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Kiran Mazumdar-Shaws ursprünglicher Plan, Braumeisterin zu werden, scheiterte. Also kanalisierte sie ihre Frustration in den Aufbau eines internationalen Unternehmens für Nachahmermedikamente – und wurde zu einer der erfolgreichsten und reichsten Unternehmerinnen der Welt.
Kiran Mazumdar-Shaws boomendes Arzneimittelgeschäft nahm seinen Anfang in einem Blechschuppen in Bengaluru, der Stadt, die früher als Bangalore bekannt war. Dort nutzte die 25-Jährige ihr Wissen, das sie während ihres Studiums der Bierbraukunst in Australien erworben hatte, um Enzyme für Kunden wie den Fruchtsafthersteller Ocean Spray Cranberry Juice zu fermentieren. Eigentlich wollte sie den gleichen Weg wie ihr Vater einschlagen, der Chefbraumeister bei United Breweries war, dem indischen Unternehmen, das heute zu Heineken gehört – aber es war das Jahr 1978, und sie konnte keine Arbeit finden: Niemand wollte eine Frau als Brauerin einstellen.
Verzweifelt und desillusioniert nutzte Mazumdar-Shaw ihre Ausbildung für einen anderen Zweck: die Herstellung von Enzymen für industrielle Anwendungen. In Zusammenarbeit mit einem irischen Unternehmer, der eine Firma namens Biocon besaß und nach Indien expandieren wollte, richtete sie sich in dem kleinen Schuppen ein. „Ich bezeichne mich selbst als ‚zufällige Unternehmerin‘“, sagt sie. Das Unternehmen wurde so erfolgreich, dass Unilever es in den 1980er-Jahren zusammen mit seiner irischen Muttergesellschaft kaufte. Mazumdar-Shaw blieb bis 1998 in Bengaluru, um die dortige Einheit zu leiten, bis sie und ihr Ehemann John Shaw die Anteile von Unilever für etwa zwei Mio. US-$ (1,7 Mio. €) zurückkauften – ein Schnäppchen: 2007 verkauften sie das Enzym-Geschäft schließlich für 115 Mio. US-$ an das dänische Unternehmen Novozymes. Zu diesem Zeitpunkt hatte Mazumdar-Shaw bereits Größeres im Sinn: Im Jahr 2000 begann Biocon mit der Herstellung von Arzneimitteln, angefangen mit Insulin. Insulin ist ein sogenanntes „Biologikum“, also ein Medikament, das aus einer lebenden Quelle gewonnen wird; im Fall von Insulin traditionell aus einer modifizierten Version des Bakteriums E. coli, Biocon verwendet Hefe. Dank seines Standorts konnte Biocon diese Biologika billiger herstellen als große westliche Pharmaunternehmen.

Insulin ist eines der einfachsten Biologika, die zunehmend zur Behandlung von Krankheiten wie Krebs bis hin zu Störungen des Immunsystems eingesetzt werden. Komplexere Biologika wie Gentherapien und monoklonale Antikörper sind schwierig herzustellen – und extrem teuer. Ein Medikament für Kinder mit spinaler Muskelatrophie kostet beispielsweise mehr als zwei Mio. US-$ je Einzeldosis. Es handelt sich um einen riesigen Markt: Laut dem Gesundheitsforschungsunternehmen Iqvia beliefen sich die Ausgaben für Biologika im Jahr 2023 auf 324 Mio. US-$ zu Listenpreisen. „Das sind sehr komplexe, teure Medikamente, daher ist es wichtig, dass Unternehmen wie unseres einen erschwinglichen Zugang schaffen“, sagt Mazumdar-Shaw bei einer Tasse Tee, die ihr ein Butler in ihrer Wohnung in Manhattan serviert. Mazumdar-Shaw, heute 72 Jahre alt, konzentrierte sich zunächst auf den indischen Markt, verkauft ihre Medikamente heute aber weltweit – mit zunehmendem Fokus auf die USA und Kanada, die etwa 40 % ihres Umsatzes mit Biologika ausmachen. Heute erzielt Biocon, das in Indien börsennotiert ist, einen Umsatz von 1,9 Mrd. US-$ durch den Verkauf von Dutzenden von Generika und „Biosimilar“-Medikamenten. Mazumdar-Shaw ist eine der reichsten Selfmade-Unternehmerinnen der Welt, mit einem geschätzten Vermögen von 3,2 Mrd. US-$.
Der größte Teil ihres Imperiums ist eine private Tochtergesellschaft im Mehrheitsbesitz des Konzerns namens Biocon Biologics, die sich auf Biosimilars konzentriert. Ähnlich wie Generika für chemisch synthetisierte Medikamente sind diese günstigeren Alternativen Nachahmungen von biologischen Medikamenten – und da bis 2035 weitere 118 biologische Arzneimittel ihren Patentschutz verlieren werden, könnte der Markt für günstigere Nachahmerprodukte vor einem Boom stehen. Insgesamt hat Mazumdar-Shaws Unternehmen neun Biosimilar-Medikamente auf den Markt gebracht, darunter eines, das Genentechs Brustkrebsmedikament Herceptin ähnelt. Mazumdar-Shaw brachte es 2017 auf den Markt, nachdem die Krankheit bei einer Freundin diagnostiziert worden war und diese Schwierigkeiten hatte, die Behandlung zu bezahlen. Sieben der Biosimilar-Medikamente von Biocon sind mittlerweile für die Verwendung in den USA zugelassen. Mazumdar-Shaw hat eine Erfolgsbilanz darin, Herausforderungen zu meistern – als sie vor 25 Jahren beschloss, Insulin in Indien herzustellen, sah sie sich einem Markt gegenüber, der ausschließlich tierisches Insulin importierte. „Ich sagte: ‚Das ist verrückt‘“, erinnert sie sich; „nur weil wir uns Humaninsulin nicht leisten können, müssen wir Tierinsulin verwenden, also werde ich etwas dagegen unternehmen!“ Zu dieser Zeit stellte Biocon noch industrielle Enzyme her – doch innerhalb von vier Jahren entwickelte das Unternehmen das erste Humaninsulin Indiens und ermöglichte damit Millionen von Diabetikern den Zugang zu besseren Medikamenten. „Das gab mir dann den Anstoß, mich auf Biopharmazeutika zu konzentrieren“, so die Gründerin.
Heute hat Biocon 20 Medikamente auf dem Markt oder in der Entwicklung. Das Unternehmen hat sein erstes GLP-1-Biosimilar für Diabetes und Adipositas in Großbritannien eingeführt und rechnet damit, es auch in den USA zu verkaufen, wenn Medikamente wie Ozempic ihren Patentschutz verlieren. Mazumdar-Shaw ist zuversichtlich, dass sie bis 2030 jährlich ein Medikament in den USA oder Europa auf den Markt bringen kann – und sie hofft, Biocon Biologics in den nächsten 18 Monaten in ein separates Unternehmen auszugliedern. „Ich glaube, wir sind in einem humanitären Geschäft tätig“, sagt sie, „und ich denke, wir leisten unseren Beitrag für einen erschwinglichen Zugang.“
Fotos: Guerin Blask für Forbes, Forbes Asia