DIE WENDE SCHAFFEN

Aus dem beschaulichen Haag in Niederösterreich heraus will Lukas Scherzenlehner mit seinem Unternehmen Cleen Energy Großes erreichen. Denn der Gründer plant, die Energiewende mitzugestalten – mit Solaranlagen, Batterie- und Wasserstoffspeichern sowie anderen Lösungen. Doch das Geschäft ist hart, Cleen Energy schreibt seit Jah­ren rote Zahlen. Nun soll mithilfe von signifikantem Wachstum und einem Großprojekt in Dubai die Wende gelingen.

Lukas Scherzenlehner ist gerade einmal 19 Jahre alt, als er erstmals unternehmerisch tätig wird: Mit SB-Optimierung berät er Unter­nehmen zu den Themen Energie, Nachhaltigkeit und Effizienz. Die in den Beratungsprozessen ent­wickelten Konzepte werden mit einem eigens gegrün­deten Bau­unternehmen, der SB-Bau & Handels GmbH, umgesetzt. Zu Spitzenzeiten hat SB-Bau 120 Mit­arbeiter, die Aufmerksamkeit ist groß, Scherzen­lehner erhält den „Genius Jugendpreis“ der niederösterreichischen Gründeragentur Riz up.

2014 meldet SB-Bau un­verschuldet im Anschluss an die Alpine-Großinsolvenz Konkurs an – 90 von 120 Mitarbeitern
waren zu 100 % für die Alpine tätig. „Daraus habe ich gelernt, dass man sein Kundenportfolio möglichst breit und diversifiziert aufstellen muss, um eben nicht in existenzielle Abhängigkeiten zu geraten“, sagt Scherzenlehner heute. Doch während das Unternehmen ­scheitert, bleibt die Idee erhalten: Gemeinsam mit Investor Erwin Stricker startet Scherzenlehner 2014 Cleen Energy. Damit wollen die beiden die Energiewende mit­gestalten. Ihr Unternehmen mit Sitz im niederösterreichischen Haag fokussiert sich auf den Handel mit und Dienstleistungen rund um Beleuchtung, Solaranlagen, Batterie- und Wasserstoffspeicher, Elektro­mobilität, Wärmepumpen und Lösungen im Bereich dezentraler Stromnetze. „Wir haben 2014 gemerkt, dass wichtige Konzepte aufgrund von fehlendem Kapital nicht umgerüstet werden, das wollen wir ändern. Unser Ansatz ist, dass wir dem Kunden das Investment abnehmen, damit er sich voll und ganz um alles andere kümmern kann“, sagt Scherzenlehner, der heute als CEO von Cleen Energy aktiv ist. Stricker ist mittlerweile aus dem Unternehmen ausgeschieden und hält keine Anteile mehr; auch das ehemalige Vorstandsmitglied Klaus Dirnberger schied im Sep­tember 2020 aus dem operativen Geschäft aus.

Neben Scherzenlehner, dessen Anteil von 24,54 % rund 8,15 Millionen € wert ist, sind unter anderem auch Runtastic-­Mitgründer und -CFO Alfred Luger (20,55 %), Boris Schnabel, CFO von DER Touristik Group und Cleen-Energy-Aufsichtsrat (8,40 %), sowie Investor Michael Altrichter an dem Unternehmen beteiligt. 24,80 % der Unternehmensanteile befinden sich in Streubesitz.

Den Kunden von Cleen Energy werden Photovoltaikanlagen im Contractingmodell zur Ver­fügung gestellt. Dabei übernimmt das Haager Unternehmen die Finanzierung der Anlagen und die Kosten für den Betrieb – und verdient etwa am Verkauf von Strom an die jeweiligen Abnehmer. Dem Kunden wird somit die Einstiegshürde, also die Finanzierung, abgenommen, denn am Kapital sollen Konzepte der grünen Energie nicht scheitern, sagt Scherzen­lehner. Mittlerweile zählt das Unternehmen knapp 2.000 Kunden, darunter Industriebetriebe und Dienstleistungsunternehmen, KMU, landwirtschaftliche Betriebe sowie die öffentliche Hand. Nach eigenen Angaben konnte das Unternehmen durch seine Lösungen insgesamt bereits 1,16 Milliarden € an Kosten einsparen sowie den Energiebedarf um rund 7,42 Millionen MWh (Megawattstunden) reduzieren. Zum Vergleich: Im August 2021 lag der Stromverbrauch in Österreich bei rund 4,8 Millionen MWh.

