung an einen Außenseiter: den Schotten Liam O’Neil.

Kann ein externer ­Manager, der wenig Deutsch spricht und das Unter­nehmen erst seit ­einigen ­Monaten kennt, die DNA dieses ­österreichischen Technologie­konzerns ­bewahren und ihn gleich­zeitig fit für die Zukunft ­machen?
Und wer ist ­dieser Mann, dem Fröschl sein Lebens­werk an­vertraut?

Liam O’Neil ist in Glasgow, Schottland, geboren. Als er erst acht ­Monate alt war, wanderte seine ­Familie aber nach Kanada aus. „Ich bin sehr dankbar für diese Er­fahrungen“, sagt er in einem ­schottischen Akzent, den er trotz seiner frühen Jahre in Kanada hat; „ich wollte meinen Kindern ähnliche Erfahrungen ermöglichen.“ Diese Offenheit für Neues zieht sich wie ein roter Faden durch O’Neils Karriere. Sie ist auch ein Grund, warum er kürzlich nach Wien gezogen ist, um das Steuer bei VTU zu übernehmen.

O’Neil begann seine Karriere bei BP in Schottland als Elektriker und Messtechniker und setzte seine Laufbahn als Ingenieur beim Biodiesel­hersteller Argent Energy fort. Die Anlage, in der er dort arbeitete, wurde von einem anderen Grazer Unter­nehmen gebaut; von BDI, das seinen Hauptstandort heute direkt neben der VTU-Zentrale in Grambach bei Graz hat.

In den Folgejahren ging O’Neil „offshore“ und arbeitete auf Ölplattformen in der Nordsee. „Das war eine großartige Gelegenheit zu lernen. Wenn etwas schiefging, waren alle gemeinsam dran“, erzählt er.

2011 wechselte er zu Amec ­Foster Wheeler, einem ehemaligen britischen Bau- und Anlagenbau-Unternehmen. Seine Hands-on-­Mentalität brachte ihm schnell Anerkennung: Mit Mitte zwanzig ­managte er bereits Teams von 70 bis 80 Personen bei Projekten im Wert von bis zu 70 Mio. Pfund, so der Schotte.

Es geht darum, jenen, die uns kennen, und jenen, die uns nicht kennen, zu zeigen: Was macht uns einzigartig?

Liam O’Neil

2015 suchte Amec Foster ­Wheeler einen Projektleiter für ein großes FPSO-Projekt in Südkorea. FPSO steht für Floating Production Storage and Offloading; gemeint sind Schiffe, die zur Förderung, Lagerung und Verladung von Erdöl und Erdgas eingesetzt werden. „Ich wusste, dass sie bereits mehrere Kandidaten interviewt hatten, die alle älter und höherrangig waren als ich, und ich habe nicht erwartet, den Job zu bekommen“, erinnert sich O’Neil. Trotzdem bereitete er sich akribisch vor und präsentierte eine durch­dachte ­Strategie. Kurz nach dem Interview, erzählt er, klingelte sein Telefon: Er hatte den Job. Das Projekt mit Teams von bis zu 300 Personen war so erfolgreich, dass seine Vorgesetzten von den Kunden gefragt wurden: „­Warum können nicht alle eure Projekte so laufen?“

Es folgte eine Rolle als COO bei PD&MS, einem Anbieter von Projektmanagement- und Testdienst­leistungen für den Energiesektor, und die Funktion des Global President bei Wood, einer britischen Unter­nehmensgruppe im Bereich der Erschließung und Ausbeutung von Erdöl- und Gasvorkommen, die 2017 Amec Foster Wheeler übernommen hatte.

Als ein Headhunter O’Neil 2024 wegen „eines Angebots bei einem österreichischen Unternehmen“ anrief, war dieser skeptisch: „Ich wusste nicht viel über das Unternehmen und ich war mit meiner Rolle bei Wood glücklich, daher wollte ich zuerst zu etwa 10 % zusagen“, gibt er zu. Doch je mehr er über das Unternehmen, seine Kultur, seine Geschichte und die Besonderheit dieses Angebots erfuhr, desto mehr reizte ihn die Aufgabe. „Ich konnte sehen, dass die Herausforderungen und Möglichkeiten ähnlich waren wie die der anderen Unternehmen, bei denen ich arbeitete. Und ich hatte das Gefühl, dass ich weiß, wie man sie löst.“ Im März 2025 zog er mit seiner Familie – mit seiner in Deutschland geborenen Frau hat er zwei Kinder – nach Wien.

Der Gedanke, in eine ­Rolle zu schlüpfen, in der er mehr Gestal­tungs­spielraum hat, reizte ihn. „In wirklich großen Firmen ist es schwierig, Veränderungen durchzudrücken“, so der Schotte. Der Posten als CEO gebe ihm mehr Freiraum, als Unternehmer tätig zu werden, und nicht „nur“ als Manager eines ­globalen Konzerns.

Es warten schon jetzt Herausforderungen auf ihn. „Veränderungen können immer Widerstände aus­lösen“, warnt Rudi Wierer, der als COO der Gruppe und Geschäfts­führer der italienischen VTU-Tochter eng mit O’Neil zusammenarbeitet. „Wir dürfen nicht vergessen, dass VTU zu 80 % ein deutschsprachiges Unternehmen ist, und Liam kommt als Englisch sprechender Schotte.“ Dazu kommen unterschiedliche Führungsstile und kulturelle Anpassungen. VTU wurde bis jetzt immer von den Gründern geführt. Und in der österreichischen Wirtschaftslandschaft zählt VTU wohl nicht mehr als kleines Unternehmen – in O’Neils Augen gibt es zumindest in Europa aber noch Raum für Wachstum.

