Die Zukunft liegt in der Gemeinwohlökonomie

Die Coronapandemie hat unser gesellschaftliches Leben ordentlich durcheinandergewirbelt und bringt gravierende Auswirkungen auf die Wirtschaft mit sich. Ein Gastkommentar von Antje von Dewitz und Lisa Fiedler.

Die Krise wirkt wie ein negativer Katalysator auf Unternehmen mit prekären Arbeitsbedingungen und umweltschädlichen Geschäftsmodellen, wie Skandale in der Fleischindustrie und finanzielle Schwierigkeiten in der Automobil- und Luftfahrtbranche zeigen. Auch den stationären Handel hat der Lockdown getroffen, und damit unmittelbar auch Vaude als mittelständisches Unternehmen, das ­Outdoorprodukte herstellt. Dass wir uns gut erholen und ­keine staatlichen Hilfen benötigen, führen wir auf ­unsere nachhaltige Ausrichtung zurück, die uns krisenfest macht und sich darin zeigt, dass wir für das, was wir tun, ganzheitlich Verantwortung übernehmen; an unserem Firmensitz, aber auch in der globalen Lieferkette. Nachhaltigkeit wurde also zum Kerngeschäft gemacht und komplett in die Unternehmensstrategie integriert – etwas, das in unserem derzeitigen Wirtschaftssystem nicht verankert ist.

Denn bis heute gibt es keinen allgemein­gültigen Maßstab, kein fertiges Bewertungs­system, kein Zertifikat für nachhaltige Outdoorprodukte und schon gar keinen einheitlichen, international und für sämtliche ­Produktgruppen gültigen Nachhaltigkeitsstandard. Deshalb ­haben wir 2011 für unsere Produkte das Green ­Shape Label entwickelt, das sich nach einem strengen Kriterienkatalog richtet und externe Standards wie das Bluesign®-System und die Fair Wear Foundation miteinbezieht. Umweltschädliche Technologien und Verfahren wie fluor­carbonhaltige Oberflächenbehandlung werden strikt und konsequent ausgeschlossen.

Antje von Dewitz
... ist seit 2009 CEO des familiengeführten Outdoor-Ausrüsters Vaude mit Sitz in Tettnang.

Lisa Fiedler
... leitet seit März 2020 die Vaude Academy für nachhaltiges Wirtschaften, welche sich für den Transformationsprozess hin zum nachhaltigen Wirtschaften einsetzt und Unternehmen, Organisationen, Schulen und Institutionen dabei unterstützt.

Wir sind davon überzeugt, dass umweltfreundliches und faires Wirtschaften der richtige Weg ist. Es ist gesunder Menschenverstand, unternehmerische Verantwortung zu übernehmen und nicht die Gesellschaft oder die Natur die von uns verursachten Kosten bezahlen zu lassen. Zudem macht es uns zukunftsfähig: Das kontinuierliche Arbeiten an unternehmerischen Antworten für globale Herausforderungen wie die Klimakrise macht uns ­lösungsstark. Zudem sind wir dadurch sehr nah an den Bedürfnissen und Erwartungen der Menschen. Immer größere Teile der Bevölkerung wollen mit gutem Gewissen konsumieren – das war schon vor Corona so und hat sich in den ­letzten Monaten noch verstärkt.

Die Krux ist jedoch, dass die Umsetzung dieses unternehmerischen Verständnisses in unserem Wirtschaftssystem schwer gemacht wird – denn Unternehmen werden allein nach finanziellen Kennzahlen bewertet, sei es bei der Vergabe von Finanzdienstleistungen oder der Berechnung der Besteuerung. Ob Unternehmen umweltfreundlich und fair wirtschaften, wird nicht berücksichtigt. Das führt dazu, dass Unternehmer sich in der Regel an kurzfristiger Gewinnmaximierung orientieren. Das geht in vielen Fällen zulasten von Menschen und Umwelt. Zudem bedeutet es auch, dass es einen strukturellen Wettbewerbsnachteil für nachhaltige Unternehmen gibt. Denn wer auf die Verwendung von nachhaltigen Materialien und eine umweltfreundliche Herstellung achtet und sich um eine gerechte Entlohnung und faire Arbeitsbedingungen in Produktionsstätten kümmert, hat deutlich mehr Kosten zu tragen als Unternehmen, die auf diese Aspekte nicht achten. Als Beispiel: Das PVC-freie Hauptmaterial der „Made in Germany“-Radtaschen von Vaude ist bis zu 80 % teurer als das als Sondermüll umstrittene PVC-haltige Material. Weitere Mehrkosten entstehen für aufwendige Chemikalien-Managementsysteme und Umweltzertifikate, bei denen es um Ressourcenschonung und möglichst große Schadstofffreiheit in der Materialherstellung und in Produktionsprozessen geht. Dazu kommen Kosten für Umweltmanagement-Trainings der Lieferanten und für die Überprüfung fairer Arbeitsbedingungen in Produktionsbetrieben.

