DES KAISERS UNTERNEHMER

In der Wiener Innenstadt befinden sich Unternehmen, die es dort seit mehr als 100 Jahren gibt. Meistens sind sie auf eine Nische oder ein Handwerk spezialisiert, ihre Dienste nahm oft schon der Kaiser in Anspruch. Das Stoffgeschäft Jungmann & Neffe sowie der Juwelier Köchert blicken auf eine über 100-jährige Familientradition zurück. Sie bieten Produkte an, die bis heute begehrt sind. Trotz oder gerade wegen ihrer langen Historie blicken auch sie kritisch auf Entwicklungen wie Corona und Co.

EINE NISCHE IN DER NISCHE

Die Coronakrise hat lokale Geschäfte massiv in Mitleidenschaft gezogen, die Wiener Innenstadt wirkt wie leer gefegt. Das Geschäft Jungmann & Neffe, ein gehobenes Stoffgeschäft, das sich auf den Stoffverkauf von Anzügen und Damenkleidung spezialisiert hat, kommt mit einem Dämpfer durch die Krise. Ein Lockdown auf Dauer wäre aber auch dem 164 Jahre alten Betrieb nicht zumutbar – und auch der bevorstehende Brexit hinterlässt seine Spuren.

Georg Gaugusch ist ein groß gewachsener Mann mit blauen Augen und einer randlosen Brille. Sein Geschäft befindet sich keine 50 Meter gegenüber der Albertina, der direkte Nachbar ist das Hotel Sacher. Obwohl die Stadt sich im Lockdown befindet, strahlen im Lokal die Kronleuchter. Gaugusch selbst sortiert und ordnet Papiere und andere Dinge, er bereitet sich auf den Verkauf vor. Corona hat sein Geschäft Jungmann & Neffe knapp 40 % des Umsatzes gekostet. Das ist vor allem auf die ausbleibenden Touristen zurückzuführen. Der Inhaber bewältigt die Krise mit kreativen Ideen – ans Aufgeben denkt er noch lange nicht.

Das äußere Erscheinungsbild von Jungmann & Neffe passt perfekt in das imperial-klassizistische Stadtbild der Wiener Innenstadt. Betritt man das Geschäft, so findet man ein Interieur vor, das an die Innenwelt eines gehobenen bürgerlichen Betriebs vor über 150 Jahren erinnert: eine hohe Decke, entlang der Wände erstrecken sich mahagonibraune Regale aus Massivholz. Darin befinden sich wiederum unzählige Stoffrollen. Es müssten in etwa 1.400 Rollen sein, sagt Gaugusch. Würde man sie alle ausrollen, ergäbe das in etwa 17 Kilometer Stoff. Umsätze will Gaugusch keine nennen. An manchen Tagen verkaufe er 30 bis 40 Meter Stoff, an anderen wiederum keinen einzigen.

„In Wirklichkeit machen wir eine Nische in der Nische. Unser Modell läuft gut, weil keiner glaubt, dass das unternehmerisch funktionieren kann,“ so Gaugusch.

1866 öffnete das Stoffgeschäft erstmals seine Pforten. Seit sechs Generationen wird Jungmann & Neffe familiär geführt, dazwischen gab es einmal einen Eigentümerwechsel. Gaugusch, der eigentlich Chemie studierte, half bereits ab 1994 im Geschäft aus, 2005 übernahm er die Leitung. In normalen Zeiten hat das Geschäft sechs Mitarbeiter. „Bei uns kaufen Menschen ein, die größten Wert auf Individualität und Nachhaltigkeit legen. Ich versuche bei jedem Kunden, ein für ihn perfektes Produkt zu finden, das seinen Bedürfnissen entspricht. Ein Unternehmensberater, der ständig fliegen muss, vielleicht auch stärker schwitzt, oder ein Bankdirektor, dem vielleicht eher kalt ist, tragen unterschiedliche Stoffe. Das liegt in der Natur ihrer Tätigkeit und der Verfasstheit ihrer Anatomie“, erzählt Gaugusch, während er zwei graue Stoffrollen aus dem Regal nimmt, um die Materialunterschiede zu veranschaulichen.

