Driven

Brad Cordova geht mit seinem Start-up TrueMotion gegen abgelenkte Autofahrer vor – und erschließt gleichzeitig einen neuen, auf Daten basierenden Versicherungsmarkt.

Es war Anfang 2014, als Progressive Insurance einen Wettbewerb abhielt: Das Unternehmen wollte sehen, welche Smartphone-­App am besten geeignet wäre, „Big Brother“ für seine Kunden zu spielen. Der viertgrößte Versicherungskonzern der USA wollte die versicherten Autos und Fahrer ganz genau tracken: ihre gefahrenen Kilometer, die Tageszeiten, an denen sie das Auto nutzten, und ob sie regelmäßig auf die Bremse traten. Elf Unternehmen nahmen am Wettbewerb teil, eines davon war TrueMotion aus Boston. Der heute 27-jährige Mitgründer Brad Cordova hatte sich mit sieben Jahren das Programmieren beigebracht, sein Studium an der Elite­universität MIT jedoch abgebrochen. Sein Start-up hatte drei Millionen US-$ Seedfinanzierung – doch keinen zahlenden Kunden.

Vor dem Start des Wettbewerbs dachte Cordova, er und sein Team hätten die eigene App perfektioniert. Doch dann merkten sie, dass das Programm zu viel Batterieleistung brauchte – sie mussten von null beginnen. „Es fühlte sich an, als ob wir einen Berg besteigen – mit einer Knarre am Kopf.“ Das Team arbeitete 18 Stunden pro Tag: Cordova und Co. fütterten Algorithmen, die maschinell lernten, mit Daten und führten anschließend mit verschiedensten Versionen der ­eigenen App User-Testings an Tausenden Autofahrern durch. Im September 2014 erfuhr Cordova dann, dass TrueMotion einer von drei Fina­listen im Wettbewerb von Progressive Insurance war. Doch der Konzern wollte ausgeklügeltere Funktionen; etwa die Möglichkeit, festzustellen, ob Fahrer unterwegs SMS verschickten.

Cordovas zehnköpfiges Team bekam also auch die nächsten Monate kaum Schlaf. Im April 2015 errang TrueMotion endlich den Sieg und unterzeichnete einen Deal mit Progressive Insurance, der dem Start-up einen achtstelligen Dollarbetrag einbrachte. Zudem gewann das Jungunternehmen acht weitere Kunden und zusätzlich zehn Millionen US-$ an Risikokapital. Forbes schätzt, dass TrueMotions Umsatz im Jahr 2017 mehr als 15 Millionen US-$ beträgt. TrueMotion will seinen Vorsprung gegenüber anderen Start-ups vergrößern, die alle eine gravierende Veränderung in der Autoversicherungsbranche ausnutzen wollen: Jahrzehntelang verließen sich Assekuranzen auf versicherungsmathematische Kategorien wie Geschlecht, Alter, Adresse und Unfallhistorie, um das Risiko ihrer Kunden zu berechnen. Nun verstehen sie jedoch, dass individuelle Daten aussagekräftiger und verlässlicher sind.

Wenn ich keine Probleme lösen kann, bin ich nicht glücklich.

Fahrgewohnheiten seien, so Dave Pratt von Progressive Insurance, „am besten geeignet, um ­vorauszusagen, wer in einen Unfall verwickelt sein wird“. Fahrer mit hohem „Safe Driving Score“ können einen Rabatt von 20 Prozent auf ihre Police bekommen – und schlechte Fahrer eine Prämienerhöhung von zehn Prozent. Progressive war ein Vorreiter, wenn es um Versicherungsdaten geht: Bereits 1998 fing das Unternehmen mithilfe von Gadgets und Dashboards an, Fahrdaten zu sammeln. Um mehr Nutzer zu bekommen und die Kosten für die Hardware niedrig zu halten, wollte das Unternehmen eine mobile App, die nicht an- und abgeschaltet werden muss. Die App sollte zudem erkennen, ob der Nutzer hinter dem Steuer oder lediglich auf dem Beifahrersitz Platz nahm. Neben GPS-Empfang haben Smartphones auch Sensoren, die Beschleunigung und Bewegung messen können. Cordovas Team nutzte verschiedene Indikatoren, um die richtigen Informationen zu bekommen: Beispielsweise wurde gemessen, ob ein Fahrer sich beim Ein- oder Aussteigen von der linken Seite in ein oder aus einem Auto geschwungen hatte. Für Cordova, dessen Wecker normalerweise um 4 Uhr morgens läutet, damit er zwei Stunden lang wissenschaftliche Papers zu den Themen maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz lesen kann, ging es um die Herausforderung. „Wenn ich keine Probleme lösen kann, bin ich nicht glücklich“, sagt er.

