Digitaler Kapitän

Die weltweit größte Reederei, A. P. Moller-Maersk, steckt in einer Transformation: Ein Fokus auf das Transport- und Logistikgeschäft und digitale Technologien sollen dem Unternehmen weiterhin einen Vorsprung verschaffen.

So stürmisch es in der vergangenen Zeit für A. P. Moller-Maersk A/S teilweise herging, so ruhig ist es an diesem Freitagmittag am Nordre Toldbod. Im Hafengebiet im Osten von Kopenhagen geht lediglich ab und zu ein Windstoß, das Wasser der Nordsee funkelt in der Sonne. Vereinzelt bewegen sich Menschen über das Areal, während

Maersk-CCO Vincent Clerc souverän in die Kamera blickt. Seine anfängliche Verkrampftheit konnte der 46-jährige Schweizer nun endgültig abschütteln. Nur wenig deutet hier darauf hin, dass in unmittelbarer Nähe die weltweit größte Containerschiffreederei ihren Sitz hat. Erblickt man jedoch erst einmal die wuchtige Erscheinung der Unternehmenszentrale von A. P. Moller-Maersk, kann man dies getrost als Zeichen von Stärke verstehen. Das Motto scheint zu lauten: „Das Haus mit den blauen Augen“ (wie es in Kopenhagen aufgrund der bei Sonneneinstrahlung blau schimmernden Fensterscheiben genannt wird, Anm.) ist unverrückbar.

Aufgrund seiner Zahlen braucht sich das Unternehmen tatsächlich nicht zu verstecken: Laut Forbes verfügt das integrierte Transport- und Logistikunternehmen über eine Marktkapitalisierung von 35,9 Milliarden US-$, erwirtschaftete 2017 einen Umsatz von 30,95 Milliarden US-$, beschäftigt rund 88.000 Mitarbeiter in rund 130 Ländern und verfügt über eine Flotte von 639 Schiffen. Nach der Akquisition der Reederei Hamburg Süd im vergangenen Jahr verfügt die Reederei Maersk Line über einen weltweiten Marktanteil von rund 19 Prozent (allesamt Daten aus dem Geschäftsbericht 2017 sowie offiziellen Unterlagen).

1906 von Kapitän Peter Mærsk Møller und seinem Sohn Arnold Peter Møller gegründet, verfügt die Gruppe heute über fünf historisch ­gewachsene Geschäftsfelder: Maersk Line (Containerreederei), APM Terminals (bietet Infrastruktur für den globalen Handel für Häfen und Binnenschifffahrt), Damco (Anbieter von Transport- und Supply-Chain-Management-Diensten), Svitzer (bietet Unterstützung und Sicherheit auf See) und Maersk Container Industry (fertigt unter anderem Kühlcontainer und Kühlmaschinen). Kurzum: A. P. Moller-Maersk hat ein Imperium aufgebaut, wenn es um den Transport von Waren rund um die Welt geht. Millionen Tonnen an Fracht werden täglich von dem Konzern verschifft. Zu den wichtigsten Verbindungen der Dänen (und gleichzeitig ist es die älteste; seit 1928) gehört nach wie vor jene zwischen der US-amerikanischen Ostküste und Ostasien, insbesondere nach China. „Das sind die zwei größten Volkswirtschaften der Welt und es wird viel Handel untereinander betrieben. Wir haben eine gute Marktposition und einen Kundenstamm in diesem Verkehr“, sagt Clerc in seinem Büro in der Unternehmenszentrale. Erst seit 1968 befährt Moller-Maersk die Europa-Asien-Route.

Clercs Büro ist schlicht eingerichtet, dennoch sind hier in gewisser Weise die beiden Schwerpunkte des Unternehmens sichtbar: Durch ein großes Fenster hat man einen Blick nach draußen auf das Wasser, eine blaue Weltkarte symbolisiert den globalen Fußabdruck des Unternehmens. Clerc selbst kam 1997 für das Finance Business Partnering Europe Line Management zu Maersk Line, von 2000 bis 2007 war er in New Jersey in verschiedenen Positionen für den nord- als auch den südamerikanischen Handel zuständig. 2007 ging er dann als Head of Pacific Trade zurück nach Kopenhagen.

Maersk setzt derzeit alles daran, das Unternehmen – sowie die gesamte Branche – in ein anderes, ein digitales Zeitalter zu führen. Der dänische Riese befindet sich inmitten eines breit angelegten Transformationsprozesses – und zwar auf zwei Ebenen. Erstens: Das stark diversifizierte Konglomerat wird abgebaut. Ursprünglich hatte Maersk 1962 die Konzession für Öl- und Gasbohrungen erhalten. „In den 80er-Jahren lag der Fokus (weltweit, Anm.) auf dem Aufbau von Konglomeraten – zur Risikostreuung. Dies war ein wichtiges Argument für Reedereien, Teil eines Konglomerats zu werden, denn es ist ein sehr volatiles Geschäft. Wir haben hierbei zwei große Variationsquellen: Eine ist der Ölpreis und die andere der Umgang mit Angebot und Nachfrage. Es war also sehr sinnvoll, ein Ölgeschäft zu betreiben, weil es von mindestens einer Fluktuation isolierte“, so Clerc.

