Die Amazone

Die Investment-Amazone und ihr Gespür für High-Growth-Unternehmen.

Mit ihrem Gespür für High-Growth-Unternehmen erkennt Nancy Zevenbergen das Potenzial von Outperformernund setzt auf eine langfristige Investmentstrategie. Nancy Zevenbergen dirigiert ihr 2,4 Milliarden US-$ schweres Invest­mentunternehmen aus einem winzigen Eckbüro in Seattle – mit Blick auf das Wahrzeichen der Stadt, die Space Needle. In dieser weniger als 40 Quadratmeter großen Kommandozentrale befindet sich ein fünfeckiger Schreibtisch, an dem Zevenbergen und vier Mitglieder ihres Stock-Picking-Teams auf 15 Bildschirmen die aktuellen Börsen- und Finanzdaten beobachten. An den Wänden hängen Whiteboards mit den Positionen von Zevenbergen Capital Investments und Pinnwände mit Zeitungsausschnitten zu den Top-Langzeitinvest­ments von Zevenbergen – darunter Amazon, Tesla und Netflix. Ebenfalls an die Wand gepinnt: ein rahmenloses „Frank Underwood for President“-Poster, in Anspielung auf die Netflix-Serie „House of Cards“.

Über Lautsprecher verfolgt das Team die aktuellsten Kurse und ­Zahlen der Unternehmen, die im ­Fokus von Zevenbergens Investments stehen: Titel, deren Geschicke von den Gründern selbst geleitet werden und die ein überdurchschnittliches Wachstumspotenzial aufweisen. Zevenbergens Kalkül: Mit vereinten Kräften hat das Team bessere Chancen, Stimmungsschwankungen hinter den Zahlen herauszuhören. Zeigt sich ein CEO angesichts einer neuen Einnahmequelle begeistert? Verliert ein Unternehmer den Glauben an seine Strategie? Solche Hinweise sind für Zevenbergen ausschlaggebend, denn in ihren Investment­entscheidungen setzt sie weniger auf messbare Werte wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis als auf ihr Gespür für vielversprechende „Träumer mit hohem Potenzial“ sowie Umsetzungsstärke. „Ich sehe mir die Leute hinter den Unternehmen an und treffe eine Investmententscheidung, manchmal ohne alle Informationen zu kennen. Und dann bleibe ich dran und verfolge ihre Entwicklung“, kommentiert die heute 58-jährige Zevenbergen ihr Investment-Credo.

Darin brilliert sie seit ihrem Beginn vor 30 Jahren, als sie ihre eigene Investmentfirma gründete. Um die Studiengebühren bezahlen zu können, hatte sie während des Studiums am Bankschalter der Rainier Bancorp in Seattle gearbeitet. Nach Studienabschluss wurde sie von der Treuhandabteilung der Bank eingestellt, wo sie in der Vermögensverwaltung beschäftigt war. Im Jahr 1986 wurde sie mit der Prüfung des Börsengangs des lokalen Aufsteigers Microsoft beauftragt. Als der Börsengang Millionen einfuhr, verkaufte die Bank zur Sicherung der Gewinne ihrer Kunden umgehend ihr Kontingent – kein sehr vorausschauender Schachzug angesichts der 43.000-prozentigen Rendite, die das Unternehmen seit 1987 erwirtschaftet hat. Diese Erfahrung hat Zevenbergen geprägt. Sie erkannte das enorme Potenzial von PCs sowie die Notwendigkeit, wachstumsorientierte Werte langfristig zu halten. Sie kündigte ihren Job bei der Bank und startete ihr eigenes Unternehmen – mit nur einem Kunden und einem Vermögen von 500.000 US-$. Sie arbeitete in ihrem Wohnzimmer, während Mann, Mutter und Nanny auf die zwei Kinder aufpassten.

Im Jahr 1992 hatte Zevenbergen bereits ein Büro und 51 Kunden, ihr verwaltetes Vermögen belief sich auf 212 Millionen US-$. Sie brauchte Unterstützung und holte Brooke de Boutray (62) sowie die auf Biotech- und Finanzwerte spezialisierte Analystin Leslie Tubbs (58) an Bord. Die drei Frauen bilden bis heute den Kern des Stock-Picking-Teams, zwei jüngere männliche Kollegen kamen 2011 hinzu. Trotz der massiven Verluste nach dem Platzen der Dotcom-Blase und der Finanzkrise ist Zevenbergens aggressive Investmentstrategie langfristig erfolgreich. Der Flagship-Aktienfonds von Zevenbergen fährt seit 1987 jährlich eine Rendite von 11,5 Prozent netto ein und liegt somit über den 9,8 Prozent des Russell 3000 Growth Index. Der kleinere, stärker wachstumsorientierte ZTech-Fonds verzeichnete seit 1994 eine jährliche Nettorendite von 12,9 Prozent.

