Digital Health

Die Digitalisierung macht vor keinem Bereich halt – so betrifft sie auch zunehmend das Geschäft mit der Gesundheit. Start-ups mischen..

Die Digitalisierung macht vor keinem Bereich halt – so betrifft sie auch zunehmend das Geschäft mit der Gesundheit. Start-ups mischen traditionelle Geschäftsfelder auf – ihr Vorstoß wirft viele neue Fragen auf.

Digital Health, also der Bereich der digitalen Anwendungen im Gesundheitsbereich, explodiert. Nicht nur, dass sich mittlerweile eine nahezu unüberschaubare Anzahl an Anwendungen und Start-ups entwickelt hat, auch das Volumen und die Anzahl der Investmentdeals sind dieses Jahr – nach einem ersten Rückgang 2016 – bis dato massiv nach oben gegangen. 9,4 Milliarden US-$ in rund 1.000 Deals, also Übernahmen oder Investments, sollen es in diesem Jahr insgesamt noch ­werden, so das amerikanische Marktforschungsinstitut CB Insights.

Die Anwendungen betreffen dabei alle Bereiche: die Pharmaindus­trie, Spitäler, Ärzte und auch Patienten, die direkt via Apps ihre Gesundheit managen können; oder Patienten-Datenmanagement, das nur mehr digital abgewickelt wird – auch die Betreuung von Patienten via Smartphone etwa. Dieses neue Feld wirft viele ­Fragen auf.

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„Der Bereich Digital Health reicht von der Prozessoptimierung in Krankenhäusern bis hin zu Apps, bei denen es um die individuelle Gesundheit geht“, erklärt Alexander Hoffmann, der Leiter des Bereiches „New Businesses“ von Merck Ventures – dem Venture-Capital-Arm des gleichnamigen Konzerns Merck. Hoffmann kommt aus der Start-up-Welt. Vor seinem aktuellen Job hat er als Leiter der digitalen Strategie von Merck vor allem dabei geholfen, Digital-Health Lösungen auf den Weg zu bringen. „Wir investieren vor allem in Hinblick darauf, dass wir uns weiterentwickeln müssen und uns selbst innovieren. Man kann sich nicht nur auf die alten Geschäftsmodelle fokussieren, sondern muss auch nachdenken, was die Zukunft bringt und was die Digitalisierung verändern wird: Geschäftsmodelle über die Pille hinaus – was kann sie ersetzen oder vervollständigen?“, so Hoffmann zur generellen Ausrichtung des VC-Arms; so divers das Feld ist, so weitläufig auch die Austrichtung des VC-Arms. Insgesamt hat er 300 Millionen € zur Verfügung, um nach Lösungen für den Konzern zu suchen; die dem gegenüberstehenden 1,5 Milliarden € für Forschung und Entwicklung lassen das verfügbare Risikokapital eher klein aussehen. Das ist sicherlich ein Anzeichen dafür, dass die Pille nach wie vor dominiert. Wohl wird das noch eine Zeit lang so bleiben. Wenngleich Hoffmann dabei ist, eine neue Ausrichtung für die Zukunft aufzubauen.

„Für uns sind vor allem digitale Therapien von Interesse. Wie lassen sich Werte, also Indikatoren, mit neuen Technologien diagnostizieren, beobachten und behandeln? Hier gibt es viele Apps, das geht auch in den Bereich Augmented und Virtual Reality. Ebenfalls spannend ist der Bereich der digitalen Biomarker, also inwieweit die Stimme oder das Bewegungsverhalten Rückschlüsse auf gewisse Krankheiten wie degenerative Krankheiten, Depressionen, Alzheimer zulassen – hier könnten sich neue relevante Größen ergeben“, so der Investor. Der jüngste Deal von Merck Ventures betrifft dabei ein Start-up, das eine App entwickelt hat, die Patienten daran erinnert, Medikamente einzunehmen. „Die Rate an nicht richtig oder unregelmäßig genommenen Medikamenten hat Auswirkungen auf den Patienten, aber auch auf das Gesundheitssystem als Ganzes. Apps können hier helfen, die Adhärenzrate zu verbessern.“

