E-Commerce in Europa: Perspektivenwechsel nötig

Steht die DSGVO wirklich in Europas Weg, um in Sachen E-Commerce mit China und den USA mithalten zu können? Der Leitartikel unseres Chefredakteurs Klaus Fiala, erschienen in der Oktober-Ausgabe 2019 „Handel“.

Vor einiger Zeit moderierte ich eine Diskussionsrunde zum Thema „Eurasisches Unternehmertum“. Dabei stellte ein aus Singapur stammender Unternehmer eine vermeintlich simple Formel auf: „Wenn europäische E-Commerce-­Unternehmen wirklich groß werden wollen, müssen Europäer auf ihren strengen Datenschutz verzichten.“ Es wirkte schlüssig: Ohne die Fesseln der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) können insbesondere asiatische Unternehmen Daten nutzen, um ihren Kunden bessere – weil hochgradig personalisierte – Angebote zu schicken. Der Erfolg von E-Commerce in China (und den USA) basiert vor allem auch auf den Einsichten, die den Unternehmen die großen gesammelten Datenmengen bieten. Weniger Hürden, mehr Erfolg.

Doch ist es wirklich so einfach? Denn Europa beweist eigentlich, dass auch hier E-Commerce-Projekte funktionieren. Etwa in Person von Tarek Müller, der mit About You ein E-Commerce-Einhorn aufgebaut hat. Auch Zalando ist erfolgreich, und während Unternehmen wie Ikea und Zara zwar mit stationärem Handel groß geworden sind, behaupten sich beide auch hervorragend in der digitalen Welt. Vielleicht ist Europas Fokus auf Datenschutz gar kein Hemmnis, sondern eine Stärke?

In Asien bzw. China und den USA werden Daten anders gesehen. Während sie im Osten neben wirtschaftlichen Anwendungen auch genutzt werden, um eine lückenlose Überwachung der Bürger zu gewährleisten, sind Daten in den USA zu einem Rohstoff verkommen. Facebook, Amazon, Google und Co nutzen gesammelte Kundendaten, um im Wettbewerb stets einen Schritt voraus zu sein. Europäische Unternehmen müssen hingegen andere Regeln befolgen. Doch die Qualität der Daten, die sie nutzen können, ist ungleich besser, und Beispiele wie Facebooks Cambridge-­Analytica-Skandal zeigen, dass ein nicht gewissenhafter Umgang teuer werden kann.

Das gilt übrigens auch für andere „Schwächen“ Europas. Der fehlende Binnenmarkt etwa – kulturell und sprachlich sicher ein Fakt, wirtschaftlich heute nur mehr begrenzt – hilft Unternehmen, ihr Modell schnell an neue Gegebenheiten anzupassen. Das führt auch dazu, dass sich Unternehmen leichter tun, zu internationalisieren. Denn der große Binnenmarkt in China und den USA hilft E-Commerce-Playern, schnell groß zu werden – in gewisser Weise hemmt er aber auch das Wachstum über den Heimatmarkt ­hinaus. Amazon machte etwa 2018 rund 68 % seiner Umsätze am Heimatmarkt USA, Alibaba verdiente sogar 89 % seines Umsatzes am Heimatmarkt China. Europas Unternehmen müssen sich viel früher an heterogene Marktsituationen anpassen – global gedacht sicher kein Nachteil.

Das führt zum dritten Punkt: Diversität. Die fehlende Homogenität der Märkte und Kunden ist kein Nachteil. Diversität fördert wirtschaft­lichen Erfolg – egal ob in Unternehmen oder Märkten. Die Vielfalt macht das Verstehen der Kunden­bedürfnisse in verschiedenen Märkten im ersten Schritt schwieriger. Doch die Konfrontation mit diesen Fragen lässt die Produkte und Services der Unternehmen viel besser werden, und damit sind die Akteure anpassungsfähiger als ihre Konkurrenten im Osten und Westen. Und wenn uns Darwin eines gelehrt hat, dann, dass jene überleben, die ihre Anpassungsfähigkeit wieder und wieder unter Beweis stellen – das gilt auch im E-Commerce. Oder: gerade im E-Commerce.

Text: Klaus Fiala

Der Artikel ist in unserer Oktober-Ausgabe 2019 „Handel“ erschienen.

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