DIE CHIRURGIE REVOLUTIONIEREN

Schrauben aus menschlichen Knochen – etwas, das im ersten Moment skurril klingen mag, bahnt sich gerade seinen Weg in den medizinischen Anwendungsbereich. Dabei federführend: Thomas Pastl, Co-CEO des österreichischen Unternehmens Surgebright.

Man stelle sich Folgendes vor: Ein Chirurg kommt in den Raum und bietet Ihnen die Wahl zwischen zwei Schrauben für den gebrochenen Fuß – eine ist aus Metall, die ­andere aus gespendeten mensch­lichen Knochen. Welche würden Sie wählen?

Was vor wenigen Jahren noch reine Imagination war, ­entwickelte die Familie Pastl aus dem oberösterreichischen Linz zu einem tragfähigen Geschäftsmodell. Ihr Start-up Surgebright ist sowohl ein medizinisches Unternehmen als auch eine zertifizierte Gewebebank. Ihr Hauptprodukt passt in unsere Handfläche: die „Shark Screw“. Die 35 Millimeter lange Schraube mit einem Durchmesser von nicht mehr als 5 Millimetern ist vollständig aus menschlichem Knochen gefertigt. „Jedes Jahr werden Millionen von Metallplatten und Schrauben eingesetzt, um ein Ziel zu erreichen: gebrochene Knochen oder ­Knochenfehlbildungen zu richten“, sagt Co-CEO ­Thomas Pastl. „­Diese Metallimplantate ­haben ­einen großen Nachteil: Sie müssen oft in ­einer zweiten Operation entfernt werden – oder sie ­müssen entfernt werden, weil man seine Schuhe nicht mehr tragen kann oder sie im Alltag Schmerzen verursachen.“

Laut Pastl sind die ­Vorteile von Knochenschrauben vielfältig: Sie machen eine zweite ­Operation überflüssig, reduzieren Komplikationen und fördern auch die Genesung der Patienten. „Der Körper integriert die Shark Screw in den natürlichen ­Knochenstoffwechsel, sodass sie innerhalb von etwa ­einem Jahr zum eigenen Knochen des Patienten wird“, erklärt er. Ein großes Versprechen von ­einem winzigen Produkt – aber ­eines, das die Spitäler in Österreich bereits in die Tat umsetzen: Die Shark Screw ist derzeit in über 80 Kliniken im ganzen Land im Einsatz und ­wurde bereits bei rund 2.000 Patienten ­genutzt. Ziel ist es, bis 2021 auch in andere europäische Märkte wie Deutschland und Spanien sowie in die USA einzutreten. Das Unter­nehmen gibt an, dass es aufgrund der natürlichen Zusammensetzung der Shark Screw bisher keine ­bekannten Abstoßungs­reaktionen gegeben habe. „Wir glauben fest ­da­ran, dass dies ein Durchbruch in der Orthopädie und Unfallchirurgie ist, weil wir den Patienten Schmerzen und Zeit im Operationssaal ersparen“, sagt Pastl.

 

Die „Shark Screw“ von Surgebright besteht aus menschlichem Knochen und dient in der Chirurgie als Ersatz für Metallschrauben.

Eigentlich hatte sich Pastl eine Karriere in der ­Leichtathletik vorgestellt, bevor die Knochenschrauben in sein Leben traten. Der ­gebürtige Österreicher ­verbrachte seine Teen­agerjahre mit Blick auf die Olympischen ­Jugendspiele und war überzeugt, dass er Profi­sportler werden würde – doch sein Traum platzte, als er wenige ­Monate nach dem Olympischen ­Jugendfestival 2009 in Finnland (wo er die Bronze­medaille im Stabhochsprung gewann) eine Rückenverletzung ­erlitt. Pastl war gezwungen, seine sportlichen Ambitionen zurückzustellen, und begann 2013 ­sein Bachelor-of-Arts-Studium an der Fachhochschule des BFI Wien.

