EINE FRAGE DES WILLENS

Nicht nachhaltig, zu teuer: Das österreichische Pensionssystem kommt oft in die Kritik. Viele rechnen nicht mehr mit einer Pension. Das sei gefährlich, sagt Franz Beck, Generaldirektor-Stellvertreter der PVA.

Der Hauptsitz der österrei­chischen Pensionsversicherungsanstalt (PVA) ist ein auf seine Art beeindruckendes Gebäude. Im zweiten Wiener Gemeindebezirk gelegen, erstreckt sich der größte Sozialversicherungsträger Österreichs über einen neunstöckigen Flachbau. Fast ein Drittel der insgesamt 7.000 Mitarbeiter der PVA sind in Wien tätig, neben dem Hauptsitz findet sich hier auch die Landesstelle Wien. Als größter Pensionsversicherer des Landes ist die wichtigste Aufgabe der PVA die Prüfung, Gewährung und Betreuung von Pensionsansprüchen. Seit 2015 sitzt Franz Beck, Generaldirektor-Stellvertreter, in seinem Büro mit Blick auf die Donau. „Sein“ Thema, also Pensionen, sieht Beck allzu oft zum Spielball verkommen.

„In der Bevölkerung ist es oft so, dass die Pensionen als Reizthema verwendet werden, egal ob das jetzt in öffentlichen oder politischen Debatten ist.“ Und tatsächlich drehte sich auch ein signifikanter Anteil der Diskussionen vor der letzten Nationalratswahl wieder um Pensionszahlungen – nicht zuletzt, weil im Sommer eine Erhöhung der Pensionen um bis zu 3,6 % im kommenden Jahr beschlossen wurde, die nicht alle politischen Kräfte goutierten. Für Beck ist das Thema aber hochrelevant für das Funktionieren des Sozialstaats. „Die Pensionen sind eine tragende Säule unseres Systems. Wenn diese wankt, gerät der soziale Zusammenhalt in Gefahr.“

Österreichs System basiert auf dem Generationenvertrag: Dabei finanzieren aktive Arbeitnehmer die Pensionen ehemaliger Arbeitnehmer. Wenn dann die heute aktiven Arbeitnehmer morgen pensioniert werden, finanziert wiederum die nächste Kohorte deren Ruhestand. Doch in den letzten Jahren kam das System zunehmend in die Kritik: Steigende Lebenserwartung und weniger Kinder lassen die Bevölkerung überaltern – die Folge: Die Menschen sind länger in Pension und werden zugleich von weniger aktiven Arbeitnehmern gestützt. Inwiefern Österreichs Pensionssystem nachhaltig ist, sorgt regelmäßig für Diskussionen.

Forbes Daily, Franz Beck, Generaldirektor-Stellvertreter der PVA 002

Franz Beck
... ist Generaldirektor-Stellvertreter der österreichischen Pensionsversicherungs­anstalt (PVA). Der Jurist ist bereits seit 1979 dort tätig.

Erst jüngst wurde wieder debat­tiert, und zwar über eine neu veröff­entlichte Mercer-Studie, die dem Pen­sions­system der Republik sowohl Angemessenheit als auch Nachhaltigkeit abspricht. Tatsächlich zeigt ein Blick in die Welt, dass Österreich bei den Leistungen im Spitzenfeld liegt, die Menschen gleichzeitig jedoch früher in Pension gehen als in vielen anderen (Nachbar-)Staaten. 2018 gingen Frauen in Österreich mit durchschnittlich 59,3 Jahren in den Ruhestand, Männer mit 61,3 Jahren. Das ist deutlich entfernt vom gesetzlichen Pensionsantrittsalter, das für Frauen bei 60, für Männer bei 65 Jahren liegt. Die Gründe: frühzeitige Pensionierung, Invaliditätspensionen et cetera. Kritiker fordern, das effektive Antrittsalter zu erhöhen.

Doch Beck weiß, dass diese Maßnahme bei der Bevölkerung überhaupt nicht beliebt ist: „Es gab dazu Umfragen: Die Leute sind noch eher bereit, höhere Beiträge zu zahlen – weniger bereit sind sie, länger zu arbeiten. Mit Abstand am unbeliebtesten ist aber eine etwaige Kürzung der Pensionshöhe.“ Die PVA sieht die Situation überhaupt diametral anders: Die Mercer-Studie gehe davon aus, dass ein System mit vorrangig öffentlichen Pensionen und einer kleinen kapitalgedeckten privaten und betrieblichen Altersvorsorge nicht nachhaltig sein könne – Österreich beweise seit Jahrzehnten das Gegenteil. Organisationen wie die Arbeiterkammer geben der PVA da recht.

