DIE MAUS VOR DER SCHLANGE

Krise muss gekonnt sein – geübt werden konnte sie noch vor dem Ausbruch der Coronapandemie im Zuge der Lehman-Pleite 2008. Das war auch bei Karin Exner-Wöhrer, CEO der Salzburger Aluminium Group (SAG) so. Ein Gespräch über Mut, Härte, Gefühle und Unternehmer in Höchstform.

"Hallo, wie geht es Ihnen?“ Eine gut ­gelaunte Karin Exner-Wöhrer ist am Telefon. Angesichts der – praktisch überall – wirtschaftlich angespannten Lage geben wir die Frage ein ­wenig überrascht zurück. Doch diese wird sofort mit einem Lachen quittiert: „Manches an der aktuellen Situation kommt einem doch recht bekannt vor“, so die Chefin der Salzburger Aluminium Group (SAG). Exner-Wöhrers Stimme strahlt Zuversicht aus.

Vor fast genau einem Jahr ­sprachen wir mit Exner-Wöhrer über die SAG, ihre Rolle als Unternehmerin und die Krisen, die das drittälteste Aluminiumwerk der Welt bislang zu meistern hatte. Damals war auch die Krise nach dem Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers ein Thema – eines, das die SAG und auch Exner-Wöhrer persönlich (damals noch CFO) vor enorme Herausforderungen ­stellte. Niemand hätte ahnen können, was der Welt mit der Coronapandemie noch bevorstehen sollte. Rückblick­end betrachtet – und so gesehen das Gute im Schlechten: Man hat gelernt, mit dem Unvorhersehbaren umzugehen.

Die SAG ist ­Weltmarktführer bei Aluminiumtanks, Technologie­führer bei LNG-Tanksystemen (LNG: Liquid Natural Gas) und Produzent von Sonderprodukten, etwa für die Bahnindustrie. ­Hauptkunden sind OEM (Original Equipment ­Manufacturers) im Automotive-­Bereich – etwa Volvo, Scania, ­Iveco, MAN oder Daimler. Und: Die SAG ist ein Familienunternehmen, das 1992 durch ein Management-Buy-out (MBO) von Exner-Wöhrers Vater ­Josef Wöhrer aus der ­Salzburger Aluminium GmbH entstand und heute rund 1.300 Mitarbeiter weltweit, 350 davon in Österreich, zählt. 2019 erwirtschaftete das Unternehmen einen Umsatz von rund 200 Millionen €. Produziert wird an zehn Standorten, geforscht wird in Österreich („Wir wollen die Herausforderungen in unserer Nähe haben“); der Exportanteil liegt bei 90 %, die Hauptmärkte der Gruppe sind Europa, Mexiko und die USA.

Geboren wurde Karin Exner-Wöhrer in Zürich. Sie ­absolvierte ihre ersten Schuljahre in Sierra ­Leone (Westafrika), bevor es nach Österreich, ins Gymnasium nach Innsbruck, ging. Für eine Heranwachsende war das bestimmt nicht nur eine klimatische Umstellung. Und wenn man so möchte, schreiben nicht wenige Exner-Wöhrer als Frau in der Metallindustrie einen ähnlichen Exotenstatus zu. Sie selbst sieht das nicht gerne so: In einer Führungsrolle gehe es schließlich um andere Qualitäten als das Geschlecht, sagt Exner-Wöhrer.

Den Weg an die Spitze der SAG hat sich die promovierte Betriebswirtin – an der, wie sie selbst sagt, eine Technikerin verloren gegangen sei – trotz offensichtlichem Startvorteil selbst erarbeitet. Bald schon nach dem MBO heuert Exner-Wöhrer im Projekt- und Risiko­management an und rückt später in den Finanzvorstand auf, wo sie ihre erste große Feuerprobe zu meistern hatte: die Folgen der Lehman-Pleite.

Karin Exner-Wöhrer
... wurde 1971 in Zürich geboren und wuchs in Afrika und Österreich auf. Die promovierte Betriebswirtin ist Mutter von drei Kindern und seit 2010 CEO der Salzburger Aluminium Group (SAG). Sie ist ehemalige österreichische Golfmeisterin und schrieb über ihr erstes – zu früh geborenes und verstorbenes – Kind das viel beachtete Buch „So zart und doch so stark.“

„Das war eine spannende Zeit“, blickt Exner-Wöhrer heute positiv zurück. Ihr Vater war damals noch CEO, und mit dem Unternehmen war es seit gut acht Jahren „nur aufwärtsgegangen“. „Wir waren im September 2008 noch auf der IAA (Internationale Automobil-Ausstellung, Anm.) – die Welt war noch in Ordnung. Drei Wochen später waren unsere Umsätze um bis zu 90 % eingebrochen. Das Geschäft war einfach weg.“

Das Einzige, was noch ­intakt war, war das Geschäftsmodell. „Was wir wussten, war, dass es auch nach dieser Krise noch Lkws geben wird. Und solange das so sein würde, ­würden unsere Kunden auch ­unsere ­Dieseltanks nachfragen“, so die SAG-Chefin weiter. Allein, es wurden keine Dieseltanks mehr nach­gefragt – von niemandem.

