EIN SCHMUTZIGES SPIEL

Über Generationen waren die amerikanischen Navajo auf Kohlebergbau angewiesen, um Arbeitsplätze zu schaffen und ihre Kassen zu füllen. Als der Stamm ein Unternehmen gründete, um saubere Energien zu fördern, passierte etwas Unerwartetes: Das Unternehmen kaufte mehr Kohleminen.

Es ist eine schwierige Existenz für die meisten der insgesamt 175.000 Navajo, die in ihrem Heimatgebiet leben, das sich über die Grenzen von Utah, Arizona und New Mexico erstreckt. Das durchschnittliche jährliche Haushaltseinkommen liegt bei etwa 30.000 US-$, mehr als ein Viertel der Haushalte hat keinen Stromanschluss. Anfang Mai breitete sich das Coronavirus unter den amerikanischen Ureinwohnern so schnell aus, dass die Regierung von New Mexico die Straßen nach Gallup, der idyllischen Stadt am Rande des Gebiets, blockierte. Die Pandemie folgte einem für einige Familien besonders harschen Winter – im November wurden die Kohlemine Kayenta und das von ihr versorgte Navajo-Kraftwerk stillgelegt, wodurch 800 gut bezahlte Arbeitsplätze und eine kostenlose Quelle für Kohle, die ­viele Navajo zum Heizen ihrer Häuser verwenden, verloren gingen.

Nun muss das Unternehmen Navajo Transitional Energy Company (NTEC) die Kohle durch das gesamte Reservat transportieren, um es an Mann und Frau zu bringen. Stammesangehörige stehen Schlange, um eine Ladung davon zu bekommen. „Sie wollen einen guten Job und einen Gasofen haben. Aber das entspricht leider nicht der Realität“, sagt der Vorsitzende des Unternehmens, Timothy McLaughlin. Der 40-jährige Anwalt wuchs im Reservat auf und arbeitete später über drei Jahre lang als Umweltanwalt, bevor er sich auf Stammesrecht fokussierte. Es sei schwer, fügt er hinzu, sich über seinen CO2-Fuß­abdruck Sorgen zu machen, „wenn die Alterna­tive Erfrieren heißt“.

Die Lieferung von kosten­loser Kohle ist eine merkwürdige Aufgabe für NTEC, das sowieso schon ein wunderliches Unternehmen ist. Vor sieben Jahren mit dem Ziel gegründet, die Navajo durch die Abenddämmerung des Kohle­geschäfts zu führen, plante das Unternehmen, dies auf zweierlei Weise zu tun: Erstens durch die Übernahme von Bergbaubetrieben im Reservat, die zuvor von großen internationalen Unter­nehmen betrieben wurden – wodurch mehr Geld im Stamm verbleiben sollte; denn das Hauptziel von NTEC ist es, den Navajo bei der Diversifikation zu helfen, um schwindende Lizenzen für den Kohleabbau und Arbeitsplätze zu ersetzen. Alles begann nach Plan: Im Jahr 2013 übernahm NTEC das Eigentum an der Navajo-Mine von BHP Billiton und sicherte damit 700 Arbeitsplätze in der Mine und dem dazugehörigen Kraftwerk Four Corners. Es war eine gute Investition, die dem Stamm 233 Millionen US-$ einbrachte.

Daher baten die Navajo-Anführer NTEC im Jahr 2018, die Strategie fortzusetzen und über den Erwerb der Kayenta-Mine und des Navajo-­Kraftwerks zu verhandeln. Was NTEC stattdessen tat, lässt sich nur schwer begreifen: Da sich das Unternehmen nicht ­darauf einigen konnte, wie die künftigen Still­legungskosten mit den derzeitigen Eigentümern geteilt werden ­sollten, die ihre Haftungskosten decken wollten, ließ NTEC das Geschäft kurzerhand platzen. Die Eigentümer schalteten das Kraftwerk ab und schlossen das Bergwerk – und vernichteten so 40 Millionen US-$ pro Jahr an Kohle­lizenzgebühren, etwa ein Viertel der Gesamteinnahmen der Navajostämme.

