DER ZEITREISENDE

Der Mann, der mit elf schon versuchte, aus Radio- und Fahrrad­teilen eine Zeitmaschine zu bauen, ist heute, mit 76, genauso überzeugt wie damals. Ronald Mallett hat bewiesen: Es gibt einen Weg, in der Zeit zu reisen. Er ist auch im Besitz eines theoretischen Prototyps, der Zeitreisen veranschaulicht.

Fragt man Ronald Mallett, ob er dem Stereotyp des verrückten Professors gerecht wird – wie z. B. Doc Brown in „Zurück in die Zukunft“ – lacht er und sagt: „Nicht verrückt, eher besessen. Nun könnten einige Leute der Meinung sein, dass Besessenheit dem Wahnsinn nahekommt. Aber ich stehe definitiv eher auf der besessenen Seite – ­besessen von Wissen; davon, die Welt zu ver­stehen. Genauso wie Albert Einstein.“ Einstein ist sein Idol, und dessen Arbeit Grundlage für alles, was Mallett je getan hat. Aber gehen wir vorerst zurück in der Zeit – ganz ohne Zeitmaschine – ins Jahr 1955.

Es ist der 22. Mai 1955, als Ro­nald Malletts Vater, ein 33-jähriger Fernsehtechniker aus der Bronx, an einem Herzinfarkt stirbt – plötzlich und völlig unvorhersehbar, wie Mallett heute sagt. Damals war er erst zehn Jahre alt. Das Trauma dieses Ereignisses beschäftigte ihn noch jahrelang. Ein Jahr nach dem Tod seines Vaters liest der kleine Mallett eine illustrierte 15-Cent-Ausgabe von H. G. Wells’ klassischem Roman „Die Zeitmaschine“. Dieses 1895 geschriebene Werk, das als Unikat seiner Zeit gilt, war der Ausgangspunkt für das, was Ron Mallett sein ganzes Leben lang versuchen wird: ein Gerät zu bauen, das es ihm ermöglicht, ins Jahr 1955 zurückzukehren und das Leben seines Vaters zu retten.

„Auf der allerersten Seite schreibt H. G. Wells, dass Männer der Wissenschaft ehr wohl wissen, dass die Zeit nur eine Art von Raum ist, und dass wir uns in der Zeit genauso vorwärts und rückwärts bewegen können wie im Raum. Und als ich das damals zum ersten Mal las, wusste ich, dass ich einer dieser Männer sein möchte, die den beschriebenen Prozess ermöglichen“, so Mallett. Spätestens zwei Jahre danach wurde seine Überzeugung noch weiter bestärkt, als ihm eine Zusammenfassung von Einsteins Theorien in die Hände fiel. Sie wurde zum zweiten prägenden Werk in Malletts Jugend. Zu dem Zeitpunkt hatte er schon jedes Sci-Fi-Buch gelesen, das er finden konnte. Mallett ging in die Stadt­bibliothek und traf auf Mit­arbeiter, die ihn mehr Bücher ausleihen ließen, als eigentlich gestattet war – man könnte sagen, sie befriedigten seine Wiss­begierde. Er gab sein Essensgeld für den Kauf von Büchern aus und hungerte lieber. Mallett war der komische Teenager, der Einstein, nicht Superman idealisierte.

Stellen Sie sich vor, wir könnten uns Informationen aus der Zukunft zurücksenden, um uns vor Naturkatastrophen wie Tsunamis, Erdbeben et cetera zu warnen. Das würde Tausende von Leben retten.

Tatsächlich war auch seine spätere Karriere von einem gewissen „Komischsein“ geprägt. Selbst als Mallett es geschafft hatte, nach seinem Schulabschluss 1962 durch seinen Dienst bei der Air Force ein kostenloses ­Studium an der ­Pennsylvania State University anzutreten, recherchierte und studierte er jahrzehntelang an der allgemeinen Relativitätstheorie, den schwarzen Löchern, Gravitation und Quantenkosmologie. Später, als promovierter Professor an der Universität von Connecticut, hat er zahlreiche Publikationen in Fachzeitschriften veröffentlicht und mit prominenten Kollegen wie Stephen Hawking zusammengearbeitet. Heute sagt er, dass die zahlreichen Papers zu den schwarzen Löchern nur zur „Deckung“ seines wahren Interesses an Zeitreisen ­dienten. ­Mallett erklärt das so: „Als Kind ­einer afroamerikanischen Familie war es in den 60ern und auch ­später nicht leicht, zumindest nicht von Vorteil, anders zu sein; und mein ­Interesse an Zeitreisen war ohnehin schon verrückt. Ich habe anfangs schon als Student und auch später, nach meiner Promotion noch, meine Wissbegierde bezüglich Zeit­reisen versteckt, um nicht komisch aufzufallen“, so Mallett.

