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Verhandeln heißt, eigene Interessen zu kennen und neugierig auf jene des Gegenübers zu sein – vorausgesetzt, man strebt ein langfristiges, faires Ergebnis an. Sonja Rauschütz verhandelt nach der Harvard-Methode.

Die meisten Menschen sind ­gestresst, wenn sie verhandeln, sagt ­Sonja ­Rauschütz. Ganze zwei Drittel zeigen körperlich wahrnehmbare Stresssymptome, allein wenn sie das Wort „Verhandeln“ ­hören, zitiert sie Erkenntnisse aus einer Harvard-Studie. „Ich denke, das ist deshalb so, weil viele Leute im westlichen Kulturkreis diesen klassischen Positionskampf, also das Feilschen damit verbinden. Und Feilschen, das können wir im Westen nicht. Das spielen wir zu hart.“

Sonja Rauschütz ist Gründerin und Managing Partner der Vienna
School of Negotiation und auf die strategische und operative Begleitung von Verhandlungen sowie die Professionalisierung von Verhandlern spezialisiert. Von Managern bis zu Studenten, Menschen aus Politik und Wirtschaft – das Kundenspek­trum der Expertin ist breit, weil immer und überall verhandelt wird: von Projekten über Hauskauf und Ehevertrag bis hin zum Gehalt. „Die meisten sind sich dessen nicht bewusst“, so Rauschütz.

Das von vielen ungeliebte Feilschen sei nur ein Teil des Gesamt­pakets – aber auch das müsse gekonnt sein. „Wenn man an den Wochenmarkt denkt oder aber auch an Gewerkschaftsverhandlungen, dann kann man immer wieder sehr ähnliche Rituale erkennen. Da nimmt jeder seine Rolle ein, da geht es auch um ein Spiel, samt Drama und Außenwirkung.“ Dahinter verbergen sich häufiger als gedacht sehr gute Verhältnisse zwischen den Verhandlungspartnern. Profi-Verhandler haben nicht nur Spaß am Verhandeln, sie haben auch Freude an den Menschen, so Rauschütz weiter. Und: Verhandeln sei erlernbar – „das ist keine ‚Rocket Science‘.“

Rauschütz verhandelt – ­neben einigen anderen Methoden, die sie sich über die Jahre ­angeeignet hat, wie sie sagt – nach dem ­Harvard-Modell von Roger ­Fisher, dessen rechte Hand sie für einige Jahre an der Harvard Law School war. Der im Jahr 2012 verstorbene Rechtswissenschaftler leitete ab 1980 das Harvard Negotiation Project und war Co-Autor des Standardwerks zu zielführender Verhandlung, „Getting to Yes“. Fisher war nicht nur an der Universität tätig, er war auch weltweit unterwegs – sein Arbeitsspektrum reichte von Friedens- bis hin zu kommerziellen Verhandlungen; Ende der 1990er-Jahre auch in Begleitung von Sonja Rauschütz. Erst viel später habe sie erfahren, erzählt sie, dass sie die erste Euro­päerin und auch die erste Frau in Fishers Team war. „Da habe ich Glück gehabt“, sagt sie.

Bild: Sonja Rauschütz, WU, Harvard, Vienna School of Negotiation

Sonja Rauschütz
... studierte an der WU Wien (Handelswissenschaften) und an der Harvard Kennedy School (Master of Public Administration). Seit 2001 ist sie Managing Partner der von ihr gegründeten Vienna School of Negotiation. Sie ist auf die strategische und operative Begleitung von Verhandlungen und die Professionalisierung von Verhandlern spezialisiert.

