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Die Merkur Versicherung ist die älteste Versicherung Österreichs – und verzichtet seit ihrer Gründung vor 227 Jahren auf externe Investoren. Diese Eigenständigkeit ist bis heute Teil ihrer Identität. Andrea Ruth Kutschera, Head of Group Finance und Prokuristin, erklärt, warum sie diese Unabhängigkeit auch in Zukunft sichern will.
Andrea Ruth Kutschera hat eine Affinität zu Zahlen. Seit knapp vier Jahren ist die promovierte Ökonomin Teil der Merkur Versicherung AG, drei Jahre davon als Head of Group Finance. Als Führungspersönlichkeit hat sie aber gleichermaßen Prozesse und Menschen im Blick. Wer ihr begegnet, merkt sofort: Hier arbeitet jemand, der Verantwortung ernst nimmt und Entscheidungen bewusst trifft. „Ich habe gelernt, auch den unbequemen Weg zu gehen und hohe Ansprüche an mich selbst zu stellen“, sagt sie. Dieses Prinzip zieht sich wie ein roter Faden durch ihre Karriere.
Kutschera verbindet analytische Schärfe mit einem tiefen Verständnis für Strukturen und Menschen. Als Betriebswirtin beschäftigte sie sich in ihrer Promotionsarbeit mit Gruppenbesteuerung; ein Thema, das ihr Verständnis für Unternehmensstrukturen und komplexe Zusammenhänge schärfte. Stationen in der Beratung und im international aktiven Konzernumfeld sowie bei der Integration mehrerer asiatischer Unternehmen in einen österreichischen Produktionskonzern formten ihre Fähigkeit, Transformation nicht nur zu begleiten, sondern aktiv zu steuern.
Seit 2022 ist sie zurück in der Versicherungswelt, bei der Merkur Versicherung in Graz. „Es ist ein Stück weit ‚back to the roots‘“, so Kutschera, die bereits ihre ersten beruflichen Erfahrungen bei einer Versicherung gesammelt hat. „Ich habe das Gefühl, hier angekommen zu sein“, sagt sie. Als sie zunächst als Projektmanagerin im Finanzbereich startete, war die Entscheidung, die Bereichsleitung zu übernehmen, eine Herausforderung, weil ihre Kinder noch klein waren. Doch dieser Glaube an die eigenen Stärken ist für sie Prinzip: Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, auch wenn die Umstände nicht ideal sind.
Das hat Kutschera auch zu Beginn ihrer Karriere bewiesen: Sie war 27 Jahre alt und als Beraterin in Wien tätig, als sie ein Anruf aus Graz erreichte – mit dem Wunsch, sie als Head of Group Finance für ein internationales Unternehmen zu gewinnen. „Am nächsten Tag bin ich nach Graz gefahren und habe fünf Minuten nach meinem Bewerbungsgespräch die Zusage erhalten“, erzählt sie.
 
Finanzielle Unabhängigkeit ist kein Statussymbol, sondern ein Gefühl von Freiheit.
Andrea Ruth Kutschera
Als Head of Group Finance bei der Merkur Versicherung, einer der führenden Personenversicherungen des Landes, ist Kutschera nun für die Umsetzung einer bewusst konservativen Investitionsstrategie mitverantwortlich. Rund 60 % des Portfolios liegen in Schuldverschreibungen, 30 % in Fonds, 10 % in Immobilien, ein Bruchteil in sonstigen Anlagen. Die Zinswende sorgte für eine Rückkehr zu klassischen Investitionsprodukten wie Unternehmens- und Staatsanleihen. „Wir tragen Verantwortung für das Geld unserer Kundinnen und Kunden. Deshalb veranlagen wir risikoavers und langfristig“, erklärt Kutschera. In Zeiten hoher Inflation bleibt das Unternehmen stabil – keine Selbstverständlichkeit, denn das gestiegene Preisniveau schlägt sich bei den Versicherern in höheren Leistungen nieder. Dem steht entgegen, dass die Nachfrage vor allem in der Hauptsparte – der Krankenversicherung – sehr groß ist, berichtet Kutschera. 938 Mitarbeitende arbeiten für die Merkur Versicherung AG in Österreich daran, das „Wunder Mensch“ neben der Kranken- auch mithilfe von Unfall-, Haushalts- und Lebensversicherungen abzusichern. Kutschera selbst leitet ein etwa 60-köpfiges Team. „Mein Team zu fördern und mit anderen Abteilungen zusammenzuarbeiten, dafür vernetzt zu denken, das macht mir am meisten Spaß“, sagt sie.
