die unteilbarkeit des künstlerischen

Nach 25 Jahren war Schluss – er wollte mit 70 Jahren nicht mehr Generaldirektor der Albertina sein, sagt Klaus Albrecht Schröder. Jetzt stehen neue Projekte an, weit weg von Albrecht Dürers Feldhasen. Darüber ist Schröder vielleicht gar nicht unglücklich.

Das Gespräch mit Klaus Albrecht Schröder um 13 Uhr verzögert sich ein wenig. Der ­ehemalige Generaldirektor der Albertina hatte vor unserem ein anderes Treffen mit einer Künstlerin vereinbart, die aber verschlafen habe, sagt er: „Bis Mittag.“ Das habe seinen Zeitplan – und somit auch unseren – zurückgeworfen. Während ­Schröder sich erklärt, schwankt sein Gesichtsausdruck zwischen belustigt und ungläubig – als frage er sich, wie man überhaupt bis Mittag schlafen könne. Es heißt ja, Schröder selbst schlafe ­selten durch und lese nächtens regelmäßig ein bis zwei Stunden. In einem seiner zahlreichen Interviews sagte er einmal, dass er oft schlecht träume, häufig von Ausstellungen, bei deren Hängung Dinge schieflaufen. Nachgefragt haben wir das allerdings nicht. Belegt ist jedoch, dass er jede ­einzelne seiner gezeigten Ausstellungen selbst kuratiert hat.

Im Lauf des Gesprächs wird jedenfalls ­deutlich, warum ihn seine Tätigkeiten bis in den Schlaf verfolgen: Die Kunst, die hat ihn mit Haut und Haaren gepackt. Schröder verfolgt ihre Vermittlung – und sein Wissen darüber – mit tiefer Ernsthaftigkeit und großer Leidenschaft.

Ohne weitere Umschweife führt er uns durch einen Teil seiner Räumlichkeiten. „Sie werden sehen“, sagt er, während wir Platz nehmen, bestimmt, „wir werden nicht viel Zeit brauchen. Ich rede schnell.“

Viele, besonders jüngere Generationen, ­kennen Klaus Albrecht Schröder ausschließlich als Direktor der Albertina. Dabei war der promovierte Kunsthistoriker im Jahr 1999, als er vom damaligen Bundespräsidenten Thomas Klestil auf diesen Posten berufen wurde, bereits eine fixe Größe in Österreichs Museums- und Kulturlandschaft. So geht etwa die Errichtung und Planung des Museums auf dem Mönchsberg in Salzburg ebenso auf Schröder zurück wie die Übersiedlung des Landesmuseums Carolino Augusteum in die Neue Residenz und dessen Etablierung als Salzburg Museum. Von 1988 bis 2000 leitete er das BA-CA Kunstforum auf der Wiener Freyung und von 1996 bis 1999 war er Vorstandsmitglied und kaufmännischer Direktor der Stiftung Leopold ­sowie Baukoordinator für die Errichtung des Leo­pold Museums im Museumsquartier, um nur einige seiner Tätigkeiten zu nennen, die Österreichs Museumslandschaft nachhaltig verändert haben.

Schröder geht sofort in medias res: „Zu dem Zeitpunkt, als ich die Albertina übernommen habe, war völlig klar, dass wir hier einen kom­pletten Strategiewechsel herbeiführen müssen. Ich kann das mit einem Wort beschreiben: Diversifikationsstrategie.“ Die Albertina zählte um die Jahrtausendwende etwa zwischen 10.000 und 12.000 Besucher im Jahr. Das Interesse an ihrer damals noch rein grafischen Sammlung habe zu dieser Zeit bereits sichtlich nachgelassen, beginnt Schröder zu erklären. „In den 1970er-Jahren sind millionenfach Druckgrafiken verkauft worden, wodurch auch die Museumsbesucher komplexere Kunstausstellungen erwartet haben“, so Schröder weiter.