Nun trennt sich das Unternehmen – insbesondere aufgrund der großen Schwankungen im Ölgeschäft – endgültig vom Öl- und Gasgeschäft. 2017 verkaufte man für 7,5 Milliarden US-$ die Öl- und Gassparte an den französischen Energieriesen Total. Diesen August vermeldete Maersk, das noch verbleibende Bohrgeschäft (Maersk Drilling) abspalten und im kommenden Jahr an die Börse in Kopenhagen bringen zu wollen. Der Grund: Die Bohrinseln und -schiffe des Konzerns sind nicht ausgelastet. „Ich denke, dass die Entscheidung richtig war“, fasst Clerc zusammen. Doch damit noch nicht genug: Bereits 2005 hatte der Konzern seine eigene Fluglinie Maersk Air abgegeben, 2014 verkaufte A. P. Moller-Maersk für 2,3 Milliarden € die Supermarktsparte Dansk Supermarked an die dänische Salling-Gruppe.

Der Fokus von A. P. Moller-Maersk für die Zukunft liegt nun voll und ganz auf dem (diversifizierten) Transport- und Logistikgeschäft. „Der erste Teil unserer Strategie bestand darin, das Unternehmen von einem sehr diversifizierten Konglomerat zu einem auf Transport und Logistik fokussierten zu formen. Wir sind hier sehr gut unterwegs“, sagt Clerc. Insofern sind auch die satten Einkaufstouren bis auf Weiteres erst einmal vorbei. Denn mit der Übernahme der Reederei Hamburg Süd um 3,7 Milliarden € stärkte man erst kürzlich die Containertransport-Sparte. Damit wird jeder fünfte Container sowie jeder vierte Kühlcontainer weltweit von Maersk Line bewegt. Hamburg Süd bleibt jedoch als eigene Marke unter dem Dach von Maersk Line bestehen. Nicht nur wuchsen die Umsätze im zweiten Quartal 2018 auch aufgrund dessen um 24 Prozent auf 9,5 Milliarden US-$ an; auch durch die starke Nord-Süd-Achsen-Verbindung erwartet man sich Vorteile. Dennoch seien nicht primär geografische Überlegungen hinter der Akquisition gestanden, so Clerc. Der Schifffahrtkonzern steckt derzeit jedenfalls die gesamte Energie in die Integration von Hamburg Süd. „Dadurch wird eine Vielzahl von Skaleneffekten erzielt, die sich im Wesentlichen auf die Kosten beziehen. Wir profitieren etwa von der Bereitstellung einer größeren Tonnage, einer größeren Anzahl von Diensten sowie von mehr Häfen, die direkt abgedeckt werden können“, erläutert Clerc die Vorteile. Konkret sollen ab 2019 bis zu 500 Millionen US-$ eingespart werden.

Überhaupt blickt Maersk auf eine lange Tradition an Übernahmen zurück, die den raschen Aufstieg des Schifffahrtkonzerns ermöglichten: 1999 wurde die US-amerikanische Sea-Land Corporation gekauft, ebenso wie die südafrikanische Reederei Safmarine; 2005 war die damals drittgrößte Containerreederei Royal P&O Nedlloyd NV an der Reihe. Heute sind bis auf Weiteres aber erst einmal keine Akquisitionen mehr geplant. Sollte es dennoch künftig dazu kommen, wird Maersk jedenfalls den Schwerpunkt auf die Logistiksparte legen – und nicht auf den Transport zu Wasser, wie Clerc durchblicken lässt: „Die Zusammensetzung unserer Transport- und Logistiksparte ist ziemlich stark von der Schifffahrt abhängig (Maersk Line, einschließlich anderer Marken wie Hamburg Süd, Anm.). Wenn das Unternehmen ein wahrer Transport- und Logistikdienstleister sein soll, muss man wahrscheinlich diesen Teil (Logistik zu Land, Anm.) verstärken.“

Man muss wissen: die Fläche erweitert sich umso mehr, je mehr man digitalisiert.

Der zweite Teil des Transformations­prozesses betrifft die Digitalisierung. Maersk will dem verstaubten Image des Containerhandels neues Leben einhauchen. Die Industrie hat seit der Einführung von Containern in den 50er-Jahren nur wenig an Innovation gesehen. Bei Maersk sollen Kunden von verbesserten Lösungen profitieren, um Lieferketten so einfach wie möglich zu gestalten, neue Produkte geschaffen sowie Betriebsabläufe effizienter werden. „Immer mehr Kunden beschäftigen sich mit der Integration von Technologien. Sie wollen sich darauf verlassen, Lösungen zu kaufen“, sagt Clerc – nun ganz im Sinne seiner Position als CCO. Zu den Kunden von Maersk zählen ­beispielsweise Ford, Nike oder Adidas.

