Mit dem FORBES-NEWSLETTER bekommen Sie regelmässig die spannendsten Artikel sowie Eventankündigungen direkt in Ihr E-mail-Postfach geliefert.
Nach dem Verkauf ihres Gesundheitsunternehmens will die Milliardärin Michele Kang beweisen, dass ihre drei Fußballteams mit dem Geschäft im Männersport mithalten können – und sie ist bereit, alles dafür zu investieren, was nötig ist.
Michele Kang lässt sich in einem grauen Polstersessel in ihrem Wohnzimmer im Zentrum Londons nieder, unter einem riesigen Kronleuchter, der sogar den nahe gelegenen Flügel klein erscheinen lässt. Ihre Gedanken schweifen zu der US-amerikanischen Heimwerker-Serie „This Old House“. Sie kommt gerade von einem Treffen mit Architekten, hat den gläsernen Aufzug in den Konferenzraum unterhalb ihrer Fünf-Zimmer-Wohnung in Knightsbridge genommen – und hat nur Gebäude im Kopf.
Sie liebe Design, sagt sie – gekleidet in einen doppelreihigen kardinalroten Valentino-Mantel. Kang hat allerdings nicht die Geduld, sich durch eine lange Fernsehstaffel zu quälen: „Ich möchte nur das Vorher-nachher-Bild sehen“, sagt die 66-Jährige. „Wen interessiert schon der Mittelteil? Ich möchte das Endergebnis sehen.“ Ihr ganzes Leben lang hat sich Kang auf das Endergebnis konzentriert. Das hat sie zu einer erfolgreichen Tech-Unternehmerin gemacht: Kang steht auf Platz 28 der Forbes-Liste der reichsten US-amerikanischen Selfmade-Milliardärinnen und -Millionärinnen 2025; mit einem geschätzten Vermögen von 1,2 Mrd. US-$ (1 Mrd. €). Auch wenn sie deutlich gemacht hat, dass sie Prozesse lieber überspringt, ist sie eine Frau, die die ersten 30 Jahre ihrer Karriere akribisch geplant hat. Zuerst absolvierte Kang ein Wirtschaftsstudium an der University of Chicago, danach folgte ein MBA in Yale. Sie beschloss, zehn Jahre lang als Beraterin zu arbeiten, um alle Aspekte eines Unternehmens kennenzulernen, und dann ein Jahrzehnt als Führungskraft tätig zu sein, bevor sie schließlich ihren Lebenstraum verwirklichen würde: CEO zu werden. Dieses Ziel erreichte sie 2008, als sie Cognosante gründete. Vergangenes Jahr verkaufte sie das IT-Unternehmen mit Bezug zum Gesundheitswesen für mehr als eine Mrd. US-$.
Bekannte und Geschäftspartner beschreiben Kang als Person, die immer bestens vorbereitet ist. John Textor, ehemaliger Vorstandsvorsitzender des auf Sport spezialisierten Streamingdiensts Fubo TV, besucht sie gelegentlich an ihrem Zweitwohnsitz in Florida: „Es spielt keine Rolle, wie früh ich zu ihr komme: Sie ist immer perfekt vorbereitet – perfekt gekleidet, perfekte Frisur, voll im Einsatz. Sie fertigt schon Notizen an, während ich überhaupt noch aufwache.“ Trotzdem hätte Kang ihre zweite Karriere kaum vorhersehen können: Sechs Jahre nachdem eine zufällige Begegnung bei einer Veranstaltung im Capitol Hill ihr Interesse am Profifußball geweckt hat, ist sie Eigentümerin dreier prominenter Teams: Washington Spirit in der National Women’s Soccer League (NWSL, USA), OL Lyonnes in der französischen Première Ligue und London City Lionesses. Noch unerwarteter ist, dass die bescheidene Kang heute weithin als das globale Gesicht der Investition in den Frauensport anerkannt ist.
„Ich wusste nicht, wer Leo Messi ist“, sagt sie lachend über den argentinischen Fußballstar, „und jetzt bin ich hier.“ Kang übernahm Washington Spirit 2022 zu einem Wert von 35 Mio. US-$ – damals ein astronomischer Preis für eine Frauenmannschaft. In Wirklichkeit war es ein Schnäppchen: Forbes schätzt den Wert von Spirit mittlerweile auf 130 Mio. US-$. Und er ist nicht der einzige Klub der US-amerikanischen Profiliga NWSL, der eine derartige Wertsteigerung erlebt hat: Letztes Jahr wurde etwa der Angel City FC aus Los Angeles für eine Rekordbewertung von 250 Mio. US-$ an Disney-CEO Bob Iger und seine Frau Willow Bay verkauft. „Michele hat einen Boom bei den Bewertungen in Gang gesetzt“, erklärt NWSL-Kommissarin Jessica Berman.