Die Kunstgeschichte als Wissenschaft
habe natürlich immer Zeichnungen und ­Gemälde ­zusammengebracht, führt er weiter aus, etwa Vorzeichnungen zu Gemälden. Darüber hinaus haben Künstler seit den 1960er-Jahren ihre Arbeiten auf Papier nicht mehr von ihren Videos, Skulpturen, Installationen oder Gemälden getrennt. „Da habe ich gesagt“, so Schröder ­weiter, „wir gehen von der Unteilbarkeit des Künstlerischen aus. Das ist das Ausstellungsprogramm. Das war die neue Ausstellungsdoktrin, die ich 1999 etabliert habe.“

Die Diversifikation, die Modernisierung, die Erweiterung und Renovierung – das habe ich in den ersten Wochen und Monaten des Jahres 1999 als Strategie festgelegt und letzten Endes im darauffolgenden Vierteljahrhundert durchdekliniert.

Klaus Albrecht Schröder

Ab diesem Zeitpunkt sollten Zeichnungen und Druckgrafiken ungetrennt voneinander ausgestellt werden. Mit dieser Entscheidung war dann aber auch klar, dass die Sammlung der Albertina selbst diversifiziert und somit auch die räumliche Situation erweitert werden musste. Schröder: „Die Diversifikation, die Modernisierung, die Erweiterung und Renovierung – das habe ich in den ersten Wochen und Monaten des Jahres 1999 als Strategie festgelegt und letzten Endes im darauffolgenden Viertel­jahrhundert durchdekliniert.“ Eine enorme Dynamik, die Außenstehenden erst ab dem Jahr 2003, dem Jahr der Wiedereröffnung nach zahlreichen ­inneren und äußeren Umbauten, richtig bewusst ­gemacht worden ist. Denn geplant war 1999 nur, „ein Depot und ein unterirdisches Studien­gebäude zu errichten“. Die Republik hatte jedenfalls keine großen Veränderungen mit der Albertina geplant. Für Schröder lagen die Dinge ganz offensichtlich anders.

Für seine, wenn man so möchte, aggressive Wachstumsstrategie war zunächst eines wichtig: Zum Jahreswechsel 2000 wurde die Alber­tina vollrechtsfähig und war somit aus der Ministerial­bürokratie ausgegliedert. Kurz gefasst bestand ab diesem Zeitpunkt seitens der Politik kein Weisungsrecht mehr, sondern nur eine wirtschaftliche Aufsichtspflicht des Aufsichtsrats.

Als Generaldirektor – 17 Jahre lang war Schröder Alleingeschäftsführer – lag die alleinige Verantwortung und Haftung für sämtliche juristischen, personellen, budgetären und inhalt­lichen Angelegenheiten bei ihm. Schröder: „Das schafft eine große Unabhängigkeit und entspricht auch ein bisschen meinem Weltbild, dass wir nicht nur als Unternehmer oder als Geschäftsführer, sondern ganz allgemein im Leben für vieles selbst Verantwortung übernehmen sollten. Diese Versorgungsmentalität, die jetzt überall Platz greift, halte ich nicht für der Weisheit letzten Schluss.“

Da er mit seiner Strategie und seinem Team 25 Jahre lang erfolgreich war, gab es nicht zuletzt seitens des Aufsichtsrats „überhaupt keine Beschwerden – naturgemäß“, so Schröder weiter. So ließ sich auch der wirtschaftliche Druck gut aushalten, sagt er. „Wir haben Gewinne geschrieben, obwohl wir das geringstdotierte Museum waren.“ In seiner Zeit, geht Schröder mehr ins Detail, „hatten wir viele Jahre neun Mio. € an Subventionen und eine Bilanzsumme von 135 Mio. € sowie einen Umsatz zwischen 25 und 28 Mio. € im Jahr. Das heißt, wir hatten einen sehr hohen Eigendeckungsgrad – naturgemäß.“ Die Subventionen haben weder die Personal­kosten gedeckt, geschweige denn die vier Mio. € an Mieten, die an die Republik Österreich gezahlt werden mussten, oder andere laufende Posten wie die Energiekosten, so Schröder weiter. Und so wurden auch große Teile der Umbauten, der Renovierungen und der Rückkäufe privat finanziert. „Für die Prunkräume ist nicht ein einziger Euro an staatlichem Geld hineingeflossen – der Harriet Hartman Court, wo heute mit den Kassen der Eingangsbereich ist, wurde zur Gänze ­privat finanziert, auch die Propter Homines Halle. All diese Hallen wurden von privater Seite finanziert – und so konnte ich das Museum eigentlich neu gründen und auch den Expansionskurs verfolgen, den ich zweifelsohne und dezidiert gefahren bin“, so Schröder weiter.

