Der Stoff, der die Bundeswehr schützt

Mehler Systems galt lange als „Hidden Champion“ im deutschen Mittelstand. Nun will CEO Mario Amschlinger mit dem Hersteller von schusssicheren Westen und anderer Schutzausrüstung expandieren – und mit neuen Innovationen Polizei, Bundeswehr und europäische Spezialkräfte auf die Konflikte der Zukunft vorbereiten.

Die GIGN (Groupe d’intervention de la Gendarmerie nationale) gilt als die meistbeschäftigte ­Spezialeinheit der französischen Gendarmerie – sie bekämpft Terroristen, Schwerstkriminelle und Drogenkartelle in Frankreich und in Übersee. Rund 100 Einsätze im Jahr absolvieren die Elitepolizisten. Dass sie dabei unverletzt bleiben, soll unter anderem auch mit Produkten eines deutschen Mittelständlers aus Fulda sichergestellt werden: Die Firma Mehler Systems rüstet die französischen Elite­polizisten seit vielen Jahren mit Schutzkleidung aus, von der Weste über den Helm bis zum Schutzschild. Und neuer­dings auch mit einer futuristisch wirkenden Hightech-Rüstung – einem Exoskelett.

Das „Exo M“-Exoskelett, wie der Ganzkörperschutz offiziell heißt, ist eine multinationale Innovation: Meh­ler Protection, Teil der Mehler-Systems-Gruppe, entwickelte die Ausrüstung in Zusammenarbeit mit dem kanadischen Unternehmen Mawashi Science & Technology und der GIGN. Bei der Finanzierung unterstützte Frankreichs Innovationsförderer Agence de l’innovation de défense (AID).

Die französischen Polizisten hatten dem ­Hersteller aus Deutschland berichtet, dass die Beamten bei Einsätzen gegen be­waffnete Gegner zunehmend an den Beinen verletzt würden – weil die Extremitäten kaum geschützt sind, im Gegensatz zu Kopf und Torso. Inspiriert von der Notwendigkeit, die Einsatzdauer, Überlebensfähigkeit und Mobilität zu verbessern, wurde das „Exo M“ konzipiert, indem es einen Schutz der Beine gegen Gewehrbeschuss bietet.

Auch bei dem Terroranschlag auf das Bataclan-­Theater 2015, als Islamisten in Paris 130 Menschen ermordeten, wurden Polizisten bei Schusswechseln vor allem an den Beinen getroffen. Diese Rückmeldung nahm Mehler Protection zum Anlass, eine nur 22 Kilogramm schwere Schutzausrüstung zu entwickeln, die den gesamten Körper – Unter- und Oberschenkel eingeschlossen – vor Beschuss aus Langwaffen wie etwa einer Kalaschnikow schützt. Es sind nicht Metallplatten, die Kugeln am effektivsten ab­fangen, sondern spezielle Fasergewebe, darunter das so­genannte Hochleistungspolyethylen, ein Gewebe­material, das härter ist als Stahl.

Das „Exo M“-Exoskelett könnte auch eine Requisite in Filmen wie „Robocop“ oder „Terminator“ sein. „Das ist kein Massenprodukt. Aber es zeigt, wie ernst wir es mit Innovation meinen“, sagt Mehler-Systems-CEO Mario Amschlinger. Auch symbolisiert das Exoskelett die Mission der Firma: mit europäischer Ingenieurskunst Polizei- und Sicherheitsbehörden auf die Konflikte der Zukunft vorzubereiten.

Deutschland will seine Verteidigungsausgaben bis 2029 auf 152,8 Mrd. € nahezu verdreifachen, die NATO hat ihr Ausgabenziel von zwei auf fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöht, die EU mobilisiert 800 Mrd. € für die Wiederaufrüstung; Deutschland ­allein investiert 100 Mrd. € aus dem Sondervermögen der Bundeswehr. Hinzu kommen steigende jährliche Verteidigungsetats – 2025 erstmals über 72 Mrd. €. Damit wird Deutschland zum Land mit den dritthöchsten Militärausgaben der Welt, nach den USA und China.