Der Stoff, den er einem reisefreudigen Berater empfehlen würde, ist klassisch grau und fühlt sich eher fest und sogar ein bisschen rau an. Die Zwirne werden im Webprozess stärker verdrillt und gedreht, damit der Stoff trockener und fester wird und nicht so stark knittert. Der leicht frierende Bankdirektor bekommt hingegen ein anthrazit­farbenes Material, das weniger verzwirnt ist – es fühlt sich fast wie Seide an. In diesem Fall wurde der Zwirn weniger stark gedreht, erklärt Gaugusch, was die Stoffbeschaffenheit im Kern unterscheide. Bei den Materialien selbst ist Jungmann & Neffe strikt: Nur Schurwolle, Kaschmir oder Seide kommen ins Haus. Das Material stammt ausschließlich aus England und Italien. Gaugusch kennt seine Lieferanten persönlich und besucht sie regelmäßig, um sich selbst von den Produkten zu überzeugen: „In Wirklichkeit machen wir eine Nische in der Nische, denn wir verkaufen ausschließlich Stoffe und laden erst im zweiten Schritt externe Schneider ein, die den Anzug schneidern. Unser Modell läuft gut, weil keiner glaubt, dass das unternehmerisch funktionieren kann.“

Wilhelm Jungmann & Neffe
... Das Stoffgeschäft Wilhelm Jungmann & Neffe wurde 1836 in Wien gegründet. Seit 2005 führt Georg Gaugusch
das Unternehmen in vierter Generation. Gaugusch ist ausgebildeter Chemiker.Niederösterreich und Graz betreibt. Das Unter­nehmen erwirtschaftet mit 300 Mitarbeitern einen Jahres­umsatz von 130 Millionen €.

Die Kosten für einen kompletten Maßanzug beginnen bei 1.800 € und können bei einem Kaschmiranzug bis zu 4.000 € gehen. Im Vergleich zu anderen Anbietern in der Innenstadt ist das günstig – oft liegen die Einstiegspreise doppelt so hoch. Die Anzüge halten nach Gauguschs Angaben sechs bis zehn Jahre, wenn man pfleglich mit ihnen umgeht. Im Sortiment befinden sich auch Accessoires wie Krawatten, Stecktücher oder Schals. Darüber hinaus lassen sich auch Damen aus den vorhandenen Stoffen Kleider oder Hosen schneidern. Seine Kunden sind großteils bürgerliche, wohlhabende Wiener, die sich eine Garderobe aufbauen und diese auch pflegen wollen. „Wir haben nie den Fehler begangen, uns auf Araber oder Chinesen zu konzentrieren. Unsere ausländischen Kunden sind hauptsächlich Franzosen, Schweizer, Amerikaner und Briten. Interessanterweise wollen Chinesen und Russen keine so individuellen Produkte, wie wir sie anbieten. Sie versuchen lieber, das zu erwerben, was in der Masse im Trend ist. Bei uns werden sie allerdings keine Gucci-Tasche finden, die beliebig austauschbar ist. Bei uns umfasst eine Limited Edition genau ein einziges Stück“, erzählt Gaugusch. Doch auch Franzosen oder Spanier dürfen aktuell nicht reisen, was das Geschäft belastet. Hinzu kommt der Brexit.

