Fight for the Night

In den letzten Jahren wurde in Großstädten wie New York, Paris oder Berlin ein Amt eingeführt, das sich einzig um das nächtliche Geschehen der Stadt kümmert. Immer mehr Regionen fordern jetzt einen Interessenvertreter des Nachtlebens. Doch was steckt hinter dieser Rolle - und ist diese überhaupt notwendig für eine Stadt?

Das Nachtleben wird nicht nur von feierfreudigen Jugendlichen geschätzt, hinter dem Leben bei Nacht steckt nämlich mehr als lediglich die Partyszene: Vielmehr ist es ein Ort für kulturelle, kreative, ökonomische und soziale Begegnungen jeglicher Art. Es geht um die künstlerische Verwirklichung, beispielsweise durch Theater, ebenso wie um all jene Menschen, die bei Nacht ihrem Beruf nachgehen - beispielsweise Taxifahrer, Bäcker oder Ärzte. Somit bringt das Nachtleben erhebliche ökonomische sowie gesellschaftliche Effekte für Städte, welche von Tourismus und Lebendigkeit profitieren. Allein in Wien wurden 2018 ein Jahresumsatz von fast einer Milliarden € und eine Bruttowertschöpfung von rund 440 Millionen € erzielt, wobei diese Zahlen den Bereich der Kulturorientierung unberücksichtigt lassen. Doch trotz all dieser Vorteile wird “die Nacht” von politischen Entscheidungsträgern immer anders als “der Tag” behandelt. Diese fundamentale Problematik sieht auch Mirik Milan, ehemaliger Nachtbürgermeister von Amsterdam: Wenn Schwierigkeiten auftreten, wird nicht zusammen - wie bei der Politik “für den Tag” - nach Lösungen gesucht, sondern gleich starke  Verbote und Regularien gesetzt. So werden werden nicht nur große Erfolgspotenziale verschenkt, sondern auch wichtige Mitspieler wie Gastronomen und Veranstalter durch Verbote und Regularien eingeschränkt. Die Interessensgruppen fordern neue und nachhaltige Lösungskonzepte für die Herausforderungen des Nachtlebens.

Nachtbürgermeister - Die Lösung aller Probleme?

Probleme birgt das Nightlife zugegebenermaßen so einige: Verschmutzung, Lärmbelästigung, und in manchen Fällen sogar Drogenexzesse und Gewalt, sind nur einige der Herausforderungen, mit denen die Szene zu kämpfen hat. Durch die COVID-19-Pandemie und die damit verbundenen großflächigen Lockdowns, vorverlegten Sperrstunden und Veranstaltungsverbote entstanden zusätzliche Hürden für Unternehmen und Selbstständige, die von der Nachtwirtschaft abhängig sind. Sie meinen, es brauche nichts dringender als einen Verantwortlichen, der sich für nachhaltige Lösungen im Interesse aller Beteiligten einsetzt, und die Wirtschaft, Kultur- sowie Anwohnergemeinschaft mit der Politik zusammenbringt - kurzgesagt: einen Nachtbürgermeister.

Der Nachtbürgermeister positioniert sich als Vermittler zwischen der Party- und Kulturszene, Anrainern, der Politik sowie weiteren Stakeholdern wie Besuchern und Stadtplanern. Er sammelt Anliegen und Beschwerden und trägt verantwortlichen Politikern und Stadtplanern Verbesserungsvorschläge vor. Auch steht die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung der Szene in seinem Fokus. Der Titel “Nachtbürgermeister” ist dabei etwas irreführend, denn er fungiert zwar als Brückenbauer, übt damit aber nicht gleichzeitig hoheitliche Aufgaben, z.B. in Baubewilligungsverfahren, aus und muss auch nicht zwangsweise von der Bevölkerung zur Bekleidung dieses Amtes gewählt werden. Vielmehr tritt er als Schnittstelle zwischen den einzelnen Akteuren und als Initiator von Projekten auf.

Amsterdam, Paris, New York City, aber auch Zürich, Berlin und Mannheim - immer mehr Metropolen haben das Konzept des Nachtbürgermeisters für sich entdeckt. Die Ausgestaltungen sind aber so divers wie die Städte selbst. Während die Rolle in Berlin durch öffentliche Fördergelder sowie durch Beiträge von Clubs finanziert wird, lebt beispielsweise der Züricher Nachtstadtrat rein von Spendengeldern.  Auch die umgesetzten Initiativen differenzieren sich teils sehr voneinander: In Amsterdam wird zum Beispiel die Anzahl der Beschwerden wegen Gewalt und Alkoholexzessen mittels Bewusstseinskampagnen gesenkt. In London kämpft Nachtbürgermeisterin Amy Lamé zum einen aktiv gegen die Schließung von LGBTQ+ Nachtclubs und fördert zum anderen das Nachtleben jenseits von Bars und Clubs - vom Kabarett bis hin zur 24-Stunden-U-Bahn, der “Night Tube”.