Das Harvard-Modell beschreibt Rauschütz als „systematik- und strukturgebend, ohne überdetailliert zu sein“. Es gründet sich auf Kernelemente, die in jeder Verhandlungsvorbereitung und Verhandlung vorkommen sollen. „Bei schwierigen oder großen Verhandlungen schlagen wir für eine Stunde Verhandeln zwei Stunden Vorbereitung vor.“ Die durchschnittliche Vorbereitungszeit betrage, so Rauschütz, in der Regel leider nicht mehr als einige Minuten. Dabei kann die Vorbereitung getrost als eine der wichtigen Quellen für einen Verhandlungserfolg bezeichnet werden. Zunächst müsse man sich seiner eigenen Interessen klar werden, möglichst viele Ideen und Entscheidungsoptionen entwickeln, um so auch die Chance für ein gutes Verhandlungsergebnis zu steigern; aber auch Prioritäten zu setzen ist wichtig, Punkte, die gemeinsam mit dem Verhandlungspartner in einem „geschützten Rahmen“ passieren sollten. Rauschütz: „Der Verhandlungsprozess wird viel zu wenig definiert. Die Frage ‚Wie wollen wir denn miteinander verhandeln?‘ wird häufig gar nicht gestellt“ – Voraussetzungen, die für ein schnelles Fortkommen und ein nachhaltiges Ergebnis mit möglichst wenig Kollateralschäden aber von großer Bedeutung sind, sagt sie.

Viele gehen mit festgelegten Positionen und Argumenten in Verhandlungen, wovon Rauschütz eher abrät. „Denn wenn ich meine Position zu Beginn hinknalle, habe ich weder etwas gehört noch etwas gesehen, dafür aber habe ich mich festgelegt und muss mich von dieser Position wieder wegverhandeln. Das führt oft dazu, dass sich die Leute am Ende gegenseitig mit Argumenten zumauern, einander aber nicht überzeugen.“ Man müsse sich auch immer etwas offenhalten, damit man situationsbedingt auch etwas tauschen könne, so die Ex­pertin zur wichtigen Wendigkeit.

Der Profi beherrscht fünf Stile: Vermeiden, Durchsetzen, Nachgeben, den Kompromiss und die Win-win-Situation. Rauschütz erklärt das so: „Gute Kompromisse macht man dort, wo es schnell gehen soll und eine halbherzige Lösung in Ordnung ist. Dort, wo es wichtig ist, mache ich keinen Kompromiss; für mich unwichtige Themen vermeide ich und dort, wo es essenziell ist, kämpfe ich mit allem, was ich habe. Bei Themen, die mir gar nicht, dem anderen aber sehr wichtig sind, gebe ich nach.“

Komplexer wird die Situa­tion durch die Qualitäten, die der Verhandler selbst mitbringt – sechs Stärken unterschiedlicher Persönlichkeitstypen, die in jedem vorhanden sind: das Strukturieren, das Dranbleiben-Können, das Sich-Hineinversetzen in den anderen, die Intuition, das Spielerische und das Reflektive. „Die Kunst ist, die Menschen in ihren Talenten – die bei den einen stärker, bei den anderen weniger stark ausgeprägt sind – zu halten, Stress zu vermeiden respektive als Verhandlungsbegleiterin die Menschen aus dem Stress zu holen, denn unter Stress kann man nicht denken.“ Und dann kämen häufig geschlechtsspezifische Tendenzen zutage, die klischeehafter nicht sein könnten: „Kommt eine Frau – die eher win-win-orientiert ist – bei Verhandlungen in Stress, dann wird sie tendenziell nachgeben, unsicher werden, sich anpassen. Zwei Drittel der Frauen reagieren so, wohingegen mehr als die Hälfte der Männer – die eine Tendenz zum Wettkampf haben – im Stress anfangen, mehr zu reden, Überinformation zu geben, unflexibel, stur und selbstgerecht zu werden. Oft greifen sie dann noch die andere Seite an.

Rauschütz sagt von sich, sie sei in das Thema des Verhandelns „reingerutscht“. Schon während des Studiums an der WU hat sie eine Trainerausbildung in Kommunikation und Konflikt­management absolviert, zahlreiche Kurse zum Thema besucht. Relativ rasch konnte sie das Erlernte in der Praxis umsetzen. Später an der Harvard Kennedy School habe sie sich über die Themen Innovation, Strategie und Veränderung angenähert. Ihr Lebensthema Verhandeln beschreibt Rauschütz so: „Ich bin in der Südoststeiermark am Eisernen Vorhang aufgewachsen und so eine Art Grenzgängerin geworden – das zieht sich durch mein Leben. Mit dem Blick auf diesen Vorhang war ich immer neugierig, was auf der anderen Seite ist.“

Text: Heidi Aichinger

Dieser Artikel ist in unserer Februar-Ausgabe 2019 „Gaming – Wettbewerb“ erschienen.

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