Gehen Maschinen Bald um Fünf Billionen Dollar für uns shoppen?

Es gibt Thesen, die klingen zunächst nach Science-­Fiction – und werden dann schneller real als gedacht. Die Vor­stellung, dass KI-Agenten bald unseren gesamten Einkauf über­nehmen, gehört dazu. Und doch spricht vieles dafür, dass genau das passiert.

Nun sind die großen Tech-Konzerne, die dieses ­Szenario vorantreiben, natürlich nicht unbefangen – aber es gibt Fakten, die diese Entwicklung plausibel machen: KI-Modelle führen komplexe Entscheidungsketten autonom aus, analysieren historische Kaufdaten präziser als jeder Mensch und navigieren auf Platt­formen so geschickt, dass sie auf den digitalen „Schienen“ der letzten E-Commerce-Revolutionen reiten können. Bis 2030 könnte laut McKinsey allein der glo­bale B2C-Einzelhandelsmarkt bis zu drei bis fünf Bio. US-$ (2,6 bis 4,3 Bio. €) agentischen Umsatz erreichen. Kurz gesagt: KI-Agenten gehen bald um bis zu fünf Bio. US-$ für uns shoppen.

Die E-Commerce-Giganten der letzten Jahrzehnte (Amazon, Alibaba, Zalando) profitierten stark vom Ver­halten menschlicher Nutzer: Menschen vergleichen schlecht, entscheiden langsam und kaufen impulsiv. Das Prinzip blieb trotz besserer User Experience gleich. Die nächste Generation des Handels könnte jedoch in einem Umfeld stattfinden, in dem die Käufer gar keine Menschen mehr sind, sondern rationale, geduldige, unbe­irrbare AI Agents.

Dass Daten das Rückgrat des Onlinehandels bilden und personalisierte Journeys mächtig sind, ist bekannt. Doch es könnte eine andere Tatsache sein, die den Sek­tor nun neu definiert: Wenn autonome Agenten für uns einkaufen, was bleibt vom klassischen E-Commerce übrig? Wer scrollt noch durch Kategorien, wenn ein Agent Preis, Lieferoption und Quelle ohnehin in Sekunden findet – ohne Müdigkeit, ohne Emotion, ohne Impulskäufe?

Ein Teil des bisherigen Erfolgs war, dass Menschen sich verlocken ließen. Rabatte wirkten, Empfehlungen wirkten. Das fällt nun weg. KI-Agenten sind immun gegen Marketingtricks, uninteressiert an Markenstorys und unbestechlich in ihrer Optimierungslogik. Sie ziehen keinen Nutzen aus Bildern, Texten oder Discounts – nur aus Effizienz.

Man könnte aber auch fragen: Wenn Menschen nicht mehr aktiv einkaufen, erleben wir dann eine ­Renaissance des stationären Handels – dort, wo Beratung und Atmosphäre zählen? Vielleicht; vielleicht auch nicht. Physische Geschäfte könnten zu Nischen werden: Orte, an denen man nicht einkaufen muss, sondern will. Oder – im schlechtesten Fall – nur Inspiration sucht, bevor der Agent entscheidet.

Ob die Handelsbranche und insbesondere der E-Commerce diese Umwälzung meistert, ist offen. Der Sektor antizipierte viele Wellen – mobile, social, on demand. Doch diesmal ist schwer vorstellbar, dass viele gewinnen. Agentischer Handel bedeutet nicht Optimierung des Bestehenden, sondern eine Neuschreibung der Wertschöpfung: Wer kontrolliert den Zugang zum Kunden, wenn der Kunde nicht mehr selbst entscheidet? Wer spricht künftig mit wem – Marken mit Menschen oder mit Maschinen?

Schaden könnte etwas mehr Weitblick nicht – und etwas Demut ebenfalls. Diesmal steht nicht eine Branche zur Disposition – sondern die Art und Weise, wie wir selbst konsumieren.

Klaus Fiala,
Chefredakteur

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