Kang hat erneut ein ehrgeiziges Ziel vor Augen, doch diesmal rechnet sie damit, dass ihr Plan weit weniger als 30 Jahre in Anspruch nehmen wird. Sie glaubt, dass Frauenfußballmannschaften schon bald für eine Mrd. US-$ oder mehr gehandelt werden – und sie ist bereit, alles zu investieren, was nötig ist, um das Realität werden zu lassen. Mit dem Kauf ihrer drei Vereine, der Gründung mehrerer frauenfokussierter Sport-Start-ups und einer Spende von 30 Mio. US-$ an den US-Fußballverband ist Kang mit mindestens 200 Mio. US-$ in die Welt des Sports eingestiegen. Damit nicht genug: Bei ihrem eingangs erwähnten Treffen mit Architekten drehte sich alles um die Pläne für eine Trainingsanlage für die Lionesses in Kent, südöstlich von London.

Kang und die Miteigentümer stehen gleichzeitig vor einer großen Herausforderung, um an die Bewertungen der Teams in den vier großen nordamerikanischen Männer-Sportligen heranzukommen. Diese sind alle mindestens eine Mrd. US-$ wert und haben in den vergangenen 30 Jahren durchschnittlich fast 1.800 % an Wert gewonnen. Im Vergleich dazu stecken die Frauenligen noch in den Kinderschuhen und viele der Vereine müssen erst noch beweisen, dass sie in der Lage sind, echte Gewinne zu erzielen. Obwohl Kangs Washington Spirit 2021 den NWSL-Titel davontrug und 2024 das Meisterschaftsendspiel erreichte, erzielte der Verein im vergangenen Jahr nur etwa 15 Mio. US-$ an Einnahmen in der regulären Saison. Diese Bedenken – gepaart mit massiven Lohnunterschieden zwischen männlichen und weiblichen Spielern, ungleicher Medienberichterstattung und teils offener Diskriminierung – haben einige Kritiker dazu veranlasst, den jüngsten Boom im Frauensport als nichts weiter als eine „soziale Sache“ abzutun. Kang glaubt das nicht. „Das ist keine Wohltätigkeit, das ist kein DEI-Projekt eines Unternehmens“, sagt sie. „Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, zu beweisen, dass das ein gutes Geschäft ist – nicht nur
ein Geschäft, sondern ein gutes Geschäft.“
Kang bezeichnet sich selbst als „sehr, sehr private Person“ und sagt, dass sie sich noch immer an das Rampenlicht gewöhnen müsse, das mit ihrer Tätigkeit im Profisport einhergeht. Beim Interview lacht sie leise: „Sie wollen mich eine Stunde lang interviewen?“, fragt sie. „Ich habe gar nicht genug zu erzählen für eine ganze Stunde.“ Kang wuchs in Südkorea als selbst ernannter Wildfang auf, weigerte sich, Klavier zu üben, und betrieb stattdessen lieber Sport. Obwohl Kang, deren eigentlicher Vorname Yongmee ist, mit einem Studium in den USA in die Fußstapfen ihres Vaters treten wollte, waren ihre Eltern nicht begeistert davon, ihre jüngste Tochter ziehen zu lassen. Doch Kang konnte sie davon überzeugen, dass es angesichts der politischen Unruhen der 80er-Jahre – Südkorea wandelte sich von einer Diktatur zur Demokratie – besser sei, ihr Studium zu finanzieren, als für eine Hochzeit zu sparen. Nach ihrem Studium wurde sie Partnerin bei Ernst & Young und wechselte im Jahr 2000 zu TRW, als Leiterin der Unternehmensstrategie für die Nicht-Automobil-Sparten des Mischkonzerns. Als das Unternehmen zwei Jahre später vom Luft- und Raumfahrtriesen Northrop Grumman übernommen wurde, sah Kang eine Chance darin: „Sie gaben mir dieses Gesundheits-IT-Geschäft, das dabei war, kläglich zu scheitern“, sagt sie. „Sie dachten sich wohl: ‚Wenn du das vermasselst, kannst du keinen wirklichen Schaden anrichten!‘“
Kangs Timing war perfekt. Im Jahr 2004 begann Präsident George W. Bush damit, den US-Amerikanern Zugang zu elektronischen Patientenakten zu garantieren. Zu diesem Zweck schuf er das Nationwide Health Information Network. Northrop Grumman gehörte zu den vier Unternehmen, die für den Aufbau des Netzwerks ausgewählt wurden. Zwischen 2003 und 2007 verdreifachte Kang den Umsatz ihrer Abteilung. Mit ihrem neuen Fachwissen im Bereich Gesundheits-IT beschloss Kang, sich selbstständig zu machen, und gründete 2008 Cognosante. Das Unternehmen half Ärzten und medizinischem Fachpersonal dabei, von überall aus auf Notizen und die Ergebnisse bildgebender Verfahren zuzugreifen.