Lukas Scherzenlehner
...machte sich bereits nach seinem Schulabschluss 2009 selbstständig. Im Jahr 2014 gründete er Cleen Energy, heute ist er CEO und größter Aktionär des Unternehmens.

Dass das besetzte Thema derzeit Aufwind erfährt, zeigen auch Ankündigungen der Politik: Die österreichische Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, die Stromversorgung in Österreich bis 2030 zu 100 % aus erneuerbaren Energien zu decken. Das kürzlich beschlossene EAG (Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz) beinhaltet ein großzügiges Fördersystem, um dieses Ziel zu erreichen. Nachdem man im Photovoltaikbereich lange im förderleeren Raum gestanden war, sei das nun grundsätzlich ein Schritt in die richtige Richtung, sagt Scherzenlehner: „Leider gibt es aber keine Richtlinien dazu, wie es dann exekutiert wird.“

Cleen Energy bedient also einen Wachstumsmarkt – doch dieser ist keineswegs frei von Kon­kurrenz: Im Bereich LED-Technik wetteifert man mit dem Vorarlberger Unternehmen Zumtobel, der deutsche Großkonzern Siemens bietet dezentrale Energiesysteme an, während das Kärntner Unter­nehmen Kioto Solar im Bereich Photovoltaik einer der führenden Hersteller Europas ist. Namhafter Mitbewerb also, der aber nicht die einzige Sorge für Cleen Energy ist.

Denn das Unternehmen hat mit seiner Geschäftsentwicklung durchaus zu kämpfen. Das liegt einerseits am Geschäftsmodell: Die Anlagen werden über einen Zeitraum von bis zu 40 Jahren finanziert und betrieben. Neben dem Con­tractinggeschäft gibt es zwar auch klassische Kauf- und Leasing­modelle, aber mit rund 80 % kommt der Löwenanteil aus dem Con­tracting. Damit, sagt Scherzen­lehner, entstünden gesicherte Einnahmen über mehrere Jahr­zehnte – doch im Contractingmodell übernimmt Cleen Energy nicht nur einen Großteil des Risikos, sondern muss das steigende Auftrags­volumen auch vorfinanzieren.

Auch deshalb schreibt Cleen Energy seit Jahren Verluste. In den Jahresabschlüssen 2018 und 2019 wurde vom Wirtschaftsprüfer vor Insolvenzgefahr gewarnt. Auch die Bilanz für 2020 weist darauf hin, dass das Unternehmen zunehmend bestandsgefährdet ist. Der Wirtschaftsprüfer Grant Thornton schreibt: „Nach wie vor befindet sich die Gesellschaft in einer Aufbauphase und kann nicht auf ein nachhaltig gesichertes Geschäftsmodell zurückgreifen, wie das bei Start-up-Unternehmen regelmäßig der Fall ist.“

Laut Scherzenlehner erhöhe das Contractingmodell jedoch die Skalierbarkeit: „Das Finanzierungsrisiko ist zu vernachlässigen, da die Anlagen so geplant sind, dass sie sich ohne den Abnahmevertrag rein über die Einspeisung in das Stromnetz rechnen würden.“ Profitabilität für Wachstum zu opfern ist tatsächlich nicht unüblich in der Start-up-Welt – doch die Unterschiede zu klassischen Start-ups sind offensichtlich: Diese setzen in der Regel auf beliebig skalierbare digitale Geschäftsmodelle, deren Null-Grenzkosten-Logik Wachstum sehr günstig machen – das ist bei Cleen Energy nicht der Fall. Und: Jung­unternehmen finanzieren ihre Verluste meist über private Investoren, die oft mehr Geduld haben als die öffentlichen Kapitalmärkte.

„Wir glauben, dass Wasserstoff eine sehr wichtige Zukunftstechnologie sein wird, und haben versucht, mit Cleen zeero eine Kompaktlösung zu bauen, die wirklich für jeden anwendbar ist.“