Für Betriebe wie die Mehler Group – aber auch andere deutsche Mittelständler – ergeben sich enorme Chancen, etwa in den Bereichen Cyberabwehr, Sensorik, Drohnentechnologie, gepanzerte Fahrzeuge oder Schutztextilien. Laut einer Studie des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI) könnten bis zu 30 % der zusätzlichen Rüstungsausgaben in Deutschland direkt oder indirekt an den Mittelstand fließen. Branchen wie Elektronik, Maschinenbau, Werkstofftechnik und technische Textilien sind besonders gefragt.

Europas Aufrüstung ist nicht nur ein sicherheitspolitisches Signal, sondern auch ein Milliardenmarkt. Jeder Euro, den die europäischen NATO-Staaten in Verteidigung investieren, entfaltet eine etwa doppelt so hohe wirtschaftliche Aktivität, hat das Beratungsunternehmen EY errechnet. „Die Verteidigungsinvestitionen der europäischen NATO-Länder fließen größtenteils an Unternehmen der europäischen Rüstungsindustrie und führen hier zu erheblichen Einkommens- und Wertschöpfungseffekten“, erklärt Jan Friedrich Kallmorgen, Senior Partner bei EY-Parthenon. „Diese Investitionen kommen nicht nur dem Rüstungssektor zugute – es profitieren auch die Metallindustrie, Dienstleister wie Transport- und Logistikunternehmen, der Metallhandel und Forschungsinstitute. Damit ist Verteidigungspolitik zugleich Industriepolitik – was für die gesellschaftliche Debatte sehr wichtig ist“, so der Experte.

Wir dienen jenen, die täglich ihr Leben riskieren, um unser Leben sicherer zu machen.

Mario Amschlinger

In geopolitisch riskanten Zeiten gelten Unternehmen wie Mehler Systems nicht nur als Profiteure, sondern auch als privatwirtschaftliche Stützpfeiler, die die Wehrfähigkeit Deutschlands und Europas in den kommenden Jahren rasch verbessern sollen. „Wir dienen jenen, die täglich ihr Leben riskieren, um unser Leben sicherer zu machen“, sagt CEO Amschlinger.

Die Mehler Systems Group ist ein klassischer Mittelständler mit Wurzeln in der Textilindustrie, die bis ins 19. Jahrhundert reichen: Die Gründer betrieben in Fulda eine Weberei. Nach der Abwanderung der Textilindustrien nach Asien konzentrierte sich Mehler auf die Produktion von technischen Textilien – von Zeltmaterial über Airbagstoffe bis zu hitzebeständigen Handschuhen.

Schwerpunkt ist heute Schutzausrüstung für Polizei und Militär, von der feuerbeständigen Uniform für Beamte in den Niederlanden über Einsatzwesten für die Stadtpolizei Zürich bis hin zu komplexen Trage­systemen, an denen Spezialeinsatzkräfte Vorschlag­hammer und Türramme verstauen. Selbst Plattformschutz für Fahrzeuge, Helikopter oder Schiffe der Marine stellt Mehler Protection her. Schwerpunkt sind aber ballistische Schutzwesten: Mehr als eine Million Exemplare von Mehler sind weltweit im Umlauf. Einer der Hauptabnehmer ist die Bundeswehr.

In den vergangenen Jahren lieferte Mehler Pro­tection 300.000 vollständige Schutzsysteme an die ­deutschen Streitkräfte. „Kein anderer Anbieter in ­Europa ist derzeit in der Lage, solche Volumina in so kurzer Zeit zu liefern“, erklärt Amschlinger. Zudem sind die Produkte modular erweiterbar, haben also eine lange Lebensdauer – ein entscheidender Vorteil gegenüber Wettbewerbern, denn auch die Bedrohungslage verändert sich ständig. „Inzwischen ist nicht mehr allein der Schutz vor Artilleriebeschuss das wichtigste Thema, sondern auch ein Splitterschutz als Folge von KI-gesteuerten Drohnenangriffen“, sagt Am­schlinger. Auch für seine Firma wirkt hier der Krieg in der ­Ukraine zukunftsweisend: In den Schützengräben des Donbass zeigt sich, wie die Mehler-Produkte an­gepasst werden müssen, damit sie auch in Zukunft Leben schützen.

