Die Jagd nach weißem Gold

Lithium ist derzeit der wohl begehrteste Rohstoff der Welt. Deutschland hat riesige Vorkommen und könnte das Leichtmetall umweltschonend abbauen – doch wütende Bürger, nervöse Investoren und teure Technik gefährden das Bergen des Milliardenschatzes.

Der Stoff, der derzeit die Welt elektrisiert, leuch­tet silbern. Er steht als Li im Periodensystem an dritter Stelle, ist leichter als Wasser und kann Strom leiten. Im Alltag ist er unverzichtbar – er steckt in Smartphones, Batterien, Akkus, Anti­depressiva und Windrädern – und bald in Mil­lionen Elektroautos. Lithium ist aktuell der be­gehrteste Rohstoff der Welt; manche nennen es das „weiße Gold“ – und es wird jeden Tag wert­voller. Fachleute glauben: Ohne das Leichtmetall gibt es keine Energiewende, kein Ende der fossilen Brennstoffe, keinen Ausweg aus der Klimakrise. ­Sicher ist: In den kommenden Jahren wird die Nachfrage nach Lithium weiter rasant steigen. Die Autoindustrie allein braucht bis 2030 mehr als 240.000 Tonnen. Lithium ist ein Versprechen, eine Wette auf die Zukunft, ein Milliardengeschäft.

„Das hat schon etwas von einem Goldrausch, was gerade passiert“, sagt Anton du Plessis, 50, CEO von Zinnwald Lithium, einer englischen Firma, die den begehrten Rohstoff in Sachsen abbauen will. Du Plessis ist ein moderner Schatzsucher, einer von etlichen Lithiumjägern, die mit Start-ups und Millionen an Risikokapital die besten Claims abstecken wie einst die Goldsucher am Ufer des Klondike. Auch in Deutschland – vor allem hier, denn in den Granitschichten unter dem Rhein und in den Höhlen des Erzgebirges schlummert ein gigantischer Schatz. Du Plessis ist Südafrikaner, seit Jahrzehnten sammelt er als Investmentbanker Millionen ein, um Bergbau­projekte zu finanzieren. Kürzlich hat seine Firma in einem komplexen Deal die Deutsche Lithium GmbH übernommen. 160 Mio. € will er nun in die Schatzsuche im Osterzgebirge investieren. Dort könnte rund eine Million Tonnen Lithium­karbonat stecken – das würde für 20 Millionen Elektroautos reichen.

Doch lohnt sich die teure Förderung? Das muss der Investor in den kommenden Monaten herausfinden. Er will vor allem das begehrte Lithiumhydroxid gewinnen. Du Plessis, der mit einem Tesla Model 3 durch seine Heimat Buckinghamshire fährt, hat ehrgeizige Ziele. Mitte dieses Jahrzehnts will er mit dem Abbau beginnen. Mehr als 20 Jahre könnten die Minen in Betrieb sein und mehrere Hundert Jobs in der Region schaffen. Re­gion und Investor erhoffen sich ein Ökosystem für Zukunftstechnologien mit lokalen Fachkräften von der Bergakademie Freiberg.

Im Mittelalter wurden in der Region im Osterzgebirge Eisenerz, Kupfer, Silber und Zinn aus den Stollen geschürft. Der Boom, damals „Berggeschrey“, brachte bis ins 17. Jahrhundert Handel und Wohlstand in die heute strukturschwache Gegend. Auch deshalb hofft du Plessis, dass seine Pläne willkommen sind. Weiter westlich, in der deutsch-französischen Grenzregion, trifft man weitere moderne Goldgräber in An­zügen vor Laptops. Hier im Rheingraben liegt der größte Lithiumschatz Europas, vielleicht der drittgrößte weltweit; doch der lässt sich nicht mit Bagger und Schaufel heben: Viele Millionen Tonnen des Leichtmetalls schwimmen in unter­irdischen Wasserreservoirs.