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Quelle: CB Insights

Während der Pharmabranche insgesamt – auch aufgrund ihres Geschäftsmodells – unterstellt wird, eher daran interessiert zu sein, Medikamente zu erzeugen, die gegen bestimmte Symptome und Krankheiten eingesetzt werden, kommt mit den digitalen Anwendungen im Gesundheitswesen ein Trend vermehrt ins Spiel, den man eher aus alten Schulen wie der Traditionellen Europäischen Medizin oder der Traditionellen Chinesischen Medizin als aus der Schulmedizin kennt: Man versucht eher, Menschen gesund zu halten, sodass sie erst gar nicht krank werden und erst gar nicht Medikamente nehmen müssen. „Hier kann ich nur für Merck sprechen. Die Richtung, gesund zu halten, wird von uns unterstützt. Natürlich kollabiert der Markt, wenn niemand mehr krank wird. Unser Ziel ist dennoch, dass Menschen gesünder werden – Krankheiten vorzubeugen kann auch ein Markt werden. Bevor wir zusehen, wie andere uns kannibalisieren, sind wir lieber Teil davon und investieren auch entsprechend intern und extern in Start-ups, die solche Bestrebungen haben. Hier gibt es generell einen Mindshift: weniger das Alte, Bewahrende, sondern eher proaktiv neue Ansätze mitgestalten“, so Hoffmann. Zwar wird viel gegründet in diesem Bereich, so einfach ist das allerdings nicht immer – bei Merck Ventures sind 70 Prozent des Teams Wissenschaftler. Es geht um unsere Gesundheit, und hier sind vor allem Glaubwürdigkeit und Sicherheit wichtig. Start-ups stellt die strenge Regulierung vor Herausforderungen, wie Hoffmann berichtet: „Sie können im Gesundheits­bereich in Richtung Medizin gehen, da ist es deutlich schwieriger, zu gründen, oder aber auf den Bereich Wellness ausweichen, wo es mitunter einfacher ist und schneller geht, weil es der unregulierte Weg ist.“ Wenig überraschend ist es in den USA viel einfacher ein Medizin Start-up zu gründen: „Zwar sind die Standards für eine Zulassung in den USA durch die Food and Drug Administration höher, aber ein Stück weit fortgeschrittener, und der Prozess ist insgesamt klarer als in Europa“, wo man zudem die Zahlungsbereitschaft des Patienten nicht wirklich sehe.

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Quelle: CB Insights

Lukas Zinnagl, Gründer und CEO der Medikamentenplattform Diagnosia, die sich an Ärzte richtet, sieht das ähnlich. „Patienten in Euro­­pa sind es nicht gewohnt, für medizinische Leistungen zu bezahlen. In Amerika gibt es diesbezüglich ein viel größeres Bewusstsein. Verrechnungen laufen bei uns ja im Hintergrund zwischen der Industrie und Sozialversicherungen ab. Die Frage ist, wo man gründet: In den USA kann man Modelle aufbauen, in denen der Patient der Käufer ist und sich dann Produkte durchsetzen, weil sie durch Preis oder Qualität überzeugen. In Europa sehe ich nur die Industrie als möglichen Käufer, weil die öffentliche Hand eher träge ist und IT-Budgets eher knapp sind“, sagt der Gründer, der selbst auf einen medizinischen Background blickt. Modelle, die die Beziehungen zwischen Industrie und Healthcare-Professionisten digitalisieren, findet Zinnagl besonders spannend. Dort ist wohl auch sein Start-up Diagnosia einzuordnen. „Wir haben Diagnosia gegründet, weil wir glauben, dass es mittlerweile unmöglich ist, dass Ärzte evidenzbasierte Entscheidungen treffen, weil es so viele Informationen gibt. Gerade im mobilen Bereich gab es keine ordentlichen Lösungen für Ärzte in Europa. Durch Investoren und die aws oder die FFG konnten wir ein Modell etablieren, das wir auch internationalisieren können. Ich glaube aber, dass wir im Bereich Digital Health noch ganz am Anfang stehen. Es wird spannend, sobald die Industrie, die Medizintechnik-Hersteller, die Pharmafirmen und Konsorten ihre Geschäftsmodelle ändern müssen und sich stärker mit der Software von Start-ups auseinandersetzen müssen, die dazu beitragen den Kreislauf zwischen Arzt, Patient, Hersteller und Regierungen besser zu machen.“ Die strenge Regulierung im Gesundheitswesen erachtet Zinnagl dabei als notwendig. „Wenn es um so etwas wie Arzneimittel geht, muss man einfach gewisse Qualitätsstandards einhalten.“