Denn bevor der Austrittsvertrag fixiert wurde, hat Gaugusch zur Sicherheit englische Stoffe auf Reserve gekauft. Er weiß nicht, in welcher Form der Brexit nun vollzogen wird und ob die Lieferanten das überhaupt überleben. Der Betrieb sei, sagt Gaugusch selbst, nach der Ostöffnung viel internationaler geworden, da die Menschen verstärkt nach Wien kamen. Dennoch hat ihn die Pandemie wieder gelehrt, dass auch vor der eigenen Haustür Kunden sind: „Vergiss niemals deinen lokalen Markt. Vergiss nicht, dass es einen Bedarf nach deinem Produkt geben muss. Das Internetzeitalter hat uns umsatztechnisch nicht geschadet, vielmehr hat sich das Klientel verjüngt und Nachhaltigkeit ist wichtiger geworden. Das mittlere Segment ist allerdings weggebrochen. Es gibt auf dem Markt nur noch Schrott oder Edles“, so der Chemiker. Die aktuelle Krise bereite ihm zwar Sorgen – aber das Geschäft habe zwei Weltkriege und die Spanische Grippe überlebt, es wird auch Corona und sogar ihn selbst überleben, schmunzelt Gaugusch zum Abschied.

KAISERLICHE KLUNKER

Seit über zwei Jahrhunderten fertigt der Wiener Juwelier A. E. Köchert Schmuck in Wien. Der Betrieb blickt auf eine bewegte Geschichte zurück, bleibt seiner Linie trotz aller Veränderungen aber treu. Denn Köchert will auch in Zukunft eigenen Schmuck erzeugen – und seinen Kunden helfen, ein Statement zu setzen.

In den letzten 150 Jahren hat sich im Geschäftslokal wenig verändert – auch beim Handwerk ist vieles gleich geblieben.

Diamanten, Smaragde, Rubine, Saphire: Wer für einen Anlass besonders „schmuck“ aussehen will, geht zum Juwelier A. E. Köchert in der Wiener Innenstadt. Zu erkennen ist der Eingang unter anderem auch an der blauen Fahne mit den Insignien der Firma, die seit 206 Jahren an ihrem Standort am Neuen Markt exklusive Juwelen schmiedet – für die ­Wiener und ihre Besucher. Verantwortlich dafür sind drei Nachfahren der Familie, die die Geschäftsführung seit 1991 innehaben: Neben Wolfgang und Florian Köchert ist auch Christoph Köchert federführend für den Erfolg des Unternehmens verantwortlich – und er ist es auch, der uns zum Interview in seinem Betrieb empfängt. Der 56-Jährige ist groß gewachsen und in einen blauen Dreiteiler gekleidet – und sieht mit seinem blonden Scheitel und der Hornbrille mehr wie ein Investmentbanker als ein Goldschmied aus.

Doch Köchert absolvierte seine Ausbildung im Betrieb, genau wie seine beiden Miteigentümer: „Alle Inhaber des Unternehmens haben das Handwerk eines Goldschmieds gelernt, auch wenn wir es heute nicht mehr ausüben“, sagt Köchert. Die Lehre dauert 3,5 Jahre; 14 Mitarbeiter hat das Unternehmen, davon drei in der Werkstatt. Obwohl man mit der Ausbildung gutes Geld verdienen kann, sind Lehrlinge Mangel­ware. In Köcherts Generation haben noch 50 Menschen mit der Ausbildung zum Goldschmied begonnen, heute sind es gerade mal drei bis vier – in ganz Österreich. Und jene, die schließlich ausgebildet werden, seien oft schwer zu halten, erzählt Köchert: „Viele machen sich anschließend selbstständig.“

Fakt ist: Das Dasein eines Juweliers hat sich gewandelt. In über zwei Jahrhunderten hat auch der Juwelier­betrieb Köchert eine bewegte Geschichte erlebt. Denn ironischerweise wurde der österreichische Traditionsbetrieb von einem Franzosen gegründet: Emanuel Pioté, der für Frankreich in den Napoleonischen Kriegen als Soldat kämpfte. Er wurde verwundet und im deutschen Pforzheim von einer Familie gesund gepflegt; anschließend verliebte er sich in die Tochter und heiratete sie. Als Napoleon 1814 schließlich geschlagen war, war eine Rückkehr nach Frankreich für Pioté keine reiz­volle Option. Zwischenzeitlich hatte der österreichische Staatskanzler Metternich eine weitflächige Liberalisierung der Handwerke vorangetrieben, um den Wettbewerb im Kaisertum Österreich anzuregen. Ziel der Habsburger war es, die besten Handwerker anzuziehen – Pioté kam das gelegen, er eröffnete 1814 einen Goldschmiedebetrieb in Wien.