Jens Grimmer, 52, Geologe am Karls­ruher Institut für Technologie (KIT), sitzt in Karohemd und mit Brille in seinem Homeoffice und strahlt die Ernsthaftigkeit eines Mannes aus, der die Welt mit Zahlen und Daten erfasst. Er deutet auf Schaubilder und Grafiken, die beweisen sollen, wie auf umweltschonende und wirtschaftliche Weise Lithium aus dem Thermalwasser gefiltert wird. Er rechnet vor: „Wenn wir mit diesem Verfahren Lithium im großen Stil extrahieren, könnten wir mehr als die Hälfte des aktuellen deutschen Bedarfs decken.“ Auch Förderanlagen gibt es bereits: In Baden-Württemberg pumpen drei Geothermieanlagen heißes Thermalwasser aus dem Untergrund – um Strom und Wärme zu gewinnen. Anschließend wird das Wasser zurück in die Erde gepresst. Bis zu 100 Liter können pro Sekunde durch diese Kraftwerke sprudeln – und könnten dabei bis zu 200 Milligramm Lithium pro Liter nach oben spülen.

Mit Chemikalien wird das Element aus dem Pumpwasser gelöst, danach wieder dem unter­irdischen Wasserkreislauf zugeführt. Wasser hoch, Lithium raus, Wasser wieder runter – und die Energie dafür ist im Kraftwerk auch schon da. Es klingt genial einfach und wäre die erste emissionsfreie Lithiumgewinnung. „Man muss kein Ökofreak sein, um das sinnvoll und gut zu finden“, sagt Grimmer. Neben seiner Forschung arbeitet er auch für Vulcan Energy Resources, ein deutsch-austra­lisches Start-up, das mit einer ganz ähnlichen Methode Lithium extrahieren will. Mitgründer ist der Geologe Horst Kreuter, ein umtriebiger Geschäftsmann; seine Bewunderer nennen ihn einen „Visionär“. Kreuter will in drei Jahren schon rund 40.000 Tonnen Lithiumhydroxid aus dem Oberrheintal gewinnen. Damit könnten Batterien für eine Million Elektroautos pro Jahr produziert werden, sagt die Firma.

Das hat schon was von einem Goldrausch, was gerade passiert.

Anton du Plessis

Kreuter würde damit ein großes Problem der deutschen Autoindustrie lösen: Zugang zu einem knappen, aber unverzichtbaren Rohstoff für die Batterieproduktion. Mehr noch: Vulcan Energy könnte das Leichtmetall ethisch, sozialverträglich, klimaneutral und quasi direkt vor den Werkstoren gewinnen. Bislang beziehen die Pkw-Hersteller ­ihren kompletten Bedarf aus Australien oder Süd­amerika. In Chile wird fast ein Viertel des global verwendeten Lithiums gewonnen, aus Salzlösungen in riesigen Verdunstungsbecken in der Atacama-Wüste. Millionen Liter Frischwasser werden dafür verbraucht. Das führt zu Dürre in der Region, was vor allem die indigene Bevöl­kerung spürt. Auch die Ökosysteme rund um die bekannten Anden­flamingos nehmen Schaden.

Der in den australischen Minen ­geförder­te Stoff ist nicht viel ökologischer. Von dort wird das Lithium nach China verschifft, um es zu Lithiumkarbonat und Lithiumhydroxid zu verarbeiten. Gemahlene Steine werden dafür geröstet, was 15 Tonnen CO2 für jede Tonne Lithium ausstößt. Hinzu kommen die Emissionen durch den Transport um den Globus. Bislang fördert Europa keine eigenen „kritischen Rohstoffe“, die Abhängigkeit von China ist enorm. Wie fragil Lieferketten sind, hat die Coronapandemie gezeigt. Die EU-Kommission will unbedingt mehr Rohstoffe in den Mitgliedsländern fördern.

Es wundert nicht, dass Vulcan Energy mit seinen Lithiumversprechen die Fantasie der Entscheider im Automobil- und Energiesektor beflügelt: Volkswagen, Renault und der Opel-Mutterkonzern Stellantis haben sich schon Lieferungen gesichert. An der Börse in Australien ist Vulcan Energy schon eine Mrd. australische $ wert, seit Februar wird ihr Papier auch in Frankfurt gelistet.

Aber: Können die Firmen mit deutschem Lithium überhaupt Geld verdienen? Diese Frage ist noch nicht geklärt, weder im Erzgebirge noch am Rhein. Noch verkaufen die Schatzsucher Träume – oder Albträume, je nach Sichtweise. Denn in der Bevölkerung regt sich Widerstand.