Nachdem Schröders neue ­Ausstellungsdoktrin festgelegt war, ging es also an die Erweiterung der Sammlung. Schröder fasst diese Meilensteine in drei Punkten zusammen: „Der erste Schritt war die Gründung der Fotosammlung. Der zweite Schritt bestand darin, dass ich die Sammlung Batliner bekommen habe und somit erstmals in Österreich eine wirklich große, bedeutende Sammlung mit Werken der Klassischen Moderne von 1870 bis etwa 1930 etablieren konnte. Der dritte Schritt war dann die Gründung des Bereichs für Zeitgenössische Kunst. Und gleichzeitig damit – und das ist mir mindestens genauso wichtig wie all das vorhin Gesagte – wollte ich die Albertina renovieren und ihr wieder die historische Würde zurückgeben.“

So wurden die Fassaden rekonstruiert, die Prunkräume erstmals renoviert und ebenso die Originalausstattung zurückgekauft, die in Versailles von Herzog Albert von Sachsen-Teschen, dem Namensgeber und Gründer, 1780 in Auftrag gegeben worden war, erzählt Schröder. Und am anderen Ende wurde das Museum modernisiert und erweitert: „Aus 2.500 Quadratmetern wurden so am Ende fast 35.000 Quadratmeter.“

Und noch etwas war spielentscheidend: Schröder musste den Feldhasen „­verschwinden lassen“. Albrecht Dürers berühmtes Aquarell „Feldhase“ war, holt Schröder aus, das „Wappen­tier“ der Albertina. „Vor mir wurde er zuletzt im Jahr 1971 gezeigt, und das nächste Mal im Jahr 1999.“ Diese Blätter sind sehr empfindlich, vor ­allem lichtempfindlich. „Das heißt aber auch, ein Wappentier zu haben – wie die Mona Lisa oder den „Kuss“ von Klimt –, bringt überhaupt nichts, wenn man es nicht zeigen und es nicht zu einer Cashcow machen kann. Also musste ich schauen, dass der ‚Feldhase‘ aus den weltweiten Publika­tionen verschwindet“, so Schröder weiter. Denn im schlimmsten Fall wären Menschen gekommen, denen er sagen hätte müssen: „Ist da, kann ich aber nicht zeigen“, so Schröder. Erst mit der Sammlung Batliner, die im Jahr 2007 in die Albertina zog, verschob sich letztendlich das Zen­trum der Aufmerksamkeit.

Die Albertina wurde von einem Museum für Spezialisten zu einem für ein breites Publikum. Und aus der ursprünglichen Besucherzahl von maximal 12.000 Personen im Jahr wurden sukzessive deutlich mehr. „Zwischen 450.000 und 500.000 Besucher kommen aus Österreich, und dazu kommen noch einmal bis zu 800.000 inter­nationale Besucher“, so Schröder stolz. „Das ist nicht nichts. Aber ein Unternehmen muss lokal agieren und erfolgreich sein, um international Strahlkraft aufbauen zu können.“

