DIGITALE WERKSTATT

Künstliche Intelligenz, Blockchain, Quantencomputing: Als Leiterin des Porsche Digital Labs in Berlin macht Anja Hendel Zukunftstechnologien anwendbar – und steht so sinnbildlich für den Umbruch in der Autobranche.

Wer das Porsche-Werk in Zuffen­hausen kennt, wer überhaupt schon einmal ein Werk eines großen Auto­bauers betreten hat, weiß, dass das kleine Städte sind, in denen ­mehrere Zehntausend Mit­arbeiter diszipliniert wie Ameisen an ­Fahrzeugen tüfteln, schrauben und neue Mo­delle planen. Dagegen wirkt das ­Porsche Digital Lab in Berlin mit seinen offenen Räumen, Post-its und hippen Softdrinks wie ein diame­tral entgegengesetzter Entwurf. Man könnte meinen, das Innovationslab des Autoherstellers sei eine Enklave von Technologen, die mit Autos eigentlich wenig am Hut haben. Das stereotypische Bild wird vollends zerschmettert, wenn einen die Chefin des Berliner Standorts begrüßt: Strohblond, jung und fast immer mit Lächeln im Gesicht wirkt Anja Hendel nämlich so gar nicht wie eine ­typische Porsche-Mitarbeiterin – und ist es dann irgendwie doch.

Autobauer werden zunehmend zu Tech-Unternehmen

Denn Autobauer heißt nicht mehr Autobauer. Seit Jahren befindet sich Porsche – wie die ­gesamte Branche – im womöglich größten Umbruch, seit Henry Fords Fließband in Mode kam. Nicht nur bezüglich Elektromobilität muss sich die Branche nämlich etwas Neues einfallen lassen, auch die technologischen Lösungen werden nicht nur komplexer, sondern vor allem auch wichtiger, um die steigenden Kundenwünsche zu befriedigen. Und so braucht es Menschen ­mit verschiedenen Hintergründen und Denkweisen, um die Herausforderungen der Zukunft zu lösen. Porsche alleine investiert sechs Milliarden € in die Elektrifizierung seiner ­Flotte und hat 2016 mit der 100-%-Tochter Porsche Digital auch digitale Ini­tiativen gebündelt. Bei der Mutter ­Volkswagen hat CEO Herbert Diess ein 43-Milliarden-€-Investitions­paket geschnürt, von dem rund 14 Milliarden € in den digitalen Umbau fließen. Autobauer werden zunehmend zu Tech-Unternehmen. Und was brauchen Tech-Unternehmen? ­Entwickler.

Anja Hendel bezeichnet sich selbst als „Coderin“. Die diplomierte ­Wirtschaftsinformatikerin ­sammelte Erfahrung beim Beratungshaus ­Capgemini und bei ­Celesio, einem Anbieter für Logis­tik- und Serviceleistungen für die ­Gesundheitsbranche. Stets an der Schnittstelle von IT und Finanzen tätig, wechselte sie 2013 zu Porsche, wo sie unter anderem als Assistentin des CFO tätig war. Seit Oktober 2017 leitet sie das Porsche Digital Lab in Berlin, seit Ende 2017 verantwortet Hendel zudem die digi­tale Transformation von Porsches ­Finanzabteilung.

Das Digital Lab gilt als Zukunftslabor von Porsche. Hendel: „Gestartet wurde das Lab mit der Idee, die Geschäftsprozesse in der IT zu verbessern und dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.“ ­Neben dem Lab in Berlin gibt es auch eines in Tel Aviv. Eingebettet ist das alles in die Porsche Digital AG, eine 100%-Tochter des Konzerns, die neben den Labs den größten Standort in Ludwigsburg betreibt – sowie einen in Shanghai. Denn Berlin hat sich in den letzten Jahren nicht nur zu einem der bedeutendsten Tech-Hubs der Welt entwickelt, sondern ist auch sowohl von Zuffenhausen als auch vom Porsche-­Werk in Leipzig aus halbwegs gut ­erreichbar. So eröffnete der ­Autobauer im Mai 2016 hier eine Niederlassung. Unter einem Dach mit der Porsche-­Tochter MHP (die zu den führenden Prozess- und IT-Beratungen Deutschlands zählt, Anm.) untersuchen die rund 30 Mitarbeiter im Porsche Digital Lab noch nicht ausgereifte Technologien – etwa Blockchain, künstliche Intelligenz oder Quantencomputing – auf ihre Brauchbarkeit; und zwar, um für Porsche-­Kunden das Leben zu verbessern oder den Mutterkonzern besser, effizienter und moderner ­laufen zu lassen.

