Mit dem FORBES-NEWSLETTER bekommen Sie regelmässig die spannendsten Artikel sowie Eventankündigungen direkt in Ihr E-mail-Postfach geliefert.
Die Steirerin Laura Wissiak, 28, hat es auf die Forbes 30 Under 30 Europe-Liste geschafft. Mit ihrem Start-up Hope Tech will sie barrierefreie Technologien kreieren und so Menschen mit Behinderung den Alltag erleichtern.
Laura Wissiak liebt die Herausforderung – darum beschloss sie, an der Universität Wien Japanologie zu studieren. Sie wollte in Rekordzeit die fremde und komplexe Sprache erlernen – und sie fließend sprechen und lesen können. Heute sagt sie: „Im Alltag bringt mir Japanisch nicht viel. Aber ich habe mir so bewiesen: Wenn ich mir ein Ziel setze, kann ich es auch erreichen.“
Fachkenntnis, Neugier und Ehrgeiz zeichnen die Steirerin auch in ihrer Rolle als Chief Research Officer (CRO) von Hope Tech aus. Das Start-up entwickelt das Assistenzsystem „Sixth Sense“ – das Gerät bietet in Verbindung mit einem Blindenstock Menschen mit Sehbehinderung eine bessere Orientierung. Der individuelle Stock kann mit einem Kopfhörer und einer App verbunden werden; die Technik erkennt Hindernisse und hilft bei der Navigation. Über Sprachbefehle, Audioführung und Vibrationssignale dienen diese Wearables als eine Art „digitaler Blindenhund“. Die Vision hinter dem Business: Jeder Mensch soll sich möglichst barrierefrei die Welt erschließen können.
Hope Tech wurde 2016 in Kenia gegründet und hat Standorte in London und Wien. Gründer Brian Mwenda erkannte während des Studiums in Kenia, dass Kommilitonen mit Sehbehinderung oft ausgeschlossen waren, weil sie Inhalte nicht oder nur unvollständig lesen konnten. Er fragte sich, warum dieses Problem nicht gelöst wird, wenn die Technik dafür doch längst vorhanden ist – diese Frage führte den Gründer zu seiner Start-up-Idee.
Der Kern von Wissiaks und Mwendas Mission ist die Überzeugung, dass Barrierefreiheit keine Dienstleistung ist, sondern ein Grundrecht. Darum beschränkt sich Wissiaks Arbeit nicht auf die Hardwareentwicklung: Ihre Erkenntnisse sollen der Allgemeinheit dienen – ideal wäre, wenn ihre Verbesserungen von populären Anwendungen wie Google Maps aufgegriffen würden, sagt Wissiak. Außerdem engagiert sie sich bei Access Austria, um akustische Ampeln auf Fehlfunktionen zu überprüfen.
Nach dem Studium spezialisierte sich Wissiak auf Webentwicklung sowie UX-Design und Usererfahrung. Sie nutzt jeden Tag für die Erprobung des Produkts mit Testpersonen. Wien ist dafür laut ihr der ideale Standort: „Wien bietet im Vergleich zu London oder anderen Metropolen mehr Barrierefreiheit und unsere Testteilnehmer können recht eigenständig zu uns kommen und unsere Produkte testen“, sagt die CRO.
Bei der Ansiedlung des Start-ups in Wien unterstützte außerdem die Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs (Access Austria), die Wirtschaftsagentur Wien und der Better Mobility Accelerator. Wissiak gehört seit 2024 zur Organisation VÖSI, die sich für Barrierefreiheit in österreichischen Softwareinnovationen einsetzt. Auch mit Vorträgen und Fortbildungen für Lehrpersonal will sie Inklusion am Arbeitsmarkt und im Bildungssystem fördern.
Die Aufnahme in die Forbes 30 Under 30 Europe-Liste nahm Wissiak auch zum Anlass, ihre Autismus-Diagnose öffentlich zu machen: „Meine Diagnose lag genau zwischen den beiden Auszeichnungen. (Wissiak schaffte es auf die Forbes Austria 30 Under 30-Liste 2024 und auf die Forbes 30 Under 30 Europe-Liste 2025; Anm.) Leider wird immer noch oft die Behinderung vor dem Menschen gesehen. Ich möchte nicht, dass Leute meine Diagnose zuerst sehen und meine Kompetenz dann darauf reduzieren“, so Wissiak.
Das Spektrum des Autismus reicht weit und hat unterschiedliche Ausprägungen. Wissiak sagt, dass für sie persönlich gewisse Fähigkeiten besonders in der Nutzer- und Marktforschung von Vorteil seien, etwa die besondere Aufmerksamkeit für Details, das Erkennen von Mustern und Trends, die Ausdauer bei der Vertiefung in ein Thema und oft auch eine Sensibilität gegenüber Vorurteilen im sozialen Umfeld. Wissiak erklärt: „Ich würde nicht sagen, dass es mir leichter fällt als anderen – mein Gehirn ist einfach anders verdrahtet und daher verarbeitet es die Welt anders.“
Gerade weil sie sich öffentlich für die Rechte von Menschen mit Behinderungen einsetzt, wollte sie deutlich machen: „Ich habe es mit meinem Autismus auf die Forbes 30 Under 30-Liste geschafft – nicht trotz meines Autismus. Da war ich das erste Mal nicht nur zufrieden mit meiner eigenen Leistung, sondern wirklich beeindruckt davon.“
Für die weitere Entwicklung von „Sixth Sense“ habe die Diagnose aber keine entscheidenden Auswirkungen. Vielmehr stünden immer noch jene Personen mit Sehbehinderung im Vordergrund, für die diese Technik entwickelt wird. „Da kann meine Lebenserfahrung nichts beitragen“, so Wissiak.
Bislang konnte Hope Tech mehr als 2,5 Mio. € an Kapital einsammeln. Der nächste Meilenstein wäre die Expansion in weitere Länder in Zentraleuropa, etwa Deutschland. Eine alternde Gesellschaft, ein besseres Verständnis für die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung und der rasante Fortschritt bei der Digitalisierung sämtlicher Lebensbereiche schaffen beste Bedingungen für weiteres Wachstum – und dürften die Nachfrage nach Wearables, die Menschen mit Einschränkung das Leben erleichtern, auch in den kommenden Jahren ankurbeln.
Dass die junge Unternehmerin nicht locker lässt, bis sie ihr Ziel erreicht, hat sie jedenfalls längst bewiesen. Auch das dürfte bei künftigen Investoren und Unterstützern für Vertrauen und Optimismus sorgen.
Laura Wissiak studierte Japanalogie an der Universität Wien. Heute ist sie Mitgründerin und Chief Research Officer bei Hope Tech.
Foto: Derick Odhiambo