Und auch Beck sieht die ­Debatte gelassen: „Bereits als ich 1979 ins Berufsleben eingestiegen bin, hieß es, wir Jungen würden keine Pension mehr bekommen. Diese Aussage hat sich nicht geändert, aber bis heute gilt: Wer ins System eingezahlt hat, wird auch etwas herausbekommen. Der Generationenvertrag hat immer gehalten“ – es hänge lediglich vom politischen Willen ab, ob er aufrecht bleibe. Doch auch die Übernahme der Ausfallshaftung ermöglicht das Funktionieren des Systems. Rund 3,7 Milliarden € betrug der Bundesbeitrag, um die Lücke im System auszugleichen. Zugegebenermaßen ist diese Summe in den letzten Jahren jedoch gefallen: 2014 lag die Zahlung etwa noch bei 4,62 Milliarden €.

Was Beck jedoch Sorge bereitet, ist die Verdrossenheit, die die Diskussion auslöst. Denn wenn junge Menschen glauben, keine Pension mehr zu bekommen, hätten sie keinen Anreiz, über eine geregelte Arbeit in die Pflichtversicherung einzutreten. Die Folge: Jobs, die keine Pensionsvorsorge ermöglichen, etwa in prekären Arbeitsverhältnissen, werden in Kauf genommen. „Wenn Jugendliche glauben, dass sie nichts arbeiten müssen, weil sie eh keine Pension bekommen, ist das gefährlich.“ Denn für alle, die in einem geregelten Arbeitsverhältnis stehen, wird automatisch Geld aufs Pensionskonto eingezahlt.

Auch die „Teilzeit-Falle“, in der sich insbesondere Frauen mit Kindern oft wiederfinden, ist ein Problem, vor dem Beck warnt. „Wer lange Zeit wenig einzahlt, wird am Ende auch wenig Pension bekommen. So bekommen Frauen, die viele Jahre in Teilzeit arbeiten, auch nur geringe Pensionen.“ Frauen müssten also versuchen, trotz Kindererziehung möglichst Vollzeit zu arbeiten. Das Argument, dass dafür die nötige Infrastruktur fehlt – wegen zu wenigen oder zu teuren Kinderbetreuungsplätzen –, versteht Beck. Es sei Aufgabe der Politik, das zu beheben, so der Jurist.

Rund 27 % der Österreicher sind Pensionisten, die Pensionszahlungen hatten 2017 einen Anteil von 14,4 % an der Wertschöpfung des Landes (BIP). Mit 19 Milliarden € machen die Pensionen den größten Ausgabenposten des Staates aus, rund ein Viertel der Einnahmen der Republik fließen in die Sicherung der Pensionszahlungen. Damit ist klar, dass das Thema auch in Zukunft eine hohe Relevanz haben wird – auch, weil Pensionisten eine große Wählergruppe darstellen. Beck rät jungen Menschen, möglichst lange möglichst hohe Beträge ins System einzuzahlen – also in einem geregelten Arbeitsverhältnis zu stehen. Zusätzliche, private Vorsorgemethoden seien durchaus eine Ergänzung; „ein Ersatz für das staatliche System sind sie aber nicht.“

Beck spricht aus Erfahrung. 1979 als Jurist zur PVA gekommen, war er stellvertretender Leiter der Personal- und Leiter der Rechtsabteilung in der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten. Nach der Fusion der Pensionsversicherungsanstalten war er 2004 für fünf Monate Direktor der Grundsatz­abteilung, ab Dezember 2004 dann Landesstellendirektor in St. Pölten. Seit 2015 ist er einer der beiden Stellvertreter des aktuellen Generaldirektors Winfried Pinggera. „Und am 1. Dezember 2019 gehe ich dann selbst in Pension.“

Wer ins System eingezahlt hat, bekommt auch etwas heraus. Der Generationenvertrag hat noch immer gehalten.

Text: Klaus Fiala
Foto: David Višnjić

Der Artikel ist in unserer Forbes Daily erschienen.

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