Investoren oder andere Geldgeber hatte die Merkur Versicherung in ihrer 227 Jahre andauernden Geschichte nie. Das wichtigste Ziel des Unternehmens sei, weiterhin unabhängig zu bleiben. Dazu trägt besonders der Finanzbereich bei – je reibungsloser dieser Unterstützungsprozess funktioniert, desto besser ist die Unabhängigkeit der Versicherung gewährleistet.
Finanzielle Freiheit beginnt für Kutschera im Kleinen. Wer privat ein Sicherheitspolster von drei bis sechs Monaten der monatlichen Lebenshaltungskosten aufbaut, Impulskäufe drei Tage überdenkt und das Einkommen nach der 50/30/20-Regel strukturiert (50 % für Bedürfnisse, 30 % für Konsum, 20 % fürs Sparen), legt die Basis für Unabhängigkeit. Kutschera betont: Das Prinzip Hoffnung allein funktioniert nicht – selbst aktiv zu werden bedeutet, Verantwortung für die eigene Zukunft zu übernehmen. Nur wer sein Vermögen, seine Vorsorge und seine Ressourcen bewusst steuert, kann Entscheidungen treffen, ohne (nur) von Politik, Arbeitgebern oder äußeren Umständen abhängig zu sein. „Meine Eltern haben mir früh beigebracht, Selbstverantwortung zu übernehmen“, erzählt Kutschera. Vor allem ihrer Mutter war wichtig, dass Kutschera später einmal auf eigenen Beinen steht, sagt sie. Gerade in Österreich wird aber noch immer nicht ausreichend über Geld gesprochen, findet die Head of Group Finance. Wenn doch, steht häufig fremdes Vermögen im Vordergrund und nicht der Aufbau des eigenen. „Dabei ermöglicht Vermögensaufbau, dass ich frei agieren kann“, so Kutschera. Jede Entscheidung entfalte eine Haupt- und Nebenwirkung – diese zu kennen befähigt dazu, sie bewusst zu treffen.
Aktuell leitet die Betriebswirtin unter anderem ein Projekt, das Prozesse automatisiert und den Bereich Regulatorik transparenter und nachvollziehbarer macht. „Eingangsrechnungen werden automatisch erfasst, Parameter verarbeitet – niemand muss mehr manuell eingeben. Das schafft Raum für Analyse, Denken und Gestaltung“, fasst es Kutschera zusammen. Digitalisierung ist für sie kein Selbstzweck, sondern ein Werkzeug, das Menschen befähigt und Routinen vereinfacht. Dabei legt sie großen Wert darauf, das Team mitzunehmen, die Vorteile zu erklären und alle an Bord zu holen. Transformation funktioniert nur, wenn die Beteiligten verstehen, warum sie stattfindet und welchen Nutzen sie hat.
 
Die Head of Group Finance beschreibt ihren Führungsstil als dialogorientiert: „Ich glaube an Feedback, an Selbstreflexion – und daran, dass man Fehler zulassen muss. Fehler sind kein Makel, sie sind eine Einladung, zu lernen.“ Jeder Mensch will unterschiedlich geführt werden, und genau das fordert Kutschera ein: Eigenverantwortung für sich selbst und andere, Mut, Entscheidungen zu treffen, und die Bereitschaft, sich weiterzuentwickeln. „Mein Tipp ist: Finde das, was dir Spaß macht, und werde richtig gut darin“, sagt sie. Leistung sei wichtig, um zum Erfolg zu kommen, ist sie überzeugt – und nennt den deutschen Torhüter Oliver Kahn als Beispiel: Kahns Fußballkarriere war vom „Wiederaufstehen“ geprägt. Sein außergewöhnliches Durchhaltevermögen bescherte ihm die größten Erfolge auf dem Spielfeld.