Im August 2015 lancierte Zevenbergen zwei Investmentfonds: den stark wachstumsorientierten Zevenbergen Genea Fund – mit einer Aufwandsquote von 1,4 Prozent und einer Mindestinvestition von 2.500 US-$ –, der unter den Top-ein-Prozent in seiner Kategorie rangiert und eine Jahresrendite von 50 Prozent verzeichnet. Der zweite, etwas weniger aggressive Fonds, der Zevenbergen Growth Fund, wuchs im letzten Jahr um 30 Prozent und befindet sich unter den Werten in den Top-zehn-Prozent seiner Kategorie. Das Portfolio des Genea Fund enthält neben bewährten Papieren wie Amazon auch bedeutende Anteile an dem Onlineshopsystem-Hersteller Shopify und dem südamerikanischen E-Commerce-Riesen MercadoLibre.

Die Investmentfonds haben eben die 10-Millionen-US-$-Marke überschritten und sind für risikoscheue oder ungeduldige Anleger nicht empfehlenswert. „Wenn man sein Vermögen erhalten möchte, muss man diversifizieren und sich passiv verhalten“, so Zevenbergen. „Wenn man sein Vermögen vermehren will, muss man in Wachstumsunternehmen und konzentrierte Portfolios investieren. Man muss sich aber auch bewusst sein, dass der Wert nicht jeden Tag oder jede Woche steigen kann.“ Für Zevenbergen sind Investments mit ­einem Zeitrahmen von unter fünf Jahren „höchst spekulativ“.

Sie selbst legt überaus viel Geduld an den Tag, wenn sie an einen Unternehmer glaubt. Die Netflix-­Beteiligung in Höhe von 167 Millionen US-$ hat sie zu durchschnittlich sechs US-$ erworben, den Großteil bereits vor 2010. Die Aktie stieg in der Folge auf 43 US-$, stürzte jedoch 2011 auf neun US-$ ab, nachdem Mitgründer Reed Hastings versucht hatte, mit dem DVD-Geschäft die Cashcow des Unternehmens abzustoßen, um das Streaming-Business voranzutreiben. Hastings machte einen Rückzieher und Zevenbergen vergrößerte ihre Beteiligung. Heute wird die Netflix-Aktie für 185 US-$ gehandelt.

Interessant ist, dass Zevenbergen nicht nur auf Ideen setzt, sondern auf die dahinterstehenden Unternehmer. Firmen mit „gemieteten“ Geschäftsführern zieht sie bei ihren Investitionen gar nicht erst in Betracht. Vielmehr interessiert sie sich für Gründer, die bereit sind, „abenteuerliche“ Investmententscheidungen zu treffen, die sich möglicherweise erst viele Jahre später bezahlt machen. Sie erwarb beim Börsengang 1997 Amazon-Aktien, verkaufte aber wieder, als der Wert im Jahr 2000 abstürzte. Dann griff sie 2007 erneut zu: Heute hält sie Amazon-Aktien im Wert von insgesamt 157 Millionen US-$, die sie zu durchschnittlich 60 US-$ gekauft hat; ihr Einsatz auf Jeff Bezos ist also um das 16-Fache gestiegen. Das alles heißt aber nicht, dass Zevenbergen sich nie irrt oder die Geduld verliert: Vor Kurzem hat sie ihre Investments an Pandora Media, LendingClub und Under Armour mit Verlusten abgestoßen.

Zevenbergen verwaltet Investments der Stiftung Murdock Trust in der Höhe von 94 Millionen US-$. „Dafür, dass wir bei volatilen Verhältnissen die Ruhe bewahrten, sind wir belohnt worden“, so Jim Martin, ehemaliger Chief Investment Officer der Stiftung – und fügt hinzu, dass Zevenbergen mit ihrer „Intuition für wachstumsstarke Werte“ Ergebnisse erzielt, die sonst einfach nicht machbar wären.

Text: Antoine Gara, Forbes US
Übersetzung: Heide Maria Scheidl

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