„Unsere DNA sind technisches Know-how, kompromisslose Qualität und jahrzehntelange Erfahrung. Aber das reicht heute nicht mehr“, erklärt Amschlinger. Seine Kunden bräuchten integrierte Lösungen, die sofort einsatzbereit und zukunftssicher sind.

Seit Amschlinger die Geschäftsführung vor fünf Jahren übernommen hat, liegt der Fokus auf Inno­vation, Effizienz und Expansion. Lange hielt sich Mehler Sys­tems bedeckt und zeigte sich gegenüber Medien verschlossen. Mit der Stärkung des Vertriebs und durch die hohen Investitionen in Innovationen und Kapazität wurde der Kundenkreis auf über 50 Länder erweitert, was sich auch in der Bilanz zeigt: Seit Amschlinger die Führung des Unternehmens innehat, konnte der Umsatz auf über eine halbe Milliarde Euro nahezu vervierfacht werden. „Wir sind vom Hidden Champion zu einem globalen Powerhouse aufgestiegen“, sagt der CEO. Mehler Systems beschäftigt 1.600 Mitarbeiter und wird bei der Expansion durch die Deutsche Private Equity (DPE) unterstützt, dem alleinigen Investor der Firma.

Amschlinger hatte zuvor als Führungskraft in der Automobil- und Luftfahrtbranche gearbeitet – beides streng regulierte Industrien, in denen hohe Qualität und effiziente Fertigungsprozesse über den Erfolg entscheiden. Mit dieser Erfahrung wechselte er zu Mehler Systems. Die Übernahme der CEO-Position sei ein ­natürlicher Prozess gewesen: Der 51-Jährige hatte zuvor als COO und Finanzchef das Geschäft mitgestaltet.

Geboren wurde der Manager in Timisoara in Rumänien als Mitglied der deutschen Minderheit, die sich im Mittelalter dort angesiedelt hatte. 1988 kam Amschlinger als Aussiedler nach Süddeutschland, machte in Baden-Württemberg das Abitur und eine Lehre als Industriekaufmann und studierte anschließend Wirtschaftswissenschaften an der Uni­versität Hohenheim in Stuttgart.

„Deutschland hat mir ein Leben außerhalb des ­kommunistischen Systems ermöglicht, ich durfte studieren und meinen Weg in Freiheit gehen. Das löste bei meiner Familie und mir eine hohe Dankbarkeit aus“, sagt Amschlinger. Indem er die Bundeswehr und die Polizei beliefert, habe er das Gefühl, „diesem Land, das mir Chancen geboten hat, etwas zurückzugeben“.

Dabei schaut Mehler Systems nicht allein auf Deutschland und Europa, sondern auch auf die Märkte in Asien und vor allem in den USA: „In Bezug auf unser Militärgeschäft ist es offensichtlich, dass wir in Europa und Asien eine sehr wichtige Nachfrage sehen, die aufgrund der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik in diesen Regionen weiter wachsen wird. Auch die USA sind für uns ein wichtiger Markt, angesichts der Größe ihrer Streitkräfte und ihrer Polizei- und Strafverfolgungs­behörden“, so der Manager.

Die Mehler-Systems-Tochterfirma UF Pro, die taktische Bekleidung für Polizeieinheiten herstellt – von den Shorts bis zur Mütze –, hat in den Vereinigten Staaten stark zulegen können. Doch es sind ballistische Schutzprodukte, die Mehler Systems gerne in Donald Trumps Amerika verkaufen würde. Trumps Zölle würden das Geschäft nicht erschweren, man müsse nur bei den Lieferketten „nachjustieren“, so Amschlinger. Die Unsicherheit über die Handels­bedingungen führe aber zu Verzögerungen, so der Manager.

Die Exporte und ballistischen Schutzsysteme von Mehler Systems werden vom Bundesamt für ­Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle genehmigt und gehen nur an ­Behörden, keine Privatunternehmen. Auch hier nimmt es Mehler Systems sehr genau – wie bei allem: Das Motto des Unternehmens ist „Precision matters“; und gemeint ist nicht nur die Präzision der Technik. Amschlinger: „Jeder bei uns weiß, dass wir mit unserer Arbeit und unseren Produkten jene schützen, die den Kopf für unsere freien Gesellschaften hinhalten.“

Fotos: Mehler Group

Reinhard Keck

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