Ein logischer Schluss des vermehrten Aufkommens von Software im Bereich Gesundheit ist das ebenso vermehrte Aufkommen an Daten. Die zehn größten Technologieunternehmen haben seit 2012 6,2 Milliarden US-$ in 143 Deals investiert. Dass Unternehmen wie Alphabet, Apple oder Microsoft immer mehr in dieses Feld drängen, lässt wohl darauf schließen, dass hier ein Geschäftsfeld mit Daten entsteht, von dem sich diese Player Profite und Marktmacht erhoffen.

 

 

 

 

 

Und Patientendaten sind besonders sensibel. Die aufkommende Problematik der Daten kennt auch Ralph Echemendia, auch „The Ethical Hacker“ genannt (siehe auch Interview hier). Er hat einen seiner ersten Jobs als Hacker im Spitalsbereich gemacht. „Das war vor über 20 Jahren, noch lange bevor das Internet seine heutige Größe und Bedeutung bekam. Ich habe in ­einem Kinderspital in Miami dabei geholfen, die Digitalisierung in Gang zu bringen. Das betraf damals die Patientenakten, für die ich verschiedene Datensätze verbunden habe und untersucht habe, welche Schwachstellen es gibt. Mit einem Klick konnte man alle Daten, vom EKG bis hin zu Transferprotokollen oder Zulassungen, in einer Akte zusammenführen.

Hier kam das Thema Sicherheit zum ersten Mal auf. Denn sobald ein Patient ein Spital verlässt, muss die Akte verschlossen werden. Sie darf nicht zugänglich sein für nachträgliche Änderungen; vor allem in Rechtsprozessen spielt das eine große Rolle. Ich fand heraus, dass das sehr wohl möglich ist, und bekam zum ersten Mal ein Gespür für diesen Bereich“, erzählt Echemendia. Die angesprochenen Risiken kennt er: „Es gibt bei Digital Health viel mehr Vorteile als in vielen anderen Bereichen. Es wird für uns sehr viel Wert stiften. Was Computer zum Beispiel im Bereich Krebserkennung leisten können, ist unglaublich. Allerdings müssen die Glaubwürdigkeit und die Sicherheit der Daten eine vorrangige Rolle spielen.“ So habe er oft erlebt, dass Sicherheitsfirmen, die Systeme auf ihre Angreifbarkeit testen sollen, kaum einen Unterschied sahen, ob sie das für ein Spital oder eine Bank machen. Dabei ist die Tragweite im Gesundheitsbereich viel höher: „Es reicht ein schwarzer Schwan. Ein Mensch, der wegen einer Sicherheitslücke stirbt, ist schon zu viel. Und daran denken die Software-Testing-Firmen nur selten, denn in ihrer Industrie geht es nur um Geld. Deswegen braucht es hier einen Mechanismus, der die Ethik berücksichtigt, und es braucht Regulatoren“ – die aber leider meist sehr weit weg vom Thema sind, wie Echemendia auch feststellt.

Vielleicht ist es an der Zeit, dass Unternehmen verstehen, dass sie hier eine Lücke füllen müssen – wenngleich es auch bedenklich ist, dass das Übernehmen von Verantwortung in so manchem Unternehmer-Mindset noch keine relevante wirtschaftliche Größe ist.

 

Text: Elisabeth Woditschka | Elisabeth.woditschka@forbes.at

Foto: David Višnjić

 

 

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