Mannheim als Vorreiter

Im deutschsprachigen Raum ist Mannheim eine der ersten Städte, die das Konzept umgesetzt hat - nicht zuletzt aufgrund des dort besonders ausgeprägten Nachtlebens. Der amtierende Nachtbürgermeister Robert Gaa sieht sich selbst als “Mediator zwischen Beschwerdeführern und Verursachern” und verbringt seine Zeit damit, lokale Netzwerke zu stärken, diverse Stakeholder zu treffen und eigene Initiativen zu gestalten, die sich nachhaltig auf das Nachtleben auswirken. Beispielsweise soll es die “nette Toilette” ermöglichen, ohne damit verbundenen Konsumzwang die Toiletten von Gastronomiebetrieben verwenden zu können. Im Partyviertel Jungbusch wurden im Zuge eines weiteren Projekts Pfandkisten neben Mülltonnen aufgestellt, um Glasscherben zu vermeiden. Mit den Projekten namens “Luisa ist hier” und “Frauentaxi” kämpft Nachtbürgermeister Robert Gaa außerdem aktiv gegen sexuelle Belästigung. Fühlt sich eine Frau in einer Bar oder einem Club unwohl, etwa durch Bedrängnis, kann sie sich mit der Frage “Ist Luisa hier?” diskret und einfach an das Personal wenden. Mit diesem Code wird der Frau sofort aus ihrer Situation geholfen, indem etwa Rückzug in einem Personalraum gefunden, ein Taxi geholt und die Frau bis zum Einsteigen begleitet oder sogar die Polizei angerufen wird. Auch die Initiative Frauentaxi stellt ein stark nachgefragts Hilfsangebot als Akt gegen sexuelle Belästigung dar. Gerade Frauen fühlen sich an öffentlichen Plätzen bei Nacht oftmals sehr unsicher. Um dem entgegenzuwirken, wurden Hotlines zur Bestellung einer weiblichen Taxifahrerin eingerichtet oder nach dem Vorbild Hannovers Gutscheine als finanzielle Unterstützung zur Nutzung von Taxis zwischen 22 und 6 Uhr eingeführt. Beide Konzepte haben bereits in dutzenden anderen Städten, auch in Österreich und der Schweiz, Einzug gefunden. Auch die deutsche Hauptstadt würde von einem solchen Mediator profitieren: Rund drei Millionen Touristen im Jahr feiern in Berliner Clubs. Für Transport-, Gastronomie- und Gastgewerbe kommt das einem Umsatz von rund 1,48 Milliarden € Umsatz gleich. Die Clubszene allein setzte im Vorjahr  168 Millionen Euro um.

Um sich den neuen Richtlinien im Zuge der COVID-19-Pandemie anpassen zu können, werden verstärkt neuartige Clubkonzepte von Betrieben angefordert. Des Weiteren kam es aufgrund der Schließung von Lokalitäten zuletzt vermehrt zu Treffen an öffentlichen Orten, die zu Lärmbelästigung sowie Vermüllung geführt haben. Die ins Leben gerufene “Nachtschicht” soll helfen Bewusstsein zu schaffen, indem sie proaktiv auf feierlaunige Gruppen zugeht und diese über die Auswirkungen von Lärm und Müll aufklärt. Darüber hinaus liegt der momentane Fokus von Gaa eindeutig auf Förderungen als Folge der COVID-19-Pandemie: “Wo und von wem sie bereitgestellt werden,  und wie man sich bewirbt - das sind jetzt gerade die größten Fragen.”

In Mannheim kommt das Konzept laut Gaa sowohl bei der Politik als auch in der Bevölkerung sehr gut an. Dies stimmt ihn optimistisch, sodass er von einer Expansion in weiteren Städten in der DACH-Region ausgeht: “Viele Städte haben gemerkt, dass wir mit wenig Aufwand sehr viel erreichen können.”  Auch der Austausch mit anderen Nachtbürgermeistern sei äußerst wichtig, um voneinander zu lernen. Um diesen zu fördern, veranstaltete Mannheim vergangenes Jahr die erste Nachtökonomie-Konferenz namens NØK, als “wichtiges Tool, um den Austausch voranzutreiben”.

Die Zukunft des Wiener Nachtlebens

In vielen Städten gibt es in der Nachtszene aber noch deutlichen Aufholbedarf, so auch in Wien. Nach Yasin Reinbergers Einschätzung, Betriebsleiter eines Nachtclubs in Wien, braucht Wiens Nachtleben noch einige Verbesserungen. Er sieht das Nachtleben als eine florierende Szene, aus der in Wien “noch sehr viel mehr herauszuholen ist.”  Ihm geht es dabei nicht bloß um Maßnahmen rund um die Clubs, sondern auch beispielsweise um längere Restaurantöffnungszeiten, die Schaffung von sicheren Plätzen sowie die 24-Stunden-U-Bahn auch unter der Woche, die seiner Ansicht nach noch viel mehr Aktivität in das Nachtleben bringen würden. Ein möglicher Nachtbürgermeister könnte hierbei maßgeblich die Entwicklung unterstützen. “Ich denke, dass so ein Posten eine sehr große Aufgabe ist. Man spricht davon, die Mitverantwortung zu haben, das gesamte Nachtleben für eine ganze Stadt neu zu gestalten”, so Reinberger.