Anja Hendel, Porsche Digital 2

Anja Hendel
... studierte Wirtschafts­informatik und war für das Beratungshaus Capgemini und den Pharmalogistik-Spezialisten McKesson (früher: Celesio) tätig. Seit 2013 ist sie bei Porsche, seit Oktober 2017 leitet sie das Digital Lab in Berlin.

Einer der ersten konkreten ­Anwendungsfälle war der „Sound Detective“: Mithilfe von KI und Predictive Maintenance wurde – in Kollaboration mit dem Start-up Indtact – ein System entwickelt, das Geräusche und Vibrationen erkennen und analysieren kann. ­Sollten Maschinen durch Abweichungen vom Normalverhalten auffallen, würde das System das erkennen und melden. Geprüft wurde das erstmals mit einer Kaffeemaschine, einem USB-Mikrofon und dem Programmiercomputer Raspberry Pi. Um das System anzulernen, wurden die Geräuschmuster verschiedener Kaffeesorten analysiert.

Porsche auf der digitalen Schiene

Eingesetzt wird das ­Produkt heute etwa, um das Klickgeräusch beim Einrasten der Steckverbindungen in der Karosserie zu überprüfen. Doch Hendel versteht das Lab als mehr als nur eine ­Horde verträumter Tüftler – und formuliert ­eigene Ansprüche: „Wir ­wollen skalier­bare Produkte bauen, die tatsächlich auch am Markt ­existieren.“ Was auch bedeuten kann, dass die Entwicklungen aus dem Lab nicht nur Porsche zugutekommen, ­sondern etwa auch der gesamten Volkswagen-­Gruppe – oder Konkurrenten. Hendel: „Manche unserer Entwicklungen können ja vielleicht auch andere Automobilhersteller gebrauchen.“

Das passt in die Strategie, denn Porsche will zunehmend auf digitale Produkte setzen, um Geld zu verdienen. Porsche-CEO Oliver Blume (der im Dezember 2018 das Cover dieses Magazins zierte) zeigt sich trotz Skepsis von Experten opti­mistisch: „Wir haben sehr viele gute Ideen und sind zuversichtlich, 2025 bereits einen zweistelligen ­Anteil unseres Umsatzes mit digitalen ­Produkten zu erwirtschaften.“

Marke mit enormer Strahlkraft

Die hohen Anforderungen an Technologie-, Daten- und digitale Kompetenzen zukünftiger Autos verändern das Stellenprofil von Porsche-Mitarbeitern – und das der Führungskräfte. Blume, der als neuer Typ Manager gilt, scheint ein heißer Kandidat für den Posten des VW-CEOs zu sein, wenn der Vertrag von Herbert Diess 2023 endet – und auch Anja Hendel ist keine ­typische Führungskraft der Autobranche. Sie wuchs in einer ­liberalen Unternehmerfamilie auf, der Großvater – mit einer Dänin ver­heiratet – besaß eine Textildruck-Fabrik. „Das ist auch ein endliches Geschäft“, lacht Hendel. Fast 100 Mitarbeiter umfasste der Betrieb in Ostdeutschland, den der Großvater nach dem Bau der Mauer von einem Tag auf den anderen in Richtung Dänemark verließ, um nicht auf seine Freiheit verzichten zu müssen. Das prägte auch Hendel: „Ich halte mich für mutig und habe wenig Angst vor Dingen.“

Als Stadtmensch ist Hendel zwar nicht auf ein Auto angewiesen („Ich benötige kein Auto, um von A nach B zu kommen“), sie spielt als ­Porsche-Frau aber auf die Emotionalität der Marke an: „Ich weiß ein schönes Auto durchaus zu schätzen.“ Und obwohl im Digital Lab nicht die typischen Autofreaks tätig sind, erklärt Hendel, dass Porsche auch für Technologen durchaus ­attraktiv ist: „Viele der ­Mitarbeiter hier haben kein Auto – die ­Marke Porsche hat aber trotzdem eine enorme Strahlkraft.

Text: Klaus Fiala
Fotos: Jasmin Schuller

Der Artikel ist in unserer September-Ausgabe 2019 „Women“ erschienen.

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