Im Jahr 2000 veröffentlichte er eine Publikation in der Fachzeitschrift „Physics Letters“. Dort beschrieb Mallett erstmals ein Phänomen, das seiner Ansicht nach die Grundlage für die Konstruktion einer realen Zeitmaschine darstellt. „Der Durchbruch in meiner Karriere und das sogenannte ,coming out of the time travel closet‘ erlebte ich zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Das war, als ich zum ersten Mal Zeit­reisen in einer wissenschaftlichen Publikation erwähnte.“ In seiner Publikation kam er zur Erkenntnis, dass die Raumzeit unter gewissen Umständen so sehr verzerrt und ­manipuliert werden kann, dass sich ein Objekt darin nicht nur durch den Raum, sondern auch rückwärts durch die Zeit bis zum Ausgangspunkt bewegen kann. Das bewies Einstein mit seiner allgemeinen Relativitätstheorie auch schon. Der Unterschied: Malletts theoretische Arbeit legt nahe, dass die her­kömmliche lineare Zeitlinie zu einer Schleife verdreht werden könnte – mithilfe eines Laserstrahls. Da Raum und Zeit eng miteinander verbunden sind, sollte eine Ver­formung des Raums auch die Zeit verformen. Malletts theoretische Arbeit hat gezeigt, dass es bei ausreichender Laserintensität auf kleinem Raum möglich sein sollte, die normalerweise lineare Zeitlinie, die wir alle kennen, zu verändern. Mallett: „Wenn der Raum stark genug verdreht wird, wird diese lineare Zeitlinie zu einer Schleife verdreht. Wenn die Zeit auf einmal in eine Schleife verdreht wird, bietet uns das die Möglichkeit, in die Ver­gangenheit und auch in die Zukunft zu reisen.“

Am Höhepunkt seiner Karriere angekommen, ist Mallett als „Zeit­reisender“ bekannt. „Die Reak­tionen auf meine Publikation waren enorm. Alle wissenschaftlichen und auch nicht wissenschaftlichen Magazine und Medien wollten mit mir sprechen; Kollegen auf meinem Gebiet schauten plötzlich zu mir hoch. Sogar der vielfach prämierte Filmemacher Spike Lee kam 2006 auf mich zu, um einen Film über mein Leben zu drehen.“ All das hält Mallett in seinen 2006 erschienenen Memoiren „Time Traveler: A Scientist’s Personal Mission to Make Time Travel a Reality“ fest.

Es ist der 22. Mai 1955, als Ronald Malletts Vater, ein 33-jähriger Fernsehtechniker aus der Bronx, an einem plötzlichen Herzinfarkt stirbt.

Er erwähnt immer wieder, dass er ein theoretischer Physiker sei und dass praktische Experimente nicht sein Hauptgebiet wären. Tatsächlich fehlt es ihm noch an der eigent­lichen technischen Konstruktion. An einem Laserstrahl-Prototyp arbeitet er jedoch schon seit Jahren. Kritiker sehen genau das als prob­lematisch. Außerdem weisen sie darauf hin, dass kein vorhandener Laser stark genug wäre, um die vorhergesagten Effekte zu erzeugen.

„Es fehlt noch der Wille und vor allem aber die Forschungs­förderung in dem Bereich. Wir haben immer noch nicht die Finanzierung dafür bekommen. Allein eine Machbarkeitsstudie würde etwa eine Viertelmillion Dollar kosten, und mit Machbarkeitsstudie meine ich, dass man untersucht, wie man das Licht am effektivsten einsetzen kann, um Erkenntnisse zu erreichen. Den Leuten ist nicht klar, wie teuer wissenschaftliche ­Experimente sind“, erklärt Mallett. Die Menschheit sei außerdem noch nicht bereit, zu verstehen, welche Vorteile Zeitreisen auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene bringen könnten. „Stellen Sie sich vor, wir könnten uns Informationen aus der Zukunft zurücksenden, um uns vor Naturkatastrophen wie Tsunamis, Erdbeben et cetera zu warnen. Das würde Tausende von Leben retten. Und ich muss Ihnen sagen, dass ich fast jeden Tag einen Brief oder eine E-Mail von Leuten bekomme, die mir sagen, dass ihr Elternteil einen Unfall hatte, und mich um Hilfe bitten. Also selbst auf einer persön­lichen Ebene können Sie sehen, was es bedeuten würde, wenn wir uns vor gewissen Dingen warnen könnten“, so der Physiker.

Ronald Mallett
...promovierte 1973 an der Pennsylvania State University im Fach Physik. Seit 1975 ist er Professor für Physik an der University of Connecticut. Sein Leben lang beschäftigte er sich intensiv mit theoretischer Physik, schwarzen Löchern, dem Urknall und den Eigenschaften von Raum und Zeit.

Neben dem ganzheitlichen Nutzen müsse man jedoch auch die Risiken bedenken, die Zeitreisen mit sich bringen. Das eine ist das ethische Problem: „Wann immer wir etwas in der Vergangenheit tun, wissen wir nicht, was es für die Zukunft bedeuten wird – und so müssen wir ethisch überlegen, welche Entscheidungen wir treffen sollten, wenn wir etwas in der Vergangenheit ändern wollen. Das könnte also zu einer ganz neuen Betrachtungsweise der Vergangenheit führen, und zu einer ganz neuen Gruppe, die das in Betracht ziehen muss. Wer stellt dann die Regeln auf?“, fragt Mallett.

Der zwei­te problematische Aspekt wären die Paradoxe, die mit Zeit­reisen einhergehen. Als prominentes Beispiel nennt Mallett das Großvaterparadoxon: „Nehmen wir an, Sie sind in die Vergangenheit gereist und haben versucht, zu verhindern, dass sich Ihre Groß­eltern treffen. Nun, wenn Sie das tun, dann gibt es Ihre Eltern nicht. Und wenn es Ihre Eltern nicht gibt, dann gibt es Sie natürlich auch nicht – das bedeutet also, dass Sie nicht existieren!“

Der emeritierte Professor betont stets, dass man sich von der Utopie des Zeitreisens nicht täuschen lassen dürfe. Wenn die Technologie, die das eines Tages ermöglichen wird – und davon ist Mallett mehr als überzeugt –, falsch eingesetzt wird, könnten Zeitreisen jedenfalls definitiv zu einer Dys­topie führen.

Text: Naila Baldwin
Fotos: bereitgestellt

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 6–21 zum Thema „NEXT“.

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