Dann kündigte NTEC im August 2019 einen Deal zum Kauf von drei riesigen Minen in Wyoming und Montana von der bankrotten Cloud Peak Energy für etwa 100 Millionen US-$ und die Übernahme aller Sanierungskosten an. Durch die Übernahme erhöhte sich die Kohleproduktion von NTEC um mehr als das Zehnfache auf fast 60 Millionen Tonnen, was 9 % der gesamten US-Kohleproduktion entspricht. Die Navajo waren kurzerhand zum drittgrößten Kohleproduzenten der USA aufgestiegen.

Die amerikanischen Navajo leben entlang der Grenze von Utah, Arizona und New Mexico.

Die Stammesführer waren schockiert. Obwohl NTEC im Eigentum des Stammes war, wurde das Unternehmen als halbautonome Organisation gegründet. NTEC war nicht verpflichtet, sich mit dem Stamm über den Kauf zu beraten – und das tat das Unternehmen auch nicht. Der Präsident der Navajo, Jonathan Nez, brandmarkte den Schritt als respektlos und entzog NTEC den finanziellen Rückhalt des Stammes. Dies führte zu deutlich erhöhten Finanzierungskosten. „Der Trend ging in Richtung erneuerbarer Energien“, sagt Navajo-Vizepräsident Myron Lizer gegenüber Forbes. „Und nun besitzen wir vier Kohle­minen.“ Und: Drei davon befinden sich nicht einmal auf Navajo-Territorium.

NTEC-CEO Clark Moseley, ein 68-jähriger Bergbauingenieur, sagt, der Cloud-Peak-Deal sei einfach zu gut, um auf ihn zu verzichten. Er besteht darauf, dass NTEC keine vertraulichen Verhandlungen führen könne, nicht einmal mit Stammesführern. „Der Kauf war eine einzigartige Gelegenheit, da wir auf dem offenen Markt niemals etwas an­nähernd Gleichwertiges erwerben hätten können“, sagt er. Im Jahr vor dem Erwerb der drei Bergwerke durch NTEC erwirtschaftete Cloud Peak bei einem Umsatz von 832 Millionen US-$ einen Gewinn von 67 Millionen US-$.

Moseley hat fünf Jahrzehnte in der Kohleindustrie ­gearbeitet – ebenso lang, wie der Bergbau der wirtschaftliche ­Stützpfeiler des Reservats war. Die Region Four Corners verfügt über einige der reichsten Kohlegebiete des Landes, Tausende von Arbeitsplätzen mit ­einem durchschnittlichen Jahres­gehalt von 100.000 US-$ ­bildeten einst die Grund­lage für die Mittelschicht der Navajo. Doch das Glück war nicht von Dauer.

Das unerbittliche Sterben der Branche begann vor fast zwei Jahrzehnten, als Kalifornien entschied, dass die durch Kohleverbrennung erzeugte Energie zu schmutzig sei, um sie weiterhin zu nutzen. Benachbarte Staaten folgten dem Beispiel. In den gesamten USA ist die Menge der in Kraftwerken ­verbrannten Kohle auf dem tiefsten Stand seit 40 Jahren. Doch NTEC verlässt sich nicht auf die Nachfrage am Heimatmarkt: Ein großer Kunde ist der japanische Energieversorger Jera, der sich vertraglich verpflichtet hat, etwa eine Million Tonnen Kohle pro Jahr von NTEC zu kaufen. ­Diese Menge wird helfen, die zwei neuen Kohlekraftwerke zu befeuern, die Jera in der Präfektur ­Fukushima baut, wo sie die Leistung der 2011 zerstörten Kernreaktoren er­setzen sollen.

Das ist ja alles schön und gut – aber mit der Wende zu sauberer Energie hat das eher wenig zu tun. Diese ist aktuell aber auch nicht in Sicht: „Wir sind uns ihrer Reaktion bewusst und verstehen sie“, sagt NTEC-Vorsitzender McLaughlin. „In der Zukunft werden wir sicherstellen, dass wir besser kommunizieren.“ Es könnte bald so weit sein, denn NTEC hat schon den nächsten Schritt angekündigt: eine Investition in eine Mine für Seltene Erden in Texas.

Text: Christopher Helman / Forbes US
Fotos: Taylor Castle / Forbes US

Der Artikel erschien in unserer Juli/August-Ausgabe 2020 „Smart Cities“.

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