2019 hatte das französische Unternehmen Fonroche mit Geothermiebohrungen im be­nachbarten Straßburg begonnen. Danach wurden mehrere Erdbeben in der Region registriert. Fonroche stellte das Projekt ein, doch die Beben gehen weiter, beschädigen Gebäude und sorgen für Angst. Wütende Bürger konnten zwar erfolgreich weitere Geothermieprojekte verhindern, doch für Hans Roser, 64, Co-Vorstand einer Bürgerinitiative mit 800 Mitgliedern, geht der Kampf jetzt erst los.

Der Aktivist aus Kehl befürchtet, dass es durch die Jagd nach Lithium zu Problemen in den bestehenden Geo­thermieanlagen kommt. „Wir möchten diese Installationen nicht haben, weil wir erlebt haben, dass sie zu Erdbeben führen. Sie stören das Grundwasser und beeinträchtigen die Lebensqualität“, sagt Roser. Neben Vulcan Energy versucht sich auch der Energiekonzern EnBW in seinem Geothermiekraftwerk in Bruchsal an der Lithiumgewinnung.

Anton du Plessis
... stammt aus Kapstadt, Südafrika. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet er im Finanzsektor. Bei den Investmentbanken Bank of Amerika, Merrill Lynch und Morgan Stanley war er in der Beratung und Finanzierung von Rohstoffunternehmen beschäftigt. Du Plessis lebt in der Grafschaft Buckinghamshire bei London und fährt einen Tesla.

Je schneller das Thermalwasser fließt, desto mehr Lithium lässt sich herausfiltern, desto schneller wird es zurück ins Gestein gepresst – desto höher die Gefahr von Umweltschäden. Roser und seine Mitstreiter sehen in der „Gier“ der Investoren ein Sicherheitsrisiko: „Wir haben einfach kein Vertrauen gegenüber den Leuten von dieser australischen Firma. Geologische Unter­suchungen in der Ortenau habe Vulcan Energy vorerst ausgesetzt, wegen fehlenden Kooperationswillens der Kommunen, sagt Unternehmer Kreuter. Wegen Grenzwerten bei der Fließrate fürchten Kritiker dennoch, dass die erhoffte Fördermenge schwer zu erreichen ist. Platzt der Traum vom Milliardenschatz wie ein Luftbläschen im Thermalwasser? Geologe Grimmer findet es „schwierig“, wenn Gier die Lithiumsuche dominiert. Dennoch meint er, die Risiken würden übertrieben dargestellt: „Jeder, der mit dem Auto oder dem Fahrrad zur Arbeit fährt, setzt sich einem größeren Risiko für Leib und Leben aus, als in der Nähe eines Geothermiekraftwerks zu leben.“ Vulcan Energy sagt in einem Statement, die Risiken seien äußerst gering, man sehe keine Umweltschäden. Man habe jahrzehntelanges Know-how und arbeite in enger Abstimmung mit Behörden und Gemeinden.

Im Streit um den deutschen Lithiumschatz zeichnet sich ein größerer Konflikt ab. Welche Opfer sind unsere Gesellschaften bereit, für den Klimaschutz zu bringen? Wie viel Einschränkung wird hingenommen, um ein nachhaltiges Leben auch jenseits der eigenen vier Wände sicherzu­stellen? Aktivist Hans Roser: „Natürlich brauchen wir Lithium, aber nicht um jeden Preis. Man kann diesen Rohstoff bei uns nun mal nicht so einfach abschöpfen wie in Chile oder anderswo.“ Außerdem könnten neue Batterietechnologien vielleicht bald ohne Lithium auskommen. Wann und ob es dazu kommt, ob Rosers Widerstand Erfolg hat, ob Visionär Kreuter oder Investor du Plessis im Milliardenspiel gewinnen und Geologe Grimmer das begehrte „Li“ aus dem unterirdischen H2O waschen kann – das ist noch nicht entschieden. Der Rausch wird nicht abklingen. Er hat gerade erst begonnen.

Text: Reinhard Keck
Fotos: Jon Payne

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 1–22 zum Thema „Ressourcen“.

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