Denn dort ist Cleen Energy seit 2017 vertreten, als das Unternehmen an der Wiener Börse gelistet wurde. Die aktuelle Bilanz dürfte für Investoren nicht ver­trauensfördernd sein: Der Jah­res­abschluss 2020 weist ein Vor­steuerergebnis (Ebitda) von minus 769.000 € aus. Die Pandemie habe dem Unternehmen stark zugesetzt, so Scherzenlehner: „Im ersten Halbjahr 2020 stand an den Bau­stellen quasi alles still. Wir hatten Aufträge, konnten sie aber nicht umsetzen. Das hat sich im zweiten Halbjahr komplett gedreht; hier war unser Ebitda bereits positiv (nach UGB, Anm.). Aktuell sehen wir das Umfeld sehr positiv, die einzigen Nachwehen der Corona­pandemie sind Lieferschwierigkeiten von Komponenten, die uns genauso wie die ganze Branche beschäftigen.“

Den Schritt, an die Börse gegangen zu sein, bereut Scherzenlehner nicht. „Wir haben uns ein gewisses Korsett angezogen, was aber aus meiner Sicht nicht schadet und im Gegenteil für das geplante Wachstum noch sehr hilfreich sein wird“, so Scherzenlehner über die neuen Berichtspflichten. Ganz so einfach scheint es dann aber doch nicht zu sein: 2020 musste die Veröffentlichung der Bilanz zum wiederholten Mal verschoben werden. Bereits beim Börsengang hatte die Finanzmarktaufsicht nicht ausreichende Informationen zum Geschäftsmodell kritisiert und Cleen Energy anschließend auch geprüft.

Das Problem: Die Querelen werfen ein schlechtes Licht auf eine eigentlich positive Geschäfts­entwicklung. Denn Cleen Energy will 2021 endlich den Durchbruch schaffen – und das scheint durchaus machbar. So schrieb das Finanz­magazin Börsianer kürzlich: „Ope­rativ ist die Cleen Energy AG mit Großaufträgen eingedeckt, der Wert pro Auftrag hat sich 2021 im Vergleich zu 2019 von 40.000 auf 200.000 € erhöht. Es wäre gut, auch mit Blick auf potenzielle Investoren, wenn bei den Zahlen die Veröffent­lichungstermine eingehalten wer­den. Das stärkt die Glaubwürdigkeit.“

Auch die Kursentwicklung ist durchaus positiv: Lag der Aktienkurs zu Jahresbeginn noch bei 2,76 €, hatte er sich bis Redaktionsschluss (14. September 2021) auf 7,85 € fast verdreifacht. Die Kapitalerhöhung vom März könnte zusätzlichen Aufschwung bieten. Und auch der Umsatz soll steigen: Dieser lag 2020 bei rund sechs Millionen €, dieses Jahr will Scherzenlehner dieses Jahr zwischen 12 und 15 Millionen € umsetzen.

Um das zu schaffen, liegt der Fokus auf der Internationalisierung: Über eine Kooperation mit der FAM Ganz Gruppe in Dubai soll etwa der arabische Markt erschlossen werden. Die FAM Ganz Gruppe ist ein Joint Venture der in Dubai ansässigen FAM Holding sowie der ungarischen Ganz Gruppe. „Sie sind schon lange am Markt, sind etabliert und kennen sich aus“, sagt Scherzen­lehner über den neuen Partner. „Diese Konstellation gibt uns die nötige Sicherheit, großvolumige Projekte im Ausland anzugehen.“ Konkret geht es bei der Kooperation um ein Projektvolumen von 40 bis 80 Millionen US-$ (33 bis 68 Millionen €), bei einer voraus­­sichtlichen Dauer von zwei Jahren.

Neben der Internationalisierung will Scherzenlehner auch das Produktportfolio erweitern. Mit „Cleen zeero“ brachte Cleen Energy im April 2021 die erste massen­taugliche Lösung für Wasserstoffspeicher auf den österreichischen Markt. „Wir glauben, dass Wasserstoff eine sehr wichtige Zukunftstechnologie sein wird, und haben versucht, mit Cleen zeero eine Lösung zu bauen, die für jeden anwendbar ist“, sagt Scherzen­lehner. Die Wasserstoff­speicher für Industrie­betriebe als auch private Haushalte nutzen überschüssig produzierten Strom, um daraus mittels Elektrolyse Wasserstoff zu erzeugen.

Trotz vieler Herausforderungen könnte Scherzenlehner mit Cleen Energy 2021 der Durchbruch gelingen. Das sieht naturgemäß auch der Gründer so: „In zehn Jahren ist Cleen Energy ein füh­render Anbieter für Energie­lösungen aller Art – und löst die Probleme von Kunden in ganz Europa.“

Text: Naila Baldwin
Fotos: David Višnjić

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 7–21 zum Thema „Smart Cities“.

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