Dieses Mal war ihr Timing jedoch nicht ideal: Nur wenige Monate nach der Gründung von Cognosante schickte die Subprime-Krise die Wirtschaft auf Talfahrt. Angesichts der prekären Lage verkaufte Kang Aktien von Northrop Grumman im Wert von rund 700.000 US-$, um ihr Unternehmen zu finanzieren. „Ich hatte viele Angebote, in mein Unternehmen zu investieren, aber ich habe kein Geld angenommen – nicht, weil ich kein Geld brauchte, sondern weil ich mit diesem Geld nicht das Risiko hätte eingehen können, das ich eingehen wollte“, sagt sie. Nach Überwindung der Finanzkrise erweiterte Cognosante den Kundenstamm um Bundesbehörden, darunter das Ministerium für Gesundheit und Soziales. Das Unternehmen kam an einen Punkt, an dem Kang laut eigener Aussage zwei Optionen hatte: an die Börse zu gehen oder ein neues Management zu holen. Vergangenes Jahr entschied sie sich für den Verkauf an eine Tochtergesellschaft des in Irland residierenden IT-Riesen Accenture.
Kang stellte sich vor, dass sie ihr nächstes Jahrzehnt als Philanthropin verbringen würde – das war auch dann noch ihr Plan, als sie 2020 einen Scheck über rund zwei Mio. US-$ für 35 % von Washington Spirit ausstellte. „Ich wusste nichts darüber“, sagt sie über die NWSL zu dieser Zeit. Aber ihr gefiel die Idee, Sportlerinnen zu unterstützen, und sie glaubte, dass „die Zukunft einfach unglaublich wäre – nicht nur für die Spielerinnen, sondern vor allem für viele junge Mädchen“, wenn die Liga dazu beitragen könnte, die Kluft zum Männersport zu schließen. Ein Jahr später kaufte Kang ihr erstes Team für 35 Mio. US-$. Der Preis schockierte Beobachter: Bewertungen in der NWSL lagen bis dahin immer unter fünf Mio. US-$ und der Frauenfußball hatte trotz des Erfolgs der US-amerikanischen Frauen-Nationalmannschaft eine holprige Erfolgsbilanz vorzuweisen. „Ich sehe den Wert, und wenn ich nicht anfange, ihn zu schätzen, wer sonst wird es für uns tun?“, sagt Kang. „Ob ich nun fünf Mio. US-$ oder 35 Mio. US-$ bezahlt habe, macht keinen großen Unterschied.“
Schnell machten sich Veränderungen bemerkbar, mit Investitionen in die Geschäftsführung und das Trainerteam von Washington Spirit sowie mit einer verstärkten Mannschaft um Superstar-Stürmerin Trinity Rodman. Als Kang zu Spirit kam, beliefen sich die jährlichen Einnahmen auf schätzungsweise fünf Mio. US-$; bis 2024 hatte sich diese Zahl verdreifacht. Im Mai 2023 vereinbarte Kang den Kauf von 53 % des damals als Olympique Lyonnais Féminin bekannten französischen Vereins. Später im selben Jahr erwarb sie die London City Lionesses und gründete Kynisca Sports International, um ihre Fußballinvestitionen unter einem Dach zu bündeln. Im Frauenfußball ist dieses Modell eine neue Entwicklung – Kang kann die Ausgaben der Organisation reduzieren, indem sie das globale Scouting sowie die Spieler- und Trainerentwicklung zentralisiert. Im vergangenen Jahr hat die NWSL global tätige Sponsoren wie AT&T und Google gewonnen; 2023 erzielte die Liga einen finanziellen Durchbruch, als sie Medienrechte-Verträge im Gesamtwert von 240 Mio. US-$ über vier Jahre abschloss – etwa das 60-Fache der bisherigen Gebühren.
Kang, die im Mittelpunkt des Geschehens steht, kann kaum fassen, was sie in fünf Jahren alles erreicht hat. „Die Tatsache, dass ich über das Wort Vermächtnis spreche, ist surreal“, sagt sie. Zu den meisten Spielen von Washington Spirit versucht sie anzureisen. Als die Niederlage im Meisterschaftsendspiel 2024 angesprochen wird, lacht sie nur und meint: „Komm nicht darauf zu sprechen!“ Wird Washington Spirit also die Niederlage rächen und im November den Pokal holen? „Auf jeden Fall“, sagt Kang mit einem Grinsen.
Text: Justin Birnbaum und Gigi Zamora
Fotos: Levon Biss für Forbes