Die Welt der Medizin war ­jedoch immer nur einen Schritt entfernt: Thomas Pastls Vater Klaus ist ­Orthopäde, seine Mutter Eva ­orthopädische Chirurgieassistentin im Operationssaal. „Mein Vater kam immer nach Hause und erzählte uns von Patienten; was schief- oder gut gelaufen ist. Wir ­hörten oft von den Problemen bei der ­Metallschraubenentfernung“, erzählt Thomas Pastl. Er erinnert sich, dass sein Vater sagte, die ­Operationen zur Entfernung seien so unnötig, dass man dafür eine bessere Lösung finden müsse. Gegen Ende von Pastls Studium hatte sein Vater die Idee, Schrauben aus Knochen herzustellen – eine Idee zu ­einem Problem, an dem er bereits seit 1995 forschte. Es gab nur ein ­Manko: „Tut mir leid, Jungs: Ich bin Chirurg und ­werde nie eine ­Firma gründen“, so die Einstellung von Pastel senior – Worte, die er schließlich zurücknahm, als er zusammen mit seinen ­beiden Söhnen Thomas und Lukas im Jänner 2016 Surgebright gründete. Heute führen die Brüder das Unternehmen gemeinsam.

Die Anfangszeit bot eine ­steile Lernkurve. Ausgestattet mit ­einem Wirtschaftsdiplom, aber ohne medizinische Ausbildung machte sich das Duo sofort auf die Suche nach Partnern und Geldgebern, um ­seine Idee auf den Weg zu bringen. Surge­bright sicherte sich von der Förderbank Austria Wirtschaftsservice (AWS) eine Frühphasenfinanzierung von rund einer Million € in zwei Phasen: 200.000 € bei der Gründung und den Rest einige Monate später. Die Finanzierung war ausschlaggebend für den Aufbau ihres Teams und der gesamten Produktion. Surgebright konnte zudem wichtige Partner gewinnen, darunter das Deutsche ­Institut für Zell- und Gewebeersatz in Berlin (DIZG). Das DIZG versorgt Surgebright mit Knochengewebe aus Europa und einigen Teilen der Vereinigten Staaten. Das Start-up nimmt hierbei die dichte äußere Schicht von Knochen – die Kortikalis – für seine Schrauben, während die Gewebebanken weltweit auf die schwammartige Spongiosa in der Mitte angewiesen sind. Der zweite wichtige Partner für das Medtech-Start-up war die Technische Universität Graz: Die dortigen biomedizinischen Forscher waren in der Anfangsphase maßgeblich an der Entwicklung neuer Prototypen für die Knochenschrauben für Fuß, Gesicht und Kiefer beteiligt. Auch heute noch arbeitet die Grazer Universität in Bezug auf Design und Größe der Schrauben eng mit Surgebright zusammen.

Heute schätzt die Österreichische Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie, dass jährlich in Österreich etwa 40.000 Osteo­synthesen durchgeführt werden. Es handelt sich dabei um einen chirurgischen Eingriff, bei dem gebrochene ­Knochen durch Platten, Schrauben, Nägel und Drähte verbunden werden. Doch die Krise hat viele Branchen, darunter auch das Gesundheits­wesen, stark in Mit­leidenschaft ­gezogen: Da Coronavirus-Patienten die Krankenhäuser überlasteten, wurden nicht dringliche Operatio­nen entweder abgesagt oder verschoben. Das Unternehmen litt besonders im März und April darunter – die Einnahmen fielen auf nur 10 % des Niveaus, das zur gleichen Zeit des letzten Jahres erreicht worden war; ursprünglich war für das Jahr 2020 ein Wachstum von 50 bis 70 % geplant. Laut Pastl ­lagen die Einnahmen der Biotech-Firma im Jahr 2019 zwischen einer und zwei Millionen €. In diesem Jahr stammten bisher 95 % des Umsatzes aus Österreich und 5 % aus der Schweiz.