So führte Maersk erst kürzlich als erstes Unternehmen in der Branche die „Instant Booking Confirmation“ (sofortige Buchungsbestätigung) ein. Damit soll es für Kunden innerhalb von Sekunden möglich sein, ihre Buchungen abzuschließen – ohne, wie bisher, längere Warte­fristen und mögliche Ausfälle in Kauf nehmen zu müssen. Und um nichts Geringeres als den Welthandel sicherer und effizienter zu machen, entwickelte Maersk gemeinsam mit IBM die Blockchain-Lösung TradeLens. Papierkram und überbordende Bürokratie sollen wegfallen. So sollen etwa teilnehmende Reedereien oder Spediteure – bisher sind es laut Maersk und IBM 94 Organisationen – in Echtzeit auf Versanddaten und Versanddokumente zugreifen können. Der globale Erfolg von TradeLens wird wesentlich davon abhängen, wie viele Akteure in der Industrie diese annehmen. Dessen ist sich auch der Maersk-CCO bewusst: „Die Plattform funktioniert nur, wenn jeder daran teilnimmt.“

Umsatz von A.P. Moller-Maersk in Milliarden US-$

Quelle: Statista

Trotz dieser Entwicklungen läuft nicht alles rund bei Maersk. So machten dem Unternehmen sowohl im zweiten als auch dritten Quartal 2018 hohe Treibstoffpreise zu schaffen. Zwar stieg laut den aktuell veröffentlichten Zahlen für das dritte Quartal der gesamte Umsatz auf 10,1 Milliarden US-$ (exklusive zwölf Prozent von Hamburg Süd), dennoch wird auf die schwierige Geschäftsentwicklung im Rahmen des Meerestransports hingewiesen: Die gestiegenen Bunkerpreise konnten nicht vollständig durch höhere Frachtraten kompensiert werden, heißt es in der offiziellen Aussendung. Dennoch sehe man nach einem schwachen Start 2018 im dritten Quartal verbesserte Ergebnisse.

Überhaupt hat sich der Druck auf den internationalen Warenverkehr über die Weltmeere seit der Finanz- und Weltwirtschaftskrise 2008 erhöht. Zwar sind die damaligen Probleme im Containerhandel mit sinkenden Frachtraten und erheblichen Überkapazitäten inzwischen etwas abgeflaut; ein Nachfragezuwachs von neun bis zehn Prozent pro Jahr – wie vor 2008 – wird seither aber nicht mehr erreicht. Die Analysten der Kopenhagener Organisation Bimco prognostizieren Anfang des Jahres für 2018 ein Nachfragewachstum von vier bis 4,5 Prozent.

Dieses Plus könnten aber die derzeitigen Handelsspannungen zwischen den USA und China zunichtemachen. „Das ist etwas, was wir im Auge behalten müssen“, sagt Clerc. Der Konzern korrigierte deshalb erst kürzlich seinen prognostizierten Betriebsgewinn nach unten; zwischen 3,6 und vier Milliarden US-$ soll dieser für 2018 ausmachen. Bisher war Moller-Maersk von einer Spanne zwischen 3,5 und 4,2 Milliarden US-$ ausgegangen. Der weltweite Containerfrachtverkehr werde wegen des Handelskonflikts in den nächsten beiden Jahren voraussichtlich um bis zu zwei Prozent sinken, so das Unternehmen.

Doch nicht nur an dieser Front liegen volatile Zeiten vor den Dänen. Auch die Schattenseiten der Digitalisierung machten sich bereits bemerkbar: Im Sommer 2017 verursachte eine groß angelegte Cyberattacke einen Schaden zwischen 200 und 300 Millionen US-$. Die Containerschifffahrt stand für mehrere Wochen still.

Maersk musste seine IT-Sicherungssysteme kräftig nachjustieren, um zukünftig Gefahren früher erkennen und diese im Ernstfall auch stoppen zu können. „Man muss wissen: Die Fläche erweitert sich umso mehr, je mehr man digitalisiert. Das Unternehmen wird mit den Kunden hypervernetzt, es gibt immer mehr Daten“, sagt Clerc. Dennoch wird Maersk seinem Weg der digitalen Transformation jedenfalls treu bleiben: „Das wird noch intensiviert werden, denn es ist für das Geschäft, die Kunden und uns selbst am besten.“ Es bleibt also abzuwarten, wie lange es dauert, bis Maersk vorrangig mit Technologie assoziiert wird – und nicht mehr mit Containern mit hellblauem Logo, die quer durch die Welt transportiert werden.

Dieser Artikel ist in unserer November-Ausgabe 2018 „Europa“ erschienen.

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