Doch sowohl er als auch Wierer sehen mehr Chancen als Risiken. „Man wächst, indem man die Komfort­zone verlässt“, ist Wierer überzeugt. O’Neil selbst geht die Sprachbarriere pragmatisch an: „Mein Deutsch verbessert sich jeden Tag.“ Mit einem leichten Grinsen fügt er hinzu: „Meine Frau fordert das auch ein.“ Am Kaffeeautomaten versuche er, mit seinen neuen Kollegen auf Deutsch zu plaudern. Dennoch soll Englisch zur primären Geschäfts­sprache im Unternehmen werden; auch, weil O’Neil die Internationalisierung von VTU in den kommenden Jahren weiter vorantreiben möchte.

Die strategischen Prioritäten sind klar definiert: O’Neil will die Stärke der VTU-Gruppe – in seinen Augen die Kundennähe – weiter ausbauen. „Unsere Konkurrenten haben vielleicht ein zentrales Büro für ganz Europa. Wir sind kleiner, aber haben Niederlassungen in unmittelbarer Nähe unserer Kunden“, so der CEO. Diese Boutique-Strategie soll VTU helfen, in einem schwierigen Markt zu bestehen. Ein neues Key-Account-­Management-System wurde bereits eingeführt und die Vertriebs­strukturen sollen professionalisiert werden.

Rudi Wierer

Die Neuausrichtung des Vertriebs ist dabei für O’Neil zentral. Für jeden der drei Kernbereiche – Biowissenschaften, chemische Industrie und nach­haltige Transformation – entwickelt VTU proaktive Go-to-Market-Strategien. „Es geht darum, jenen, die uns kennen, und jenen, die uns nicht kennen, zu zeigen: Wer ist VTU? Wa­rum soll ein Kunde mit VTU arbeiten? Was macht uns einzigartig?“, erklärt O’Neil. Dabei setzt er bewusst auf kleinere und mittelgroße Projekte statt auf große Milliarden-Euro-Investitionen.

Parallel dazu treibt VTU die ­digitale Transformation voran – und entwickelt für die interne Digitalisierung KI-Tools, die das Ingenieur­wesen revolutionieren könnten. „Standardarbeiten, die immer wieder die gleichen sind, wie etwa das Erstellen von Stromlaufplänen oder Rohrleitungsplanung – ich gehe davon aus, dass diese in Zukunft sehr stark durch KI unterstützt werden“, sagt Wierer.

Um wettbewerbsfähig zu bleiben, betreibt VTU bereits einen Nearshoring-Hub in Rumänien für mechanisches Engineering. Auch über Übernahmen von kleineren Mitbewerbern denke man nach, um den Wachstumsplan zu beschleunigen.

Die aktuelle Marktlage könnte VTU in die Karten spielen. „Zölle und erhöhte Unsicherheit werden die Kosten aller Produkte erhöhen“, analysiert O’Neil die Effekte von US-­Präsident Trumps Wirtschaftspolitik auf die Branche. Und weiter: „Unsere Kunden werden ihre Investitionspläne wahrscheinlich überdenken. Statt risikoreicher Großprojekte werden sie bestehende Anlagen optimieren wollen.“ Genau hier sieht er Chancen für die Gruppe: „Wir kennen die Anlagen unserer Kunden besser als die Konkurrenz. Wir können ihnen helfen, mehr aus dem herauszuholen, was sie haben“, sagt er.

O’Neil besucht zurzeit die verschiedenen VTU-Standorte, führt persönliche Gespräche, hört zu. „Das Feedback ist sehr positiv“, berichtet Wierer. „Die Mitarbeiter schätzen dieses persönliche Kennenlernen sehr.“ Von 32 Standorten wird O’Neil bis zum Ende seiner Rundreise etwa 20 besucht haben.

Die Zusammenarbeit funktio­niere bislang gut. „Während Liam frische Perspektiven von außen mitbringt, kenne ich die verwurzelten Werte und die Kultur von VTU“, so Wierer. „Gemeinsam ergänzen wir ­einander.“ Gründer Fröschl bleibt dem Unternehmen zudem als Berater im Super­visory Board erhalten.

Was treibt O’Neil persönlich an? „Ich möchte in drei, vier Jahren zurückblicken und sagen können: Ich bin in ein herausforderndes Umfeld gegangen und wir haben es als Team geschafft, das Unternehmen nicht nur zu erhalten, sondern ­auszubauen und zu stärken.“ Die DNA des Unternehmens – Expertise, Kundennähe, Teamgeist – soll auch unter der ­neuen Führung erhalten bleiben. „Dieser Wechsel wird uns nicht nur stärken“, ist Wierer überzeugt, „er wird sicherstellen, dass wir VTU auf einer soliden Grundlage in die ­Zukunft führen können.“

Liam O’Neil absolvierte ein Masterstudium in Projektmanagement an der Robert Gordon University, ein Postgraduate-Studium in Construction an der Glasgow Caledonian University und schloss einen MBA an der Warwick Business School ab. Der Schotte besuchte auch mehrere Executive-Programme an der Oxford Saïd Business School, darunter das Executive Leadership Program. Nach Stationen bei BP, Argent, Amec Foster Wheeler, PD&MS und Wood übernahm er im Mai 2025 die Position des CEO bei der VTU Group.

Erik Fleischmann,
Redakteur

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