Thomas Pastl
...erlangte an der Fachhochschule des BFI Wien den Titel Bachelor of Arts im Fach Europäische Wirtschaft und Unternehmensführung. 2016 gründete er zusammen mit seinem Vater Klaus Pastl und seinem Bruder Lukas Pastl das Start-up Surgebright, welches er seit 2018 zusammen mit seinem Bruder leitet.

Das Unternehmen aus Lichtenberg bei Linz und sein 14-köpfiges Team ­sehen sich vor allem in den ­letzten Monaten weiterhin mit einem Abschwung konfrontiert. ­Österreich führte im November einen landesweiten Lockdown durch, da die Coronavirusfälle stark zunahmen – eine Maßnahme, die Anfang Dezember aufgehoben ­wurde. Nun heißt es für Pastl und Surgebright abwarten: „Wir wollen unser Geschäftsmodell nicht ändern, weil wir wissen, dass es sich hier um ­einen Gamechanger handelt – wir müssen nur konzentriert bleiben und ein oder zwei Monate warten, bevor wir wieder durchstarten.“

Surgebright behauptet, es sei das erste Unternehmen weltweit, das humanbiologische Knochenschrauben herstellt. Doch es hat einen ungewöhnlichen Konkurrenten: eine lange Historie medizinischen Know-hows. Seit Jahrzehnten sind Metallschrauben und -platten in der orthopädischen Chirurgie die Norm. Die meisten von ihnen werden aus Titan oder Edelstahl hergestellt, sei es für Hand-, Ellenbogen-, Knie- oder Fußchirurgie. Es hat sich als Herausforderung erwiesen, Krankenhäuser und Chirurgen davon zu überzeugen, ihre Metallschrauben gegen die Shark Screw auszutauschen. „Chirurgen sagen oft: ‚Das ist so einfach, das kann nicht wahr sein. Denn wenn es wahr wäre, hätte ich in den letzten 20 Jahren Operationen mit dieser Art von Schrauben durch­geführt‘“, erzählt Pastl.

Er räumt ein, dass Me­tall­schrauben auch im nächsten Jahr­zehnt noch eine ­große ­Rolle in der Medizin spielen werden: „Wenn man sich den ­Oberschenkelknochen oder das Schienbein sehr stark bricht, braucht man einen Nagel aus Metall, weil die Fraktur so ­massiv ist. Vielleicht können wir bei Surgebright einen Weg finden, dass in Zukunft auch hierbei die Shark Screw einsetzbar ist. Aber in den nächsten fünf bis zehn Jahren wird unsere Schraube in der Fuß- und Sprunggelenks-, in der Schulter- und Kinderchirurgie sowie in der Hand- und Handgelenkschirurgie weltweit eine wichtige Rolle spielen.“

Da die Nachfrage steigt, arbeitet Surgebright auch an anderen Produkten. Die neueste Schraube ist ähnlich wie die ursprüngliche Shark Screw – nur ohne Schraubenkopf, was ein tieferes Einführen in den Knochen ermöglicht. „Das Potenzial von Schrauben, die aus menschlichen ­Spenderknochen hergestellt werden, ist enorm, und unser nächster Schritt ist es, die Shark Screw in ganz ­Europa, den USA und dann auf der ­ganzen Welt zugänglich zu machen. Da­rauf konzentrieren wir uns für die ­nächsten zehn bis 15 ­Jahre“, sagt Pastl. Was die ­Wünsche der Patienten im ­Operationssaal anbelangt, so ist er nach wie vor überzeugt: „Fast jeder Patient sagt: ‚Geben Sie mir die Shark Screw – ich will kein ­Metall in meinem Fuß und keine zweite Operation haben!‘“

Text: Olivia Chang
Fotos: Surgebright

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 11/12–20 zum Thema „Security“.

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