Der Unternehmer schläft auf einer mit Sensoren ausgestatteten Matratze, die sein Herumwälzen misst. Zudem bewertet er seine Laune über den Tag hinweg in einer App und auf einer Skala von 1 bis 10. „Wenn man etwas nicht messen kann, kann man es auch nicht verbessern.“ Seine Leidenschaft, Fahrverhalten zu tracken und zu verbessern, führt er auf einen Tag vor elf Jahren zurück: Cordova war in seiner Heimatstadt in New Mexico mit dem Auto unterwegs, als ein telefonierender Fahrer in seinen Hyundai krachte. Cordovas Kopf krachte durch die Seitenscheibe. Das Ergebnis: eine schwere Gehirn­erschütterung, die zu Kopfschmerzen, Schwindelgefühlen und Verwirrungsepisoden führte. „Ich hatte echt Angst“, sagt Cordova. „Meine größte Furcht im Leben ist, dass meinem Gehirn etwas passiert.“

Mit TrueMotion hat Brad Cordova eine mobile App entwickelt, die erkennt, wenn Autofahrer unterwegs SMS verschicken.

Dennoch bekam er ein Stipendi­um für die Universität Notre Dame, wo er Physik und Mathematik studierte. Während seines Doktoratsstudiums am MIT nahm er 2002 an einem Entrepreneurship-Kurs teil. Er traf den heute 35-jährigen Joe Adelmann, der früher als Ingenieur für die US Air Force tätig war. Sowohl Adelmanns als auch Cordovas Vater waren Lastwagenfahrer, und nicht zuletzt deshalb fanden sie sofort ein Gesprächsthema: die Sicherheit von – und für – Autofahrer. Als Versicherungen dann begannen, Daten über das Fahrverhalten von Autofahrern zu sammeln, gründeten sie ein Unternehmen, das Daten über eine mobile App sammeln sollte. Das Glück war dem Duo hold, als sie Jon McNeill trafen, der früher für die Beratungsagentur Bain gearbeitet hatte und anschließend in sechs Start-ups involviert war. Er meldete sich freiwillig als Investor. McNeill brachte den 59-jährigen Scott Griffith mit, der früher als CEO der Carsharing-Plattform Zipcar tätig war. Griffith sollte TrueMotions CEO werden – ohne Gehalt, dafür mit Anteilen. Griffith nutzte seine Kontakte zum Risikokapital­unternehmen General Catalyst, das auch früh in die Reiseplattform Kayak sowie in Snapchat investiert hatte. Sieben Monate nach dem Launch brach Cordova sein Doktoratsstudium ab. Im Mai 2017 zog das Unternehmen mitsamt den 39 Mitarbeitern in ein größeres Büro um. McNeill, der noch immer Mitglied in TrueMotions Board ist, wechselte 2015 als President of Global Sales zum Elektroautohersteller Tesla. Progressive Insurance launchte TrueMotions App bereits in vier US-Bundesstaaten – bis Jahresende soll die App landesweit eingesetzt werden.

Laut Thomas Hallauer, einem ­Berater mit Fokus auf den Autoversicherungsmarkt, nehmen nur rund 7,5 Millionen der insgesamt 200 Millionen versicherten Fahrer in den USA an Fahrsicherheitsprogrammen teil. Doch nun bieten Unternehmen wie State Farm, der größte Autoversicherungskonzern der USA, Fahrern mit ­guten „Driver Scores“ Rabatte von bis zu 50 Prozent an – und die Nutzer­zahlen explodieren. Hallauer zufolge ist Cambridge Mobile Telematics – das Unternehmen hat laut Eigenangaben 36 Kunden in 14 Ländern – Marktführer in den USA. „Es liegt aber noch genügend Geschäft auf der Straße.“ Im Sommer 2016 führte TrueMotion gemeinsam mit einem seiner Kunden einen Test an 2.800 Fahrern durch. Die Driving Scores von jenen, die die App sechs Wochen lang nutzten, verbesserten sich im Schnitt um 20 Prozent. Im Juli launchte TrueMotion eine kostenlose App, die Fahrer wissen lässt, wenn sie Mist bauen. Als Cordova sie ausprobierte, verlor er Punkte – weil er sein Telefon in der Hand hielt. „Ich hatte meine Handy­station im Büro vergessen“, sagt er. „Der Punktverlust war ein Warnschuss.“

Text: Susan Adams
Übersetzung: Klaus Fiala

Dieser Artikel ist in unserer Sommer-Ausgabe 2017 „Keep it movin'!“ erschienen.

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