Die wahren Kosten tragen also nicht die Unternehmen, die diese Schäden verursachen, sondern unbeteiligte Parteien, die Allgemeinheit und zukünftige Generationen.

Von den gesamten Mehrkosten, die für diese Maßnahmen entstehen, kann jedoch lediglich ein geringer Anteil an Konsumenten weitergegeben werden, da die Bereitschaft, höherpreisige Produkte zu kaufen, ihre Grenzen hat. Hier verzichten wir bei Vaude zum Teil bewusst auf Gewinne. Dies ist nur möglich, indem wir an anderen Stellen Ausgaben vermeiden und zum Beispiel im Marketing auf teure Werbemaßnahmen verzichten. Unternehmen, die diese Nachhaltigkeitsaspekte vernachlässigen, sparen sich also erhebliche Kosten, die sie an andere weitergeben: Werden Flüsse mit Chemikalien aus der Textilfärbung verseucht, weil keine Klärsysteme existieren, oder wird in Betrieben auf Arbeitsschutzmaßnahmen oder Sozialleistungen verzichtet, wird damit rücksichtslos in Kauf genommen, dass Arbeitende ein menschenunwürdiges Leben führen müssen und Natur zerstört wird. Die wahren Kosten tragen also nicht die Unternehmen, die diese Schäden verursachen, sondern unbeteiligte Parteien, die Allgemeinheit und zukünftige Generationen. Es ist daher nicht nachvollziehbar, warum es bisher keine staatlichen Regulierungen gibt, die Unternehmen dazu verpflichten, Verantwortung für ihr Handeln in der gesamten Lieferkette zu übernehmen. Selbst in unserer Verfassung (deutsches Grundgesetz, Art. 14) ist verankert, dass Eigentum verpflichtet und sein Gebrauch der Mehrung des Gemeinwohls dienen soll. Noch präziser steht es in der bayrischen Verfassung: „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl“ (bayrische Verfassung, Art. 151). Das wirft die Frage auf, wie gut die gesetzlichen Regelungen unseres Wirtschaftssystems zu den Werten unserer Verfassung passen. Für uns steht fest: Es braucht eine Weiter­entwicklung der Gesetzgebung.

Ein wertvoller Lösungsansatz ist die Gemeinwohlökonomie (GWÖ) – sie ist eine ­Vision für ein langfristig stabiles und faires Wirtschafts­system, in dem Menschenrechte und Umwelt geachtet werden. Die GWÖ setzt sich für eine Ver­än­derung der Besteuerung nach Nachhaltigkeitskriterien und verbesserte ­Bedingungen für Finanzdienstleistungen für nachhaltige Unternehmen ein. In der GWÖ-Bilanz wird unter­nehmerischer Erfolg neben ökonomischen Kennzahlen gleichwertig auch an sozialen und ökologischen Aspekten gemessen. Wie die Finanzbilanz wird auch die GWÖ-Bilanz von einem unabhängigen Auditor überprüft. Über 2.000 Unternehmen unterstützen die GWÖ bereits – so auch wir. Dazu kommen zahlreiche Gemeinden und Hochschulen sowie weltweit 100 Regionalgruppen.

Gerade jetzt, nach dem Lockdown, wo die Wirtschaft mit Konjunkturpaketen gestärkt werden soll, halten wir es für absolut notwendig, die strukturellen Wettbewerbsnachteile für nachhaltige Unternehmen endlich abzubauen und unser Wirtschaftssystem zukunftsfähig zu gestalten.

Gastkommentar: Antje von Dewitz & Lisa Fiedler

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