Was weniger Menschen bekannt sein dürfte, ist, dass Schröders Expertise international hoch nachgefragt und seine Leistungen für Kunst und Kultur nicht nur in Österreich – etwa im Jahr 2014 mit dem Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien –, sondern vor allem auch international Anerkennung gefunden haben. 2009 wurde er etwa zum Ritter des Ordens von Oranien-Nassau und 2011 zum Ritter des Ordre des Arts et des Lettres ernannt – um nur einige der Ehrentitel zu nennen. Bis zuletzt waren auch internationale Niederlassungen der Albertina, etwa in Südkorea oder im spanischen Sevilla (ähnlich wie die Niederlassungen des Guggenheim-Museums in Venedig oder Bilbao), im Gespräch. „Das habe ich in meiner Amtszeit nicht mehr geschafft“, so Schröder nur ein bisschen wehmütig – denn vieles andere ist gelungen: etwa seinem Publikum die Idee eines zeitgemäßen Museums näherzubringen, oder die Albertina von einem 60-Mann-Betrieb auf heute 360 Mit­arbeiter aufzustocken.

In der Kritik stand er dabei in den vergangenen 25 Jahren immer wieder, beginnend beim vom Architekten und Pritzker-Preis­träger Hans Hollein errichteten Flugdach über dem Museums­aufgang bis hin zur Überschneidung der Albertina-Schauen mit jenen des Kunst­historischen Museums Wien, des Mumok oder der neuen Galerie Belvedere; was beim ­Bestand der Albertina – von der Gotik bis ­zur Gegenwart reichend – nahezu unumgänglich ­erscheint.

Schröder nimmt’s gelassen: „Auch hier gilt immer dasselbe. Erstens neige ich nicht zur Wehleidigkeit und zweitens muss man die Kirche im Dorf lassen.“ Wenn man in der Auslage steht, sagt er, weil man sich selbst hineingestellt hat, dann bekommt man einerseits unglaublich viel Zuspruch. „Auch viel Zuspruch, den man gar nicht verdient, weil ich das, was ich gemacht habe, ohne die Hunderten Mitarbeiter, die meine Vision geteilt haben, nicht hätte machen können. Dann braucht man sich andererseits auch nicht beschweren, wenn ab und zu wer vorbeigeht und das Gesicht verzieht. Ich habe diese Art von Kritik nie persönlich genommen.“

Es sei wichtig zu verstehen, dass das Museums­denken in der Sammlung, in der ­Ausstellung und in der Forschungspolitik
„um vieles kurzatmiger geworden ist“. So viele der sogenannten Alten Meister seien im vergan­genen Jahrhundert mit einer ­unvorhersehbaren Geschwindigkeit „aus der relevanten Kunst­geschichte für ein breites Publikum wegge­brochen“, so Schröder – „bis auf Leonardo, ­Raphael, Rembrandt und Rubens, die zählen ­natürlich heute auch noch“.

Dafür hat man früher kaum Gegenwartskunst von jemand Lebendem gekauft, sagt er – „heute kaufen wir Kunst von Künstlern, die kaum 30 Jahre alt sind“. Das alles habe sich verändert, so Schröder weiter, durch die Globalisierung der Wirtschaft, der Gesellschaft und der Kultur. „Was zur Gründungszeit der Albertina in der Mitte und am Ende des 18. Jahrhunderts als ­enzyklopädische Sammlung gedacht war, ist heute eine eurozentristische Sammlung. Unser Horizont ist heute so weit, dass wir nicht mehr alle Bereiche alleine abdecken können“ – wodurch auch Partnerschaften mit Sammlungen, mit Sammlern und Künstlern für einen modernen Museumsbetrieb nicht nur überlebensnotwendig seien, sondern auch gleichzeitig die eigenen Depots entlasten und „eine gewisse Beweglichkeit hineinbringen“. Schröder: „Als ich die grafische Sammlung übernommen habe, zählte sie 950.000 Werke. Heute haben wir 1,1 Millionen Werke. Von diesen 950.000 grafischen Werken arbeiten wir mit 5.000, vielleicht mit 6.000 Werken; mehr nicht. Und jetzt stellen Sie sich vor, es sind nicht nur Kupfer­stiche in bestimmten Größen, sondern Installationen, die ein Depot brauchen, und nicht eines wie unseres, das 15 Meter tief, 40 Meter lang und 20 Meter breit ist, sondern Tausende und Abertausende Quadratmeter“, so Schröder weiter. Da relativiere sich der enzyklopädische Anspruch des Gründers doch rasch.