Kutschera beschreibt sich selbst als Perfektionistin, hat aber gelernt, pragmatisch zu handeln: Genauigkeit, wo sie zählt, Schnelligkeit, wenn es nötig ist. Sie erwartet, dass ihr Team Verantwortung für das eigene Handeln übernimmt und einfordert, was es braucht. Wer keinen Anspruch stellt, wird nichts erreichen – eine Haltung, die sie vorlebt.
Finanzielle Bildung liegt der Head of Group Finance besonders am Herzen: Ab November startet sie eine unternehmensweite Ausbildungsreihe in Zusammenarbeit mit der HR-Abteilung, um Bewusstsein für Geld, Vorsorge und Unabhängigkeit zu schaffen. „Wir wollen herausfinden, wie sehr es diese Angebote braucht“, sagt Kutschera. Viele unterschätzen laut ihr, wie stark finanzielle Kompetenz mit Selbstbestimmung verknüpft ist: Wer versteht, wie man investiert und vorsorgt, verschafft sich Freiheit und die Möglichkeit, eigene Entscheidungen zu treffen, statt auf andere angewiesen zu sein.
„Finanzielle Unabhängigkeit ist kein Statussymbol, sondern ein Gefühl von Freiheit“, sagt sie. Kutschera befürwortet eine Haltung, in der jede Person Verantwortung für die eigene finanzielle Zukunft übernimmt – sei es bei Investitionen, Vorsorge oder täglichen Ausgaben.
Das färbt auf ihre Einstellung zum Thema Gleichstellung ab – sie ist praxisnah und differenziert: „Ja, es gibt einen Gender-Pay-Gap. Aber man muss genau hinschauen, wie er entsteht – Berufswahl, Verhandlungsgeschick und Selbstvertrauen spielen eine Rolle“, sagt sie. Und: „Ich glaube an Ermächtigung, nicht an Etiketten.“ Leistung sieht sie als einen Weg dorthin. Der Bauernweisheit „Von nichts kommt nichts“ kann Kutschera einiges abgewinnen – „ich wäre heute nicht da, wo ich bin, wenn ich nicht viel dafür gegeben hätte“, sagt sie.
Diese Überzeugung spiegelt sich in ihrem Team und im gesamten Unternehmen wider: Historie respektieren, aber Neues schaffen; Strukturen bewahren und gleichzeitig Chancen nutzen – ganz im Zeichen der Zeit vor allem in den Bereichen Digitalisierung, Automatisierung und Leadership. Frauen tragen zu diesen Veränderungen ganz entschieden bei: Rund die Hälfte der Bereichsleiter innerhalb der Merkur Versicherung sind weiblich. Im Ressort von CFO Andreas Gaugg, dem Kutschera unterstellt ist, sind es 90 %.
Die Merkur Versicherung steht seit mehr als zwei Jahrhunderten für Beständigkeit – und für die Fähigkeit, sich immer wieder neu zu erfinden. Unabhängigkeit ist dabei kein Zufallsprodukt, sondern das Ergebnis klarer Entscheidungen und konsequenter Weiterentwicklung. Andrea Ruth Kutschera sieht darin eine tägliche Aufgabe: Strukturen zu hinterfragen, Prozesse zu erneuern und Menschen zu ermutigen, Verantwortung zu übernehmen. Für sie beginnt Fortschritt mit einem einfachen, aber verbindlichen Wort: Ja. Ja zu Veränderung, ja zu neuen Wegen, ja zur eigenen Gestaltungsfreiheit. Es geht um nicht weniger als darum, mitzuhelfen, den Grundstein für die kommenden 227 Jahre zu legen.
Text: Forbes-Redaktion
Fotos: Gianmaria Gava
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