Christoph Köchert
...Christoph Köchert führt gemeinsam mit seinen Verwandten Wolfgang und Florian den Traditionsjuwelier A. E. Köchert. Seit 1814 produziert das Unternehmen Schmuck in Wien.

Mit kunstvollen Emailarbeiten machte sich der gebürtige Franzose schnell einen Namen. 1819 bewarb sich der aus Riga stammende Baltendeutsche Jakob Heinrich Köchert bei ihm, heiratete dessen Schwägerin und wurde Partner im Betrieb. Ab 1830 kamen dann allerlei Wohlhabende ins Atelier der Köcherts. 1848 zog sich Pioté aus dem Geschäft zurück, 1849 wurde Köchert zum kaiserlich-königlichen Kammerjuwelier. Die Eigentümerfamilie, die mittlerweile auch namensgebend war, hatte zu diesem Zeitpunkt alles erreicht, was man damals erreichen konnte. Selbst das Design für das Interieur des Ladens wurde namhaft vergeben: Der renommierte Architekt Theophil Hansen, der unter anderem das österreichische Parlament entwarf, designte den Shop.

Seitdem, also in den letzten 150 Jahren, hat sich im Geschäftslokal nur wenig verändert – und auch beim Handwerk ist vieles gleich geblieben. „Selbst unsere Kundenschichten sind weitgehend gleich“, so Christoph Köchert. Der Betrieb selbst bleibt seiner Linie aber treu: Während so gut wie alle Konkurrenten nicht mehr selbst produzieren, sondern als Großhändler tätig sind, will Köchert weiterhin hauseigenen Schmuck erzeugen. Die dafür notwendigen Edelsteine kauft man in Deutschland, der Schweiz, Frankreich, Indien oder Italien. Jeder Stein wird auf seine Qualität überprüft, der Goldschmied macht daraus dann den Schmuck. Manche Stücke benötigen zwei Monate Arbeitszeit – und das kostet: „Wer qualitativen, nachhaltigen Schmuck kaufen will, muss mit entsprechenden Preisen rechnen“, so Köchert. Die Preisspanne reicht von ein paar Hundert Euro für ein Korallenarmband über ein paar Tausend Euro für einen Smaragdring hin zu sechsstelligen Beträgen für ein diamantbesetztes Collier. Am besten gehen jedoch „Sisis Sterne“, exklusive Schmuckstücke in Form eines Diamanten – und mit Diamanten besetzt –, die sich bereits Elisabeth „Sisi“ von Habsburg in die Haare steckte.

Konkrete Umsätze will Christoph Köchert nicht nennen, man verdiene aber gut mit dem Traditionshandwerk. Doch trotz allen Erfolgs – die Herausforderungen bleiben. Die Kinder der Stammkundschaft von den Produkten zu überzeugen sei nicht einfach, so Köchert. Dabei ist man auf die nächste Generation angewiesen, denn nur 20 bis 25 % der Kunden kommen aus dem Ausland, der Rest sind Ärzte, Anwälte, Industrielle oder auch Aristokraten aus Wien bzw. Österreich, die sich etwas Schönes gönnen wollen – und die mit der Zeit gehen und ein Statement setzen wollen. „Geschmack spiegelt stark den Zustand der Gesellschaft wider“, so Köchert – „Schmuck sagt viel über ­seinen Träger, aber auch die Zeit aus.“

Text: Muamer Bećirović
Fotos: Fotos: Stellnberger, Amann, A.E. Köchert Titelfoto: @anikinearthwalker via unsplash.com

Dieser Artikel erschien in unserer Forbes Daily "Wiener Wirtschaft".

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