Die Leihgaben sowie Dauerleihgaben, die über Schröders Arbeit heute in der Albertina zu sehen sind, sollen sich auf einen Gesamtwert von rund zwei Mrd. € belaufen. Anders als mit Leihgaben oder Schenkungen sei ein ­zeitgemäßer Museumsbetrieb nicht aufrechtzuerhalten, sagt er. Das Ankaufsbudget der Albertina betrage nämlich 40.000 € im Jahr. „Damit brauche ich nicht einmal überlegen, ob ich mir einen Gerhard Richter leisten kann. Damit kann ich nicht einmal einen Rahmen kaufen“, so Schröder knapp. Er finde es langweilig, darüber zu sprechen, ob es sinnvoll sei, mit Stiftungen zusammenzuarbeiten, die ihre Sammlungen theoretisch jederzeit zurücknehmen könnten: „Soll ich sie deshalb nicht zeigen?“ Nicht wenige der von Schröder gepflegten zeitgenössischen Künstler haben der Albertina Werke vermacht, darunter Alex Katz, Arnulf Rainer, Georg Baselitz oder Gerhard Richter. „Lassen Sie uns aber an dieser Stelle ­darüber sprechen, dass erfolgreiche bildende Künstler ein sehr großes Vermögen haben. Ein zeitgenössischer Komponist oder Lyriker hat das nicht. Wenn sie heute als Opernhaus eine Oper in Auftrag geben, dann arbeitet ein Komponist drei oder vier Jahre daran – und wenn er bekannt ist, verdient er vielleicht 100.000 €. Das ist bei den vorhin genannten bildenden Künstlern nicht so. Die verdienen im Jahr einige Millionen und können es sich leisten, Arbeiten zu verschenken. Erst in der Popmusik kommen wir wieder in diese Liga – was nicht heißen soll, dass ich nicht unendlich dankbar für diese Arbeiten bin“, so Schröder.

Schröders Strategie der Ausstellungsdoktrin, seine zahlreichen Kontakte, seine exakte Vor­stellung, wie die Albertina zu führen ist, und vor allem seine inhaltliche und wirtschaftliche Un­abhängigkeit haben ihn dazu befähigt, ­schneller als andere Marktteilnehmer zu agieren – und auch Unvorhersehbares zu managen. „Dass wir jemals in den Genuss der Sammlung Essl gekommen sind, weil durch die globale Finanzkrise 2008 auch diese in Schwierigkeiten gekommen ist, konnte keiner vorhersehen“, sagt Schröder. Er konnte 2017 große Teile der Sammlung als Dauer­leihgabe für die Albertina übernehmen; 2018 wurden ebendiese und die verbliebenen Anteile der Familie Essl der Albertina geschenkt – insgesamt 1.323 Kunstwerke. Schröder: „Ich konnte nicht vorhersehen, dass wir so einen unglaublichen Platzbedarf haben werden, dass ich unbedingt einen zweiten und später sogar einen dritten Standort brauchen werde, weil das Palais einfach nicht mehr weiter ausbaubar war.“ Aber so, wie er aufgestellt war, konnte er, wenn sich Chancen wie Schenkungen oder Stiftungs­kooperationen boten, diese sofort wahrnehmen.

