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Vor rund 15 Jahren haben Jochen Engert, Daniel Krauss und André Schwämmlein begonnen, eine Idee aus dem Koalitionsvertrag der damaligen Bundesregierung in ein Geschäftsmodell zu übersetzen.
Die Liberalisierung des Fernbusmarktes war damals nur ein politischer Halbsatz – heute ist daraus ein international tätiges Unternehmen mit mehr als 2 Mrd. US-$ Jahresumsatz und rund 5.500 Mitarbeiter:innen geworden. Flix operiert mittlerweile in 45 Ländern und befördert jährlich zwischen 80 und 90 Mio. Menschen.
Im Gespräch mit dem OMR Podcast spricht Co-Gründer Jochen Engert über die kommenden Schritte. Der Blick richtet sich auf drei Schwerpunkte: den Zugverkehr in Europa, den Ausbau in Indien und das US-Geschäft. Jeder dieser Märkte bringt eigene Herausforderungen und Potenziale mit.
USA: Größter Markt trotz politischer Unsicherheiten
Mit der Übernahme von Greyhound 2021 ist Flix in den USA zum größten Fernbusanbieter geworden. Der US-Markt ist inzwischen der wichtigste für das Unternehmen. Engert beschreibt die wirtschaftlichen Bedingungen dort als robust – selbst in Rezessionsphasen wachse die Nachfrage nach günstigeren Verkehrsangeboten. Die Preissensibilität vieler Konsument:innen wirke sich positiv auf die Auslastung aus. Anders ist die politische Lage zu bewerten: Flix beobachtet die Entwicklungen rund um demokratische Institutionen und Wettbewerbssysteme mit Sorge. Mögliche regulatorische Eingriffe oder ein Rückbau liberalisierter Märkte wären ein Risiko für das Geschäftsmodell.
Indien: Viel Nachfrage, wenig Infrastruktur
Seit 2024 ist Flix auch in Indien aktiv. Der Markt ist groß, jung und in Bewegung – zugleich fehlt es an einem verlässlichen Fernverkehrsnetz, das Millionen Menschen erreicht. Engert beschreibt Indien als Land mit enormer Energie und Tatendrang. Die Nachfrage ist hoch, doch das Umfeld unterscheidet sich grundlegend von Europa. Marode Infrastruktur, lange Genehmigungsprozesse und regionale Unterschiede erfordern Geduld und lokales Verständnis. Der Einstieg dort ist keine schnelle Expansion, sondern eine langfristige Investition in ein Land mit strukturellem Mobilitätsbedarf.
Zugverkehr in Europa: Langsamer Aufbau, großes Potenzial
In Deutschland hat Flix in den vergangenen Jahren begonnen, das Schienensegment über Flixtrain auszubauen. Der Zugverkehr trägt aktuell nur einen einstelligen Prozentanteil zum Gesamtumsatz bei, soll aber über die nächsten Jahrzehnte deutlich wachsen. Engert sieht den europäischen Bahnmarkt als zehnmal so groß wie den Busmarkt. Die Vision: ein privater Anbieter für grenzüberschreitende Zugverbindungen, der ähnlich wie die Low-Cost-Airlines vor Jahrzehnten einen Gegenpol zu den staatlichen Bahngesellschaften schafft. Voraussetzung dafür sind stabile Rahmenbedingungen – reguliert wird der Bahnsektor nach wie vor stark, der Zugang zu Infrastruktur ist komplex. Trotzdem sieht man bei Flix Potenzial, durch effizientere Abläufe, bessere Auslastung und flexible Preise langfristig Marktanteile zu gewinnen.
Flexibilität als wirtschaftliche Stärke
Flix hat in den letzten Jahren gelernt, mit Unsicherheiten umzugehen. Engert beschreibt das Unternehmen als antizyklisch – in wirtschaftlich schwierigen Zeiten weichen viele Menschen auf günstigere Mobilitätslösungen aus. Das Modell funktioniert besonders dann, wenn andere Optionen wie Auto oder Flugzeug teurer oder unattraktiver werden. Entscheidend sei die Preiswahrnehmung, weniger der Konjunkturverlauf.
Arbeitsbedingungen im Niedrigpreissektor
Gleichzeitig ist Flix mit der Kritik konfrontiert, dass günstige Tickets auf Kosten der Arbeitsbedingungen gehen. Engert verweist darauf, dass Flix vor allem als Plattform agiert – gefahren wird über Partnerunternehmen, die lokale gesetzliche Standards einhalten müssen. Das ermögliche eine gewisse Steuerung über Ausschreibungen und Qualitätsvorgaben, entzieht dem Unternehmen aber zugleich den direkten Einfluss auf alle operativen Details. Die Herausforderung besteht darin, gesellschaftliche Erwartungen an faire Beschäftigung mit dem Geschäftsmodell in Einklang zu bringen.
Langfristige Positionierung statt kurzfristiger Ertrag
Flix setzt nicht auf kurzfristige Rendite, sondern auf stabile Marktpositionen in Sektoren mit strukturellem Bedarf: günstiger Fernverkehr in den USA, fehlende Transportkapazitäten in Indien und eine teilweise geöffnete Regulierung im europäischen Bahnsektor. Die Strategie ist nicht risikofrei – besonders, wenn sich politische Bedingungen verändern – aber auf Dauer angelegt. Wachstum, so zeigt das Beispiel Flix, ist nicht nur eine Frage des Kapitals, sondern auch der Geduld, der Anpassungsfähigkeit und des Verständnisses für lokale Rahmenbedingungen.
Foto: Joel Tinner