Ein solcher Posten hätte in der derzeitigen Gesundheitskrise, laut Reinberger, nicht nur durch Beratung von geänderten Nutzungskonzepten und Fördermitteln unterstützend gewirkt. Auch zusammen mit den Betreibern des Nachtlebens und der Politik hätte man effektivere Konzepte zur sicheren Nutzung von Bars und Clubs ausarbeiten können. Er sieht die Beschränkung der Personenzahl und die Verlegung des Nachtlebens ins Freie als eine sinnvolle Maßnahme an, Reinberger und sein Team haben dabei selbst ein neues Konzept für freie Flächen entwickelt. Herr Reinberger hatte jedoch Schwierigkeiten mit der landesweit eingeführten Sperrstunde um ein Uhr. In den Sommermonaten haben sich im Wiener Nachtleben Ballungszentren am öffentlich zugänglichen Wiener Donaukanal oder auf der Donauinsel  gebildet. Seiner Ansicht nach “wären das Personenansammlungen gewesen, die man in Clubs aufgrund der vorgegebenen Sicherheitsvorkehrungen der Stadt hätte regulieren können.” Der Branche wäre es vor allem wichtig gewesen, dass man in dieser schwierigen und unsicheren Zeit die Expertise aller Stakeholder, zum Beispiel durch einen Nachtbürgermeister, an einen Tisch bringt, und gemeinsam an sinnvollen und sicheren Konzepten arbeitet.

Der Wunsch nach einem Nachtbürgermeister in Wien wird nicht nur von der Gastronomie geäußert, sondern auch von politischen Akteuren und der Zivilgesellschaft. Des Weiteren wurden bereits zahlreiche Petitionen gestartet, etwa von der Initiative “N8BM”. Auch die Vienna Club Commission, welche gerade noch in ihren Kinderschuhen steckt, möchte sich für die Wiener Clubkultur einsetzen. Es soll eine “Service- und Vermittlungsstelle nach dem Vorbild von Berlin, Amsterdam oder Zürich” erarbeitet werden. Momentan wird geplant, wie der Nutzen für diverse Stakeholder in Wien maximiert werden kann. Hierfür ist man mit Initiatoren vergleichbarer nationaler sowie internationaler Projekte im Austausch.

Es geht darum, die Wünsche und Bedürfnisse der verschiedenen Stakeholder besser zu verstehen. Laut Betriebsleiter Reinberger sei Lärmbelästigung - und der damit einhergehende ständige Konflikt zwischen Anrainern und Gastronomen - eine der größten Herausforderungen und deutlich stärker ausgeprägt als in anderen Städten wie Barcelona. Der Club “Bettel-Alm” der Wiener Innenstadt sah sich sogar aufgrund der Überflutung von Anzeigen wegen Lärmbelästigung eines einzigen Anrainers in seiner gesamten Existenz bedroht. Mitverantwortlich für viele der aktuellen Lärmbeschwerden ist das Wiener Rauchverbot für die Gastronomie, in Kraft seit Ende 2019, durch das sich immer mehr Menschen vor Lokalen aufhalten, um im Freien zu rauchen - und durch ihren Lärm Anrainer stören. Eine diplomatische Lösung für solche Probleme benötige eine unvoreingenommene Perspektive sowie Verständnis für die einzelnen Personen. Laut Reinberger sei für die Rolle des Nachtbürgermeisters “ein gewisses Grundwissen mit Sicherheit von Vorteil, um sämtliche Interessen zu vertreten”. Jedoch sollte es sich um eine unabhängige Person handeln, die nicht aktiv einen Betrieb führt.

Unterstützung wird benötigt

Das Nachtleben benötigt besonders in schwierigen Zeiten wie diesen dringender Unterstützung denn je. Auch ein Nachtbürgermeister kann all diese Herausforderungen nicht alleine überwinden, jedoch kann er wichtige Abhilfe schaffen, indem Konflikte gelöst, Stakeholder an einen Tisch gebracht und gemeinsam Lösungskonzepte erarbeitet werden. Bisherige Erfahrungen zeigen, dass ein Nachtbürgermeister in vielen Metropolen ein sinnvoller Schritt war, um den respektvollen Dialog zwischen Bürgern, beteiligten Stakeholdern und der Politik zu schaffen. Gelungene Initiativen wie Mannheim sollen auch weiterhin als Vorbilder dienen, von denen Städte wie Wien profitieren können. Als Resümee: Das Nachtleben als Nährboden für kreativen und kulturellen Austausch bedarf also oftmals weiterer gezielter lokalpolitischer Maßnahmen,  um sein volles Potential entfalten zu können und dadurch für alle Beteiligten eine bereichernde Erfahrung zu bieten.. Ganz ohne “die Nacht  zum Tag zu machen”.

Text: Noah Al-Hachich, Oskar Köller, Gudrun Zechner

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