Ob er Mäzene und Geldgeber getroffen habe, die gar nichts von bildender Kunst verstanden ­haben, wollen wir noch wissen. „Absolut – das ist selbstverständlich, wenn man bedenkt, dass wir fünf Sinne haben. Ich habe das Glück, dass ich ­einen sehr guten Sehsinn habe, und einen für Ästhetik, und die Qualität der Kunst erkennen kann. Das können nicht viele. Viele Kunsthistoriker ­haben ein großes historisches Wissen, aber keine ästhetische Sensibilität“, sagt Schröder. Auch habe er ein gutes Gehör; er habe Klavier gespielt, im Chor gesungen. „Ich kann daher einen Vortrag über Pergolesi (Giovanni Battista Pergolesi, Komponist, 1710–1736; Anm.) halten, oder über ein zeitgenössisches Oratorium. Ich habe also einen guten Seh- und Gehörsinn, aber ich habe überhaupt keinen Geschmackssinn. Ich ernähre mich. Ich bin kein Gourmet. Das ist so.“ Deshalb gebe es Mäzene, die eher an der Renovierung des Palais interessiert waren als an den Werken im Museum selbst: „Menschen, die Gewaltiges leisten, liebend gerne in die Oper gehen oder ins Theater, weil sie eben Dramatik lieben – aber nicht ins Museum“, so Schröder weiter. „Ich werfe auch niemandem etwas vor, der in Rubens nur fette Frauen sieht“, sagt er. „Kollegen, die aus ­einem ­Standesdünkel oder Bildungsdünkel heraus Menschen beurteilen, die mit bestimmter Kunst nichts ­anfangen können, frage ich: ‚Was soll ich tun? Sie aus­sperren? Eine Aufnahmeprüfung machen, bevor man eine Ausstellung betreten darf?‘ Ich schwöre Ihnen, das wären die Ersten, die ich bei so ­einer Prüfung durchfallen ließe! Ich liebe es, wenn Menschen, die etwas leisten, als Zahnarzthelferin, als Redakteurin, als Bus­chauffeur, ins Museum kommen und ich ihnen etwas zeigen kann.“

Was aber kommt jetzt auf den, der sich selbst als „sehsüchtig“ bezeichnet – in einem dreiwöchigen Urlaub besuchen Schröders durchschnittlich 40 bis 60 Museen –, zu? „Es gibt einige Haupttätigkeiten, die jetzt meine Gegenwart prägen“, sagt Schröder. „Dazu gehört einmal, dass ich ein Museumsberater bin. Und zwar keineswegs für große Museen – im Gegenteil; ein Louvre braucht meine Beratung nicht. Es sind oft kleinere Museen, Privatmuseen, Privatsammlungen, die Museen gründen wollen, denen ich zur Seite stehe; Museen, die einfach einen Ratschlag von jemandem brauchen, der das schon einmal gemacht hat.“ Das sei das eine Standbein. Das ­andere sei, dass er sehr oft gebeten werde, Ausstellungseröffnungen zu machen, auch Ausstellungen zu kuratieren.

Zudem unterstützt der große USA-Fan (er sei mindestens 150-mal in den Staaten gewesen, sagt er) den einen oder anderen Künstler dabei, in den USA Ausstellungen zu bekommen. Und dann gebe es etwas, das ihn sehr bewege, sagt Schröder: „Ich habe festgestellt, dass die Ausbildung auf der Universität in der Kunstgeschichte sehr, sehr gut ist, aber auch einseitig. Sie ­bereitet einen nicht vor für die Komplexität der Arbeit ­eines Kurators, die heute in einem Museum gefordert wird. Und das gilt auch für die Tätig­keiten im Auktionshaus, in einer Galerie, im Kunst­handel oder als freier Kurator. Und ich frage mich, ob nicht in der Kulturbetriebslehre, im ­Kulturmanagement, hier ein Desiderat besteht.“

Klaus Albrecht Schröder (Jahrgang 1955) wurde in Linz geboren und ist promovierter Kunsthistoriker sowie international anerkannter Kultur- und Museumsmanager. Er leitete zwölf Jahre lang das Bank Austria Kunstforum, bevor er 1999 zum Direktor der Albertina in Wien berufen wurde, der er bis Ende 2024 als Generaldirektor vorstand. Unter seiner Führung expandierte das ursprünglich als ausschließlich grafische Sammlung geführte Museum auf heute drei Standorte. Schröder wurde für seine Verdienste mehrfach in Österreich und international hoch dekoriert.

Fotos: Gianmaria Gava

Heidi Aichinger,
Herausgeberin

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