Es kamen nämlich zwei Dinge zusammen, erklärt die Unternehmerin: „Einerseits die große Verunsicherung durch die Finanzkrise, andererseits der Wegfall des Finanzierungsmodells, das es davor im Lkw-Sektor gab. Der Boom, den wir bis 2008 verzeichnen konnten, rührte auch von einem sehr guten Zweitmarkt im Osten her.“ Denn damals waren Lkws laut Exner-Wöhrer sehr günstig zu finanzieren und weiterzuverkaufen. „So kam es zu einem schnellen Wechsel nach jeweils drei bis vier Jahren. Und dieser Zweitmarkt war auf einmal völlig weggebrochen, was für die Branche 2008 einen überproportionalen Einbruch nach sich zog. Kurzfristig verloren einige die Orientierung oder fühlten sich gelähmt wie die Maus vor der Schlange, weil völlig unklar war, wie und wann es weitergehen würde.“

Relativ schnell wurde aber ein Paket geschnürt. Die damals finanzierenden Banken waren ebenso involviert wie ein Interimsmanager, den man in Ermangelung von Krisenkompetenz ins Haus geholt hatte. „Vor allem aber haben die Mitarbeiter sensationell mitgespielt“, so Exner-Wöhrer weiter. „Es sind alle in Kurzarbeit gegangen.“ Auch Exner-Wöhrer hat damals ihre Kämpfernatur bewiesen – jeder Schritt wurde von ihr persönlich ausverhandelt. „Who else?“ lautet ihre amüsierte Replik, als die Rede auf ihre Hands-on-Qualitäten kommt. „In solchen Situationen muss man selbst Hand anlegen“, sagt sie.

Alle haben einen Beitrag geleistet, sagt sie, und kurz vor Weihnachten 2010 – und mit zusätzlichen 21 Millionen € seitens der Eigen­tümer – konnte die Finanzierungsvereinbarung mit den Banken beschlossen werden. Ein eineinhalb Jahre anhaltender Kampf folgte, bei dem nicht nur ein Drittel der Belegschaft abgebaut werden musste, sondern die ganze Zeit über nicht sicher war, ob das Geplante überhaupt aufgehen würde.

Der Optimismus durfte jedenfalls nicht weichen, denn nicht nur wurde die Organisation umgebaut – man hatte sich trotz monumentaler Krise auch für eine weitere Expansion entschieden und beschlossen, ein Werk in Mexiko zu übernehmen. „Im Nachhinein betrachtet war Mexiko eine gute Entscheidung. Dort hat alles schnell ins Positive gedreht. Dennoch waren diese eineinhalb Jahre der Krise mit zwei kleinen Kindern schon eine gefühlt sehr ­lange Zeit. Als dann die Bank angerufen und den Abschluss des Finanzierungspakets bestätigt hat, habe ich erst gemerkt, was das alles mit mir gemacht hat.“

In der Krise müsse man schließlich nicht nur Zuversicht ausstrahlen, sondern auch erfinderisch sein, um überleben zu können. Bei der SAG ist dieser Erfindergeist eng mit der Frage verbunden: Was kann man noch alles in Aluminiumtanks füllen? In Schweden ist es etwa Warmwasser für Passivhäuser, es wurde 2009 aber auch an Sauerstoff gedacht – also Aluminiumtanks für medizinische Beatmungsgeräte.

Jetzt, während der Corona­krise, wurde dieser Prototyp wieder aus der Schublade geholt. Vor Kurzem wurde auch ein Desinfektionsmittel­spender mit Fußpedal auf den Markt gebracht. „Was wir brauchen“, so die Unternehmerin in Richtung der ­Politik, „ist eine abgestimmte Koordination auf europäischer Ebene – eine, die sicherstellt, dass die Standards überall die gleichen sind.“ Insgesamt bleibt Exner-Wöhrer aber ruhig und optimistisch, trotz 75 % Umsatzeinbußen im Jahresvergleich und der Tatsache, dass ein Großteil ihrer Mitarbeiter in Kurzarbeit ist. „Auch diese Krise werden wir meistern“, ist die CEO der SAG überzeugt. Krise kann man offensichtlich wirklich lernen.

Text: Heidi Aichinger
Fotos: David Višnjić

Der Artikel ist in unserer Mai-Ausgabe 2020 „Geld“ erschienen.

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